Urteil des SozG Berlin vom 15.03.2017

SozG Berlin: besondere härte, aufnahme einer erwerbstätigkeit, freier mitarbeiter, härtefall, hauptsache, zivilprozessordnung, erlass, nebentätigkeit, amt, kauf

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Gericht:
SG Berlin 94.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 94 AS 10647/05 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 5 S 1 SGB 2, § 7 Abs 5 S
2 SGB 2, § 60ff BAföG
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II -
Leistungsausschluss für Auszubildende - Student mit Anspruch
auf BAföG dem Grunde nach - Abbruch des Erststudiums -
besonderer Härtefall - Bedarfsunterdeckung - zumutbare
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bzw. Aufstockung einer
Nebentätigkeit
Leitsatz
1) Ist eine Ausbildung dem Grunde nach BAföG-förderungsfähig, ist für den Ausschluss nach §
7 Abs 5 S 1 SGB 2 unerheblich, dass tatsächlich wegen Abbruchs des Erststudiums keine
Leistungen gezahlt werden.
2) Hat das Amt für Ausbildungsförderung keinen unabweisbaren Grund für den
Studienabbruch angenommen, begründet das keine besondere Härte im Sinne von § 7 Abs 5
S 2 SGB 2.
3) Auch eine " Bedarfsunterdeckung" begründet keine besondere Härte, wenn der
Antragsteller neben dem Studium seinen Lebensunterhalt durch eine zumutbare Aufstockung
seiner Nebentätigkeit zu decken vermag.
Tenor
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 9. November 2005 wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren und
Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht Berlin werden abgelehnt.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes während des Fachschulbesuchs.
Der 1976 geborene Antragsteller bezog bis Juli 2005 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes. Er besucht seit dem 8. August 2005 die -Oberschule im
Bildungsgang Fachschule für Sozialpädagogik. Seit dem 19. August 2005 ist er freier
Mitarbeiter für die die Firma o. Vereinbart ist ein Stundenhonorar von 7,67 Euro.
Seinen Antrag auf Arbeitslosengeld II lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16.
September 2005 ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf
Leistungen lägen nicht vor, weil der Antragsteller Auszubildender sei und die Ausbildung
im Rahmen des Berufsausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 60 bis 62 des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähig sei.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2005 lehnte das Bezirksamt C den Antrag auf
Ausbildungsförderung ab. Da der Antragsteller sein Studium nach dem vierten Semester
im Jahr 2001 abgebrochen habe, müsse er einen unabweisbaren Grund anführen
können, um für die weitere Ausbildung Ausbildungsförderung zu erhalten. Dieser
unabweisbare Grund sei in dem von ihm gemachten Ausführungen nicht zu erkennen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2005 wies der Antragsgegner den
Widerspruch hiergegen als unbegründet zurück. Bei dem Grunde nach förderungsfähiger
Ausbildung bestehe sei der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes ausgeschlossen. Auch eine besondere Härte, bei der Leistungen
darlehnsweise zu erbracht werden könnten, liege nicht vor. Außergewöhnliche,
schwerwiegende, atypische Umstände, die einen zügigen Ausbildungsdurchlauf
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schwerwiegende, atypische Umstände, die einen zügigen Ausbildungsdurchlauf
verhindert oder sonstigen Notlagen hervorgerufen hätten, seien weder vorgetragen noch
anderweitig erkennbar.
Klage und die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Prozesskostenhilfe
sind am 9. November 2005 beim Sozialgericht Berlin eingegangen. Seine
Bevollmächtigten machen geltend, der Antragsteller habe das Hochschulstudium
aufgrund wirtschaftlicher und persönlicher Schwierigkeiten abgebrochen. Er habe aus
Unwissenheit Schulden in nicht unbeträchtlicher Höhe gemacht und diese zunächst in
Raten begleichen wollen. Er habe sich eine Arbeitsstelle gesucht, in der er Vollzeit habe
tätig sein können. Erst nach einer Verhaltenstherapie 2004 habe der Antragsteller mit
den Schulden umzugehen gelernt und einen Überblick über sein Leben gewonnen. Der
Antragsteller habe bisher keine abgeschlossene Berufsausbildung und das Recht eine
solche zu absolvieren. Er arbeite neben dem Studium, sei aber nicht in der Lage seinen
Lebensunterhalt hierdurch zu bestreiten. Ihm drohe bei erneutem Zahlungsverzug
Wohnungslosigkeit, ferner sei er nicht krankenversichert.
