Urteil des SozG Bremen vom 04.05.2009

SozG Bremen: vorschuss, gerichtsakte, zahlungseinstellung, leistungsanspruch, versicherung, hauptsache, gefahr, entlassung, erlass, erfüllung

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 04.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 795/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Monat April
2009 weitere 255,47 Euro zu gewähren.
Die Leistungsgewährung erfolgt darlehnsweise und unter dem Vorbehalt der Rückforderung.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller die für April 2009 bewilligten restlichen
Leistungen auszahlen muss, obwohl der Antragsteller nicht über einen Personalausweis verfügt und obwohl ihm die
Antragsgegnerin einen entsprechenden Scheck übersandt hat, den der Antragsteller jedoch nicht erhalten hat.
Der 1978 geborene Antragsteller verbüßte bis zu seiner Entlassung am 24. März 2009 eine Freiheitsstrafe in der
Justizvollzugsanstalt Aurich. Seit dem 25. März 2009 wohnt er in A-Stadt bei seiner Freundin, Frau X., die von der
Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II bezieht. Am 2. April 2009 stellte auch der Antragsteller bei der
Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II; zugleich erhielt er einen Barvorschuss in Höhe von
50,00 Euro. Der Leistungsantrag wurde am 14. April 2009 positiv beschieden. Nach dem Bescheid (von welchem dem
Gericht nur die Bl. 5 bis 8 vorliegen) bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Monat April 2009 305,47
Euro und für die Monate Mai bis Oktober 2009 jeweils 316,00 Euro. Ebenfalls mit Schreiben vom 14. April 2009
forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, bis spätestens zum 5. Mai 2009 u. a. eine Kopie seines
Personalausweises vorzulegen. Am 24. April 2009 sprach der Antragsteller bei der Antragsgegnerin vor und erhielt
einen weiteren Barvorschuss in Höhe von 100,00 Euro.
Am 29. April 2009 ersuchte der Antragsteller das Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur
Begründung erklärte er, ihm sei am 14. April 2009 gesagt worden, dass ihm die restliche Leistung für April per Scheck
gewährt werde. Dieser Scheck sei aber bisher nicht angekommen. Er habe kein Girokonto und könne auch keines
einrichten, weil er einen ungünstigen sog. SCHUFA-Eintrag habe. Er habe wegen des nicht eingetroffenen Schecks
am 24. April 2009 bei der Antragsgegnerin vorgesprochen. Dabei sei ihm gesagt worden, dass der Postlauf des
Schecks noch geprüft werde. Die 100,00 Euro, die ihm bei dem Gespräch ausgezahlt worden sind, seien ein
Vorschuss auf die Leistungen für Mai 2009 gewesen. Von den ingesamt 150,00 Euro könne er seinen Lebensunterhalt
nicht bestreiten. Er sei mittellos und benötige dringend einen weiteren Vorschuss. Er hat die Richtigkeit seiner
Angaben an Eides Statt versichert.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm unverzüglich die ihm für den
Monat April 2009 noch zustehende Regelleistung auszuzahlen, ihm bis zum 30. April 2009 einen Vorschuss zur
Behebung seiner akuten Mittellosigkeit bar auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie meint, der Antragsteller selbst habe die Auszahlung der restlichen Leistungen verhindert, weil er sich keinen
gültigen Personalausweis besorgt hätte. Hierauf aber sei er am 2. und am 24. April 2009 hingewiesen worden. Dabei
sei ihm auch erklärt worden, dass eine Auszahlung nur unter dieser Voraussetzung sichergestellt werden könne.
