Urteil des SozG Bremen vom 22.01.2010

SozG Bremen: gesellschafter, erlass, verwaltungsakt, rechtspersönlichkeit, verjährungsfrist, berufungsschrift, komplementär, niedersachsen, insolvenz, zustellung

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 22.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 4 KR 124/06
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand:
Der 1942 geborene Kläger wendet sich gegen zwei Feststellungsbescheide der Beklagten als Einzugsstelle. Er war
persönlich haftender Gesellschafter der A. KG sowie der Gebr. A. Z. KG. Am 01.08.2004 wurde hinsichtlich der Gebr.
A. Z. KG das Insolvenzverfahren eröffnet. Hin-sichtlich der A. KG erfolgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am
14.09.2004.
Anlässlich der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fanden bei beiden Gesellschaften Betriebs-prüfungen statt. Unter
dem 16.12.2004 erging im Hinblick auf die A. KG gemäß § 28p Abs. 1 SGB IV eine an den Insolvenzverwalter
gerichtete und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung ver-sehene Prüfmitteilung der Landesversicherungsanstalt QV. über
den (Betriebsprüfungs-) Zeit-raum 22.09.2001 bis 13.09.2004. Danach bestünden noch Beitragsforderungen
einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 112.546,19 Euro. Unter dem 24.01.2005 erfolgte sodann die - wiederum
alleine dem Insolvenzverwalter zugestellte - Prüfmitteilung der Bundesversiche-rungsanstalt für Angestellte im
Hinblick auf die Gebr. A. Z. KG über den Prüfzeitraum 01.01.2004 bis 31.07.2004. Danach bestünden noch
Beitragsforderungen in Höhe von 8.094,64 Euro. Widerspruch erhob der Insolvenzverwalter gegen die Prüfbescheide
nicht.
Von einem weiteren Prüfbescheid der Landesversicherungsanstalt QV. vom 16.12.2004, der
Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von über 4,5 Millionen Euro nacherhob, erhielt der Klä-ger Kenntnis. Seinen
dagegen gerichteten Widerspruch wies die Deutsche Rentenversiche-rung mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2007
als unzulässig zurück. Der Bescheid sei al-leine dem Insolvenzverwalter gegenüber bekannt gegeben worden. Der
Kläger sei nicht wi-derspruchsbefugt. Die dagegen beim Sozialgericht Bremen - 8. Kammer - erhobene Klage (S 8 R
362/07) nahm der Kläger nach einer ablehnenden PKH-Entscheidung zurück.
Bereits zuvor, nämlich mit Bescheiden vom 31.01.2005 und vom 01.02.2005 stellte die Be-klagte dem Kläger
gegenüber auf der Grundlage der Prüfbescheide des Rentenversiche-rungsträgers vom 16.12.2004 und vom
24.01.2005 Beitragsforderungen in Höhe von 109.774,19 Euro und 6.967,66 Euro fest. In den Bescheiden heißt es,
der Kläger hafte für diese Forderungen gesamtschuldnerisch mit der Gesellschaft. Während der Dauer des Insol-
venzverfahrens könne der Kläger nur durch den Insolvenzverwalter in Haftung genommen werden. Deshalb sei das
Insolvenzverfahren zunächst abzuwarten.
Am 11.02.2005 rief der Kläger bei der Beklagten an und teilte unter Verweis auf § 93 Insol-venzordnung (InsO) mit, er
sei mit den Feststellungsbescheiden nicht einverstanden. Über diesen Anruf fertigte die Beklagte eine Niederschrift,
die sie als Widerspruch wertete. Mit (ge-meinsamem) Widerspruchsbescheid vom 09.06.2006 wies sie die
Widersprüche als unbe-gründet zurück. Der Anwendungsbereich des § 93 InsO sei nicht betroffen. Eine Inanspruch-
nahme werde während des laufenden Insolvenzverfahrens nicht erfolgen. Wegen der unbe-stimmten Dauer des
Insolvenzverfahrens sei es erforderlich gewesen, die Forderungen durch verjährungsunterbrechende Maßnahmen fest-
und sicherzustellen. Kostengünstig für alle Be-teiligten sei dies durch Verwaltungsakte mit ausschließlichem
Feststellungscharakter möglich.