Der Antragsteller hat eine eidesstattliche Versicherung vom 8. November 2005
vorgelegt und sich insbesondere zu seinem Werdegang und zu den Gründen des
Studienabbruchs geäußert.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers beantragen,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller Arbeitslosengeld II vorläufig seit dem 15. September 2005 zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuweisen.
Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Leistungen, auch eine besondere Härte sei
nicht begründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte des
Antragsgegners Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig aber nicht begründet.
Nach § 86b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag
eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr
besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Gemäß § 86b Absatz 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz in Verbindung mit § 920 Absatz 2
Zivilprozessordnung sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu
machen. Vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist auszugehen, wenn nach
summarischer Prüfung die Hauptsache Erfolgsaussicht hat. Ein Anordnungsgrund liegt
vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und des
öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Nur
in besonderen Ausnahmefällen ist darüber hinaus die Vorwegnahme der
Hauptsacheentscheidung zulässig.
Das Gericht hält nach summarischer Prüfung den Anordnungsanspruch für nicht
gegeben. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf vorläufige Gewährung von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des
Sozialgesetzbuches.
Gemäß § 7 Absatz 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch besteht kein Anspruch auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für Auszubildende, deren Ausbildung
im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 des
Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähig ist. Es kommt insoweit nur darauf an,
dass die Ausbildung generell gefördert werden kann, auch wenn der Betroffene selbst
keine Förderungsleistung erhalten kann.
Die Ausbildung des Antragstellers ist dem Grunde nach BAföG-förderungsfähig. Dass er
tatsächlich wegen Abbruchs des Erststudiums keine Leistungen erhält, ist für den
Ausschluss nach § 7 Absatz 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch unerheblich.
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Im Falle des Antragstellers greift auch nicht die Ausnahmeregelung des § 7 Absatz 5
Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Danach können in besonderen Härtefällen
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehn geleistet werden. Das
Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 94, 224) hat einen besonderer Härtefall bei dem
insoweit inhaltsgleichen § 26 Bundessozialhilfegesetz angenommen, wenn die Folgen
eines Anspruchsausschlusses über das Maß dessen hinausgehen, das regelmäßig mit
der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom
Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist. Es müssen dabei im Einzelfall Umstände
hinzutreten, die einen Ausschluss der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum
Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den
finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, das
heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen.
Bei Prüfung einer besonderen Härte ist zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des
Gesetzgebers gerade grundsätzlich keine Ausbildungsförderung durch Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt werden sollte. Im Falle des Antragstellers liegt
ein besonderer Härtefall auch aus Sicht des Gerichts nicht vor. Insbesondere die mit
eidesstattlicher Versicherung vom 8. November 2005 vorgebrachten Gründe vermögen
den Härtefall nicht zu begründen. Wenn das Amt für Ausbildungsförderung keinen
unabweisbaren Grund für den Studienabbruch zu bejahen vermochte, kann dadurch
auch keine besondere Härte im Sinne von § 7 Absatz 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites
Buch begründet werden.
Eine besondere Härte liegt nach summarischer Prüfung auch deshalb nicht vor, weil der
Antragsteller neben dem Studium seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu
decken vermag. Dabei war zu berücksichtigen, dass durch die Aufstockung der
Nebentätigkeit auf etwa 15 Stunden wöchentlich bereits seinen Bedarf (Regelsatz und
Kosten der Unterkunft zzgl. freiwilliger Krankenversicherung) decken könnte. Zudem
besteht für den Antragsteller auch die Möglichkeit eines Antrags auf Zahlung von
Wohngeld.
Zudem fehlt es vorliegend am besonderen Eilbedarf, der die Unzumutbarkeit des
Abwartens der Hauptsache begründen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 193
Sozialgerichtsgesetz. Sie orientiert sich am Ausgang der Sachentscheidung.
Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe war nicht stattzugeben. Nach § 73a Absatz 1
Sozialgerichtsgesetz gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die
Gewährung von Prozesskostenhilfe entsprechend auch im sozialgerichtlichen Verfahren.
Gemäß § 114 Zivilprozessordnung erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wer nach seinen
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur
zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig
erscheint. Die Erfolgsaussicht der Sachentscheidung ist aus den vorstehenden Gründen
nicht gegeben.
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