Urteil des SozG Berlin vom 20.12.2000
SozG Berlin: rente, fehlerhafte rechtsmittelbelehrung, gerichtsakte, erwerbsfähigkeit, widerspruchsverfahren, datum, abschlag, link, anfang, quelle
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Gericht:
SG Berlin 26.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 26 R 742/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 43 SGB 6 vom 20.12.2000, §
59 Abs 2 S 2 SGB 6 vom
20.12.2000, § 59 Abs 3 SGB 6
vom 18.12.1989, § 63 Abs 5
SGB 6 vom 20.12.2000, § 64
SGB 6
Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres -
Rentenabschlag
Tatbestand
Aufgrund eines Antrages der Klägerin vom 26. Juli 2002 auf Gewährung einer Rente
wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gewährte die Beklagte der am 24.
Februar 1952 geborenen Klägerin nach zunächst ablehnender Entscheidung, erfolglos
geführtem Widerspruchsverfahren und am 19. September 2003 erstmals erhobener
Klage aufgrund angenommenen Anerkenntnisses vom 09. Dezember 2004 eine Rente
wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01. November 2004 bis zum 31.
Dezember 2005. Ausweislich der Anlage 6 zum Rentenbescheid wurde der für die
gewährte Rente grundsätzlich 1,0 betragende Zugangsfaktor um insgesamt 10,8 %
gemindert (entsprechend 0,3 % für jeden Kalendermonat nach dem 29. Februar 2012
bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres der Klägerin).
Aufgrund eines hiergegen am 18. Mai 2005 erhobenen Widerspruches, mit dem die
fehlende Berücksichtigung von versicherungsrechtlichen Zeiten gerügt wurde, erging ein
Neufeststellungsbescheid der Beklagten mit Datum vom 13. Juli 2005. Auf einen
Weitergewährungsantrag vom 02. September 2005 gewährte die Beklagte der Klägerin
die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Dezember 2005 hinaus bis
einschließlich dem 31. Dezember 2006 mit Bescheid vom 10. Oktober 2005. Auf
erneuten Weitergewährungsantrag vom 04. September 2006 wurde der Klägerin zuletzt
mit Bescheid vom 19. September 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung über den
31. Dezember 2006 bis zum 31. Dezember 2008 gewährt. Die Klägerin erhob mit
Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 26. September 2006, eingegangen bei der
Beklagten am 28. September 2006, Widerspruch "gegen den Bescheid vom 19.
September 2006". Darüber hinaus beantragte sie mit gleichem Schreiben, die
Überprüfung und Abänderung der Bescheide vom 15. April 2005 und 13. Juli 2005 gemäß
§ 44 Sozialgesetzbuch X (SGB X). Zur Begründung verwies sie auf die Entscheidung des
Bundessozialgerichtes (BSG) vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 22/05 –. In der Folge erging ein
Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2006, dessen Verfügungssatz lautete: "Ihrem
Antrag auf Überprüfung der Bescheide vom 15. April 2005 und 13. Juli 2005 kann nicht
entsprochen werden". In der Rechtsmittelbelehrung wurde mitgeteilt, dass "dieser
Bescheid ... nach § 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des
Widerspruchsverfahrens" werde. Zuletzt erging mit Datum 27. Dezember 2006 ein
Widerspruchsbescheid der Beklagten, der Bezug nehmend auf den Widerspruch der
Klägerin gegen "den Bescheid vom 19. September 2006", den Widerspruch der Klägerin
zurückwies. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der begehrten Rückgängigmachung
der Kürzung des Zugangsfaktors aufgrund des Urteils des BSG vom 16. Mai 2006 nicht
entsprochen werden könne.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 24. Januar 2007 Klage
"wegen Gewährung einer Rente" erhoben und angekündigt, beantragen zu wollen,
den Bescheid vom 19.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
27.12.2006 aufzuheben,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.04.2005 und 13.07.2005
zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Kürzung
wegen vorzeitiger Inanspruchnahme nach § 77 SGB VI (10,8 &) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Begründung wird Bezug genommen auf den Inhalt des Schriftsatzes der
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Wegen der Begründung wird Bezug genommen auf den Inhalt des Schriftsatzes der
Beklagten vom 06. Februar 2007.
Das Gericht hat die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen. Darüber hinaus hat es
die Einwilligung der Beteiligten zu einer Entscheidung über den Rechtsstreit im
schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG eingeholt (Bl. 49 und 50 der
Gerichtsakte). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakten der
Beklagten, die bei der Entscheidung des Gerichtes vorlagen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsstreit gemäß § 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit
dieser Verfahrensweise erklärt haben (Klägerin: Bl. 63 Gerichtsakte; Beklagte: Bl. 9
Gerichtsakte).
Der mit der Klageschrift vom 24. Januar 2007 formulierte Klageantrag der Klägerin war
dahingehend auszulegen, dass die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur
Gewährung einer höheren Rente unter Zugrundelegung eines – ungekürzten –
Zugangsfaktors von 1,0 in dem Zeitraum vom 01. Januar 2007 bis zum 31. Dezember
2008 begehrt. Dies folgt daraus, dass der im Klageantrag genannte Bescheid vom 19.
