Urteil des SozG Braunschweig vom 29.04.2008

SozG Braunschweig: krankengeld, eintritt des versicherungsfalls, arbeitsunfähigkeit, arbeitsentgelt, einkünfte, beitragsbemessung, beitragsberechnung, leistungsbezug, mitgliedschaft, abgrenzung

Sozialgericht Braunschweig
Urteil vom 29.04.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 6 KR 386/05
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld.
Der 1956 geborene Kläger war bis 30.12.2004 als Pflichtmitglied bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert,
zuletzt wegen Leistungsbezug von der Bundesagentur für Arbeit. Am 12.01.2005 stellte er den Antrag auf freiwillige
Mitgliedschaft ab dem 31.12.2004. (zuletzt wegen Leistungsbezug der Bundesagentur für Arbeit). Er sei seit
31.12.2004 als freiberuflich selbstständiger Diplom-Ingenieur tätig. Bisher habe er noch keine positiven Einkünfte,
weshalb er um eine Einstufung nach Mindesteinkommen bitte. Er legte einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit,
Braunschweig vom 07.01.2005 bei. Diese hatte ihm Überbrückungsgeld nach § 57 Sozialgesetzbuch Drittes Buch
(SGB III) für die Zeit vom 31.12.2004 bis 29.06.2005 in Höhe von 1.543,32 Euro pro Monat bewilligt. Die Beklagte
führte die freiwillige Mitgliedschaft entsprechend dem Antrag des Klägers mit einem Anspruch auf Krankengeld ab der
vierten Woche der Arbeitsunfähigkeit durch.
Ab dem 26.04.2005 war der Kläger, bestätigt durch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und von der
Beklagten unbestritten, arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 01.08.2006 bezieht der Kläger eine Rente wegen
Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Am 22.05.2005 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, ihm ab 17.05.2005 Krankengeld zu zahlen. Er habe
zwar aus seiner selbstständigen Tätigkeit keinerlei positive Einnahmen erzielt. Jedoch habe er vor Beginn der
Arbeitsunfähigkeit Einkommen, nämlich das Überbrückungsgeld bezogen.
Mit Bescheid vom 14.06.2005 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld ab. Zwar sei der
Krankengeldanspruch dem Grunde nach gegeben. Ein Zahlbetrag ergäbe sich jedoch nicht, weil durch die
Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitseinkommen weggefallen sei. Die Beklagte bezog sich dabei auf ein Urteil des
Bundessozialgerichts vom 30.03.2004.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Einkommen erzielt,
nämlich das Überbrückungsgeld der Bundesagentur für Arbeit. Im Übrigen müsse sich die Höhe des Krankengeldes
aus dem für die Beitragsbemessung zu Grunde gelegten Mindesteinkommen errechnen. Dies ergebe sich aus § 47
Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V).
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie bezog sich auf die
aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, insbesondere ein Urteil vom 07.12.2004 (B 1 KR 70/04 R). Das
Krankengeld sei bei freiwillig Versicherten, die Beiträge aus Mindesteinkommen zahlen nur nach dem tatsächlich
weggefallenen Arbeitseinkommen zu zahlen. Es könne auch bei Null liegen. Eine Verfassungswidrigkeit sei darin nicht
zu sehen. Das Überbrückungsgeld selbst sei kein Einkommen welches durch die Arbeitsunfähigkeit entfalle.
Dagegen hat der Kläger am 31.10.2005 Klage erhoben. Die Rechtsprechung des BSG sei falsch, denn es sei
verfassungswidrig, das Äquivalenzprinzip zwischen Beitrag und Höhe des Krankengeldes außer Kraft zu setzen. Er
habe Beiträge entsprechend dem Mindesteinkommen gezahlt. Damit stehe auch das versicherte Risiko für das
Krankengeld fest. Zumindest müsse Krankengeld aus der Höhe des Überbrückungsgeldes gezahlt werden, denn
dieses sei eindeutig beitragspflichtiges Einkommen.
