Urteil des SozG Berlin vom 08.11.2010

SozG Berlin: vertretung, vorverfahren, vergütung, zusammensetzung, beschränkung, gebühr, verwaltung, verzinsung, rka, vertreter

Sozialgericht Berlin
Beschluss vom 08.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 164 SF 808/09 E
Auf die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 27. November 2008 werden die
zu erstattenden Kosten auf 547,40 Euro festgesetzt. Der Ausspruch über die Verzinsung gilt entsprechend. Die
weitergehende Erinnerung wird zurückgewiesen.
Der Erinnerungsgegner hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens zu
erstatten.
Gründe:
I.
Der Erinnerungsführer erhob durch seinen zum Betreuer bestellten Vertreter, dessen Aufgabenkreis auch die
gerichtliche und außergerichtliche Vertretung umfasst, als Bevollmächtigter am 08. Mai 2007 Klage gegen den
Sanktionsbescheid vom 29. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. April 2007 (Absenkung
um 30 % der Regelleistung). Der Erinnerungsgegner hob den Bescheid nach richterlichem Hinweis auf. Mit Schriftsatz
vom 02. Oktober 2007 beantragte der Bevollmächtigte Kostengrundentscheidung und änderte seine Kostenrechnung
von ursprünglich 916,30 Euro auf 773,50 Euro (Schriftsatz vom 01. Februar 2008): Für das Vorverfahren:
Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG 240,00 Euro Kommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
Für das Klageverfahren: Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 170,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00
Euro Kommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 123,50 Euro
Mit richterlichem Beschluss vom 19. Dezember 2007 wurde der Erinnerungsgegner verpflichtet, die außergerichtlichen
Kosten des Rechtsstreits dem Grunde nach zu erstatten. Er hält die geltend gemachten Kosten für unbillig. Der
Erinnerungsführer könne seine Rechte ausreichend wahren, dadurch dass er seinen Bevollmächtigten als Betreuer in
Anspruch nimmt, dies gehöre zu dessen typischem Aufgabenkreis.
Mit Beschluss vom 27. November 2008 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unter Zurückweisung des
Antrags im Übrigen insgesamt 345,10 Euro fest (170,00 Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG, 100,00 Euro
Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG, 20,00 Euro Kommunikationspauschale, 55,10 Euro Umsatzsteuer). Die Vergütung
für das Vorverfahren sei abzusetzen, sie erscheine nicht angemessen. Der Widerspruch sei an keine rechtlich
schwierigen Anforderungen geknüpft, so dass ein ansonsten geeigneter Betreuer, der nicht Anwalt sei, diesen hätte
selbst einlegen können. Die Einlegung von Widersprüchen könne üblicherweise von Laien vorgenommen werden und
werde in der Regel auch selbständig wahrgenommen. Die Terminsgebühr sei bei angenommenem Anerkenntnis ohne
Termin entsprechend des geringeren Aufwandes für den Bevollmächtigten herabzubemessen.
Die Erinnerung ist am 16. Dezember 2008 beim Sozialgericht Berlin eingegangen. Der Bevollmächtigte des
Erinnerungsführers macht geltend, ein zum Betreuer bestellter Rechtsanwalt könne zwar nur Gebühren nach dem
RVG für die Geschäfte erheben, für die ein ansonsten geeigneter Betreuer einen Rechtsanwalt beauftragt hätte. Die
gelte jedoch nur für einfache rechtliche Angelegenheiten, was hier nicht der Fall sei. Zudem habe sich die
Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG an der Höhe der Verfahrensgebühr zu orientieren.
II.
Die zulässige Erinnerung hat teilweise Erfolg. Die vom Erinnerungsgegner zu erstattenden Kosten sind auf den Betrag
von 547,40 Euro laut nachstehender Berechnung festzusetzen: Für das Vorverfahren: Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV
RVG 180,00 Euro Kommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 38,00
Euro
Für das Klageverfahren: Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 110,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 130,00
Euro Kommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 49,40 Euro
Zu Unrecht hat die Urkundsbeamtin die Hinzuziehungsnotwendigkeit für das Vorverfahren verneint. Diese folgt bereits
aus der richterlichen Entscheidung vom 19. Dezember 2007 über die Verpflichtung des Erinnerungsgegners zur
Erstattung der außergerichtlichen Kosten. Die Hinzuziehungsnotwendigkeit eines Bevollmächtigten für ein
sozialgerichtliches (Klage-) Verfahren regelt § 193 Abs. 3 SGG ausdrücklich. Danach ist die gesetzliche Vergütung
eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes stets erstattungsfähig. Im Hinblick auf die Einheitlichkeit der
Kostenentscheidung im gerichtlichen Verfahren sind hiervon auch die Kosten eines Vorverfahrens, dem ein
Klageverfahren nachgefolgt ist, mit umfasst (so schon SG Berlin, Beschluss vom 07. November 1989, S 71 KA
14/88; Knittel in Hennig, SGG, § 193 Rdz. 47, 44; für die Vorverfahrenskosten nach §§ 68 ff. VwGO vgl. auch Hess.
VGH, Beschluss vom 09. Juli 2010, 5 E 1048/10; Fundstellen juris; a. A. offenbar Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 193 Rdnr. 5b).
Einer ausdrücklichen Feststellung, dass die entstandenen Kosten notwendig im Sinne des § 193 Abs. 3 SGG waren,
bedarf es bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt nur in Fallkonstellationen,
bei denen die anwaltliche Vertretung auf einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten beruht, das einen Verstoß gegen die
Kostenminderungspflicht darstellt (so übereinstimmend die Kostenkammern des Sozialgerichts Berlin, vgl. Beschluss
vom 10. September 2010, S 164 SF 7005/10 E, Fundstelle juris mit weiteren Nachweisen).
