Urteil des SozG Berlin vom 12.04.2007

SozG Berlin: in verkehr bringen, versorgung, behandlung, behinderung, therapie, krankenversicherung, bevölkerung, konzept, medizin, verordnung

Sozialgericht Berlin
Urteil vom 12.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 82 KR 1419/03
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 439/07
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. April 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Versorgung der Klägerin mit Hilfsmitteln zur Sauerstoffversor-gung.
Die 1954 geborene Klägerin leidet an MCS (Multiple Chemical Sensitivity). Diese Krankheit äußert sich – so die von
der Klägerin eingereichte ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Pharmakologie und Toxikologie Professor Dr. L
vom 2. April 2003 – in verschiedenen Aller-gien und Überempfindlichkeiten gegenüber einer Vielzahl besonders
geruchsintensiver Chemi-kalien sowie physikalischer Reize. Bei Kontakt zu derartigen Noxen, der oftmals für die
Kläge-rin weder vorhersehbar noch vermeidbar sei, treten starke belastende Beschwerden auf wie A-temprobleme,
Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, allgemeine Hinfälligkeit, Schmerzzustän-de und variable psychische Störungen,
die zum Teil mehrere Tage anhalten können und das Befinden erheblich einschränken. Die notwendige Karenz vor
Expositionen gegenüber der Vielzahl von Noxen ist kaum einzuhalten, eine ursächliche Therapie derartiger
Unverträglich-keitsreaktionen ist nicht bekannt.
Unter Bezugnahme auf die Diagnose MCS verordnete die Allgemeinmedizinerin Dr. S der Klägerin am 5. März 2003
folgende Hilfsmittel: - 10-Liter-Flasche mit Druckminderer (frei einstellbar) - 1 Edelstahl- oder Tygonschlauch - 1
Keramikmaske - 1 Glasluftbefeuchter Mit am 7. März 2003 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben und unter
Beifügung diver-sen Informationsmaterials beantragte die Klägerin die Versorgung mit diesen Hilfsmitteln. Der von der
Beklagten um eine Stellungnahme gebetene Medizinische Dienst der Krankenversiche-rung (MDK) Berlin-Brandenburg
e.V. stellte darauf hin in seinem sozialmedizinischen Gutach-ten vom 17. März 2003 fest, beim MCS-Syndrom stelle
die Verabreichung von Sauerstoff kei-ne allgemein anerkannte Behandlungsoption dar. Die von der Klägerin gelieferte
Erklärung sei unwissenschaftlich, da roter Blutfarbstoff (Hämoglobin) bei lungengesunden Nichtrauchern zu etwa 97
bis 98 % mit Sauerstoff gesättigt sei. Eine weitere Sauerstoffaufnahme erhöhe ledig-lich den Anteil an physikalisch
gelöstem Sauerstoff im Blut. Dieser sei unter normobaren Be-dingungen aber relativ bedeutungslos. Daraufhin lehnte
die Beklagte mit Bescheid vom 20. März 2003 den Antrag der Klägerin ab, da "eine entsprechende Begründung der
Kosten-übernahme außerhalb medizinisch-wissenschaftlich anerkannter Indikationen [ ] sich anhand der eingereichten
Unterlagen nicht erkennen" ließen. Während des Widerspruchsverfahrens brachte die Klägerin vor, dass sie auf alles,
was dufte, mit Atemnot reagiere. Sie habe mit pri-vaten Mitteln schon einen sog. Cleanroom eingerichtet und die
häusliche Umgebung, soweit als möglich, umgebaut. Dr. L habe in seiner o.g. Stellungnahme bescheinigt, dass eine
wichtige Größe bei der Behandlung der MCS und vergleichbarer Krankheitsbilder die persönliche Er-fahrung der
Patienten bezüglich der zu meidenden Situation und Noxen sowie der Verhaltens-weisen bei Auftreten der
Beschwerden sei. Sie – die Klägerin – habe die persönliche Erfahrung gemacht, dass die Inhalation von Sauerstoff die
Beschwerden an Intensität und Dauer deutlich mildere. Der Antrag auf Kostenübernahme für Materialien zur
individuellen medizinischen Sauerstoffbehandlung werde daher von ihm unterstützt. Nachdem die Beklagte eine
weitere Stellungnahme des MDK vom 12. Mai 2003 veranlasst hatte, wies sie den Widerspruch der Klägerin mit
Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2003 zurück, wegen dessen Inhalt auf Blatt a und b der Gerichtsakte verwiesen
wird.
