Urteil des SozG Berlin vom 29.03.2017

SozG Berlin: örtliche zuständigkeit, sozialhilfe, aufenthalt, wohnung, therapie, link, sammlung, quelle, antritt, auflage

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Gericht:
SG Berlin 38.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 38 SO 4223/05 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 68 Abs 1 S 1 SGB 12, § 98 Abs
2 S 1 SGB 12, § 98 Abs 2 S 2
SGB 12, § 98 Abs 5 SGB 12
Sozialhilfe - örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers -
Wechsel des Aufenthaltsortes
Leitsatz
§ 98 Abs 5 SGB 12 ist so auszulegen, dass der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, der
für die konkrete Lebenssituation, in der sich der Hilfesuchende zuvor befunden hat, Sozialhilfe
hätte leisten müssen, wenn dieser seinen Bedarf nicht selbst oder durch andere hätte decken
können (hypothetische Betrachtungsweise).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin vom 4. August 2005,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für
die Maßnahme des betreuten Wohnens im Ambulanten Zentrum ab dem 8. August
2005 zu übernehmen,
hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs
nicht mit der hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, die eine Vorwegnahme der
Hauptsache rechtfertigen würde (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Gemäß § 67 Satz 1 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit
sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser
Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Nach §
68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII umfassen diese Leistungen alle Maßnahmen, die notwendig
sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre
Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere Beratung und persönliche Betreuung für
die Leistungsberechtigten und ihre Angehörigen, Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und
Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung
einer Wohnung.
Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist für die Gewährung von Sozialhilfe der Träger der
Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich
aufhalten. Für stationäre Leistungen ist gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII der Träger der
Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren
gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in
den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt haben. Waren bei Einsetzen der
Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im vorgenannten Sinne in
eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt
nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der
für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (§ 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII).
Für die Leistungen an Personen, die Leistungen in Formen ambulanter betreuter
Wohnmöglichkeiten erhalten, bleibt der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor
Eintritt in diese Wohnform zuletzt örtlich zuständig war (§ 98 Abs. 5 SGB XII).
Ausgehend hiervon besteht bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur
möglichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung kein Anspruch auf die
begehrten Leistungen gegenüber dem Antragsgegner. Zwar begehrt die Antragstellerin
die Übernahme von Kosten für Maßnahmen nach den §§ 67 ff. SGB XII (betreutes
Wohnen), deren Notwendigkeit zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht. Der
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Wohnen), deren Notwendigkeit zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht. Der
Antragsgegner ist jedoch für die Antragstellerin nicht zuständig.
Die Antragstellerin, die bis zum 18. Oktober 2004 in C. in ihrer Wohnung wohnte und
diese Wohnung kurz nach Antritt einer stationären Therapie im Zentrum T. (B.) vom 18.
Oktober 2004 bis 8. August 2005 aufgab, begehrt die Übernahme der Kosten für
ambulantes betreutes Wohnen und damit für eine Maßnahme im Sinne des § 98 Abs. 5
SGB XII. Nach dieser Vorschrift bleibt jedoch der Sozialhilfeträger örtlich zuständig, der
vor Eintritt in diese Wohnform örtlich zuständig war. Dies ist jedoch nicht der
Antragsgegner, sondern vielmehr der für C. zuständige überörtliche Träger der
Sozialhilfe, mithin der Beigeladene.
Die örtliche Zuständigkeit im Sinne des § 98 Abs. 5 SGB XII knüpft nicht an den
tatsächlichen Aufenthalt an, sondern perpetuiert die örtliche Zuständigkeit des zuletzt
zuständigen Trägers. Tritt der Hilfeempfänger also aus einer stationären Einrichtung in
das betreute Wohnen über, so ist gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1, 2 SGB 12 der Träger des
letzten gewöhnlichen Aufenthalts örtlich zuständig (Hauck/Noftz/Schlette, SGB XII, K § 98
Rn. 94).
So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin wechselte am 8. August 2005 aus der
stationären Therapie im Zentrum T. in das Betreute Wohnen. Für die verlassene
stationäre Maßnahme ist nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII der Sozialhilfeträger örtlich
zuständig, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt
im Zeitpunkt des Maßnahmebeginns hatte. Die Antragstellerin wohnte jedoch bis zu
ihrer Aufnahme in die stationäre Maßnahme am 18. Oktober 2004 in C. Ein
Zwischenaufenthalt in B., der die Zuständigkeit des Antragsgegners begründen könnte,
existierte nicht.
Soweit der Beigeladene mit seinem Schriftsatz vom 9. August 2005 geltend macht,
seiner Zuständigkeit stehe entgegen, dass es bislang keinen zuständigen
Sozialhilfeträger gegeben habe, weil Leistungen der Sozialhilfe erstmals im Rahmen der
beantragten ambulant betreuten Wohnform erforderlich würden, ist dies unzutreffend. §
98 Abs. 5 SGB XII ist vielmehr so auszulegen, dass der Träger der Sozialhilfe örtlich
zuständig ist, der für die konkrete Lebenssituation, in der sich der Betroffene zuvor
befunden hat, Sozialhilfe hätte leisten müssen, wenn dieser seinen Bedarf nicht selbst
oder durch andere hätte decken können. Diese hypothetische Betrachtungsweise
entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der mit der neuen Vorschrift des § 98 Abs. 5
SGB XII eine abschließende, die allgemeine Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 1 SGB
XII verdrängende Sonderregelung schaffen wollte (Hauck/Noftz/Schenke, SGB XII, K § 98
Rn. 95; Grube/Wahrendorf, SGB XII Kommentar, 1. Auflage 2005, § 99 Rn. 31).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Gerichtskosten werden
nicht erhoben (§ 183 SGG).
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