Urteil des SozG Bremen vom 01.07.2009

SozG Bremen: wohnung, angemessenheit, wohnfläche, anpassung, verbrauch, haus, stadt, umzug, vergleich, miete

Sozialgericht Bremen
Gerichtsbescheid vom 01.07.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 26 AS 478/09
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Be-willigungsbescheides vom 23.02.2009 und des
Widerspruchs-bescheides vom 06.03.2009 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.07.2009 eine Regelleistung in Höhe von
359,00 Euro monat-lich sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeit-raum 01.03.2009 bis 30.06.2009 in
Höhe von monatlich insge-samt 348,67 Euro bzw. ab dem 01.07.2009 bis zum 31.08.2009 von monatlich insgesamt
348,53 Euro zu zahlen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers hat die Beklagte zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1965 geborene Kläger beansprucht in erster Linie die Übernahme seiner Heizkosten in tatsächlicher Höhe. Er
bewohnt mit seiner 1925 geborenen Mutter ein Haus mit einer Wohn-fläche von 90 qm. Die Erwärmung des
Warmwassers erfolgt über die Gasheizung. Die (mo-natliche) Bruttokaltmiete für das Haus beträgt 550,00 Euro ohne
Wassergeld (35,00 Euro - Bl. 124 f. der Leistungsakte). Darin enthalten sind an (kalten) Betriebskosten 52,60 Euro
(Bl. 131 der Leistungsakte). Von der Beklagten erhält der Kläger seit Sommer 2005 laufende Leistun-gen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seine Mutter erhält eine
Altersrente und steht nicht im Leistungsbezug.
Mit Bewilligungsbescheid vom 23.02.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger für den Zeit-raum 01.03.2009 bis
31.08.2009 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 684,00 Euro. Darin enthalten sind Kosten für Unterkunft
und Heizung in Höhe von 333,00 Euro (550,00 Eu-ro plus 35,00 Euro = 585,00 Euro/2 = 292,50 Euro plus 40,50 Euro
für Heizkosten [60 qm x 1,35 Euro = 81,00 Euro/2]). Die Regelleistung beträgt danach monatlich 351,00 Euro.
Mit Schreiben vom 24.02.2009 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.02.2009 ein. Im Vergleich
mit dem Vorbescheid bestehe bei den Nebenkosten eine Diffe-renz. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2009 wies
die Beklagte den Widerspruch des Klä-gers als unbegründet zurück. Die Miete werde in voller Höhe anerkannt; die
Heizkosten wür-den in Höhe der geltenden Verwaltungsanweisung der A-Stadt übernommen. Ausgehend von einer
angemessenen Wohnfläche von 60 qm für zwei Personen und regelmäßigen Aufwen-dungen für die Beheizung der
Wohnung von 1,35 Euro pro qm könnten nur 81,00 Euro (für zwei Personen) anerkannt werden.
Am 11.03.2009 hat der Kläger mit der Begründung Klage erhoben, die Beklagte habe die vol-len Kosten für Unterkunft
und Heizung zu übernehmen, weil seiner Mutter und ihm ein Umzug nicht zuzumuten sei. Seine Mutter sei infolge
einer Oberschenkelamputation schwerbehindert. Die jetzige Wohnung sei auch für Rollstuhlfahrer geeignet. Ohne
seine Betreuung könnte sei-ne Mutter nicht in der Wohnung verbleiben. Von den tatsächlichen Kosten könne nur eine
Warmwasserpauschale abgesetzt werden.
Er beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit zwischen dem 01.03.2009 und dem
31.08.2009 zu gewähren und den Be-scheid der Beklagten vom 23.02.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
aufzuheben, insoweit er diesem Begehren entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren.
Die Kammer hat am 11.06.2009 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf die Sitzungsnie-derschrift wird verwiesen.
Nachdem das Verfahren im Rahmen des Termins nicht unstreitig erledigt werden konnte, hatten die Beteiligten
Gelegenheit, zu einer Entscheidung des Ge-richts durch Gerichtsbescheid Stellung zu nehmen. Sie haben
übereinstimmend erklärt, dass gegenüber einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid keine Bedenken bestünden.
