Urteil des SozG Berlin vom 02.04.2017

SozG Berlin: wesentlicher nachteil, zahnarzt, krankenversicherung, druck, krankenkasse, unterlassen, wiederholungsgefahr, glaubhaftmachung, hauptsache, öffentlich

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Gericht:
SG Berlin 83.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 83 KA 745/09 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86b Abs 2 S 2 SGG, § 86b Abs
2 S 4 SGG, § 12 Abs 2 UWG
2004, § 69 SGB 5, § 73c Abs 3 S
1 Nr 3 SGB 5
Sozialgerichtliches Verfahren - einstweiliger Rechtsschutz -
Erlass einer einstweiligen Anordnung - wesentlicher Nachteil -
Unterlassung von Äußerungen der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung gegen einen Selektivvertrag - kein Erlass von
einstweiligen Verfügungen nach § 12 Abs 2 UWG im
sozialgerichtlichen Verfahren
Leitsatz
1. Wesentliche Nachteile im Sinne von § 86b Abs 2 S 2 SGG sind nur solche wirtschaftlicher,
das heißt finanzieller Natur, die nach einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht
wieder ausgeglichen werden können. Deshalb ist die konkrete Darlegung eines
Umsatzrückganges oder gegebenenfalls wirtschaftlicher Nachteile erforderlich: Es bedarf
konkreter und glaubhaft zu machender Ausführungen dazu, welche Folgen die Wiederholung
der Äußerungen der KZV auf den Umsatz und welche Folgen ein etwaiger Umsatzverlust für
den Antragsteller hätte.
2. § 12 Abs 2 UWG ist auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht anwendbar. Denn die
Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die Sozialgerichte sind
in § 86 b Abs 2 SGG geregelt, wonach - wie sich aus dem Verweis des § 86 b Abs 2 S 3 SGG
auf § 920 Abs 2 ZPO ergibt - Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zwingend glaubhaft
zu machen sind. Befreiungstatbestände enthält das SGG nicht.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 10.000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist als Managementgesellschaft gemäß § 73 c Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB
V tätig. Sie schloss mit der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), einer
gesetzlichen Krankenkasse, einen als „Selektivvertrag über besondere zahnärztliche
Versorgungsmaßnahmen professionelle Zahnreinigung (PZR), implantologische
Maßnahmen und Zahnersatzleistungen nach § 73c Abs. 3 SGB V“ bezeichneten Vertrag.
Die Antragstellerin verpflichtet sich in dem Vertrag, eine bundesweite Versorgung der
teilnehmenden Versicherten durch eigene vertragliche Bindung mit mindestens 200
Leistungserbringern zu gewährleisten und die Durchführung der Versorgung zu
gewährleisten (§ 4 Abs. 1 des Vertrags). Zur Aufgabe der Antragstellerin gehört auch die
Akquise neuer teilnehmender Leistungserbringer (§ 4 Abs. 2 Buchst. b des Vertrags). In
dem zwischen der Antragstellerin und den Leistungserbringern abzuschließenden
Vertrag ist in § 4 Abs. 1 geregelt, dass der Zahnarzt mit der Erbringung/Beschaffung der
zahntechnischen Leistungen innerhalb dieses Vertrags ausschließlich die von der
Antragstellerin genannten zahntechnischen Labore beauftragen darf und dass bis auf
weiteres ausschließlich die I…. GmbH zu beauftragen ist. Diese ist laut
Handelsregisterauszug des Amtsgerichts E vom … 2009 herrschendes Unternehmen
und laut Auskunft der Creditreform E vom … 2009 Alleingesellschafterin der
Antragstellerin.
Die Antragsgegnerin, eine Kassenzahnärztliche Vereinigung nach § 77 Abs. 1 S. 1 SGB
V, fügte einem Rundschreiben an ihre Mitglieder eine „Sonderinformation
Selektivverträge“ bei, in der sie sich mit dem Selektivvertrag zwischen der
Antragstellerin und der DAK auseinandersetzt und aus ihrer Sicht nachteilige
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Antragstellerin und der DAK auseinandersetzt und aus ihrer Sicht nachteilige
Regelungen benennt. Darin heißt es unter anderem:
„Viele Kollegen, die im …-net mit … zusammen arbeiten müssen, beklagen die
Qualität der Zahntechnik. Sie werden zudem unter Druck gesetzt, diese Arbeiten wider
besseres Wissens einzugliedern und machen sich dergestalt schnell zu besseren
„Laborangestellten“!“
„Nach Ansicht des Vorstandes der KZV Berlin gibt es bei vernünftiger Abwägung
aller Fakten deshalb keinen Grund, diesem für den Zahnarzt ausschließlich nachteiligen
Knebelvertrag beizutreten.“
Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27. Oktober 2009 ab
und forderte sie auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Dies lehnte die
Antragsgegnerin mit Schreiben vom 4. November 2009 ab.