Sollte der Antragsteller nachweisen, dass er zwischenzeitlich einen Ausweis beantragt habe, so stelle das
Leistungsteam in Aussicht, dass ihm dann die restlichen Leistungen für den Monat Mai gewährt würden. Wegen der
restlichen Leistungen für den Monat April (255,47 Euro) sei ein Scheck ausgestellt worden. Der entsprechende
Geldbetrag könne erst dann ausgezahlt werden, wenn sichergestellt sei, dass der Scheck nicht bereits eingelöst sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Die Verwaltungsakte
liegt dem Gericht nicht vor.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig und im
Sinne des Tenors begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, bemisst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Es liegt ein Anordnungsanspruch vor.
a) Der Anspruch des Antragstellers auf die Gewährung der ihm von der Antragsgegnerin bewilligten Leistungen folgt
unmittelbar aus dem Bewilligungsbescheid vom 14. April 2009. Danach (bzw., soweit er dem Gericht vorliegt) ist dem
Antragsteller ein Betrag von 305,47 Euro für den Monat April bewilligt worden. Nach dem Kenntnisstand des
Eilverfahrens ist dieser Bescheid weder unter Vorbehalt ergangen noch zwischenzeitlich aufgehoben worden. Es ist
auch nichts dafür ersichtlich, dass der Bescheid rechtswidrig oder nichtig sein könnte. Der Antragsteller ist nach
seiner eidesstattlichen Versicherung mittellos und erfüllt, soweit ersichtlich, auch die sonstigen Voraussetzungen für
die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.
b) Die Antragsgegnerin kann dagegen auch nicht geltend machen, sie habe eine vorläufige Zahlungseinstellung gem.
§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 331 Abs. 1 SGB III vornehmen dürfen. Eine solche vorläufige
Zahlungseinstellung setzt nämlich voraus, dass dem Grundsicherungsträger Tatsachen zur Kenntnis gelangt sind, die
kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und wenn der Bescheid, aus dem sich der
Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist (§ 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Daran fehlt
es hier. Der Antragsgegnerin hat – jedenfalls nach dem Kenntnisstand des Eilverfahrens - in der Zeit seit dem Erlass
des Bescheides vom 14. April 2009 bis heute keine neue Kenntnis von Tatsachen erhalten, die für die Wirksamkeit
des Bescheides von Bedeutung sein könnten.
c) Der Leistungsanspruch ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Antragsteller keinen Personalausweis
vorlegen kann. Dies folgt zum einen bereits daraus, dass die Vorlage eines Personalausweises nach dem SGB II
nicht Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen ist. Zum anderen erweist sich die Forderung nach der Vorlage
eines Personalausweises im vorliegenden Fall auch deshalb als unverhältnismäßig, weil der Antragsteller den für ihn
zuständigen Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern der Antragsgegnerin offenbar (Vermerk vom 29. April 2009, Bl. 14 der
Gerichtsakte) persönlich bekannt ist. Aus diesem Grunde ist – jedenfalls für den derzeitigen Leistungszeitraum – die
Gefahr ausgeschlossen, dass Dritte Leistungen erhalten, die für den Antragsteller gedacht sind.
d) Dem Anspruch des Antragstellers auf Erfüllung des Bewilligungsbescheides steht bezüglich der Leistung für den
Monat April 2009 auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Monat April 2009 einen
Scheck übersandt hat. Die Kammer geht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass der Scheck den
Antragsteller nicht erreicht hat, so dass der Leistungsanspruch des Antragstellers nicht erfüllt ist. Denn der
Antragsteller hat – nach Belehrung über die Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Versicherung durch den
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts – u. a. eidesstattlich versichert, dass er den Scheck nicht
erhalten hat. Gegenteiliges nimmt auch die Antragsgegnerin nicht an.
e) Damit hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Monat April 2009 den um den Betrag der Barauszahlung in
Höhe von 50,00 Euro geminderten Bewilligungsbetrag, d.h. 255,47 Euro, zu gewähren. Für die Folgemonate kann die
Kammer dem Antragsteller keine Leistungen zusprechen, weil der Antragsteller seinen Eilantrag auf die Leistungen für
den Monat April beschränkt hat ("für den laufenden Monat").
2. Es ist auch ein Anordnungsgrund gegeben. Dem Antragsteller ist aufgrund seiner finanziellen Lage ein weiteres
Zuwarten nicht zumutbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
4. Der Beschluss ist nicht anfechtbar. Die Antragsgegnerin ist mit einem Betrag von 255,47 Euro beschwert, der
Schwellenwert für eine zulässige Beschwerde liegt bei 750,00 Euro, §§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144
Abs. 1 SGG.