Urteil des SozG Braunschweig vom 17.02.2009

SozG Braunschweig: zumutbare arbeit, sanktion, bestimmtheit, verfügung, auflage, anteil, verwaltungsakt, firma, sicherheit, formfehler

Sozialgericht Braunschweig
Urteil vom 17.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 18 AS 983/07
Der Bescheid der Beklagten vom 3.1.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2.4.2007 wird
aufgehoben. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die Berufung wird
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Sanktion.
Der Antragsteller ist 1978 geboren und ledig. Er wohnt in G. und bezieht seit Januar 2006 Arbeitslosengeld II von der
Beklagten. Er ist von Beruf gelernter Tischler.
Am 26.10.2006 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit bei der Firma H.
Möbeltischlerei als Tischler und forderte den Kläger dazu auf, sich "umgehend" zu bewerben.
Am 6.11.2006 teilte der Arbeitgeber der Beklagten mit, der Kläger habe sich nicht beworben.
Am 21.11.2006 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Sanktion an, da der Kläger es versäumt habe,
sich rechtzeitig auf die Stelle bei der Firma I. zu bewerben. Mit Schreiben vom 10.12.2006 teilte der Kläger mit, er
habe am 3.11.2006 einen Autounfall gehabt. Außerdem sei er durch seinen Nebenverdienst bei einem
Bestattungsunternehmen zeitlich sehr in Anspruch genommen worden. Der Arbeitsweg zu dem Arbeitgeber sei mit
191 km nicht zumutbar.
Mit Bescheid vom 3.1.2007 verhängte die Beklagte eine Sanktion in Höhe von 30 % der Regelleistung für die Zeit
vom 1.2.2007 bis 30.4.2007. Der Verfügungssatz des Bescheides lautet wie folgt: "Sehr geehrter Herr J., der Ihnen
zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II wird unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB
II für die Zeit vom 1.2.2007 bis 30.4.200 monatlich um 30 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des
zustehenden Auszahlungsbetrags, abgesenkt. Daraus ergibt sich eine Absenkung in Höhe von maximal 104,00 EUR
monatlich."
Der Kläger erhob am 5.2.2007 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2.4.2007 zurückwies.
Darin führte die Beklagte im Wesentlichen zur Begründung aus, der Kläger habe sich geweigert, eine ihm zumutbare
Arbeit aufzunehmen. Er habe hierfür auch keinen wichtigen Grund nachgewiesen.
Der Kläger hat am 4.5.2007 Klage erhoben und beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 3.1.2007 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 2.4.2007 wird
aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sei verweist im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der
gerichtlichen Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sind rechtswidrig
und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Der Sanktionsbescheid vom 3.1.2007 ist unbestimmt. Nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X)
muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Bereits der Verfügungssatz des Bescheides vom
3.1.2007 ist inhaltlich unbestimmt. Zum einen ist nicht ersichtlich, was mit dem "Ihnen zustehenden Anteil des
Arbeitslosengeldes II" gemeint ist, da der Kläger als einzelne Person, und nicht etwa als Mitglied einer
Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II bezogen hat. Zum anderen wird aus dem Bescheid nicht mit der
erforderlichen Bestimmtheit deutlich, in welcher genauen Höhe die Leistungen des Klägers abgesenkt werden sollen
und in welcher Höhe ihm für den Sanktionszeitraum monatliche Leistungen noch zur Verfügung stehen sollen.
