Urteil des SozG Berlin vom 23.07.2009

SozG Berlin: sozialhilfe, aufenthalt, ausländer, wohnheim, deckung, gerichtsakte, beeinflussung, herkunft, einreise, rechtsmissbrauch

Sozialgericht Berlin
Beschluss vom 23.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 49 AY 35/08
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 23 AY 8/09 B PKH
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe – PKH – für das gegen den Beklagten vor dem
Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 49 AY 35/08 anhängige Klageverfahren. In diesem ist der Anspruch
des Klägers auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetzt - AsylbLG - in Höhe der Leistungen nach § 2
AsylbLG streitig.
Der Kläger, der über eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – verfügt, bezieht
zumindest seit März 2000 Leistungen nach dem AsylbLG in Form der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG von dem
Beklagten, unter Anwendung des § 1a AsylbLG zunächst gekürzte Leistungen, jedenfalls ab Dezember 2007 die
ungekürzten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG.
Der Kläger beantragte am 31. August 2007 bei dem Beklagten die Gewährung von höheren Leistungen auf der
Grundlage des § 2 AsylbLG. Mit Bescheid vom 26. November 2007 gewährte der Beklagte Leistungen nach § 1a Nr. 2
AsylbLG in Höhe von ungekürzten Leistungen nach § 3 AsylbLG. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
Nachdem das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 08. Januar 2008 einen auf die einstweilige Verpflichtung des
Beklagten zur Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG gerichteten Antrag mit Beschluss zurückgewiesen hatte, wies
der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 28. Februar 2008 u.a. mit der Begründung zurück, der
Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG, weil er den Aufenthalt in
Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe.
Daraufhin hat der Kläger am 23. März 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er sein Begehren
weiterverfolgt.
Den Antrag, ihm für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom
23. Juli 2009 zurückgewiesen und unter Bezugnahme auf die Gründe des Beschlusses vom 08. Januar 2008
ausgeführt, die Rechtsverfolgung biete keine Aussicht auf Erfolg.
Gegen den am 27. Juli 2009 zugestellten Beschluss richtet sich die am 30. Juli 2009 eingelegte Beschwerde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beschluss vom 23. Juli 2009 aufzuheben und ihm für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes zu bewilligen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidung wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte zum Klageverfahren (SG Berlin S 49 AY 35/08) und der Gerichtsakte zum einstweiligen
Rechtsschutzverfahren (SG Berlin S 49 AY 219/07 ER) sowie auf den Inhalt der vom Beklagten beigezogenen
Verwaltungsvorgänge (Band 4 bis 5) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger für das
Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
Der Anspruch auf PKH setzt nach § 73 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i. V. m. § 114 Satz 1
Zivilprozessordnung - ZPO - u. a. voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet und nicht mutwillig erscheint.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO ist dann zu bejahen, wenn eine gewisse
Erfolgswahrscheinlichkeit besteht. Die bloße Möglichkeit eines Erfolges reicht nicht aus, es muss vielmehr eine
gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit bestehen, die Anforderungen daran dürfen jedoch nicht überspannt werden
(BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Oktober 1991, 1 BvR 1486/91, NJW 1992, 889). Eine Rechtsverfolgung ist dann
hinreichend Erfolg versprechend, wenn das Gericht nach vorläufiger summarischer Prüfung den Rechtsstandpunkt
des Antragstellers unter Berücksichtigung des Vortrages des anderen Beteiligten zumindest für vertretbar und den
Prozesserfolg für wahrscheinlich hält. Eine Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache erfolgt im Rahmen der
Prüfung der Erfolgswahrscheinlichkeit im Prozesskostenhilfeverfahren nicht (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990,
2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347). Bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht der Klage ist vom Antrag des Klägers
auszugehen, der ggf. auszulegen ist.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich nicht feststellen, dass die Klage des Klägers hinreichende
Aussicht auf Erfolg hat. Der Beklagte dürfte es mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 26. November 2007 zu
Recht abgelehnt haben, dem Kläger für den Monat Dezember 2007 Leistungen nach dem AsylbLG auf der Grundlage
des § 2 AsylbLG zu gewähren, so dass die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage jedenfalls
unbegründet sein dürfte.