September 2006 der Klägerin Rentenleistungen für den genannten Zeitraum zuerkannt
hat und auch der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2006 die
Entscheidung über den Widerspruch gegen den vorgenannten Bescheid zum
Gegenstand hatte. Demgegenüber befasste sich die Beklagte mit der Frage der
Überprüfung der gleichfalls im Klageantrag genannten Bescheide vom 15. April 2005 und
13. Juli 2005 in seinem Bescheid vom 24. Oktober 2006, wobei sich der
Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2006 entgegen der – fehlerhaften –
Rechtsmittelbelehrung im Überprüfungsbescheid vom 24. Oktober 2006 mit diesem in
keinster Weise befasste, sondern, wie bereits klargestellt, lediglich mit dem Widerspruch
der Klägerin vom 28. September 2006 gegen den Rentenbescheid vom 19. September
2006. Würde demgegenüber der Klageantrag dahin gehend ausgelegt werden, dass sich
die Klägerin mit ihrer Klage gegen die Überprüfungsentscheidung vom 24. Oktober 2006
gewandt hätte, wäre die Klage als unzulässig abzuweisen, da weder die Klägerin –
möglicherweise vertrauend auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung im Bescheid vom
24. Oktober 2006 – bisher Widerspruch gegen diese Entscheidung erhoben hat, noch
demzufolge ein Widerspruchsverfahren hierüber durchgeführt worden ist und auch ein
entsprechender Widerspruchsbescheid seitens der Beklagten nicht ergangen ist. Zuletzt
ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass der Bescheid vom 24. Oktober 2006
entgegen der Rechtsmittelbelehrung nicht gemäß § 86 SGG Gegenstand des durch den
Widerspruch vom 28. September 2006 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens geworden
ist, da mit diesem Bescheid der Bescheid der Beklagten vom 19. September 2006 weder
abgeändert noch ersetzt worden ist.
Die Klage ist unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 19. September 2006
sowie der Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2006 rechtmäßig sind und die
Klägerin insofern nicht in ihrem Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente,
insbesondere unter Zugrundelegung eines abschlagsfreien Zugangsfaktors im Sinne
des § 77 SGB VI verletzt.
Gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn
1. die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen
Entgeltpunkte,
2. den Rentenartfaktor und
3. der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Dabei bestimmt § 77
Abs. 1 SGB VI, dass sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei
Rentenbeginn richtet und in welchem Umfange Entgeltpunkte (hierzu § 66 SGB VI) bei
der Ermittlung des Monatsbetrages der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu
berücksichtigen sind. Insofern regelt § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, dass der
Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen
Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des
Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten
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Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten
maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, 1,0 beträgt, während in Nr. 3 der
Regelung bestimmt wird, dass dieser bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der
Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 (d. h. 0,3 %)
niedriger als 1,0 ist. Zuletzt bestimmen § 77 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI, dass in dem
Falle, dass eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60.
Lebensjahres beginnt, die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des
Zugangsfaktors maßgebend ist, wobei die Zeit des Bezuges der Rente vor Vollendung
des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme
gilt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin und der des 4. Senats des BSG in der zitierten
Entscheidung vom 16. Mai 2006, die vom Bevollmächtigten der Klägerin in Bezug
genommen wird, konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass die Beklagte die Zahl
der persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin in vorschriftsmäßiger Weise, d. h. unter
Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 0,898 in zutreffender Weise ermittelt hat.
Wegen der Begründung wird zunächst Bezug genommen auf die Begründungen der
angegriffenen Entscheidungen der Beklagten, denen das Gericht voll umfänglich folgt (§
136 Abs. 3 SGG). Darüber hinaus wird verwiesen auf die Entscheidungsgründe des
Sozialgerichts Aachen vom 09. Februar 2007 (veröffentlicht in Juris) – S 8 R 9606 –, in
denen sich die Kammer ausführlich und in überzeugender Weise mit den Ausführungen
des 4. Senates auseinander gesetzt hat. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass der
Gesetzgeber ausweislich der Materialien des Gesetzes zur Anpassung der
Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der
Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV- Altersgrenz- und
Anpassungsgesetz) vom 20. April 2007, BGBl I S. 554 genau die von der Beklagten
vorgenommene Vorgehensweise von Anfang an beabsichtigt hatte, d. h., dass ein
Abschlag bei den Erwerbsminderungsrenten in Höhe von 10,8 % "entgegen (der)
Entscheidung des 4. Senates des BSG (Urteil vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 22/05 R) in
allen Fällen vorzunehmen (ist), in denen die Rente mit oder vor Vollendung des (60.)
Lebensjahres beginnt, also auch dann, wenn die Rente in jungen Jahren in Anspruch
genommen wird" (BT-Ds 16/3794, S. 35, 36 zu Nr. 23 (§ 77)).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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