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in seiner Entscheidung vom 19.10.2007 (Az. L 7 AS 646/07 ER)
hierzu folgendes ausgeführt:
"Dieser Verfügungssatz lässt jedenfalls nicht die tatsächliche Höhe der Absenkung der bewilligten Leistung erkennen
und genügt damit nicht den Anforderungen, die an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes zu stellen sind. Vielmehr
ist es aus Gründen der Rechtsklarheit erforderlich, die konkrete Höhe der Leistungskürzung anzugeben (vgl. dazu
BSG, Urteil vom 13.07.2006 – B 7a AL 24/05 R -). Auch durch Auslegung des Verfügungssatzes oder unter
Heranziehung der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides lässt sich kein auf den vorliegenden Einzelfall
bezogener konkreter Absenkungsbetrag ermitteln. Der Verfügungssatz erschöpft sich in der Benennung eines
Absenkungsrahmens um 30 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des zustehenden
Gesamtauszahlbetrages, in Höhe von maximal 104,00 EUR, wobei der eventuell zustehende Zuschlag nach § 24
SGB II wegfallen soll. Ebenso bietet die Bescheidbegründung keinen näheren Aufschluss über die genaue Höhe des
Absenkungsbetrages. Bei einer Sanktionsentscheidung nach § 31 SGB II ist es jedoch unabdingbar, dass der
entsprechende Bescheid eine konkrete Einzelfallentscheidung der Gestalt enthält, dass ein genauer
Absenkungsbetrag zu entnehmen ist, um dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGB X zu entsprechen (so
auch LSG Berlin-Brandenburg Beschlüsse vom 12.07.2007 – L 28 B 1087/07 AS ER -, vom 29.06.2007 – L 28 B
889/07 AS ER -, vom 07.08.2007 – L 28 B 1231/07 AS ER -; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 17.10.2006 – L
8 AS 4922/06 ER – B). Der Hilfebedürftige muss nämlich dem Bescheid mit der notwendigen Sicherheit entnehmen
können, um welchen genauen Betrag die ihm gewährte Leistung gekürzt wird und welcher Betrag ihm dann für den
Sanktionszeitraum zwecks Sicherung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung steht ...
Eine Heilung gemäß § 41 SGB X kommt bei unbestimmten Verwaltungsakten nicht in Betracht, da kein Formfehler
sondern ein materieller Fehler vorliegt (Engelmann in von Wulfen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 33 Rdnr. 10; Waschull in
LPK-SGB X, 2. Auflage 2007, § 33 Rdnr. 5). Ob eine Ersetzung (vgl. dazu Engelmann, a.a.O.) möglich ist, kann
dahinstehen, da sie nicht erfolgt ist."
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom
16.10.2008 (Az. L 5 AS 449/08). Denn im dortigen Fall hatte die Beklagte den Absenkungsbetrag im
Widerspruchsbescheid hinreichend konkretisiert (auf 104 EUR). Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hatte
darin einen klarstellenden Verwaltungsakt gesehen, so dass der ursprünglich unbestimmte Sanktionsbescheid nach
Ansicht des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg geheilt worden war.
Eine solche Klarstellung hat es indes im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Beklagte auch im
Widerspruchsbescheid vom 2.4.2007 keine konkrete Höhe des Absenkungsbetrages angegeben hat.
Der Bescheid vom 3.1.2007 war bereits aus diesem Grunde aufzuheben.
Es war daher unerheblich, dass die Kammer aufgrund der offensichtlich unvollständigen Verwaltungsakten nicht
imstande war zu überprüfen, ob dem Vermittlungsvorschlag vom 26.10.2006, der nicht in den Akten enthalten ist,
tatsächlich eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt war ob diese ggf. den Anforderungen des § 31 Abs. 1 Satz 1
Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II) genügt hat.
Schließlich konnte ebenfalls dahinstehen, dass die Beklagte auch gegen die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2
SGB II verstoßen hat. Denn 30 % von 345 EUR sind 103,50 EUR, nicht 104,00 EUR. Die Vorschrift des § 41 Abs. 2
SGB II ist so zu verstehen, dass nicht nach einzelnen Berechnungsschritten zu runden ist, sondern erst der
Auszahlungsbetrag. Die Beklagte war daher jedenfalls nicht berechtigt, die Leistungen in Höhe von maximal 104 EUR
zu kürzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG (Sozialgerichtsgesetz).
Die Kammer hat die Berufung zugelassen, da der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1
SGG.