Urteil des SozG Bremen vom 12.05.2009

SozG Bremen: alleinerziehende mutter, umzug, stadt, zusicherung, darlehen, hauptsache, behinderung, kaution, mietvertrag, nebenkosten

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 12.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 779/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Antragstellern vorläufig 650,00
Euro als Darlehen zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der
Antragsteller.
Gründe:
I.
Die Antragssteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die darlehensweise Übernahme einer
Mietkaution.
Die 1980 geborene Antragstellerin zu 1) ist die alleinerziehende Mutter der 2001 geborenen Antragstellerin zu 2) und
des im Dezember 2007 geborenen Antragstellers zu 3). Die Antragstellerin zu 2) ist als schwerbehinderter Mensch mit
einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt (Bescheid des Versorgungsamtes A-Stadt vom 4. Dezember 2008).
Nach einem ärztlichen Attest des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin FR. vom 23. Januar 2009 liegt bei der
Antragstellerin zu 2) eine allgemeine und insbesondere Sprachentwicklungsverzögerung vor. Seit dem Jahr 2000
bewohnt die Antragstellerin zu 1) eine 62,43 qm große Dreizimmerwohnung in der E-straße in A-Stadt.
Die Antragsteller beziehen von der Antragsgegnerin – der Trägerin der Grundsicherung in A-Stadt - laufende
Leistungen nach dem SGB II. Am 22. Januar 2009 reichte die Antragstellerin ein Wohnungsangebot der BREBAU
vom 22. Januar 2009 über eine zum 1. April 2009 frei werdende 79,02 qm große Vierzimmerwohnung in der D.-straße
in A-Stadt ein. Nach dem Wohnungsangebot beträgt die Grundmiete 325,00 Euro, die Betriebskostenvorauszahlungen
belaufen sich auf 125,00 Euro und für die Heizung sind Vorauszahlungen in Höhe von 85,00 Euro zu zahlen
(Bruttokaltmiete [325,00 Euro plus 125,00 Euro gleich] 450,00 Euro). Nach dem Wohnungsangebot ist bei
Vertragsabschluss eine Mietkaution in Höhe von 650,00 Euro zu hinterlegen. Die Antragstellerin verwies darauf,
aufgrund der Behinderung der Antragstellerin zu 2) eine größere Wohnung erforderlich sei (Gesprächsvermerk vom 22.
Januar 2009, Bl. 162). Mit Bescheid ebenfalls vom 22. Januar 2009 lehnte die Antragsgegnerin die Notwendigkeit
eines Umzugs ab. Zur Begründung führte sie aus, es lägen zwar u.a. Beschwerden von Nachbarn wegen Kindeslärms
vor. Auch habe die Antragstellerin zu 1) erklärt, dass die Wohnung nicht ideal aufgeteilt sei. Solche Überlegungen
könnten jedoch einen Umzug nicht notwendig machen. Die bisherige Wohnung sei auch nicht so klein, dass allein
deshalb ein Umzug notwendig sei. Überdies seien auch keine Ausnahmetatbestände erkennbar, die einen Umzug
erforderlich machen könnten. Schließlich sei die Wohnung in der D.-straße zu teuer. Im Falle eines Umzugs könnte
höchstens die bisherige Kaltmiete von 338,47 Euro übernommen werden. Am 26. Januar 2009 reichte die
Antragstellerin zu 1) das ärztliche Attest des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin FR. vom 23. Januar 2009 bei
der Antragsgegnerin ein. Danach ist wegen der Entwicklungsverzögerung der Antragstellerin zu 2) aus medizinischer
Sicht ein eigener Bereich bzw. ein eigenes Zimmer dringend erforderlich, um die weitere Entwicklung nicht zu
gefährden. In der derzeitigen Wohnung sei ein eigener Bereich nicht gegeben. Daraufhin vermerkte ein Mitarbeiter auf
dem Wohnungsangebot handschriftlich: "Es wird eine Miete + Nebenkosten i.H.v. 410,00 Euro übernommen. Die
Differenz ist von der Mieterin zu tragen. Keine Übernahme einer Mietsicherheit". Am 3. Februar 2009 erteilte die
Antragsgegnerin der Antragstellerin zu 1) eine "Mietübernahmebescheinigung", nach der sie für die Wohnung in der D.-
straße eine Kaltmiete und Nebenkosten in Höhe von 440,00 Euro, Heizkosten in Höhe von 85,00 Euro und damit
Gesamtkosten in Höhe von 525,00 Euro übernimmt. Weiter heißt es in der Bescheinigung: "Die Kosten in Höhe von
650,00 Euro (Mietsicherheit) zur Sicherung des Obdachs werden nicht übernommen." Am 6. Februar 2009
unterschrieb die Antragstellerin zu 1) den ab dem 16. Mai 2009 gültigen Mietvertrag, wobei die Konditionen dem
Wohnungsangebot entsprechen. Bezüglich der Mietsicherheit heißt es in dem Vertrag: "§ 15. Für die Erfüllung seiner
Pflichten aus dem Mietvertrag zahlt der Mieter dem Wohnungsunternehmen als Sicherheit einen Betrag in Höhe von
650,00 Euro vor Übergabe der Wohnungsschlüssel auf das Konto Nr. ". Mit Schreiben vom 17. März 2009 beantragte
die Antragsstellerin u. a. die Übernahme der Mietkaution. Ebenfalls am 17. März 2009 sandte die Antragsgegnerin ein
