Urteil des SozG Bremen vom 19.11.2009

SozG Bremen: verpflegung, geldwerter vorteil, aufenthalt, pauschalierung, niedersachsen, auflage, sachleistung, form, ernährung, erlass

Sozialgericht Bremen
Gerichtsbescheid vom 19.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 1109/09
Der Änderungsbescheid der Beklagten vom 23. Mai 2006 und der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 5.
Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2009 werden aufgehoben. Die Beklagte wird
verurteilt, dem Kläger in der Zeit vom 1. April bis zum 3. Mai 2006 ungekürzte Leistun-gen zu gewähren. Die Beklagte
hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger (Kl.) wendet sich gegen die Kürzung der Regelleistung wegen eines Krankenhaus- und anschließenden
Rehabilitationsaufenthalts.
Der 1946 geborene Kläger steht im laufenden Leistungsbezug bei der Beklagten. In der Zeit vom 28. März bis zum 3.
Mai 2009 unterzog er sich einer stationären Hüftoperation mit an-schließender Rehabilitation. Mit Änderungsbescheid
vom 23. Mai 2006 änderte die Beklagte den ursprünglichen Leistungsbescheid für die Zeit vom 1. April bis 3. Mai
2006 ab. Dabei kürz-te sie die Regelleistung im April 2006 um 120,75 und im Mai 2006 um 12,08 Euro. Zur Be-
gründung verwies sie auf den stationären Aufenthalt und erklärte, der Kläger habe in dieser Zeit Vollverpflegung
erhalten. Daher sei die Kürzung vorzunehmen. Am 2. Februar 2009 be-antragte der Kläger die rückwirkende
Bewilligung dieser Beträge. Er erklärte, er habe inzwi-schen erfahren, dass es für die vorgenommene Kürzung keine
Rechtsgrundlage gegeben habe. Mit Bescheid vom 5. Februar 2009 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab.
Sie erklärte, nach ihrer Überprüfung sei der Bescheid nicht zu beanstanden. Weder sei das Recht unrichtig angewandt
worden, noch sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden. Die neue Gesetzeslage sei erst zum 1.
Januar 2008 rückwirkend in Kraft getreten. Die Jahre 2006 und 2007 könnten nicht berücksichtigt werden. Mit seinem
am 20. Februar 2009 (Ein-gangstempel 23. Februar 2009) erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dieser
Rechtsauffassung könne nicht gefolgt werden. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 18. Juni 2008 zutreffend
festgestellt, dass eine Kürzung der Regelleistung bei stationären Aufenthalten rechtswidrig gewesen sei. Die Beklagte
wies den Widerspruch mit Wider-spruchsbescheid vom 12. Mai 2009 zurück. Darin heißt es, aufgrund des genannten
Urteils habe es in der Tat eine Rechtsanwendung (gemeint wohl: Rechtsänderung) gegeben, die jedoch nur für die Zeit
ab dem 1. Januar 2008 gelte. Bei einem stationären Aufenthalt aus dem Jahre 2006 könne "nur nach der damals
gültigen Rechtsauffassung geprüft werden". Die Rechtsänderung komme damit nicht zum Tragen. Gem. § 40 Abs. 1
Nr. 1 SGB II in Verbin-dung mit § 330 Abs. 1 SGB III könne ein Verwaltungsakt, der auf einer Rechtsnorm beruht, die
nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder unvereinbar mit dem Grundgesetz er-klärt oder in ständiger
Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt wor-den sei, nach Unanfechtbarkeit nur mit Wirkung
für die Zeit ab dem Bestehen der neuen Rechtsprechung zurückgenommen werden. Die Entscheidung sei damit nicht
zu beanstan-den.
Der Kläger hat am 15. Juni 2009 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf die Recht-sprechung des VG
Bremen, des LSG Nordrhein-Westfalen, des LSG Niedersachsen-Bremen, des SG Detmold, des SG Freiburg, des SG
Berlin, des SG Oldenburg, des SG Gotha, des SG Schleswig und des SG Mannheim bezieht.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbe-scheides vom 12. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm in der Zeit vom 1.
April bis zum 3. Mai 2006 ungekürzte Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid. Sie sehe keine Möglichkeit, ihre Entscheidung
abzuändern oder aufzuheben, zumal nach ihrer Auffassung erst mit dem Urteil des BSG vom 18. Juni 2008 eine
ständige Rechtsprechung gegeben gewesen sei.
