Urteil des SozG Braunschweig vom 22.06.2009

SozG Braunschweig: zusicherung, verwaltungsakt, behörde, erwerbsunfähigkeit, abgabe, rkg, unterlassen, transparenz, ausnahmefall, zusage

Sozialgericht Braunschweig
Urteil vom 22.06.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 36 R 127/07
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Erwerbminderungsrente.
Die Klägerin stellte am 11.03.1986 einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Im Rahmen
dieses Verfahrens wurde festgestellt, dass sie seit dem 04.11.1985 erwerbsunfähig ist. Die Erwerbsunfähigkeitsrente
wurde mit Bescheid vom 19.08.1986 abgelehnt, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlagen.
Von 1981 bis 1995 arbeitete die Klägerin im landwirtschaftlichen Betrieb ihres Mannes. Die landwirtschaftliche
Alterklasse bescheinigte Beitragszeiten vom 01.06.1980 bis 31.12.1991. Sie stellte zudem die Erwerbsunfähigkeit der
Klägerin mit Wirkung vom 01.01.1992 fest und gewährte ab dem 01.01.1994 einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit
bzw. voller Erwerbsminderung.
Die Beklagte erstellte für die Klägerin am 08.07.2006 eine Renteninformation. Danach steht der Klägerin eine
monatliche Rente von 313,60 EUR zu, wenn sie am 08.07.2006 voll erwerbsgemindert ist. Auf Seite 1 der Information
wird zudem ausgeführt, dass sich auf der Rückseite wichtige Erläuterungen und zusätzliche Informationen befinden.
Dort findet sich u.a. der Hinweis, dass eine Erwerbsminderungsrente auf Antrag grundsätzlich nur gezahlt wird, wenn
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge vorliegen. Der
Renteninformation lag ein Versicherungsverlauf der Klägerin bei, aus dem sich ergibt, dass Pflichtbeiträge für den
Zeitraum zwischen dem 21.06.1976 bis zum 31.07.1986 vorliegen. In der Zeit vom 04.11.1980 bis 03.11.1985 liegen
Pflichtbeitragszeiten von 21 Monaten vor.
Am 05.09.2006 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte
lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19.10.2006 ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht
vorliegen.
Die Klägerin legte dagegen am 02.11.2006 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
19.01.2007 zurückwies.
Am 19.02.2006 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung führt sie aus, die Renteninformation sei verbindlich. Nur wenige Wochen später habe die Klägerin
einen Rentenantrag gestellt. Die Renteninformation enthalten nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Hinweise der
neuen Fassung des 109 SGB VI. Es handele sich bei der Renteninformation um eine Zusicherung.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 19.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2007 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 05.09.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Renteninformation sei kein Verwaltungsakt, sondern eine unverbindliche Auskunft. Es seien die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht geprüft worden, sondern nur die Rentenhöhe. Auch sei die
Renteninformation keine Zusicherung.
Wegen des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug
genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand
der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 19.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2007 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab dem 05.09.2006.
Gemäß § 43 Absatz 2 des Sozialgesetzbuches - Sechstes Buch - (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung
des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in
den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Danach liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nicht vor. Unabhängig davon,
ob der Zeitpunkt der Erwerbsminderung bereits am 04.11.1985 - wie die Beklagte ursprünglich ermittelt hatte- oder
nach den Ermittlungen der Landwirtschaftlichen Alterskasse am 01.01.1992 eingetreten war, erfüllt die Klägerin nicht
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Klägerin hat in
den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeitragszeiten. In der Zeit vom
04.11.1980 bis 03.11.1985 liegen Pflichtbeitragszeiten von lediglich 21 Monaten vor und ab dem 31.07.1986 keine
Pflichtbeitragszeiten mehr.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund der von
der Beklagten übersandten Renteninformation.
Dabei kann hier offenbleiben, ob die Beklagte in der Renteninformation allen in § 109 SGB VI geforderten
Hinweispflichten nachgekommen ist. Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente besteht allein wegen abstrakter
Nichterfüllung der Hinweispflicht nicht. Eine andere Betrachtung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, in § 109
Absatz 4 SGB VI in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung ausdrücklich geregelt war, dass Rentenauskünfte
nicht rechtverbindlich ist, während der Gesetzgeber auf diese Regelung in der Neufassung ab dem 01.01.2004
verzichtet hat. Daraus lässt sich nicht schließen, dass eine Renteninformation grundsätzlich verbindlich ist oder dass
ein Anspruch auf Gewährung einer in der Renteninformation ausgewiesenen Rente grundsätzlich besteht, wenn den
Hinweispflichten nicht genügt wird.
