Urteil des SozG Berlin vom 02.04.2017

SozG Berlin: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, anhörung, werktag, beweislast, datum, amt, vertreter, quelle, sammlung

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Gericht:
SG Berlin 104.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 104 AS 2272/06 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 SGB 2, § 31 Abs 1 SGB 2, §
31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB
2, § 31 Abs 5 SGB 2, § 31 Abs 6
SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II -
Eingliederungsvereinbarung - Leistungskürzung wegen
Nichterfüllung der Pflichten - Beweislast
Leitsatz
1) Vor der Absenkung des Arbeitslosengeldes II hat eine Anhörung gemäß § 24 SGB 10 zu
erfolgen.
2) Für die Feststellung, ob ein Antragsteller sich geweigert hat, eine in der
Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflicht zu erfüllen, trägt der Träger der
Grundsicherung im Rahmen des § 31 Abs 1 SGB 2 die objektive Beweislast.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 7. März 2006
gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 7. Februar 2006 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens zu erstatten.
Gründe
I. Dem am 28. Juli 1985 geborenen Antragsteller bewilligte die Antragsgegnerin für die
Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 Arbeitslosengeld II (Alg II) in Höhe von
monatlich 483,97 Euro. Die Beteiligten schlossen eine Eingliederungsvereinbarung,
wonach sich der Antragsteller unter anderem verpflichtete, bis zum 30. April 2006
mindestens eine Bewerbung pro Werktag abzusetzen. Anlässlich eines persönlichen
Gesprächs des Antragstellers bei der Antragsgegnerin am 2. Februar 2006 legte der
Antragsteller acht Bewerbungen vor (vgl. Beratungsvermerk der Antragsgegnerin vom 2.
Februar 2006).
Durch die Bescheide vom 7. Februar 2006 senkte die Antragsgegnerin das Alg II unter
Bezugnahme auf die Vorschriften des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b, Abs. 5 und Abs. 6
Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) auf die Leistungen für
Unterkunft und Heizung ab. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid wurde unter
Bezugnahme auf § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungs-verfahren und
Sozialdatenschutz - (SGB X) für die Monate März bis Mai 2006 abgeändert (Höhe der
monatlich zustehenden Leistung insoweit 138,97 Euro). Zur Begründung führte die
Antragsgegnerin an, der Antragsteller habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die in
der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht erfüllt, da er seine
Eigenbemühungen nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen habe.
Gegen diese Bescheide legte der Antragsteller am 7. März 2006 Widerspruch ein.
Am 14. März 2006 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Berlin um vorläufigen
Rechtsschutz nachgesucht. Der Antragsteller führt zur Begründung aus: Die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 1 SGB II würden bereits nicht vorliegen,
denn er habe sich zu keinem Zeitpunkt geweigert, Eigenbemühungen nachzuweisen. Er
habe zahlreiche Bewerbungen für Schulen gefertigt und diese auch nachgewiesen; er sei
erst später darüber aufgeklärt worden, dass Bewerbungen für Schulen für seine
Eigenbemühungen nicht ausreichten. Ab diesem Zeitpunkt habe er auch seine
Eigenbemühungen auf die von der Antragsgegnerin geforderten Bewerbungen erstreckt.
Von einer Weigerung könne also keinesfalls die Rede sein. Auch sei eine Anhörung vor
Erteilung der Bescheide unterlassen worden.
Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 7. März 2006 gegen die Bescheide der
Antragsgegnerin vom 7. Februar 2006 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie erklärt, vorläufiger Rechtsschutz könne nur gewährt werden, wenn ernsthafte Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden. Dies sei hier
nicht der Fall. Bei einem Termin am 2. Februar 2006 habe der Antragsteller nur
unzureichende Bewerbungsbemühungen vorgelegt. Zum einen habe die Anzahl der
Bemühungen nicht der in der Eingliederungsvereinbarung geforderten Zahl entsprochen.
Zum anderen hätten sich die Bewerbungen ausschließlich auf Schulen bezogen. Hierzu
habe der Antragsteller geäußert, er wolle ohnehin seinen Realschulabschluss machen
und der Antragsgegner könne von ihm auch gar nicht verlangen, sich täglich um eine
Arbeitsstelle zu bemühen. Damit habe sich der Antragsteller geweigert, seine in der
Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten, alle Möglichkeiten zu nutzen, um den
eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten sowie eine
Bewerbung pro Werktag zu erstellen, zu erfüllen.
Wegen der Einzelheiten des gegenseitigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den
Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die Leistungsakte der Antragsgegnerin
und die Gerichtsakte lagen der Kammer bei ihrer Entscheidung vor.
II. Der von dem Antragsteller gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 7. Februar
2006 hat Erfolg.
Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung des Aussetzungsinteresses des
Antragstellers gegen das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwog - nach
summarischer Prüfung - das Interesse des Antragstellers. Denn es bestehen auch in der
Hauptsache begründete Erfolgsaussichten. Abgesehen davon, dass der Antragsteller vor
Erlass der Bescheide vom 7. Februar 2006 nicht nach § 24 SGB X angehört worden ist
(auch dem Beratungsvermerk der Antragsgegnerin vom 2. Februar 2006 lässt sich eine
entsprechende Anhörung des Antragstellers nicht entnehmen), lässt sich nämlich nicht
feststellen, dass sich der Antragsteller geweigert hätte, eine in der
Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflicht zu erfüllen (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b
SGB II). Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller gegen die Regelungen
in der Eingliederungsvereinbarung nicht in ausreichendem Maße Eigenbemühungen
nachgewiesen hätte. So ergibt sich aus der in der Leistungsakte der Antragsgegnerin
befindlichen Eingliederungsvereinbarungen, dass der Antragsteller bis zum 30. April
2006 verpflichtet ist, werktäglich jeweils eine Bewerbung abzusetzen. Der
Eingliederungsvereinbarung kann jedoch nicht entnommen werden, ab welchem
konkreten Datum diese Verpflichtung bestehen soll. So ist die
Eingliederungsvereinbarung zwar von dem Antragsteller und dem Vertreter der
Antragsgegnerin unterschrieben worden, das genaue Datum des Vertragsschlusses ist
jedoch nicht festgehalten worden. Auch wenn sich in der Leistungsakte ein undatierter
Bearbeitervermerk findet, wonach der Antragsteller „am 31. Oktober 2005 doch hier im
Amt war“, an diesem Tag die Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen worden sei, ein
Vermerk hierüber jedoch fehle, kann hieraus jedoch noch nicht der sichere Schluss
gezogen werden, dass auch die Eigenbemühungsverpflichtung des Antragstellers am 31.
Oktober 2005 beginnen sollten; entsprechende Hinweise lassen sich jedenfalls dem
Vertragstext der Eingliederungsvereinbarung nicht entnehmen. Da somit der zeitliche
Beginn der Pflichten des Antragstellers aus der Eingliederungsvereinbarung nicht sicher
feststellbar ist, kann auch nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller mit Vorlage
von acht Bewerbungen am 2. Februar 2006 seine Pflicht, sich mindestens einmal
werktäglich zu bewerben, überhaupt verletzt hat. Die aufgezeigten Zweifel über den
genauen zeitlichen Beginn der Pflichten des Antragstellers aus der
Eingliederungsvereinbarung gehen hier zu Lasten der Antragsgegnerin, die im Rahmen
des § 31 Abs. 1 die objektive Beweislast trägt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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