Soweit der Kläger im Klageverfahren auch höhere Leistungen nach dem AsylbLG für Zeiten ab Januar 2008 begehrt,
dürfte die Klage schon unzulässig sein, da der Beklagte mit dem Bescheid vom 26. November 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2008 nur über den Leistungsanspruch des Klägers im Dezember 2007
entschieden hat. Zulässigerweise dürfte deshalb nur die Höhe der Leistungen für diesen Monat Gegenstand des
Klageverfahrens sein. Der Beklagte hat hier mit dem streitgegenständlichen Bescheid über einen zeitlich begrenzten
Zeitraum entschieden (Dezember 2007) und auch nicht etwa mit dem Widerspruchsbescheid eine Leistung auf Dauer
versagt oder bewilligt. Dem Kläger sind mit dem Bescheid vom 26. November 2007 Leistungen nach § 3 AsylbLG
bewilligt worden, ohne dass mit der Ablehnung von Leistungen nach § 2 AsylbLG gleichzeitig eine hiervon abtrennbare
Verwaltungsentscheidung auf Dauer vorliegt (vgl. BSG v. 17.06.2008, B 8 AY 3/07 R, juris; v. 24.03.2009, B 8 AY
10/07 R, juris).
Das danach zulässig nur auf die Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG für den Monat Dezember 2007
gerichtete Verpflichtungsbegehren dürfte allein deshalb unbegründet sein, weil der Kläger höhere Leistungen für
vergangene Zeiträume begehrt.
Der Kläger macht nicht geltend, welcher (nach § 3 AsylbLG oder über Leistungen nach § 2 AsylbLG) zu deckende
Bedarf bei ihm nicht gedeckt worden ist, weil keine Leistungen nach § 2 AsylbLG gewährt wurden. Der Bedarf des
Klägers an Unterkunft und Heizung ist durch die Unterbringung in einem Wohnheim durch Sachleistungen gedeckt
worden. Der Kläger hat weiter für den Bedarf an Ernährung, für Bekleidung, Gesundheits- und Körperpflege und
Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts eine Barleistung in Höhe von 161,37 Euro erhalten, da von dem
Betrag nach § 3 Abs. 2 AsylbLG (für Wertgutscheine) in Höhe von 184,07 Euro der bereits durch die Unterkunft in
einem Wohnheim über Sachleistung gedeckte Bedarf abzuziehen war. Daneben hat der Kläger den Barbetrag zur
Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 40,90 Euro nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG
erhalten, insgesamt also Barmittel zur Deckung des nach § 3 AsylbLG vorgesehenen Bedarfs in Höhe von 202,27
Euro. Ansprüche auf Leistungen der Sozialhilfe und damit auch die besonderen Leistungen der Sozialhilfe für
Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG setzen eine Bedarfslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über
den geltend gemachten Anspruch voraus. Leistungen für die Sozialhilfe sind grundsätzlich nicht für vergangene
Zeiträume zu gewähren (BVerwGE 90, 154, 164). An diesem von der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte
entwickelten Strukturprinzip, welches auch den Leistungsregelungen des AsylbLG zu Grunde liegt, da auch nach
diesen Regelungen nur ein aktuell bestehender Bedarf zu decken ist, wird auch unter Geltung des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch - SGB XII - und im Rahmen des AsylbLG festgehalten. So weist das BSG darauf hin, dass bei der
Prüfung eines Leistungsanspruchs nach § 2 AsylbLG zu beachten ist, das nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr
gedeckt werden können (BSG v. 17. Juni 2008, B 8 AY 9/07 R, juris, Rn. 19 ("Aktualitätsprinzip”); B 8 AY 5/07 R,
juris, Rn. 16). Es ist nicht Aufgabe der Sozialhilfe und auch nicht der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG,
nachträglich Leistungen zu erbringen, wenn der Bedarf weggefallen ist (so ausdrücklich: BSG v. 11.12.2007, B 8/9b
SO 12/06 R, juris, Rn. 11, SGb 2008, 95). Voraussetzung für eine Leistung für die Vergangenheit ist, dass noch ein
fortdauernder Bedarf oder ein Ersatzanspruch für Kosten, die durch eine "Selbstbeschaffung" entstanden sind (vgl.
BSG v. 11.12.2007, B 8/9b SO 12/06 R, a.a.O.), besteht. Dies ist nicht ersichtlich.
Zudem dürften auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen auf der Grundlage des § 2 AsylbLG nicht
vorliegen.
Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG ist das SGB XII abweichend von den §§ 3 7 AsylbLG auf diejenigen Leistungsberechtigen
entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten (Fassung bis zum 28. August 2007) bzw.
48 Monaten (§ 2 AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien
der Europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl I Nr. 42) Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer
des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. § 2 Abs. 1 AsylbLG normiert in der ab dem 01.