Schreiben, in dem es heißt; "Sehr geehrte Frau , eine Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft kann
nicht erteilt werden, weil wie bereits mit Ihnen persönlich besprochen und auch schriftlich ausgehändigt gilt für
Wohnungsbaugesellschaften, dass keine Mietkaution/Mietsicherheit übernommen wird." Am 26. März 2009 erhob die
Antragstellerin zu 1) u. a. hiergegen Widerspruch. Sie erklärte, es sei ihr unmöglich, die Kosten der Mietkaution selbst
zu tragen. Sie verwies auf die Behinderung ihrer Tochter. Mit Schreiben vom 7. April 2009 erinnerte die Antragstellerin
zu 1) an ihren Widerspruch. Sie erklärte, dass der Umzug nun bevorstehe. Sie habe große Angst, dass sie und ihre
Kinder Mitte Mai praktisch obdachlos sein könnten. Sie müsse zu diesem Zeitpunkt die bisherige Wohnung räumen.
Die Schlüssel für die neue Wohnung erhalte sie aber erst nach der Zahlung der Mietkaution. Sie habe keine
finanziellen Reserven, um das Deponat aufzubringen. Als alleinerziehende Mutter einer behinderten Tochter sei ihre
Situation recht schwierig. Nach einem Vermerk der Leistungsabteilung (Bl. 215 d.A.) kann wegen des vorliegenden
Attestes die Miete in voller Höhe übernommen werden. Aus diesem Grunde könnten auch die Umzugskosten
übernommen werden. Die Mietkaution könne aber nicht übernommen werden, weil es sich bei der neuen Vermieterin
um eine Wohnungsbaugesellschaft handelt, und gem. 9.4 der Verwaltungsanweisung zu § 22 SGB II in einem solchen
Falle ausschließlich eine Mietübernahmebescheinigung auszustellen sei, was vorliegend auch geschehen sei.
Mit Schreiben vom 22. April 2009 – Eingang bei Gericht am 28. April 2009 - haben die Antragsteller beim Sozialgericht
die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Die Antragsteller begehren die Verpflichtung der
Antragsgegnerin, für die Mietkaution ein Darlehen von 650,00 Euro zu erbringen. Zur Begründung führen sie aus,
bekanntlich genüge der BREBAU die von der Antragsgegnerin ausgestellte Mietübernahmebescheinigung gerade
nicht. Die BREBAU bestehe – wie in anderen Fällen auch – vielmehr auf der Zahlung der Mietkaution. Vor der Zahlung
des Betrages würde der Wohnungsschlüssel nicht übergeben. Die Antragsteller seien auf die Aushändigung des
Wohnungsschlüssels angewiesen. Die bisherige Wohnung sei zum 15. Mai 2009 gekündigt. Die Antragsteller
befürchteten, am 15. Mai 2009 wohnungslos zu werden. Dass der Umzug als solches notwendig sei, bestreite die
Antragsgegnerin zwischenzeitlich auch nicht mehr. Die Bruttokaltmiete läge deutlich unter den in der Wohngeldtabelle
festgelegten Sätzen. In einem solchen Fall sei gem. § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II die Mietkaution im Regelfall zu
übernehmen ("soll"). Nur dann, wenn ein atypischer Einzelfall vorliege, könne die Zustimmung versagt werden. Ein
solcher Fall liege jedoch nicht vor. Die Hilfebedürftigen dürften auch nicht auf diejenigen Wohnungen verwiesen
werden, für die die Vermieter keine Kaution verlangten. Andernfalls läge eine auch vom Gesetzgeber nicht gewollte
Ausgrenzung von Hilfebedürftigen vor.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf die
darlehensweise Zahlung der Mietkaution. Sie gehöre nicht zum Personenkreis, der besondere Akzeptanzprobleme auf
dem Wohnungsmarkt habe. Außerdem gelte es zu beachten, dass nach einer fachlichen Weisung des kommunalen
Trägers in A-Stadt für Wohnungsgesellschaften keine Mietkautionen übernommen werden könnten. Die
Antragsstellerin zu 1) müsse sich darauf verweisen lassen, mit der BREBAU wegen der Mietkaution eine
Ratenzahlung zu vereinbaren.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte verwiesen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist
zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, bemisst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Es ist ein Anordnungsanspruch gegeben. Die Antragsteller haben gem. § 22 Abs. 3 SGB II Anspruch auf die
Gewährung eines Darlehens für die Zahlung der Mietkaution. Diese Vorschrift bestimmt, dass
Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich
zuständigen kommunalen Träger übernommen werden können; ein Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch
den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger übernommen werden (Satz 1). Die Zusicherung soll
erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist
und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann (Satz
2). Die Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden (Satz 3).