Ein derartiger Verstoß gegen die Kostenminderungspflicht begründet sich nicht allein in dem Umstand, dass ein
Betreuer einen Rechtsanwalt mit der Vertretung des Betreuten betraut. Insoweit macht es auch keinen Unterschied,
ob der Betreuer einen (dritten) Rechtsanwalt hinzuzieht oder, sofern er selbst als Rechtsanwalt zugelassen ist, die
Vertretung als Rechtsanwalt selbst übernimmt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 15. Dezember 1987, 6
RKa 21/87, SozR 1300 § 163 Nr. 12) ist die Hinzuziehung notwendig, wenn es den Beteiligten nach den jeweils
gegebenen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, das Verfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit kann sich aus der
objektiv schwierigen Sach- oder Rechtslage, der Schwere eines Eingriffs in Rechte des Betroffenen oder aus Gründen
in der Person des Betroffenen ergeben (so Krasney in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 63 Rdz. 17). Sie ist in der
Regel zu bejahen, da der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage sein wird, seine Rechte gegenüber der Verwaltung
ausreichend zu wahren (Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 63 Rdz. 26).
Im Betreuungsfall ist zwar nicht allein darauf abzustellen, dass der Betreute zu einer sachgerechten Wahrnehmung
seiner Interessen gegenüber Behörden nicht in der Lage ist, wie sich aus dem Erfordernis der Einrichtung der
Betreuung ersehen lässt. Diese Einschränkungen werden durch die rechtliche Betreuung ausgeglichen. Maßstab für
die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung des zugleich als Rechtsanwalt tätigen Betreuers kann daher nur
sein, ob ein vernünftiger Bürger ohne spezielle Kenntnisse, insbesondere Rechtskenntnisse einen Bevollmächtigten
hinzugezogen hätte (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001, B 12 KR 42/00 R, Fundstelle juris - für den Fall, der
Selbstvertretung eines Rechtsanwalts). Unter Berücksichtigung des oben angeführten Regel-Ausnahmeverhältnisses
ist Hinzuziehungsnotwendigkeit regelmäßig ohne weiteres zu bejahen. Vorliegend sind keine besonderen Umstände
ersichtlich, die ausnahmsweise eine andere Bewertung rechtfertigen würden.
Der Gebührenrahmen ist vorliegend der Nr. 2400 VV RVG zu entnehmen. Unter Berücksichtigung der Kriterien des §
14 Abs. 1 RVG ist die beantragte Geschäftsgebühr von 240,00 Euro im Ergebnis jedoch unbillig hoch; billig ist eine
Gebühr in Höhe von 180,00 Euro, also zwei Dritteln der Mittelgebühr. Insoweit hat die Kammer insbesondere
berücksichtigt, dass der Umfang der entfalteten Tätigkeit der Bevollmächtigten unterdurchschnittlich war. Der
Widerspruch wurde mit dem Nichtzutreffen der Vorwürfe des Erinnerungsgegners im angefochtenen Bescheid
begründet. Gebührenmindernd wirken sich vor allem die deutlich unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnisse
des Erinnerungsführers und die - auch im Bezug darauf -nur unterdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit bei
einer 30 %-Absenkung der Regelleistung für drei Monate aus.
Entsprechendes gilt auch für die Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) im gerichtlichen Verfahren. Der Ansatz einer
Mittelgebühr erscheint nicht billig. Auch wenn dieser Gebührentatbestand nicht angefochten worden ist, kann die
Erinnerung nicht auf einzelne Gebührenziffern begrenzt werden. Nach § 197 SGG setzt der Urkundsbeamte den
Betrag der zu erstattenden Kosten fest, wobei die Zusammensetzung dieses Betrages eben nur Sache und Teil der
Begründung ist und nicht am Festsetzungstenor des Beschlusses teilnimmt. Eine Beschränkung der Erinnerung etwa
"nur" auf die Höhe der Terminsgebühr oder nur auf die Zugrundelegung eines bestimmten Gebührentatbestandes
findet in § 197 SGG keine Stütze.
Im Hinblick auf die unterdurchschnittliche rechtliche und tatsächliche Schwierigkeit der Angelegenheit, die
wirtschaftliche Bedeutung für den Erinnerungsführer und seine wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die
unterdurchschnittliche Verfahrensdauer kommt eine Verfahrensgebühr oberhalb zwei Dritteln der Mittelgebühr (110,00
Euro) nicht in Betracht.
Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG orientiert sich an der Höhe der Verfahrensgebühr. Im Fall der fiktiven
Terminsgebühr kann ihr Umfang weder mit der Begründung reduziert werden, dass ein Termin gar nicht stattgefunden
habe noch nach anderen Kriterien, die zur Bewertung der Terminsgebühr bei tatsächlich stattgefundener mündlicher
Verhandlung herangezogen werden können, beurteilt werden. Daher hat der Ansatz der fiktiven Terminsgebühr nach
gefestigter Rechtsprechung der Kostenkammern des Sozialgerichts Berlin dem Ansatz der Verfahrensgebühr zu
folgen (vgl. z.B. Beschlüsse vom 21. Januar 2009, S 164 SF 12/09 E und vom 02. Februar 2009, S 165 SF 11/09 E;
Fundstellen juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Kammer hält im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Kostenkammern des Sozialgerichts Berlin eine
gesonderte Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren für erforderlich, vgl. Beschlüsse vom 06. März 2009, S 164
SF 118/09 E und vom 02. Februar 2009, S 165 SF 11/09 E, Fundstellen juris). Die Kostenentscheidung für das
Erinnerungsverfahren beruht auf § 193 SGG und orientiert sich am Verhältnis von Erfolg und Misserfolg dieses
Verfahrens.
Dieser Beschluss ist, auch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung, unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).