Die Beteiligten sind wegen der Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit gerichtlichem Schreiben vom 20. August
2009 angehört worden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerechte Klage ist zulässig und begründet. Der Änderungsbescheid der Beklagten vom 23. Mai
2006 und der Bescheid vom 5. Februar 2009 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 12. Mai 2009 sind
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Die Beklagte durfte den ursprünglichen Leistungsbescheid für die Monate April und Mai 2006 wegen der stationären
Behandlung des Klägers nicht abändern. Dem Kläger stand auch wäh-rend der stationären Maßnahme ein Anspruch
auf ungeminderte Leistungen nach dem SGB II zu. Zur Begründung kann auf das Urteil der 8. Kammer des
Verwaltungsgerichts Bremen vom 4. Juni 2006 und auf das Urteil des VG Bremen vom 13. Dezember 2007 – S3 K
2647/06 - verwiesen werden, dem die Kammer sich anschließt. In der erstgenannten Entscheidung heißt es:
"Die Frage, ob freie Verpflegung im Bereich stationärer Aufenthalte bei der Bemessung der Regelleistung zu
berücksichtigen ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Soweit ersichtlich haben sich gegen eine
Anrechnung freier Verpflegung ausgesprochen: SG Detmold, Beschluss vom 10.01.2006, Az. S 9 AS 237/05; SG
Freiburg, Urteil vom 24.10.2006, Az. S 9 AS 1557/06; SG Berlin, Urteil vom 06.03.2006, Az. S 103 AS 468/06 und
Urteil vom 29.09.2006, Az. S 37 AS 2302/06; SG Oldenburg, Beschluss vom 02.11.2006, Az. S 46 AS 1333/06; SG
Gotha, Urteil vom 10.11.2006, Az. S 26 AS 748/06 und Urteil vom 18.12.2006, Az. S 26 AS 748/06; SG Schleswig,
Beschluss vom 26.01.2007, Az. S 2 AS 12/07; SG Mannheim, Urteil vom 28.02.2007, Az. S 9 AS 3882/06; kritisch
auch: LSG MV, Beschluss vom 12.02.2007, Az. L 8 B 201/06; SG Münster, Beschluss vom 10.01.2007, Az. S 16 AS
191/06; offen gelassen: LSG NRW, Beschluss vom 10.01.2007, L 20 B 304/06. Für ei-ne Anrechnung: SG Koblenz,
Beschluss vom 20.04.2006, Az. S 13 AS 229/05; SG Augsburg, Urteil vom 21.11.2006, Az. S 6 AS 495/06; SG
Karlsruhe, Urteil vom 09.01.2007, Az. S 14 AS 2026/06; SG Stuttgart, Urteil vom 24.01.2007, Az. S 3 AS 5145/06;
LSG Nds.-Bremen, Beschluss vom 29.01.2007, Az. S 13 AS 14/06 ER.
Das Gericht schließt sich der Ansicht an, wonach eine Berücksichtigung freier Verpfle-gung während stationärer
Aufenthalte weder durch eine Kürzung des Regelbedarfes noch durch eine Einkommensanrechnung auf die
Regelleistung rechtlich zulässig ist.
Eine Kürzung der Regelleistung wegen anderweitiger Bedarfsdeckung entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Die §§
20, 28 SGB II bestimmen abschließend die Höhe des jeweiligen Regelsatzes. Abzüge hiervon, die mit dem
Nichtbestehen eines Teils des vom Regelsatz gedeckten Bedarfs begründet sind, sieht das Gesetz - wie die Klägerin
zutreffend vorträgt - nicht vor. In § 20 Abs. 1 SGB II ist der Bedarf dargestellt, der von der Regelleistung gedeckt
werden soll. Für die Höhe der Regelleistung ist es unerheb-lich, ob der tatsächliche Bedarf hiervon abweicht.
Ausnahmen hiervon sind nur auf-grund ausdrücklicher Regelung (vgl. beispielsweise § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II)
zuläs-sig. Für den Fall anderweitiger Bedarfsdeckung enthält das SGB II keine gesetzliche Grundlage für eine
abweichende Festsetzung der Regelleistung. Anders verhält es sich im Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB
XII), vgl. §§ 9 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Dies spricht gesetzessystematisch dafür, dass eine ausdrückliche
ge-setzliche Grundlage für eine Regelsatzkürzung auch im SGB II erforderlich wäre. Die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts werden mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft und Heizung grundsätzlich in pauschalierter Form
erbracht. Mit der am 01. August 2006 in Kraft getretenen Ergänzung des § 3 Abs. 3 Satz 1 2. HS. und Satz 2 SGB II,
nach der die nach dem SGB II vorgesehenen Leistungen den Bedarf der er-werbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit
ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben-den Personen abschließend decken, wollte der Gesetzgeber klarstellen,
dass weiter-gehende Bedarfe nicht erbracht werden (BT-Drucks. 16/1696, S. 26). Eine von den Regelleistungen
abweichende Festlegung der Bedarfe ist damit konsequenterweise nicht nur für weitergehende, sondern nach dem
ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes auch für geringere Bedarfe ausgeschlossen.