Die Antragstellerin hat daraufhin am 17. November 2009 den Erlass einer einstweiligen
Anordnung beantragt. Sie hält die Äußerungen für unzulässig. Sie konkurriere mit der
Antragsgegnerin um die Vertragszahnärzte, so dass zwischen den Beteiligten ein
sozialrechtliches Wettbewerbsverhältnis vorliege. Es bestehe erhebliche
Wiederholungsgefahr.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es
zukünftig zu unterlassen,
a) den zwischen ihr und der Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK)
abgeschlossenen „Selektivvertrag über besondere zahnärztliche
Versorgungsmaßnahmen professionelle Zahnreinigung (PZR), implantologische
Maßnahmen und Zahnersatzleistungen“ oder die zwischen der Antragstellerin und an
diesem Selektivvertrag teilnehmenden Zahnärzten abgeschlossenen Verträge als „für
den Zahnarzt ausschließlich nachteilige Knebelverträge“ oder „Knebelverträge“ zu
bezeichnen,
b) zu behaupten, viele Zahnärzte, die im Rahmen des zwischen der
Antragstellerin und der DAK abgeschlossenen „Selektivvertrags über besondere
zahnärztliche Versorgungsmaßnahmen professionelle Zahnreinigung (PZR),
implantologische Maßnahmen und Zahnersatzleistungen“ teilnehmen, seien in diesem
Rahmen mit der Qualität der Zahntechnik unzufrieden und/oder würden unter Druck
gesetzt, diese Arbeiten wider besseren Wissens einzugliedern.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hält sich im Rahmen ihrer Aufgaben nach § 75 SGB V für berechtigt, ihre Mitglieder
über den Inhalt des Selektivvertrags aufzuklären und den Vertrag – auch mit
einprägsamen und deutlichen Formulierungen – zu kritisieren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der
Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Sozialrechtsweg ist gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG eröffnet. Danach entscheiden
die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in
Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese
Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Das Rechtsverhältnis der Beteiligten
entstammt den Regelungen des SGB V, namentlich der §§ 69, 73 c Abs. 1 Nr. 3, 75 Abs.
2 S. 1 und 77 SGB V, und damit dem Recht zur Regelung der gesetzlichen
Krankenversicherung. Ob der Rechtsstreit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher
Natur ist, kann offen bleiben, denn gem. § 51 Abs. 2 S. 1 SGG entscheiden die Gerichte
der Sozialgerichtsbarkeit auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten
der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit dadurch Dritte betroffen werden.
Das SG Berlin ist für die Entscheidung örtlich zuständig, weil es Gericht der Hauptsache
ist (§ 86 b Abs. 2 S. 1 SGG). Gemäß § 57 a Abs. 2 SGG ist in anderen – als den in § 57a
Abs. 1 SGG genannten – Vertragsarztangelegenheiten das Sozialgericht zuständig, in
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Abs. 1 SGG genannten – Vertragsarztangelegenheiten das Sozialgericht zuständig, in
dessen Bezirk die Kassenärztliche Vereinigung oder die Kassenzahnärztliche Vereinigung
ihren Sitz hat. Vorliegend handelt es sich um eine Vertragsarztangelegenheit. § 10 Abs.
2 SGG definiert Streitigkeiten des Vertragsarztsrechts als Streitigkeiten aufgrund der
Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten, Psychotherapeuten,
Vertragszahnärzten einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände. Vorliegend ist mit
der Antragsgegnerin eine Vereinigung von Vertragszahnärzten als Hauptbeteiligte von
dem Verfahren betroffen. Dies reicht zur Bejahung einer vertragsärztlichen
Angelegenheit aus. Die Antragsgegnerin hat ihren Sitz in Berlin.
Gem. § 124 Abs. 3 SGG können Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind,
ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Bezug auf
den vorliegenden Beschluss des Gerichts ist weder im Allgemeinen (§ 142 SGG) noch im
Besonderen (§ 86 b Abs. 4 SGG) bestimmt, dass eine mündliche Verhandlung
durchzuführen ist. Die Kammer sieht entgegen der Anregung der Antragsgegnerin von
der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab, weil es zur Entscheidung über den
Antrag auf eine Bewertung der Rechtmäßigkeit der Äußerungen nicht ankommt (hierzu
sogleich) und eine diesbezügliche Erörterung mit den Beteiligten nicht erforderlich ist.
2. Statthafte Antragsart ist der gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG, weil die Antragstellerin den Erlass einer
Regelungsanordnung, nämlich ein zukünftiges Unterlassen begehrt (LSG Baden-
Württemberg, Beschluss vom 2. November 2009, -L 11 KR 3727/09-, zit. n. juris, Rn. 54
zu dem Begehren, eine bestimmte Äußerung zukünftig zu unterlassen). Nach der
genannten Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung
erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Ein Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im
Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit
der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 4 SGG i.V.m.