Am 12.07.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Ansicht, seine Haftung als Komple-mentär setze voraus,
dass ihm auch die Prüfbescheide des Rentenversicherungsträgers zu-gestellt worden wären. Dies sei nicht erfolgt. Im
Übrigen seien die - diesen Bescheiden zu-grunde liegenden - Feststellungen unrichtig.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide vom 31.01.2005 und vom 01.02.2005 sowie den Widerspruchs-bescheid vom 09.06.2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren und weist ergänzend darauf hin, dass der
Kläger neben seiner akzessorischen Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB gegenüber der Beklagten auch
unmittelbar aus § 266a StGB i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB hafte. Es bestünden keine Zweifel, dass
Sozialversicherungsbeiträge vorsätzlich vorenthalten worden seien.
Das Gericht hat die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte aus dem Ver-fahren S 8 R 362/07
beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf ihren sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und
die Sitzungsniederschrift vom 22.01.2010 ver-wiesen.
Entscheidungsgründe:
Die als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthafte Klage ist nicht begründet. Die bei-den angefochtenen
Feststellungsbescheide sowie der sie bestätigende Widerspruchsbe-scheid sind nicht rechtswidrig und verletzen den
Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den Erlass der Feststellungsbescheide ist § 28h Abs. 1 SGB IV i. V. m. § 52 SGB X. Dass die
Beklagte grundsätzlich berechtigt ist, Beitragsansprüche durch Verwal-tungsakt festzustellen, steht zwischen den
Beteiligten aber auch nicht im Streit. Soweit der Kläger aber der Ansicht ist, § 93 InsO stünde der Feststellung durch
Verwaltungsakt während des laufenden Insolvenzverfahrens entgegen bzw. der Feststellungsbescheid sei aufgrund
des ihm gegenüber nicht bekannt gegebenen Prüfbescheides des Rentenversicherungsträ-gers rechtswidrig,
überzeugt dies das Gericht nicht.
Der Regelungsbereich des § 93 InsO ist nicht betroffen. Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer
Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit eröffnet, so kann die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die
Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 93 InsO wäh-rend der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom
Insolvenzverwalter geltend gemacht wer-den. Der Kläger war nach §§ 128, 161 HGB persönlich haftender
Gesellschafter von zwei Kommanditgesellschaften, die nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO zu den Gesellschaften ohne
Rechtspersönlichkeit zählen. Über das Vermögen beider Gesellschaften war zum Zeitpunkt des Erlasses der
Feststellungsbescheide das Insolvenzverfahren eröffnet. Alleine durch die Feststellungsbescheide wurde der Kläger
aber nicht in Haftung genommen. § 93 InsO soll die Gleichbehandlung aller Gläubiger gewährleisten. Die Vorschrift will
verhindern, dass sich ein Gesellschaftsgläubiger in der Insolvenz durch einen schnellen Zugriff auf die persönlich haf-
tenden Gesellschafter Sondervorteile verschafft (vgl. Kroth in Braun, InsO, Komm., 3. Aufl. 2007, Rdnr. 1 zu § 93;
vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 11.07.2007 - L 2 R 341/07 ER -, zit. n. juris). Diese Gefahr droht durch
den Erlass eines Verwaltungsakts mit ausschließ-lichem Feststellungscharakter nicht.
Soweit teilweise auch in der Rechtsprechung vertreten wird, vor dem Hintergrund der Hem-mung der Verjährung
während des laufenden Insolvenzverfahrens nach § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB sei der Erlass solcher
Feststellungsbescheide rechtswidrig, weil es der Behörde an ei-nem "Regelungsinteresse" fehle (vgl. SG Mannheim,
Urt. v. 20.09.2005 - S 9 KR 1413/04 -, zit. n. juris; vgl. auch SG Bremen, PKH-Beschl. v. 01.10.2008 - S 8 R 362/07 -
), überzeugt dies die Kammer nicht. Es ist bereits unklar, woraus die Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines solchen
Regelungsinteresses, das anscheinend über die (gesetzliche) Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts
hinausgehen soll, folgt. Zudem liegt es auf der Hand, dass die Ein-zugsstelle ein Interesse an dem Erlass eines
Feststellungsbescheides hat. Denn mit seiner Unanfechtbarkeit gilt nach § 52 Abs. 2 SGB X eine 30jährige
Verjährungsfrist, was gegenüber der bloßen Hemmung der jedenfalls geltenden vierjährigen Verjährungsfrist nach § 25
Abs. 1 Satz 1 SGB IV sicherlich einen Vorteil darstellt. Zuletzt war auch zu berücksichtigen, dass § 93 InsO dann
von vornherein nicht betroffen ist, wenn der Gläubiger Ansprüche aus persön-lichen Verbindlichkeiten gegen den
Komplementär geltend macht; die also nicht auf der ak-zessorischen Gesellschafterhaftung beruhen (vgl. Kroth, a. a.