Die abweichende Festlegung von der Regelleistung umfasster Bedarfe außer in aus-drücklich geregelten Fällen
widerspräche auch dem bei der Schaffung des SGB II ver-folgten gesetzgeberischen Konzept. Die Pauschalierung der
Leistungen für die bei der Festlegung der Regelleistung berücksichtigten Bedarfe gehört zu den zentralen
Grundentscheidungen der Systematik des Leistungsrechts des SGB II. Danach wer-den Arbeitslosengeld II und
Sozialgeld unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungs-grundsatzes so weit wie möglich pauschaliert und die
einzelnen Leistungsbestandteile so ausgestaltet, dass die Betroffenen ihre Bedarfe selbst und möglichst einfach
ermit-teln können (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 46). Anders als die Leistungen nach dem SGB XII sind die Leistungen
nach dem SGB II nicht konkret bedarfsdeckend, sondern lediglich bedarfsorientiert ausgestaltet (a. a. O., S. 56).
Damit korrespondiert der weit-gehende Verzicht auf einmalige Leistungen, wie ihn das bis zum 31.12.2004 geltenden
Sozialhilferecht kannte. Mit der Pauschalierung einer Leistung ist stets das Risiko ver-bunden, dass einerseits ein
tatsächlich höherer Regelbedarf nicht gedeckt ist und an-dererseits ein tatsächlich niedrigerer Bedarf zu einer
Überdeckung beim Leistungs-empfänger führt. Diese Folge hat der Gesetzgeber - auch zur Erreichung einer Verein-
fachung der Verwaltungsarbeit - bewusst in Kauf genommen. Ebenso wenig wie sich ein erwerbsfähiger
Hilfebedürftiger auf einen dauerhaft höheren Bedarf (außerhalb der anerkannten Mehrbedarfsfälle) berufen kann, kann
sich die Beklagte auf einen tat-sächlich niedrigeren Bedarf zur Rechtfertigung einer Kürzung der Regelleistung beru-
fen (vgl. SG Freiburg, Urteil vom 24.10.2006, Az. S 9 AS 1557/06; SG Berlin, Urteil vom 06.03.2006, Az. S 103 AS
468/06). Es erscheint nicht sachgerecht, dem erwerbs-fähigen Hilfebedürftigen eine Bedarfsdeckung durch freie
Verpflegung im Rahmen sta-tionärer Aufenthalte entgegenzuhalten, ihm andererseits aber die Geltendmachung des
durch den Aufenthalt verursachten höheren tatsächlichen Bedarfes zu versagen (z. B. Zuzahlungen, Fahrtkosten,
Kosten für Telekommunikation, Reinigungskosten). Es ist zudem kein sachlicher Grund ersichtlich, warum die
Regelleistung in diesem Fall nur für den Bereich der Ernährung, nicht aber für andere Bedarfsgruppen, etwa wegen
geringerer Energiekosten, gekürzt werden sollte. Gleiches gilt für andere Fälle doppel-ter Bedarfsdeckung bzw. wenn
ein von der Regelleistung umfasster Bedarf tatsächlich nicht vorhanden ist; etwa die Kürzung der Anteile für Strom,
Wassererwärmung, Be-schaffung von Möbeln und Haushaltsgeräten bei Obdachlosigkeit (vgl. hierzu SG Mün-chen,
Beschluss vom 27.04.2005, S 50 AS 82/05). Selbst wenn für einen der in § 20 Abs. 1 SGB II genannten Teilbereiche
kein Bedarf anfällt, ist dies wegen der pauscha-lierten Regelleistung nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Die
Folge wäre sonst ein Unterlaufen des gesetzgeberischen Konzepts der Pauschalierung und der damit angestrebten
Verwaltungsvereinfachung. Dies zeigt sich auch an der Fülle der zu berücksichtigenden Einzelfaktoren im Fall einer
Kürzung, beispielsweise bei krank-heitsbedingtem Mehrbedarf für Ernährung. Auch wäre die Höhe der ihm
zustehenden Leistung für den Leistungsempfänger kaum noch nachvollziehbar.