§ 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat allerdings keine wesentlichen Nachteile für den Fall der
Wiederholung der streitgegenständlichen Äußerungen vorgetragen, geschweige denn
glaubhaft gemacht. Das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr alleine begründet in der
vorliegenden Fallkonstellation noch keinen Anordnungsgrund (LSG Baden-Württemberg,
a.a.O., Rn. 55). Zur Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs gegen das für
rechtswidrig erachtete Verhalten kann der Antragstellerin grundsätzlich die Klärung der
streitigen Fragen in einem Hauptsacheverfahren zugemutet werden. Wesentliche
Nachteile i.S.d. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind nur solche wirtschaftlicher, das heißt
finanzieller Natur, die nach einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht wieder
ausgeglichen werden können. Anderenfalls würde jede etwaige Rechtsverletzung einen
Anordnungsgrund erfüllen, mithin zu einer konturenlosen Ausuferung des einstweiligen
Rechtsschutzes führen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2008, -L 11 B
6/08 KR ER-, zit. n. juris, Rn. 32 m.w.N.). Deshalb ist die konkrete Darlegung eines
Umsatzrückganges oder ggf. entsprechender wirtschaftlicher Nachteile erforderlich. Es
bedarf also im Einzelnen konkreter und glaubhaft zu machender Ausführungen dazu,
welche Folgen die Wiederholung der Äußerungen der Antragsgegnerin auf den Umsatz
und welche Folgen ein etwaiger Umsatzverlust für die Antragstellerin hätte.
Die Antragstellerin hat sich bezüglich des Anordnungsgrundes darauf beschränkt
vorzutragen, dass die Äußerungen sie in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb verletzten und erhebliche Wiederholungsgefahr bestehe, weil sich die
Vertreterversammlung der Antragsgegnerin in einer Resolution vom 24. Oktober 2009
bereits in ähnlicher Richtung geäußert habe. Andere Kassenzähnärztliche Vereinigungen
und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung versuchten ebenfalls, den zwischen ihr
– der Antragstellerin – und der DAK abgeschlossenen Vertrag zu diskreditieren. Auch
würden KZVen perfiden Druck auf teilnehmende Zahnärzte ausüben. Unabhängig
davon, dass die Antragstellerin zur Begründung der Eilbedürftigkeit weder Rechte noch
etwaige Verhaltensweisen Dritter geltend machen kann, hat sie zu einer wirtschaftlichen
Beeinträchtigung nichts vorgetragen und auch keine Fälle genannt, in denen
Vertragszahnärzte ihre Teilnahme am Selektivvertrag aufgrund der Äußerung beendigt
oder von der beabsichtigten Teilnahme an dem Selektivvertrag Abstand genommen
hätten.
Auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes kann auch nicht gemäß § 12 Abs.
2 UWG verzichtet werden. Danach können zur Sicherung der im UWG bezeichneten
Unterlassungsansprüche einstweilige Verfügungen auch ohne Darlegung und
Glaubhaftmachung der in §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen
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Glaubhaftmachung der in §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen
werden. Die Vorschrift ist auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht anwendbar, selbst
wenn man mit der Antragstellerin davon ausgehen wollte, dass im Hinblick auf die
Leistungserbringung durch die Vertragszahnärzte im Rahmen des Selektivertrags
einerseits und der Regelversorgung andererseits zwischen den Beteiligten ein
Wettbewerbsverhältnis bestünde. Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung durch die Sozialgerichte sind in § 86 b Abs. 2 SGG geregelt,
wonach – wie sich aus dem Verweis des § 86 b Abs. 2 S. 3 SGG auf § 920 Abs. 2 ZPO
ergibt – Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zwingend glaubhaft zu machen
sind. Befreiungstatbestände enthält das SGG nicht. Auch § 12 Abs. 2 UWG beinhaltet
keine Ausnahmeregelung für das sozialgerichtliche Verfahren, sondern verweist allein
auf die Vorschriften für den Zivilprozess. Für eine entsprechende Anwendung ist
angesichts dieser gesetzlichen Vorgaben kein Raum. Auch gibt es keinen Grund,
bestimmte Antragsteller im sozialgerichtlichen Verfahren zu privilegieren. Schließlich
trifft § 69 SGB V eine Werteentscheidung, die generell die Anwendung der Vorschriften
des UWG und überwiegend des GWB ausschließt, und zwar auch dann, wenn durch die
aufgrund gesetzlicher Vorschriften des SGB V angebotenen Leistungen an Versicherte
Dritte betroffen sind (LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O., Rn. 30, unter Bezugnahme aus
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Mai 2008, -L 5 B 8/08 KR ER; ebenso LSG
Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 54). Diese Werteentscheidung ist erst Recht auf das
vorliegende Rechtsverhältnis zu übertragen, in dem kein Dritter beteiligt ist, sondern
beide Beteiligte ihre Aufgaben und Rechte aus dem vierten Kapitel des SGB V herleiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 197a SGG, 154
Abs. 1 VwGO. Der Streitwertbeschluss beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 53
Nr. 4, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Mangels Angaben der Antragstellerin oder anderweitiger
Anhaltspunkte zur Bestimmung ihres wirtschaftlichen Interesses ist für jede der
streitgegenständlichen Äußerungen der Regelstreitwert von 5.000,- € anzusetzen.
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