Die Frage, ob aufgrund einer erteilten Renteninformation ein Rentenanspruch begründet wurde, ist anhand des
allgemeinen Verfahrensrechts zu beantworten. Es ist dabei auf den konkreten Einzelfall abzustellen.
Bei der von der Beklagten erstellten Renteninformation handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt gemäß § 31
des Sozialgesetzbuches - Zehnten Buch (SGB X), mit dem unmittelbar eine Rente gewährt wird. Insbesondere hat die
Beklagte keine Reglung getroffen. Eine Regelung liegt vor, wenn eine Maßnahme einer Behörde auf die Herbeiführung
einer verbindlichen Rechtsfolge gerichtet ist, somit durch die Maßnahme ohne weitere Umsetzungsakte Rechte
begründet werden (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.10.1994, 7 KlAr 1/93, BSGE 75, 97, 107; Urteil vom
21.05.1996, 12 RK 67/94, SozR 3-2200 § 306 Nr 2). Eine Regelung setzt voraus, dass die Behörde auch den Willen
hat, verbindlich festzulegen, was für den Einzelnen rechtens sein soll. Dies kennzeichnet den Verwaltungsakt als
verwaltungsrechtliche Willenserklärung (von Wulffen/Engelmann, SGB X, 6. Auflage 2008, § 31 Rdnr. 24). Ob der
Erklärung einer Behörde ein Regelungswille zu entnehmen ist, ist unter entsprechender Anwendung der Grundsätze
über die Auslegung von Willenerklärungen zu ermitteln (von Wulffen/Engelmann, § 31 Rdnr. 25). Maßgeblich ist dabei
nicht, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist, sondern vielmehr der objektive Sinngehalt der Erklärung,
d.h. wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv
verstehen musste (BSG, Urteil vom 17.01.1996, 3 RK 2/95, BSGE 77, 219, 223, m. w. N.; Urteil vom 24.01.1995, 8
RKn 11/93, BSGE 75, 291, 296; Urteil vom 28.06.1990, 4 RA 57/89, BSGE 67, 104, 110). Zu berücksichtigen ist auch
die äußere Form der Maßnahme, wie z. B. die Bezeichnung des Schreiben als "Bescheid" (BSG; Urteil vom
15.05.1963, 6 R Ka 21/60 BSGE 19, 123, 124, m. w. N.).
Hieran gemessen konnte die Klägerin die erteilte Renteninformation nicht als verbindliche Regelung im Sinne einer
Rentengewährung verstehen. Die Beklagte macht unmissverständlich deutlich, dass es sich lediglich um eine
Information handelt. Sie führt weiter aus, dass die Klägerin eine monatliche Rente von 313,60 EUR bekäme, wäre sie
heute wegen gesundheitlicher Einschränkungen voll erwerbsgemindert. Daraus wird deutlich und aus Sicht eines
verständigen Empfängers erkennbar, dass die Beklagte mit der Renteninformation unmittelbar keine
Erwerbsminderungsrente gewähren wollte.
Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente,
weil die Beklagte der Klägerin mit der Renteninformation eine Rentengewährung zugesichert hätte. Bei der
Renteninformation handelt es sich nicht um eine Zusicherung. Gemäß § 34 SGB X liegt eine Zusicherung vor, wenn
eine Behörde die Zusage erteilt, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen. Durch die Abgabe einer
Zusicherung verpflichtet sich die Verwaltung zu einer bestimmten zukünftigen Sachbehandlung (BSG, Urteil vom
08.12.1993, 10 RKg 19/92, SozR 3-1300 § 34 Nr 2, Urteil vom 12.04.1984, 1 RA 27/83, BSGE 56, 249, 251 m. w. N.).
Es handelt sich bei einer Zusicherung um einen Verwaltungsakt mit Verpflichtungswillen, gerichtet auf Erlass oder
Unterlassen eines Verwaltungsaktes (BSG, a.a.O.).