Die Kürzung der Regelleistung ist auch nicht über einen Umweg über § 9 SGB II unter Berufung auf fehlende
Hilfebedürftigkeit zulässig. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebe-dürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung
in Arbeit und den Lebensun-terhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht
ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, u.a. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen, sichern kann und die
erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Diese Vorschrift ermöglicht trotz ihres Wortlautes keine unmittelbare Berücksichtigung der von der
Krankenversicherung finanzierten Verpflegung in den stationären Einrichtungen bei der Ermittlung der Leistungshöhe,
denn sie definiert lediglich den Begriff der Hilfebe-dürftigkeit und normiert insbesondere den Nachrang der
Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende gegenüber der Selbsthilfe und der Hilfe Anderer (vgl. Mecke in:
Meyer-Ladewig, SGB II, § 9 Rdnr. 5ff.). Die darin in Bezug genommene "Hilfe anderer" hat keine eigenständige
Bedeutung, da diese Hilfen bei tatsächlicher Leistung entwe-der Einkommen oder Vermögen darstellen (Brühl/Schoch
in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 9 Rdnr. 15). Ob, in welchem Umfang und auf welche Weise Leistungen Dritter -
auch anderer Sozialleistungsträger - konkret anspruchsausschließend oder -mindernd wirken, bestimmen spezielle
Vorschriften, insbesondere §§ 19 Satz 2, 9 Abs. 2 bis 5, 11 und 12 SGB II (letztere ggf. i.V.m. der nach § 13 SGB II
ergangenen Alg-II-V).
Eine Berücksichtigung freier Verpflegung kommt demnach allenfalls über eine Anrech-nung als Einkommen gemäß §
11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht. Als Einkommen zu berücksichtigen sind danach grundsätzlich alle Einnahmen in
Geld oder Geldeswert. Demzufolge fallen unter den Begriff des Einkommens grundsätzlich auch Sachleistun-gen,
soweit sie einen Marktwert haben, d.h. die Sachleistung muss gegen Geld tauschbar sein (Brühl in: LPK-SGB II, 2.
Auflage 2007, § 11 Rdnr. 11). Hinzukommen muss die bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit als "bereites
Mittel", also die je-derzeitige Tauschbarkeit in Geld (vgl. BVerwG zum Einkommensbegriff im Sozialhilfe-recht, Urteil
vom 18.02.1999, 5 C 16/98; Brühl in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 11 Rdnr. 12).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die freie Verpflegung während eines Kuraufenthalts ist für den
Hilfebedürftigen nicht jederzeit gegen Geld tauschbar. Zwar steht es dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
grundsätzlich frei, die empfange-nen Lebensmittel anderweitig zu verwenden. Abzustellen ist jedoch nicht auf eine
abs-trakte Verwendungsmöglichkeit. Es bedarf vielmehr der konkreten Prüfung, ob dem Hilfesuchenden die
dargebotene Verpflegung tatsächlich als bereites Mittel zur Verfü-gung steht. Die von einer stationären Einrichtung
dargebotenen Speisen und Getränke sind in der Regel zum sofortigen Verzehr bestimmt und werden entsprechend
darge-reicht. Es bestehen daher bereits Zweifel, ob es den Betroffenen möglich bzw. erlaubt ist, die so dargereichten
Nahrungsmittel aus der stationären Einrichtung mit sich zu nehmen. Im Übrigen dürfte die Tauschbarkeit offen
zubereiteter (warmer) Speisen kaum gegeben sein. Es existiert kein Markt für derartige Verpflegungsleistungen; sie
sind nicht jederzeit in Geld tauschbar. Nimmt der Leistungsempfänger andererseits die dargebotene Verpflegung ganz
oder teilweise nicht entgegen, entsteht ihm hierdurch kein geldwerter Vorteil (so auch SG Freiburg, Urteil vom
24.10.2006, Az. S 9 AS 1557/06, SG Mannheim, Urteil vom 28.02.2007, Az. S 9 AS 3882/06). Nicht abgestellt
werden kann auf die abstrakte Betrachtungsweise, dass die zuständige Krankenkasse für diese Leistung aufkommt
und der Verpflegung damit ein entsprechendes Leis-tungsentgelt an den Einrichtungsträger gegenübersteht (so LSG
Nds.-Bremen, Be-schluss vom 29.01.2007, Az. L 13 AS 14/06 ER). Entscheidend ist nicht allein die Ent-geltlichkeit
der Leistung. Anderenfalls wären nahezu sämtliche entgeltliche Leistungen unabhängig von ihrer Marktfähigkeit als
Einkommen zu werten. Maßgeblich ist viel-mehr die konkrete bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit durch den
Hilfebedürfti-gen. Diese ist im vorliegenden Fall nach obigen Ausführungen nicht gegeben.
