Urteil des SozG Berlin vom 16.12.2009

SozG Berlin: ablauf der frist, stationäre behandlung, verweigerung der leistung, angemessene frist, medikamentöse behandlung, krankenkasse, klinik, migräne, rehabilitation, krankenversicherung

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Gericht:
SG Berlin 112.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 112 KR 1664/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB 5, § 13
Abs 3 S 2 SGB 5, § 14 Abs 2
SGB 9, § 15 Abs 1 S 3 SGB 9
Krankenversicherung - kein Kostenerstattungsanspruch für
selbst beschaffte stationäre Behandlung - Ablehnung durch
Krankenkasse - Hinweis auf Zuständigkeit des
Rentenversicherungsträgers für Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation
Leitsatz
Als Ablehnung i.S. von § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB 5 kommt jedes einer formellen Entscheidung
entsprechende rechtliche oder tatsächliche Verhalten in Betracht, das ursächlich für den
Zwang zur Selbstbeschaffung ist (hier für Weiterleitungsschreiben an Reha-Träger verneint).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Erstattung von 2.835 €. Diesen Betrag hat die Klägerin für
eine Ende 2006 durchgeführte Behandlung in der Migräne-Klinik K… GmbH & Co. KG
aufgewendet.
Die 1973 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet seit Jahren
an Migräne und Spannungskopfschmerzen. Die medikamentöse Behandlung dieser
Krankheiten hatte ein analgetikainduziertes Dauerkopfschmerzsyndrom zur Folge. Im
Frühjahr 2004 ließ sich die Klägerin auf eigene Kosten in der Migräne-Klinik K…. stationär
behandeln. Auf den hierüber erstellten Arztbrief wird verwiesen.
Am 13. Oktober 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine stationäre
Behandlungsmaßnahme in der Migräne-Klinik K…. . Sie fügte u. a. eine Bescheinigung
des Vertragsarztes Dr. B bei, der gleichzeitig (einer der) Geschäftsführer der Klinik ist. In
dessen ambulante Spezialsprechstunde hatte sich die Klägerin zwei Tage zuvor
begeben. Die Beklagte teilte der Klägerin unter dem 18. Oktober 2006 mit, sie habe die
Unterlagen zuständigkeitshalber an den (beigeladenen) Rentenversicherungsträger
weitergeleitet, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne der
Rentenversicherung erfüllt seien. Nachdem die Klägerin anforderungsgemäß die ihr
übersandten Antragsvordrucke zurückgesandt hatte, lehnte die Beigeladene durch
bindend gewordenen Bescheid vom 16. November 2006 den Antrag „auf Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation“ ab. Ein Rehabilitationsbedarf liege nicht vor. Bei den
vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei eine akutstationäre Behandlung
erforderlich.
Bereits Anfang November 2006 hatte sich die Klägerin mittels eines von der Klinik
verwendeten Formulars zur stationären Migräne-Therapie angemeldet. Unter dem 3.
November 2006 bestätigte die Klinik als verbindlichen Aufnahmetermin den 10.
November 2006. Für die bis zum 18. November 2006 sowie – nach einer Unterbrechung
– vom 28. November bis 12. Dezember 2006 durchgeführte Behandlung zahlte die
Klägerin drei Wochenpauschalen á 945 €, insgesamt 2.835 €. Auf den Bericht
(„Arztbrief“) der Klinikärzte vom 21. Dezember 2006 wird verwiesen.
Unmittelbar nach der Entlassung wandte sich die Klägerin nochmals an die Beklagte. Die
Weiterleitung des Antrages an den Rentenversicherungsträger sei ihr unverständlich. Sie
habe sich die dringend erforderliche stationäre Behandlung zwischenzeitlich selbst
beschafft und erwarte die Erstattung des Rechnungsbetrages. Die Beklagte holte eine
Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, der
einen Rehabilitationsbedarf gemäß § 40 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche
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einen Rehabilitationsbedarf gemäß § 40 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche
Krankenversicherung – (SGB V) bejahte. Mit Bescheid vom 3. Januar 2007 lehnte die
Beklagte eine Kostenerstattung unter Hinweis auf die Zuständigkeit des
Rentenversicherungsträgers für Maßnahmen zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der
Erwerbsfähigkeit ab. Auf den Widerspruch der Klägerin wandte sich die Beklagte
nochmals an den MDK (Stellungnahme vom 6. März 2007) und wies den Rechtsbehelf
schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2007 zurück.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Erstattungsbegehren weiter. Sie trägt vor: Die
Beklagte habe den Leistungsantrag in rechtswidriger Weise an die Beigeladene
weitergeleitet und damit der Sache nach – zu Unrecht – die Übernahme der Kosten für
eine medizinische Heilbehandlung abgelehnt. Die Behandlung in der Migräne-Klinik sei
keine medizinische Leistung zur Rehabilitation, sondern eine Krankenhausbehandlung.
Damit sei die Beklagte zuständiger Träger. Sie habe es im Übrigen vorwerfbar
unterlassen, eine nachvollziehbare Begründung für die Weiterleitung des Antrages zu
geben. Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf die Klageschrift vom 24.
Mai 2007 sowie die Schriftsätze vom 26. Juli 2007 und 6. Februar 2008 nebst Anlagen K 1
bis K 8 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24. April 2007 aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise die
Beigeladene, zu verurteilen, ihr (der Klägerin) 2.835 € zu erstatten.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen, die sie für unbegründet halten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und zur Ergänzung des
Sachverhalts wird schließlich Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der die
Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen, die
vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat weder gegen die Beklagte noch gegen die Beigeladene einen Anspruch
auf Erstattung von 2.835 €.
Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung bei Nichtleistung der Krankenkasse
gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt (dazu unter a). Die Klägerin kann
Erstattung der ihr entstandenen Kosten auch nicht nach Maßgabe des § 13 Abs. 3 Satz
2 SGB V verlangen, und zwar weder von der Beklagten (dazu unter b) noch von der
Beigeladenen (dazu unter c).
a) § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare
Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und
sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind
diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung
notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Die Klägerin kann den erhobenen Anspruch nicht auf die erste Tatbestandsalternative
des Satzes 1 a. a. O. stützen. Mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen
Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung kann der Kostenerstattungsanspruch nur
begründet werden, wenn es dem Versicherten aus medizinischen oder anderen Gründen
nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse
einzuschalten (Bundessozialgericht , Urteil vom 25. September 2000, B 1 KR
5/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16). So lag es hier nicht. Die Klägerin konnte,
nachdem sie sich bereits am 11. Oktober 2006 in die ambulante Spezialsprechstunde
des Dr. B begeben hatte, die schließlich ab 10. November 2006 in Anspruch
genommene Behandlung zumindest über einige Wochen hinweg planen und wandte sich
in diesem Rahmen auch an die Beklagte. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass die
Klägerin die Behandlung aus eigenem Entschluss für eine gute Woche unterbrochen hat.
Die Beklagte hat die in Rede stehende Leistung nicht im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1
Regelung 2 SGB V zu Unrecht abgelehnt. Eine rechtswidrige Ablehnung in diesem Sinne
liegt vor, wenn die Kasse eine vom Versicherten beantragte und ihm rechtlich
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liegt vor, wenn die Kasse eine vom Versicherten beantragte und ihm rechtlich
zustehende Leistung (Primäranspruch) objektiv rechtswidrig verweigert. Typischerweise
verweigert die vom Versicherten angegangene Krankenkasse eine Leistung durch
formellen Ablehnungsbescheid („abgelehnt“). Hinreichend deutliche Versagungen
können aber bereits in (einfachen) Schreiben (ohne Rechtsmittelbelehrung) der Kasse
enthalten sein, die einem förmlichen Bescheid vorausgehen (BSG, Urteil vom 24.
September 1996 - 1 RK 33/95 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 11). In erweiternder Auslegung hält
das Gericht darüber hinaus jedes einer formellen Entscheidung entsprechende rechtliche
oder tatsächliche Verhalten für ausreichend, das ursächlich für den Zwang zur
Selbstbeschaffung ist (vgl. Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rn. 52). Darunter fallen
auch Beratungsfehler. Hiervon ausgehend kann das Schreiben der Beklagten vom 18.
Oktober 2006 nicht als Ablehnung der begehrten Leistung verstanden werden. Die
Beklagte hat darin zwar auf die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers
hingewiesen und also (mittelbar) ihre eigene Zuständigkeit verneint. Eine Entscheidung
im Sinne einer die Klägerin zur Selbstbeschaffung zwingenden Verweigerung der
Leistung hat die Beklagte damit aber nicht getroffen. Für den Empfänger des
Weiterleitungsschreibens ist nach dessen Wortlaut klar, dass eine Entscheidung über den
Kostenübernahmeantrag erst noch getroffen werden wird. Auch die Klägerin hat das
Schreiben vom 18. Oktober 2006 offenbar so verstanden wie ihre Mitwirkung in dem von
der Beigeladenen fortgeführten Verfahren zeigt.
b) Die Voraussetzungen von § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V i. V. m. § 15 Abs. 1
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen –
(SGB IX) sind nicht erfüllt. Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V werden die Kosten für selbst
beschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem SGB IX nach § 15 SGB
IX erstattet. § 15 Abs. 1 SGB IX bestimmt: Kann über den Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe nicht innerhalb der in § 14 Abs. 2 genannten Fristen entschieden werden, teilt
der Rehabilitationsträger dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe
rechtzeitig mit. Erfolgt die Mitteilung nicht oder liegt ein zureichender Grund nicht vor,
können Leistungsberechtigte dem Rehabilitationsträger eine angemessene Frist setzen
und dabei erklären, dass sie sich nach Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst
beschaffen. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche
Leistung selbst, ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der
Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen
verpflichtet. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine
unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Zwar ist der Anwendungsbereich des § 15 SGB IX eröffnet, da es sich bei der in Rede
stehenden Maßnahme um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation handelt. Die
weiteren Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch aus § 15 Abs. 1 SGB IX sind
jedoch nicht erfüllt. Was die – § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nachgebildete – Regelung in § 15
Abs. 1 Satz 4 SGB IX angeht fehlt es an dem (auch) insoweit erforderlichen
Ursachenzusammenhang. Hier kann auf die Ausführungen zu § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V
verwiesen werden. Die Klägerin kann den Erstattungsanspruch auch nicht mit Erfolg auf §
15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX stützen. Sie hat der Beklagten schon keine Frist im Sinne von §
15 Abs. 1 Satz 2 SGB IX gesetzt. Ferner ist das weitere Erfordernis, vor der
Selbstbeschaffung den Ablauf der Frist abgewartet zu haben, nicht gegeben.
c) Aus den zuletzt genannten Gründen steht der Klägerin auch der hilfsweise gegen den
beigeladenen Rentenversicherungsträger erhobene Erstattungsanspruch nicht zu. Einer
– nach Maßgabe des § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) möglichen – Verurteilung
der Beigeladenen steht zudem deren bindende Ablehnung durch den Bescheid vom 16.
November 2006 entgegen (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Aufl. 2008, §
75, Rn. 18b m. w. N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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