O., Rdnr. 9; BSG, Urt. v. 27.05.2008 - B 2 U 19/07 R -, zit. n. juris). Für den Fall vorenthaltener
Sozialversicherungsbei-träge ist hier insbesondere an einen (möglichen) Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2
BGB i. V. m. § 266a StGB zu denken (vgl. zu solchen deliktischen Ansprüchen auch BGH, Urt. v. 25.07.2005 - II ZR
390/03 -, zit. n. juris). Es überzeugt aber nicht, bereits im Rahmen der Voraussetzung eines "Regelungsinteresses"
inzident prüfen zu müssen, ob der Kläger den Straftatbestand des (vorsätzlichen) Vorenthaltens von
Sozialversicherungsbeiträgen nach § 266a StGB erfüllt hat. Dieser Vorwurf ist zwischen den Beteiligten regelmäßig
streitig. Sollte er zur Überzeugung des (Sozial-)Gerichts feststehen, würde ohnehin die 30jährige Verjäh-rungsfrist
nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gelten.
Soweit der Kläger im Übrigen der Ansicht ist, dem Erlass der Feststellungsbescheide stünde die fehlende
Bekanntgabe der Prüfbescheide ihm gegenüber entgegen, überzeugt dies das Gericht ebenfalls nicht. Ein
Verwaltungsakt ist nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist
oder der von ihm betroffen wird. Bei Be-kanntgabe an Personengesellschaften ist zu unterscheiden, ob sich der
Verwaltungsakt mate-riell an die Gesellschaft im Sinne des § 10 Nr. 2 SGB X oder an die Gesellschafter selbst rich-
tet (vgl. Recht in Hauck/Noftz, SGB X, Komm., 2. EL 2009, Rdnr. 11 zu § 37). Betrifft er die Gesellschaft, ist er zu
Händen ihres "Vorsitzenden" zu richten. Im Falle der Insolvenz ist dies kraft Amtes der Insolvenzverwalter. Dies gilt
auch im vorliegenden Fall. Denn die Beitragsfor-derungen richteten sich (in erster Linie) an die beiden
Kommanditgesellschaften, die als "Ar-beitgeber" gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag unmit-telbar (und nicht nur akzessorisch über die Gesellschafterhaftung) schulden.
Zuletzt kann der Kläger sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, durch die fehlende Be-kanntgabe sei ihm die
Möglichkeit verwehrt worden, Einwendungen gegen den Prüfbescheid geltend zu machen. Die Haftung trotz fehlender
Möglichkeit der Verteidigung ist Folge seiner Stellung als persönlich haftender Gesellschafter nach §§ 128, 161 HGB.
Diese unbeschränkte gesetzliche Haftung ist gleichsam der Preis, den die Gesellschafter dafür zahlen, dass sie keine
Gesellschaftsform mit Kapitalsicherung gewählt haben (vgl. K. Schmidt, Gesellschafts-recht, 4. Aufl. 2002, § 49.I., S.
1409). Dass der Komplementär sich im Rahmen dieser Haftung mit (unter Umständen sogar rechtskräftig)
festgestellten Ansprüchen konfrontiert sieht, gegen die er nur noch Einwendungen gelten machen kann, die in seiner
Person begründet sind, ist dabei nichts Ungewöhnliches. Dies ist gesetzlich so vorgesehen (§ 129 Abs. 1 HGB).
Folge-richtig hat der Rentenversicherungsträger im Verfahren S 8 R 362/07 angenommen, der Klä-ger sei nicht befugt,
gegen den an die Gesellschaft gerichteten Prüfbescheid Widerspruch einzulegen. Die dagegen erhobene Klage hat der
Kläger zurückgenommen. Es ist aber nicht ersichtlich, warum der Kläger nun im Verfahren rügt, der Prüfbescheid
hätte ihm gegenüber bekannt gegeben werden müssen, wenn er ohnehin keine Möglichkeit hätte, diesen Bescheid
anzufechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Nie-dersachsen-
Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozial-gerichts Niedersachsen-
Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Nieder-schrift des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das
angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begrün-dung der Berufung dienenden
Tatsachen und Beweismittel angeben.
Ist das Urteil im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.