Januar 2005 geltenden Fassung zwei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, unabhängig davon, aus
welchen Gründen der Beklagte den geltend gemachten Anspruch abgelehnt hat. Neben einer zeitlichen Komponente
bezogen auf einen Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG ist daher weiter Voraussetzung, dass der Anspruchsteller
die Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Hat
der Antragsteller die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflusst, ist er unabhängig von der Dauer des
Bezuges von Leistungen nach § 3 AsylbLG von der Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG ausgeschlossen; ihm soll
dann der Vorzug höherer Leistungen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zuteil werden.
Danach dürfte der Kläger hier von dem Leistungsbezug nach § 2 AsylbLG ausgeschlossen sein, weil er die Dauer
seines Aufenthaltes in Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat; auf die Frage, ob der Kläger die weitere
Voraussetzung des § 2 AsylbLG erfüllt, kommt es nicht an.
Ein Rechtsmissbrauch setzt ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Hat ein
Ausländer durch sein Verhalten die Aufenthaltsdauer in Deutschland und damit auch die mit § 2 Abs. 1 AsylbLG
verlangte Mindestaufenthaltsdauer unredlich herbeigeführt, so kann er sich nicht hierauf berufen und etwaige daran
knüpfende Vergünstigungen, nämlich die höheren Analogleistungen, in Anspruch nehmen (BSG vom 17. Juni 2008, B
8/9 b AY 1/07 R, a. a. O., Rnr. 33). Ein von der Vorschrift erfasstes unredliches Verhalten, was von der
Rechtsordnung missbilligt ist, liegt hier in der Angabe einer falschen Identität. Bereits in der Gesetzesbegründung zu
§ 2 Abs. 1 AsylbLG wird beispielhaft die Angabe einer falschen Identität als typische Fallgestaltung des
Rechtsmissbrauchs angegeben (BT Drs. 15/420, S. 121;vgl. auch: BSG v. 17.06.2008, B 8 AY 5/07 R, juris, Rn. 15).
Nach den Feststellungen des Sozialgerichts mit dem Beschluss vom 08. Januar 2008 hat der Kläger über seine
Herkunft und Identität getäuscht, die Identität ist bis heute ungeklärt. Der Kläger hat nach den Feststellungen des
Sozialgerichts bei seiner Einreise angegeben, dass er aus G stamme und beharre nunmehr darauf, aus S L zu
stammen. Diesen Feststellungen des Sozialgerichts in dem Beschluss vom 08. Januar 2008 ist der Kläger im
Klageverfahren nicht entgegen getreten.
Die Angabe einer falschen Identität bei der Beantragung von Asyl ist von der Rechtsordnung missbilligt. Dies zeigt
sich u.a. darin, dass der Gesetzgeber den Asylbewerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten verpflichtet, seine
Identität, d. h. die wahre Identität, anzugeben (§ 16 Asylverfahrensgesetz AsylVfG ). Mit der Beantragung von Asyl ist
dem Ausländer bis zur Entscheidung über den Antrag der Aufenthalt in Deutschland gestattet (§ 55 AsylVfG), so dass
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Rechtskraft einer ablehnenden Entscheidung nicht veranlasst werden
können. Daraus folgt, dass mit falschen Angaben zur Identität bei der Beantragung von Asyl bereits die Dauer des
Aufenthaltes in Deutschland über die Dauer des Asylverfahrens beeinflusst wird, denn nach § 3 Abs. 3 AsylVfG ist
ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren über
seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht.
Zur Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes im Sinne des § 2 Abs. 1
AsylbLG ist auch auf den gesamten Aufenthalt in Deutschland abzustellen. Aus § 2 Abs. 1 AsylbLG ergibt sich keine
Einschränkung hinsichtlich des Beurteilungszeitraums für die Feststellung eines solchen Verhaltens. Insbesondere
führt nicht ein Aufgeben eines vormals rechtsmissbräuchlichen Verhaltens dazu, dass nunmehr keine
Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 AsylbLG anzunehmen wäre. Es dürfte hier also nicht darauf ankommen,
ob der Missbrauchstatbestand weiter andauert oder noch für die Dauer des Aufenthalts kausal ist. Dies ergibt sich aus
dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 2 AsylbLG, dass derjenige Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG nicht in
den Genuss höherer Leistungen während seines Aufenthaltes in Deutschland kommen soll, der rechtsmissbräuchlich
Einfluss auf die Aufenthaltsdauer genommen hat (BSG, a. a. O.; GK AsylbLG, III § 2 Rnr. 72). Dass der Kläger
möglicherweise gewillt ist, an der Beschaffung von Reisedokumenten mitzuwirken, dürfte also nichts an der bereits
erfolgten rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung seines Aufenthalts ändern.
Für einen Anspruch auf eine Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG dürften daher die Voraussetzungen nicht
vorliegen, so dass auch aus diesem Grund die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Beschwerde
war daher zurückzuweisen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).