Urteil des SozG Bremen vom 24.02.2009

SozG Bremen: jugendamt, anerkennung, geburt, akte, pflegekind, haushalt, fürsorge, obhut, erziehungszeit, wartezeit

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 24.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 14 R 54/06
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Kindererziehungszeiten (KeZ) und Berücksichtigungszeiten (BüZ)
streitig.
Die am 23. Januar 1939 geborene Klägerin beantragte im November 2004 die Gewährung einer Altersrente.
Gleichzeitig beantragte sie die Feststellung von KeZ und BüZ für drei eigene Kinder und für ein Kind – T. – als
Pflegekind. Sie reichte ein Schreiben der P. (P. A-Stadt gGmbH) vom 15. November 2004, wonach T., geboren am
22. Mai 1969, bei der Klägerin in der Zeit von Juni 1969 bis 1990 in Verwandtenpflege gelebt hatte. T. war als 7. Kind
Beigeladenen (der Schwägerin der Klägerin) geboren worden.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2005 stellte die Beklagte nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB
VI) rentenrechtliche Zeiten fest. Die Zeit vom 1. Juni 1969 bis 31. Mai 1970 bzw. vom 22. Mai 1969 bis 30. November
1973 wurde nicht als KeZ bzw. BüZ anerkannt, weil ein anderer Elternteil das Kind überwiegend erzogen hatte. Mit
Bescheid vom 21. Januar 2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mangels Erfüllung der erforderlichen Wartezeit
von fünf Jahren ab.
Mit ihrem gegen beide Bescheide am 8. Februar 2005 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die
Beigeladene das Kind nach der Geburt zur Adoption habe freigeben wollen. Da sie – die Klägerin – und ihr – der
Klägerin – Ehemann angeboten hätten, das Kind aufzuziehen, sei das nicht geschehen. Sobald das Kind aus dem
Krankenhaus gekommen sei, sei es von ihr – der Klägerin – aufgenommen worden. Die Beigeladene habe sich in
keiner Form mehr um das Kind gekümmert. Das Jugendamt habe sich einverstanden erklärt, das Kind ab Geburt bei
ihr – der Klägerin - zu lassen, wie das Jugendamt bestätigt habe. Im Dezember 1973 sei vom Jugendamt offiziell die
Dauerpflegschaft vereinbart worden.
Die Beklagte zog Unterlagen aus dem Melderegister und ihre Versicherungsunterlagen bezüglich der Beigeladenen
bei, woraus sich auch Angaben über die Erziehung des Kindes T. ergaben. Die KeZ/BüZ für T. waren seit Geburt bis
30. November 1973 bei der Beigeladenen berücksichtigt worden. Aus einer Meldebescheinigung vom 30. Juli 1991
ergab sich, dass T. seit Geburt bis zum 1. Dezember 1973 bei der Beigeladenen und danach bei der Klägerin und
ihrem Ehemann gemeldet war.
Anschließend wandte sich die Beklagte an die P. und bat hinsichtlich der Angaben im Schreiben vom 15. November
2004 um Überprüfung. Hierzu äußerten sich die P. unter dem 18. Mai 2005, das Amt für Soziale Dienste
(Sozialzentrum Nord) unter dem 19. Mai 2005 und das Amt für Soziale Dienste (Sozialzentrum Süd) unter dem 1. Juli
2005. Letzteres teilte unter Bezugnahme auf die dort geführte Akte u. a. mit, dass T. 1971 sowohl im Haushalt der
Beigeladenen als auch bei Verwandten gelebt habe. Es habe die Absicht bestanden, ihn im Mai/Juni zu diesen
Verwandten zu geben, da die Beigeladene dann an einer Mütterkur habe teilnehmen sollen. Über die Zeit danach sei
nichts bekannt. Die Akte sei nicht weitergeführt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2006 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück: eine
Erziehungszeit für ein Pflegekind erfordere, dass die als Pflegeelternteil in Frage stehende Person das Kind in den
Haushalt aufgenommen und ein Pflegekindschaftsverhältnis bestanden habe. Ein Pflegekindschaftsverhältnis könne
nur bestehen, wenn das Kind mit Wissen und Willen der Beteiligten (leibliche Eltern des Kindes bzw. Jugendamt auf
der einen, betreuende Person auf der anderen Seite) aus der Obhut und Fürsorge der leiblichen Eltern ausscheide und
in die alleinige Fürsorge der Pflegeperson übertrete (§ 2 Abs. 1 und 2 des Bundeskindergeldgesetzes – BKGG).
Könne durch das Jugendamt kein Nachweis über die Pflegschaft geführt werden, sei die Haushaltsaufnahme durch
eine Meldebescheinigung nachzuweisen. Aus der Meldebescheinigung ergebe sich, dass das Kind T. erst für die Zeit
ab 1. Dezember 1973 unter der Anschrift der Klägerin gemeldet gewesen sei. Das Schreiben der Organisation P. vom
15. November 2004 beruhe nicht auf Unterlagen, sondern auf Erinnerungen des Mitarbeiters XI ... Der Antrag auf
Gewährung einer Regelaltersrente sei zu Recht abgelehnt worden. Auf die Wartezeit seien nur 36 Kalendermonate
Pflichtbeitragszeiten wegen KeZ anzurechnen.