a) Die Voraussetzungen für den Anspruch sind gegeben.
aa) Der Umzug ist – was zwischen den Beteiligten inzwischen auch unstreitig ist - notwendig. Dies folgt im Übrigen
aus dem vorgelegten ärztlichen Attest.
bb) Die Kosten der neuen Wohnung sind auch angemessen (sog. ungeschriebene Gesetzesvoraussetzung, s.
Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 82).
cc) Es ist auch davon auszugehen, dass in einem angemessenen Zeitraum keine Wohnung gefunden werden konnte,
die ohne Mietkaution anzumieten gewesen wäre. Dies folgt bereits daraus, dass es heute allgemein üblich ist, dass
Wohnungen nur noch gegen Zahlung einer Mietkaution vermietet werden. Dies gilt – wie auch der Antragsgegnerin aus
der täglichen Praxis bekannt ist – auch in A-Stadt und auch bezüglich der Leistungsempfänger nach dem SGB II. In
A-Stadt verzichtet nur ein einziger Wohnungsbauträger (Gewoba) bei Leistungsempfängern nach dem SGB II auf die
Zahlung der Mietsicherheit. Alle anderen Wohnungsbauträger – und auch die BREBAU – verzichten regelmäßig nicht
auf die Zahlung der Kaution.
dd) Die Antragsgegnerin ist außerdem die am Ort der neuen Unterkunft zuständige kommunale Trägerin.
dd) Überdies liegt zwar keine vorherige Zusicherung der Antragsgegnerin im Sinne des § 22 Abs. 3 SGB II vor. Eine
solche ist jedoch entbehrlich, wenn – wie hier - die Übernahme der Kosten rechtzeitig beantragt wurde. Ansonsten
hätte es der Grundsicherungsträger selbst in der Hand, die Realisierung eventueller Ansprüche zu vereiteln.
b) Liegen - wie hier – die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung der Mietkaution vor, so kann die
Antragsgegnerin die Zahlung nur in atypischen Ausnahmefällen verweigern ("soll erteilt werden"). Solche
Ausnahmefälle sind nicht ersichtlich.
c) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin folgt auch nichts anderes aus der Verwaltungsanweisung zu § 22
SGB II der Bremer Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales (Stand 1. September 2008,
http://www.soziales.bremen.de/sixcms/media.php/13/080901
Verwaltungsanweisung%20zu%20%2022%20SGB%20II%20KdU Stand%2001-09-2008.pdf). Die
Verwaltungsanweisung bestimmt zwar ausdrücklich, dass bei Wohnungsbaugesellschaften keine Mietkautionen
übernommen werden. Diese Regelung steht aber, sofern, wie hier, die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung
erfüllt sind, in deutlichem Widerspruch zur Gesetzeslage. Es ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb die
Mieter bei Wohnungsbaugesellschaften in keinem Falle Mietkautionen erhalten sollten. Ein solcher Grund ist
jedenfalls nicht darin zu sehen, dass Wohnungsbaugesellschaften von den Leistungsempfängern keine Kautionen
verlangen. Denn dies ist – wie dargestellt – in A-Stadt regelmäßig nicht der Fall. Im Übrigen ist die Senatorin rechtlich
nicht befugt, die (bundes-) gesetzlichen Regelungen über die Leistungen nach dem SGB II zu beschränken. Das
Gericht ist ohnehin an die Verwaltungsanweisungen nicht gebunden.
2. Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit - ergibt sich daraus, dass die bisherige Wohnung am 15. Mai 2009
geräumt werden muss.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
4. Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG, weil in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Die Antragsgegnerin ist mit einem Betrag von 650,00 Euro beschwert, der Schwellenwert für eine zulässige
Berufung liegt bei 750,00 Euro, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.