Aus Sicht eines verständigen Empfängers und auch für die Klägerin war erkennbar, dass sich die Beklagte mit dem
Inhalt der Renteninformation nicht verpflichten wollte, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbminderung zu
gewähren, ohne dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Die Beklagte führt zwar auf der
ersten Seite der Information aus, dass die Klägerin eine Erwerbsminderungsrente bekäme, wenn sie voll
erwerbsgemindert wäre. Insoweit konnte die Klägerin davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für die
Rentengewährung bei ihr vorlagen, da sie bereits eine Erwerbsminderungsrente bezog. Dass die Erwerbsminderung
jedoch die einzige Voraussetzung für die Rentengewährung ist, davon konnte die Klägerin aufgrund der
Renteninformation nicht ausgehen. Die Beklagte führt ebenfalls auf Seite 1, noch bevor sie den Rentenbetrag nennt,
aus, dass sich auf der Rückseite weitere wichtige Erläuterungen und zusätzliche Informationen befinden. Dort konnte
die Klägerin entnehmen, dass grundsätzlich eine Erwerbsminderungsrente nur gewährt wird, wenn in den letzten fünf
Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge vorliegen. Daraus wird deutlich, dass
auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen müssen. Dass die Beklagte diese Voraussetzungen
bereits geprüft und für die Klägerin bejaht hätte, ergibt sich aus der Renteninformation eindeutig nicht. Der
Renteninformation liegt lediglich der Versicherungsverlauf bei, aus dem der Versicherte die bei der Beklagten
gespeicherten Versicherungszeiten entnehmen und selbst überprüfen kann.
Die Formulierung, dass nur "grundsätzlich" die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen müssen, konnte
die Klägerin nicht so verstehen, dass die Beklagte ihr eine Erwerbsminderungsrente ohne diese Voraussetzung
gewähren wollte. Die Klägerin hatte bereits am 11.03.1986 einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit gestellt, den die Beklagte wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen abgelehnt
hatte. Anhand des Versicherungsverlaufes, den die Beklagte der Renteninformation beifügte, konnte die Klägerin
eindeutig entnehmen, dass bei ihr diese Voraussetzungen nach wie vor nicht vorliegen. Dass die Beklagte deshalb
einen Ausnahmefall annehmen wollte, lässt sich jedoch daraus nicht schließen, dieses hätte einer eindeutigen
Formulierung bedurft. Vielmehr ist die Erklärung der Beklagten so zu verstehen, dass die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen noch geprüft werden müssen, wenn ein Rentenantrag gestellt wird.
Einer anderen Auslegung ist die Renteninformation auch unter Zugrundelegung des Sinn und Zwecks dieser
Information nach § 109 SGB VI nicht zugänglich. Mit der Neufassung des § 109 SGB VI soll die Transparenz der aus
der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwartenden Leistungen erhöht werden. Der Versicherte soll frühzeitig
informiert werden, um gerade auch den jüngeren Versicherten die Möglichkeit zu geben, Notwendigkeit und Umfang
einer ergänzenden Altersvorsorge besser einschätzen zu können (BT-Drs. 14/4595 S. 50). Zum Zeitpunkt der
Renteninformation war die Klägerin bereits voll erwerbsgemindert und bezog eine Erwerbsminderungsrente von der
Landwirtschaftlichen Alterskasse. Dass sie durch die Renteninformation der Beklagten daran gehindert wurde, weitere
Vorsorgemaßnahmen zu treffen, weil sie davon ausging, auch von der Beklagten eine Rente zu erhalten, erschließt
sich dem Gericht nicht. Überlegungen zur Altervorsorge stellten sich für die Klägerin bereits im Jahr 1994 mit Beginn
des Rentenbezuges. Aufgrund des abgelehnten Rentenantrages durch die Beklagte bereits im Jahr 1986 konnte die
Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Beklagte ihr zukünftig eine Rente gewähren wird, da sich der Sachverhalt,
dem die ursprüngliche Ablehnung zugrunde lag, im Jahr 2006 nicht geändert hatte.
Bei der Renteninformation gemäß § 109 SGB VI handelt es sich vielmehr um eine "Wissenserklärung" (KassKomm-
Polster § 109 SGB VI RdNr 7). Sie erschöpft sich in der Mitteilung des Wissens und unterscheidet sich vom
Verwaltungsakt durch das Fehlen eines Regelungswillens. Rentenansprüche können daraus nicht hergeleitet werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.