Die Leistungsakte der Beklagten (21402BG0058523) hat dem Gericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Über die Klage kann gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsäch-licher oder rechtlicher Art aufweist und
der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.
Die nach § 54 Abs. 4 SGG statthafte Klage ist begründet.
Der Bewilligungsbescheid vom 23.02.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2009 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn er hat einen An-spruch auf Übernahme der Heizkosten in
tatsächlicher Höhe.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. § 27 Nr. 1 SGB II er-mächtigt das Bundesministerium für
Arbeit und Soziales, durch Rechtsverordnung zu bestim-men, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen diese Kosten pauschaliert werden können. Von dieser
Ermächtigung hat der Verordnungsgeber bisher keinen Gebrauch gemacht.
Die Frage der Angemessenheit der Heizkosten bedarf aus diesem Grund einer Einzelfallprü-fung. Die jeweiligen
Heizkosten hängen dabei von einer Vielzahl von Faktoren ab, die der Leistungsempfänger nicht beeinflussen kann
(Heizungsart, Brennstoff, Geschosshöhe, Wohn-fläche, Isolierung und Lage der Wohnung, Zustand der
Heizungsanlage) oder die nicht verän-derlich sind (Alter, Behinderung, Wärmeempfinden, Krankheit). Dies entspricht
der ständigen verwaltungs- und sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Für die Vorauszahlungsfestsetzungen des
Energieversorgers spricht dabei eine Vermutung der Angemessenheit, soweit nicht kon-krete Anhaltspunkte für ein
unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vor-liegen (vgl. nur LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschl. v. 15.12.2005 - L 8 AS 427/05 ER -, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 01.08.2005 - L 19 B 68/05 AS ER -;
vgl. auch OVG Bremen, Beschl. v. 25.10.2007 - S1 B 229/07 -).
Aus diesem Grund genügt es nicht, wenn der Grundsicherungsträger alleine auf seine pau-schalen Richtwerte
verweist, ohne sich mit dem Einzelfall auseinanderzusetzen. Soweit er-sichtlich, entspricht dies gleichwohl der
ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten. Mit dem Gesetz ist dieses Vorgehen nicht vereinbar. Die Beklagte kann
sich aber nicht einmal auf die entsprechende Verwaltungsanweisung der Sozialsenatorin berufen, die das Gericht
ohnehin nicht binden würde. Denn die heute in Kraft getretene Verwaltungsanweisung der Stadtge-meinde zu § 22
SGB II ist - ebenso wie die Vorgängerregelung - in diesem Punkt wesentlich offener formuliert. Allerdings ist sie nach
wie vor widersprüchlich. So spricht die eigentliche Verwaltungsanweisung davon, bei einem im Einzelfall erhöhten
Wärmebedarf könne ein Be-trag von (nunmehr) monatlich 1,35 Euro/qm "noch als angemessen" angesehen werden.
Die Grenze der Angemessenheit bestimmt aber grundsätzlich das, was die Behörde nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II
maximal leisten darf. Erst in den ergänzenden Hinweisen zur Verwal-tungsanweisung heißt es dann (klarer), dass es
sich bei den Angemessenheitsgrenzen um Richtwerte handele. Das bedeute, dass Heizkosten unterhalb dieser
Richtwerte als angemes-sen anerkannt werden könnten und keiner weiteren Prüfung bedürften. Sobald die Heizkosten
jedoch diese Richtwerte überstiegen, sei generell eine Einzelfallprüfung erforderlich. Diese Vorgabe der senatorischen
Dienststelle wird allerdings - worauf bereits hingewiesen wurde - zumindest auf der Ebene der Leistungsbewilligung
und regelmäßig auch im Widerspruchsver-fahren nicht umgesetzt. Zwar ist der Stadtgemeinde als kommunalem
Träger zuzugestehen, dass nunmehr auch in der eigentlichen Verwaltungsanweisung ein klarstellender Hinweis auf-
genommen wurde. Dort heißt es auf S. 11 inzwischen (abrufbar unter www.soziales.bremen.de):
"Übersteigen die tatsächlichen Heizkosten die vorstehenden Richtwerte ist nach pflicht-gemäßen Ermessen in der
Besonderheit des Einzelfalles zu prüfen, ob Gründe vorlie-gen, den einen höheren Verbrauch und somit die
Anerkennung in voller Höhe rechtferti-gen. Sie sind darüber hinaus nicht zu übernehmen, sofern die Aufwendungen
den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen und die Aufwendun-gen trotz bestehender
Möglichkeit nicht auf ein angemessenes Maß herabgesetzt wer-den."
Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob diese Formulierung wesentlich zur Klarstellung beitra-gen wird. Die weitere
Verwaltungspraxis der Beklagten bleibt insoweit abzuwarten.
Im vorliegenden Fall fehlt es ohnehin an Anhaltspunkten für ein unwirtschaftliches Verhalten des Klägers. Die
Beklagte hat sich bisher auf eine Prüfung des Einzelfalles nicht eingelassen, sondern auf ihre Richtwerte verwiesen,
die für den Zeitraum ab dem 01.03.2009 bis zum 30.06.2009 einen "gewöhnlichen" Richtwert von 1,35 Euro/qm und ab
heute einen Richtwert von 1,10 Euro/qm vorsehen. Aus Sicht des Gerichts bestehen alleine deshalb Bedenken ge-gen
die Angemessenheit der Heizkosten, weil die Wohnung des Klägers zu groß ist. Nach den insoweit maßgeblichen
Richtlinien zur Mietraumförderung der A-Stadt vom 18.06.2008 (Brem. ABl. 2008 S. 466 ff.) sind für zwei Personen
grundsätzlich nur 60 qm angemessen. Es liegt auf der Hand, dass Heizkosten mit der Wohnfläche regelmäßig steigen
(vgl. dazu OVG Bremen, Beschl. v. 28.01.2008 - S2 B 493/07 -). Zu berücksichtigen ist aber, dass nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II auch auf die Heizkosten
Anwendung findet (Urt. v. 19.09.2008 - B 14 AS 54/07 R -). Sind allein die tatsächlichen Heizkosten unangemessen,
weil sie auf eine unangemessen große Wohnfläche entfallen, sind sie nach dieser Entscheidung jedenfalls für eine
Übergangszeit zu überneh-men. Im vorliegenden Fall, in dem auch die Beklagte davon auszugehen scheint, dass dem
Kläger ein Umzug nicht zugemutet werden kann, kann dies auch bedeuten, dass auf einer zu großen Wohnfläche
beruhende unangemessene Heizkosten auch ohne zeitliche Einschrän-kung übernommen werden müssen.
Das Gericht muss diese Frage hier nicht entscheiden. Denn nach dem festgestellten Verbrauch des Klägers sind
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die zu große Woh-nung zu - im Vergleich mit angemessen großen
Wohnungen - erhöhten Heizkosten geführt hat. Dann aber können die Heizkosten unter diesem Gesichtspunkt (zu
große Wohnung) auch nicht unangemessen sein. Nach der Jahresabrechnung der AUN. vom 08.09.2008 (Bl. 119 der
Leistungsakte) hatten der Kläger und seine Mutter für den Zeitraum 17.08.2007 bis 19.08.2008 einen
Gesamtjahresverbrauch an Erdgas (inkl. Wassererwärmung) von 17.123 kWh, was Kosten in Höhe von insgesamt
1.091,98 Euro verursachte. Monatlich fielen danach Aufwendungen in Höhe von ungefähr 91,00 Euro (für zwei
Personen) an. Abzüglich der Kos-ten der Wassererwärmung liegt dieser Betrag noch unter den seinerzeit geltenden
Richtwer-ten der Beklagten für eine 60 qm große Wohnung. Dass die Vorauszahlungen, die der Kläger und seine
Mutter zu leisten haben, sich nunmehr auf 125,00 Euro im Monat belaufen, lässt sich anhand des Verbrauchs nicht
rechtfertigen. Dem Gericht ist aus einer Reihe weiterer Ver-fahren bekannt, dass die AUN. vor der Heizperiode
2008/2009 durch eine deutliche Erhöhung der Vorauszahlungen künftig beabsichtigte Preissteigerungen
"vorwegnehmen" wollte. Zu solchen Preissteigerungen ist es vor dem Hintergrund der gesunkenen Energiepreise nicht