Der Kläger beantragt, 1. den Bescheid der Beklagten vom 14.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11.10.2005 abzuändern, 2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld ab 30.06.2005 bis 31.07.2006 in
gesetzlich vorgesehenem Zeitrahmen zu zahlen auf der Grundlage des bezogenen Überbrückungsgeldes, hilfsweise
auf der Grundlage des Mindesteinkommens.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und bezieht sich auf ihr Vorbringen aus dem
Verwaltungsverfahren und auf die ihrer Ansicht nach eindeutige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die
Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von
Krankengeld. Zwar liegen die Voraussetzungen des § 44 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Beklagten für den
Krankengeldanspruch dem Grunde nach vor. Der Höhe nach besteht jedoch kein Zahlungsanspruch.
Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen
Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt.
Arbeitsentgelt hat der Kläger vor Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit (26.04.2005) nicht erzielt. Arbeitsentgelt sind
gemäß § 14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer
Beschäftigung. Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem
Arbeitsverhältnis. Der Kläger war jedoch selbstständig tätig.
Der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer
selbstständigen Tätigkeit ist Arbeitseinkommen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Einkommen ist als Arbeitseinkommen
zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommenssteuerrecht zu bewerten ist (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).
Arbeitseinkommen in diesem Sinne hat der Kläger in seiner selbstständigen Tätigkeit nicht erzielt. Dies ist auch nach
seinem eigenen Vortrag unstreitig.
Auch das von der Bundesagentur für Arbeit gezahlte Überbrückungsgeld ist kein Arbeitskommen in diesem Sinne.
Dies hat bereits das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 10.05.2007 (B 10 LW 7/05 R - SGB 2007, 418 -)
eindeutig festgestellt. Das Überbrückungsgeld gemäß § 57 SGB III ist danach unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt als Arbeitseinkommen zu werten, denn es soll gerade dem Ziel dienen Arbeitseinkommen zu
substituieren (BSG aaO mwN). Es beruht nicht auf der selbstständigen Tätigkeit, sondern gleicht gerade dessen
ungenügenden Eigenerträge aus. Seine steuerrechtliche Behandlung führt bei der Abgrenzung nicht weiter;
Überbrückungsgeld ist - ebenso wie (sonstige) Entgeltersatzleistungen nach SGB III - steuerfrei; es unterfällt dem
Progressionsvorbehalt des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Einkommenssteuergesetz in vergleichbarer Weise.
Ob das Überbrückungsgeld als Erwerbsersatzeinkommen zu werten ist kann dahingestellt bleiben, denn erstens ist es
durch die Arbeitsunfähigkeit nicht weggefallen (der Anspruch bestand unvermindert weiter bis zum Ende der von
vornherein festgesetzten Bezugsdauer) und zweitens gehört der Kläger nicht zum Personenkreis der Versicherten
nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, der einen Anspruch auf Krankengeld nach Erwerbsersatzeinkommen entsprechend § 47
b SGB V hat.
Der Kläger hat auch nicht aufgrund seiner Beitragszahlung Anspruch darauf, dass die Mindestbemessungsgrundlage
als Regelentgelt zu Grunde gelegt wird.
Das "erzielte regelmäßige Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen" wird vom Gesetz als "Regelentgelt" bezeichnet,
wegen dessen Höhe § 47 Abs. 1 Satz 3 SGB V auf die näheren Bestimmungen in Absatz 2, 4 und 6 der Vorschrift
verweist, in denen verschiedene Personenkreise von Versicherten angesprochen werden. Für Versicherte, die – wie
der Kläger – nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche
Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend war. Daraus darf jedoch
nicht geschlossen werden, dass sich das Krankengeld des Versicherten aus seinem der Beitragsberechnung zu
Grunde gelegten fiktiven Mindesteinkommen errechnet. Dem steht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur
Bedeutung der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes entgegen (vgl. Urteil vom 30.03.2004 – B 1 KR 32/02 R –
BSGE 92, 260 ff. ; Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 17/04 R). Danach kann Krankengeld grundsätzlich nur als Ersatz
für diejenigen Einkünfte beansprucht werden, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit als Arbeitsentgelt
oder Arbeitseinkommen bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen. Deshalb ist § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V
einschränkend dahin auszulegen, dass die Verweisung auf das Beitragsrecht sich nicht auf das der
Beitragsberechnung zu Grunde liegende Einkommen insgesamt bezieht, sondern lediglich auf denjenigen Teil der im
Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) zugeflossenen Einkünfte, der als Arbeitseinkommen für die rechtliche Zuordnung
zu den verschiedenen Varianten der Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V maßgebend ist (BSG vom
30.3.2004 aaO).
Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde: Der Grundsatz, nur das tatsächlich entfallende Arbeitsentgelt bzw.
Arbeitseinkommen durch das Krankengeld abzusichern, hat auch insoweit Ausdruck im Gesetz gefunden, als § 44
Abs. 1 Satz 2 SGB V diejenigen Versichertengruppen pauschal vom Anspruch auf Krankengeld ausschließt, die
mangels einer entgeltlichen Tätigkeit im Falle der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig kein Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen einbüßen. Zwar scheint die Vorschrift des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V neben der Verweisung auf
die Beitragsbemessungsvorschriften des § 240 SGB V durch die Verwendung des Wortes "gilt" zusätzlich
anzudeuten, dass es sich um einen normativ festgelegten Betrag handeln könnte. Diese Interpretation verkennt
jedoch den systematischen Zusammenhang mit der Grundnorm des § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der eine isolierte
Betrachtung von Abs. 4 Satz 2 ausschließt. Die Definition des Regelentgelts als das erzielte regelmäßige
Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen in § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V steckt den Rahmen ab, der bei allen in § 47 SGB
V getroffenen Regelungen vorrangig zu beachten ist. Nur in diesem Rahmen trifft § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V
ergänzende Bestimmungen zur Höhe des Regelentgelts; die darin enthaltene Verweisung bezieht sich infolgedessen
nicht auf das der Beitragsberechnung zu Grunde liegende Einkommen insgesamt, sondern lediglich auf denjenigen
Teil der Einkünfte, der als erzieltes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen für die rechtliche Zuordnung zu den
verschiedenen Alternativen der Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V maßgebend ist. Nur in dieser
Weise bleibt nämlich der Sinn und Zweck der Krankengeldleistungen gewahrt, dem arbeitsunfähigen Versicherten
einen Ausgleich für den durch die Arbeitsunfähigkeit entfallenen Verdienst zu bieten. Die demnach wegen der
Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes gebotene einschränkende Auslegung der in § 47 Abs. 4 Satz 2 enthaltenen
Verweisung auf das Beitragsrecht wird durch den Zweck der in Bezug genommenen Regelungen bestätigt, der einer
Übernahme in das Leistungsrecht entgegensteht. Das beitragsrechtlich maßgebliche Mindesteinkommen für alle
freiwillig Versicherten nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V soll mit der darauf beruhenden
Mindestbeitragsbemessungshöhe verhindern, dass sich freiwillige Kassenmitglieder mit geringen Einkünften zu
Lasten der Solidargemeinschaft der Pflichtversicherten Krankenversicherungsschutz zu unangemessen niedrigen
Beiträgen verschaffen können (BSG, Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 17/04 R m. w. N.).
Wie das BSG bereits im Urteil vom 30.03.2004 (B 1 KR 32/02 R) ausgeführt hat, verstößt der Ausschluss des
Krankengeldes für hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige ohne positive Einkünfte – wie beim Kläger – auch nicht
gegen Verfassungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Versicherte durch die Berechnung
von Lohnersatzleistungen nicht besser gestellt werden dürfe, als er ohne Eintritt des Versicherungsfalls stünde
(Beschluss vom 11.01.1995 – 1 BvR 892/88 – BVerfGE 92, 53, 72 = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6). Unter diesem
Blickwinkel ist eine - den Sinn und Zweck der Regelung in den Vordergrund stellende - einschränkende Auslegung des
§ 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nicht nur verfassungsrechtlich erlaubt, sondern sogar geboten (BSG, Urteil vom
07.12.2004 – B 1 KR 17/04 R).
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.