Am 22. Februar 2006 erhob die Klägerin Klage, mit der sie ihr Begehren auf Anerkennung von KeZ und BüZ unter
Übersendung einer Zeugenerklärung ihres Ehemannes weiterverfolgt. Sie führt aus, dass ihre – der Klägerin –
familiäre Pflege für das Kind T. so selbstverständlich gewesen sei, dass sie – die Klägerin – erst später bedacht
habe, mit dem Jugendamt offiziell eine Dauerpflegschaft zu vereinbaren. Dieses sei ab dem 1. Dezember 1973
geschehen. Die Klägerin beruft sich auf die Angaben des P., auf die Angaben der Beigeladenen in ihrem Antrag auf
Anerkennung von Erziehungszeiten sowie auf Zeugenaussagen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20. Januar 2005 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides
vom 2. Februar 2006 zu verurteilen, die Zeit vom 1. Juni 1969 bis 31. Mai 1970 als Kindererziehungszeit und vom 22.
Mai 1969 bis 30. November 1973 als Berücksichtigungszeit anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und weist auf §§ 56, 57 SGB VI hin, wonach zur
Anerkennung von KeZ und BüZ ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. des § 56 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch – Erstes
Buch (SGB I) vorliegen müsse. Soweit geltend gemacht werde, dass die tatsächlichen Begebenheiten eines zur
Anerkennung von Erziehungszeiten führenden Pflegekindschaftsverhältnisses im streitbefangenen Zeitraum
rechtfertigten, sei die Beweislage ihrer – der Beklagten – Auffassung nach eindeutig. Sowohl nach der vorliegenden
Meldebescheinigung als auch nach der Akte des Jugendamtes lasse sich die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Nr. 2
BKGG zur Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses geforderte alleinige Fürsorge nicht herleiten.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie führt aus, dass sich das Kind T. bis zum 30. November 1973 in ihrer – der Beigeladenen Obhut befunden habe,
abgesehen von Zeiten, in denen sie – die Beigeladene – sich in stationären Einrichtungen befunden habe.
Im Verlaufe des Verfahrens übersandte das Amt für Soziale Dienste (Sozialzentrum Süd) – Jugendamt – seine Akte.
Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Az.: 10 030139 S 619 Abt. 2021), die die Beigeladene
betreffende Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Amtes für Soziale Dienste (Sozialzentrum Süd) –
Jugendamt – haben dem Gericht vorgelegen. Soweit das Urteil darauf beruht, war der Inhalt dieser Akten Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide verletzen die Klägerin nicht in ihren
Rechten. Gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 i. V. mit §§ 56 Abs. 1 bis 3 und 5, 249 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch
(SGB VI) sind Personen versicherungspflichtig in der Zeit, für die ihnen KEZ anzurechnen sind. Für die Anrechnung
einer BüZ wegen Kindererziehung sind gemäß § 57 SGB VI die Vorschriften über die KEZ entsprechend anzuwenden.
Einem Elternteil wird gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI eine KEZ angerechnet, wenn 1. die Erziehungszeit diesem
Elternteil zuzuordnen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt oder einer solchen
gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen sind. Nach § 249 Abs. 1 SGB VI endet die
KEZ für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt.
Für den Begriff "Eltern" verweist § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB
I (Sonderrechtsnachfolge). § 56 Abs. 1 Nr. 3 SGB I nennt als Sonderrechtsnachfolger im 3. Rang die Eltern. Nach §
56 Abs. 3 Nr. 3 SGB I gelten als Eltern auch Pflegeeltern (Personen, die den Berechtigten als Pflegekind
aufgenommen haben).
Die Kammer glaubt der Klägerin, dass sich das Kind Rainer seit seiner Geburt in deren Haushalt befunden hat, auch
wenn das Kind dort nicht gemeldet war. Auch die Akte des Jugendamtes, in der nur wenige Besuche in der Wohnung
der Beigeladenen dokumentiert sind, spricht nicht dagegen. Das reicht jedoch für die Anerkennung von KeZ und BüZ
nicht aus. Durch die vorgenannte Verweisung in § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf die Vorschrift des § 56 SGB V für die
Sonderrechtsnachfolge ist jedoch klargestellt, dass eine KEZ für Eltern nur anzurechnen ist, wenn es sich um ein
förmliches Pflegekindschaftsverhältnis handelt. Das war vorliegend nicht der Fall. Unstreitig hat erst ab Dezember
1973 eine förmliche Pflegschaft vorgelegen. Die Beklagte hat somit zutreffend entschieden, dass der Klägerin die Zeit
vom 1. Juni 1969 bis 31. Mai 1970 nicht als KEZ und erst die Zeit ab 1. Dezember 1973 als BüZ anzurechnen ist.
Die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).