Urteil des SozG Berlin vom 15.03.2017
SozG Berlin: diabetes mellitus, ernährung, adipositas, hypertonie, bluthochdruck, erkenntnis, auflage, verwaltungsakt, erlass, link
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Gericht:
SG Berlin 104.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 104 AS 1570/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 21 Abs 5 SGB 2
Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf für kostenaufwändige
Ernährung - Diabetes mellitus Typ II, Hypertonie - Adipositas
Leitsatz
Bei einem Diabetes mellitus Typ II und einer Hypertonie - jeweils in Verbindung mit einer
Adipositas - ist kein Mehraufwand zu gewähren: Dem liegt die wissenschaftliche Erkenntnis
zugrunde, dass die bei diesen Erkrankungen gebotene Ernährung gegenüber dem im
Regelsatz für Ernährung vorgesehenen Betrag keine höheren Kosten verursacht, weil lediglich
eine kontinuierliche und anhaltende Gewichtsreduktion geboten ist, die ohne
Mehraufwendungen durchgeführt werden kann.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Mehrbedarfs aus medizinischen
Gründen wegen einer kostenaufwändigen Ernährung (Diabetes mellitus, Bluthochdruck,
Adipositas) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2005 streitig.
Der am 3. März 1946 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 6. Dezember
2004 die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für
Arbeitsuchende - (SGB II).
Durch Bescheid vom 10. Dezember 2004 gewährte die Beklagte dem Kläger für den
Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) in Höhe
von 518,00 Euro monatlich. Hiergegen legte der Kläger am 25. Januar 2005 unter
Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung seines behandelnden Arztes B mit Datum vom
24. Januar 2005 Widerspruch ein. Hinsichtlich einer Hypertonie bei Adipositas, sowie
eines Diabetes mellitus Typ II a und b sei eine entsprechende Krankenkost erforderlich.
Der Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 16. März
2005 mit der Begründung zurückgewiesen, zu den Krankheiten, bei denen die
Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung nach den Empfehlungen des
Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (DV) anerkannt sei, zähle die
beim Widerspruchsführer vorliegende Diabetes mellitus- und die Hypertonie-Erkrankung.
Bei Adipositas sei ein Mehrbedarf für Reduktionskost jedoch nicht zu gewähren, deshalb
könnten Leistungen für einen entsprechenden Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II nicht
erbracht werden.
Hiergegen erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin Klage (Az.: S ). Im Termin vom
2. August 2005 erklärte sich die Beklagte bereit, den Kläger daraufhin ärztlich
untersuchen zu lassen, ob bei ihm ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung
bestehe, und ihm gegebenenfalls den Mehrbedarf rückwirkend ab dem 1. Januar 2005 zu
gewähren. Der Kläger nahm daraufhin die Klage zurück.
Infolge einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin S vom 14. November 2005
lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25. November 2005 die Übernahme des
begehrten Mehrbedarfs erneut ab. Gemäß dem ärztlichen Gutachten vom 14.
November 2005 könne der Mehrbedarf entsprechend den Empfehlungen des DV, deren
Ausführungen richtungsweisend für die Entscheidung seien, nicht befürwortet werden.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid der
Beklagten vom 24. Januar 2006 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Februar 2006 Klage vor dem Sozialgericht Berlin
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Hiergegen hat der Kläger am 20. Februar 2006 Klage vor dem Sozialgericht Berlin
erhoben. Der Kläger führt aus: Die Einschätzung in dem ärztlichen Gutachten vom 14.
November 2005 sei in seinem Fall nicht richtig, wie sich aus dem Attest seines
Hausarztes B vom 20. Juni 2006 ergebe. Er spritze kein Insulin, sondern versuche die
Krankheit mit Tabletten und einer ausgewogenen Ernährung in den Griff zu bekommen.
Dadurch sei der Begriff Diät auch anders zu sehen, denn er dürfe nicht alles essen,
müsse aber sehr aufpassen, dass er keine überhöhten Zuckerwerte erreiche, d.h. fünf
kleine Mahlzeiten am Tag und Zuckerkontrolle. Deswegen sei es ihm unverständlich,
warum die Kasse ihm nur 50 Messstreifen bewillige und er die anderen selbst kaufen
müsse. Er folge diversen wissenschaftlichen Studien zur Diabetes-Erkrankung und nicht
dem DV.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25. November 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, den Bescheid vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. März 2005 abzuändern und ihm in der Zeit vom 1.
Januar 2005 bis zum 31. Mai 2005 eine Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung
aus medizinischen Gründen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Leistungsakte der Beklagten, die Akte des Sozialgerichts Berlin S sowie die
Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe
Die von dem Kläger statthaft erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. November 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten. Er hat gegenüber der Beklagten nach § 44 Sozialgesetzbuch -
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) keinen Anspruch auf
Abänderung des Bescheids vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 16. März 2005 im Sinne einer zusätzlichen
Berücksichtigung eines Mehraufwands für eine aus medizinischen Gründen erforderliche
kostenaufwändige Ernährung.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im
Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt
oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und
soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht
erhoben worden sind.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn der Bescheid vom 10. Dezember
2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2005 ist rechtmäßig.
Insbesondere hat die Beklagte zu Recht die Gewährung eines Mehraufwands aus
medizinischen Gründen für eine kostenaufwändige Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II
versagt.
Nach dieser Vorschrift erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen
Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehraufwand in
angemessener Höhe. Ein solcher Mehraufwand ist jedoch bei einem Diabetes mellitus
Typ II und einer Hypertonie, jeweils in Verbindung mit einer Adipositas, nicht zu
gewähren. Die Kammer bezieht sich insoweit auf die Arbeitsanleitung der Bundesagentur
für Arbeit (Blätter 173 und 174 der Leistungsakte), die sich an den Empfehlungen des
DV, deren Anwendung die Kammer für sachgerecht hält (vgl. Münder, Sozialgesetzbuch
II, 2. Auflage, § 21, Rdnr. 28; BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2006 - 1 BvR 2673/05 -),
orientiert. Hiernach besteht kein Mehrbedarf bei einem Diabetes mellitus Typ II mit
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orientiert. Hiernach besteht kein Mehrbedarf bei einem Diabetes mellitus Typ II mit
Übergewicht (vgl. SG Berlin, Urteil vom 18. Oktober 2005, - S 63 AS 1011/05 -) bzw. bei
einem alimentär bedingten Bluthochdruck (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 17. März
2006, - L 7 AS 86/05).
Dem liegt die wissenschaftliche Erkenntnis zugrunde, dass die bei diesen Erkrankungen
gebotene Ernährung gegenüber dem im Regelsatz für Ernährung vorgesehenen Betrag
keine höheren Kosten verursacht, weil lediglich eine kontinuierliche und anhaltende
Gewichtsreduktion geboten ist, die ohne Mehraufwendungen durchgeführt werden kann.
Die Kammer sieht keine Veranlassung, von diesen Erkenntnissen abzuweichen, zumal
sie auch von der Stellungnahme der Ärztin S vom ärztlichen Dienst der Beklagten vom
14. November 2005 getragen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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