gekommen. Die dem Kläger vorzuwerfende Unwirtschaftlichkeit könnte sich danach alleine auf den Vorwurf
beschränken, sich gegenüber der AUN. nicht um eine Anpassung der Vor-auszahlung bemüht zu haben. Das
allerdings überzeugt das Gericht nicht. Die Beteiligten sind bereits im Erörterungstermin darauf hingewiesen worden,
dass die AUN. sich bei einer vom Kunden gewünschten Anpassung der Vorauszahlungen im Falle späterer
Nachforderungen auf eine Ratenzahlung nicht einlässt und es auch ansonsten nicht einfach ist, eine Anpassung
gegenüber dem Unternehmen durchzusetzen. Ein unwirtschaftliches Verhalten des Klägers ist vor diesem Hintergrund
nicht ersichtlich. Die Beklagte ist dadurch hinreichend geschützt, dass ein eventuell bei der AUN. entstehendes
Guthaben nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II die von der Beklagten zu tragenden Unterkunftskosten mindert (während
sie im Falle einer Nachforde-rung der AUN. regelmäßig nur Beträge bis zur Höhe der "Richtwerte" der Sozialsenatorin
ü-bernimmt).
Das Gericht hat auch keine Veranlassung gesehen, die Jahresabrechnung der AUN. für die Heizperiode 2008/2009
abzuwarten. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Der Bedarf des Klägers besteht bereits jetzt, denn bei den
Leistungen für Heizung liegt der Bedarf in der Ü-bernahme der von der Jahreszeit unabhängig regelmäßig zu
leistenden Geldbeträge, nicht aber in dem realen Bedarf an Wärme (BSG, Beschl. v. 16.5.2007 - B 7b AS 40/06 R -).
Die Beklagte hat danach die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zu überneh-men, wobei Kosten der
Wassererwärmung (als von der Regelleistung umfasst) in Abzug zu bringen waren. Diese waren entsprechend der
Rechtsprechung der Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R -; BSG, Urt. v. 19.02.2009 -
B 4 AS 48/08 R) bis zum 30.06.2009 und ausgehend von einer Regelleistung von 351,00 Euro mit 6,33 Euro pro
Person anzusetzen und ab dem 01.07.2009 (ausgehend von einer Regelleistung in Höhe von 359,00 Euro pro Person)
mit 6,47 Euro pro Person. Insgesamt ergaben sich danach Kos-ten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 348,67
Euro monatlich (585,00 Euro Bruttokalt-miete plus 112,34 Euro Heizkosten [125,00 Euro minus 12,66 Euro
Wassererwärmung] geteilt durch zwei Personen = 348,67 Euro) bzw. von 348,53 Euro monatlich (585,00 Euro Brutto-
kaltmiete plus 112,06 Euro Heizkosten [125,00 Euro minus 12,94 Euro Wassererwärmung] geteilt durch zwei
Personen = 348,53 Euro).
Soweit die Beklagte auch verpflichtet wurde, eine höhere Regelleistung zu gewähren, ent-spricht dies in der Höhe der
Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-les über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Absatz
2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozial-gesetzbuch für die Zeit ab 1. Juli 2009. Das Gericht geht zwar nicht davon aus,
dass insoweit zwischen den Beteiligten Streit besteht. Der Bewilligungsbescheid vom 23.02.2009 sieht ab dem
01.07.2009 aber keine erhöhten Leistungen vor. Ein Änderungsbescheid liegt dem Ge-richt nicht vor, obwohl die
Beklagte zu einer solchen Vorlage nach § 96 Abs. 2 SGG verpflich-tet wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.