Eine Berücksichtigung dieser Sachleistung als Einkommen würde auch der vom Ge-setzgeber beabsichtigten
Forderung und Förderung der Hilfebedürftigen durch eigen-verantwortliche Verteilung der pauschalierten Leistungen auf
ihre Bedarfe widerspre-chen; soweit ein Hilfebedürftiger nicht marktfähige Sachleistungen annimmt, wäre er gleichsam
gezwungen, diese mit einer die Regelleistung vermindernden Wirkung zu verbrauchen und daran gehindert, den
abgezogenen Teil der Regelleistung für von ihm eigenverantwortlich bestimmte andere Zwecke einzusetzen (vgl. SG
Freiburg, Ur-teil vom 24.10.2006, Az. S 9 AS 1557/06). Dies erscheint auch im Hinblick auf die o-ben aufgezeigten,
typischerweise im Zusammenhang mit stationären Aufenthalten auf-tretenden Mehrbedarfe ungerechtfertigt, die der
Hilfebedürftige nicht durch Einsatz höherer Regelleistungsanteile abdecken könnte.
Die in § 2 Abs. 4 Alg II-V enthaltene Bezugnahme auf Sachleistungen führt zu keinem anderen Ergebnis. Die über §
2b Alg II-V entsprechend anwendbare Vorschrift setzt jedenfalls voraus, dass es sich um Einkommen im Sinne des §
11 Abs. 1 Satz 1 SGB II handelt; im Fall von Sachleistungen also um geldwerte Sachleistungen im oben ge-nannten
Sinne. Da dies nach obigen Ausführungen nicht der Fall ist, bedarf es keiner Klärung, ob die Regelsatzverordnung zur
Bemessung der Höhe der abzuziehenden Pauschale herangezogen werden kann.
Ob sich die Unzulässigkeit einer Leistungskürzung bei stationären Aufenthalten, die keine sechs Monate dauern, auch
aus einem Umkehrschluss zu § 7 Abs. 4 SGB II er-gibt, lässt das Gericht offen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt
sich lediglich, dass die Regelung die Feststellung erleichtern soll, ob im Einzelfall Erwerbsfähigkeit vorliegt (BT-
Drucks. 16/1410, S. 20). Auch wenn die Regelung, die einen kompletten Leis-tungswegfall nach sechs Monaten
vorsieht, einen entsprechenden Schluss nahe legt, trifft sie doch keine Aussage dazu, ob während des Aufenthalts
erhaltene Leistungen als Einkommen anzurechnen sind."
Etwas anderes ergibt sich für den vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus § 40 Abs.
1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 1 SGB III. Danach kann ein Verwaltungsakt, der auf einer Rechtsnorm
beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in
ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden sei, nach Unanfechtbarkeit nur
mit Wirkung für die Zeit ab dem Bestehen der neuen Rechtsprechung zurückgenommen werden. Die Anwendung
dieser Norm auf den vorliegenden Sachverhalt scheidet schon deshalb aus, weil die überwiegende Rechtsprechung
der Sozialgerichte und Landessozialgerichte bereits seit März 2006 (vgl. Urt. des SG Berlin vom 6. März 2006 – S
103 AS 468/06 -), also vor dem hier streitigen stationären Aufenthalt, von der schließlich vom BSG bestätigten
Rechtsauffas-sung ausging.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
RECHTSBEHELFSBELEHRUNG
Dieser Gerichtsbescheid kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausge-schlossen und
vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist.
Die Nichtzulassung der Berufung kann mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder
bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen innerhalb eines
Monats nach Zustellung des vollständigen Gerichtsbescheides schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerde soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen und die zur Begründung die-nenden Tatsachen
und Beweismittel angeben.
Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass
1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.) der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozi-algerichts oder des
gemeinsamen Senats der oberen Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend ge-macht wird und vorliegt, auf
dem die Entscheidung beruhen kann.
Ist der Gerichtsbescheid im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei
Monaten.
Die Beteiligten können innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen
auch mündliche Verhandlung beantragen. Wird ein solcher Antrag rechtzeitig gestellt, so gilt der Ge-richtsbescheid als
nicht ergangen; andernfalls steht er einem rechtskräftigen Urteil gleich. Wird sowohl Beschwerde erhoben als auch
mündliche Verhandlung beantragt, findet (nur) mündliche Verhandlung statt.
Dr. Schnitzler Richter am Sozialgericht