Die Klage, zu deren Begründung die Klägerin eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft Multiple-Chemical-
Sensitivity e.V. vom 5. Januar 2004 eingereicht hatte, wies das Sozialge-richt Berlin mit Urteil vom 12. April 2007 ab
und führte zur Begründung u.a. aus: Aus den Re-gelungen des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) ergebe
sich, dass auch die Hilfsmittel-versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung den Grundsätzen der
evidenzba-sierten Medizin folge. Zweckmäßig sei eine Hilfsmittelversorgung nur dann, wenn ausreichen-de
Erkenntnisse darüber bestünden, dass der Einsatz des betreffenden Hilfsmittels zur Errei-chung der in § 33 Abs. 1
Satz 1 SGB V genannten Ziele geeignet sei. Entscheidend komme es hierbei auf einen breiten und allgemeinen
Wirksamkeitsnachweis, nicht hingegen auf den indi-viduellen Erfolg im Einzelfall an. Von der Zweckmäßigkeit der
streitgegenständlichen Sauer-stoffversorgung zur Behandlung der MCS der Klägerin habe sich die Kammer nicht
überzeu-gen können. Untersuchungen bzw. Studien zum Nutzen dieser Therapie beim MCS-Syndrom existierten nicht
und seien auch durch die von der Klägerin eingereichten medizinischen Stel-lungnahmen nicht belegt.
Gegen dieses ihr am 6. Juni 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 6. Juli 2007. Zu deren
Begründung trägt sie vor: Eine eindeutige, klar indizierte Behandlung gebe es bei der MCS nicht. Vielmehr spielten
wegen der Vielfältigkeit der Symptome die indi-viduellen Anlagen eine viel stärkere Rolle als bei anderen
Erkrankungen. Die bei ihr nachge-wiesene Wirkung einer Sauerstofftherapie könne nicht wegen fehlender allgemeiner
Wirkungs¬nach¬weise beiseite geschoben werden. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG –
(Urteil vom 16. September 2004, Az.: B 3 KR 20/04 R) ergebe sich, dass Wirksam-keitsnachweise wie für § 135 Abs.
1 SGB V für das In-Verkehr-Bringen von Hilfsmitteln nicht erforderlich seien. Im Rahmen der begehrten Versorgung
mit dem Sauerstoffgerät gehe es we-gen der derzeitigen Unbehandelbarkeit der MCS nicht um diagnostische oder
therapeutische Zwecke. Vielmehr diene das Sauerstoffgerät primär dem Ausgleich einer Behinderung, indem es ihr –
der Klägerin – die Befriedigung des allgemeinen Grundbedürfnisses, der Erschließung eines gewissen körperlichen
und geistigen Freiraumes, insbesondere durch die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen
zu Vermeidung von Vereinsamung, er-mögliche. Akute Symptome der Erkrankung klängen unter Sauerstoffzufuhr
bereits nach einer halben bis zwei Stunden ab, wogegen ohne Sauerstoffzufuhr die Beschwerden bis über 72 Stunden
anhielten. Sie traue sich nicht mehr, unter Menschen zu gehen, da sie beim Einkaufen, im Kino oder Theater, in
Restaurants (auch Freiluftlokalen) oder auch in ärztlichen Wartezim-mern fast immer auf Personen treffe und dadurch
mit irgendeinem Triggerstoff konfrontiert werde. Bei der MCS handele es sich, anders als in den AWMF-Leitlinien
dargestellt, nicht um eine somatoforme Störung, wie auch der beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialord-nung
angesiedelte Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin anerkannt habe. Sie – die Klä-gerin – verwahre sich ganz
entschieden dagegen, als psychisch Erkrankte behandelt zu werden. Sie begehre auch keine unkontrollierte
Versorgung im Rahmen einer Sauerstofftherapie in Form einer permanenten Nutzung von Sauerstoff, sondern
benötige diesen nur im Expositions-fall zur schnelleren Überwindung des Anfalls. Sie begehre somit die Verordnung
eines Hilfs-mittels, welches ihr ermögliche, im Falle der Schadstoffexposition die Möglichkeit zu haben, mit
unbelasteter Atemluft versorgt zu werden. Ob das Druckluftatemgerät mit reinem Sauer-stoff oder mit unbelasteter
schadstofffreier Atemluft gefüllt sei, mache für sie keinen Unter-schied. Sie greife lediglich deshalb auf
Sauerstoffgeräte zurück, weil sie keine anderweitige Möglichkeit habe, unbelastete Atemluft in Druckluftflaschen zu
beziehen. Auf die Publikation des Dr. William J. Rea, eines der weltweit erfahrensten Experten auf dem Gebiet
Chemikalien-Sensitivität, werde verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. April 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2003 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie dauerhaft mit
den in der ärztlichen Verordnung vom 5. März 2003 genannten Hilfsmitteln zu ver-sorgen. Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich auf die während des Verfahrens erstellten Gutachten
des MDK (zuletzt vom 9. April 2009).
Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte K (Allgemeinmediziner) vom 2. Januar 2007 und
DM K (Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten) vom 6. Ap-ril 2008 eingeholt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die
Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angegriffenen
Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.
Die Klage ist unbegründet. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit den am 5.
März 2003 ärztlich verordneten Hilfsmitteln.
1. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der ab 1. April 2007 geltenden Fassung haben Versicher-te Anspruch auf
Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich
sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu si-chern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine
Behinderung auszugleichen, so-weit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
anzuse-hen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der
Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch, müssen die Leistun-gen nach § 33 SGB V
ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen
Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 2 Abs. 4 und § 12 Abs. 1 SGB V).
2. Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin nach § 33 Abs. 1 SGB V liegen nach keiner der darin
genannten Fallkonstellationen vor.
a) Der Anspruch ist allerdings nicht bereits nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Die von der Klägerin begehrten
Hilfsmittel sind keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.
aa) Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens hängt davon ab, ob ein Gegenstand
bereits seiner Konzeption nach den Erfolg einer Krankenbehandlung si-chern oder eine Behinderung ausgleichen soll
oder – falls dies nicht so ist – den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders
entgegenkommt und von gesunden, körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird. Was
regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen, wobei es auf einen
bestimmten prozentual messbaren Verbreitungsgrad in der Bevölkerung oder einen Min-destpreis nicht ankommt.
Nicht ausschlaggebend ist, ob der Gegenstand aus Vermarktungs-gründen als "medizinisches Hilfsmittel" beworben
wird (BSG, Urteil vom 29. April 2010, Az.: B 3 KR 5/09 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).
bb) Gegen die Einordnung der streitgegenständlichen Hilfsmittel als allgemeiner Gebrauchsge-genstand des täglichen
Lebens spricht maßgeblich, dass alle verordneten Geräte in der Pro-duktgruppe 14 im Hilfsmittelverzeichnis der GKV
(§ 139 SGB V) als Inhalations- und Atem-therapiegeräte aufgeführt werden. Das Hilfsmittelverzeichnis ist zwar nicht
geeignet, Ansprü-che der Versicherten im Sinne einer Positivliste auszuschließen. Wenn aber ein Gegenstand im
Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist, spricht dies im Sinne einer Orientierungshilfe zugunsten des Versicherten dafür, den
Gegenstand nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen (BSG a.a.O.). Dem
Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass der Sauerstoffversorgung dienende Geräte(teile) auch
außerhalb der Medizin, z.B. von Tau-chern, verwendet werden. Denn sie dienen insoweit gerade nicht der Nutzung als
allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, da Grund für den Einsatz entweder die besonde-ren
Umstände einer beruflichen Tätigkeit (vgl. BSG a.a.O.) oder einer Freizeitbeschäftigung, der nur ein vergleichsweise
geringer Teil der Bevölkerung nachgeht, sind.
b) Die von der Klägerin begehrten Hilfsmittel zur Sauerstoffversorgung sind nicht erforderlich, um den Erfolg einer
Krankenbehandlung (§ 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB V) oder einer Heil-behandlung (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 26
Abs. 2 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – SGB IX) zu sichern. aa) Soweit die Klägerin vorbringt, die Versorgung
mit Sauerstoff diene in ihrem Falle nicht der Krankenbehandlung, sondern ausschließlich dem Behinderungsausgleich,
trifft dies nur teil-weise zu. Denn sie hat auch geschildert, dass sie Sauerstoff einsetzt, um nach einem Kontakt mit
für sie schädlichen Duftstoffen die danach auftretenden gesundheitlichen Beschwerden zu lindern. Die
Krankenbehandlung i.S.d. GKV bezweckt nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V aber auch die (notwendige) Linderung von
Krankheitsbeschwerden. Ein Eingehen auf diese Tatbe-standsalternative erübrigt sich somit nicht schon deswegen,
weil die Klägerin die begehrten Hilfsmittel hierfür gar nicht einsetzt.
bb) Generell ist der Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V gemäß den all¬ge¬meinen
Bestimmungen der § 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V auf solche Leistungen be-schränkt, die die Gewähr für
Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bieten, und zwar je-weils nach Maßgabe des allgemein anerkannten
Standes der medizinischen Erkenntnisse. Dazu muss es grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen in dem Sinne ge-ben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung
ausreichen-den Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Diese Feststellung obliegt im Bereich ärztlicher
Behandlungen grundsätzlich dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) im Verfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V.
Hiernach ist eine Therapie bei neuen Untersuchungs- und Behandlungs-methoden nur dann von der Leistungspflicht
der GKV umfasst, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V bereits eine positive
Empfehlung über den diagnosti-schen und therapeutischen Nutzen der Methode und die notwendige Qualifikation der
Ärzte sowie die dabei zu beachtenden apparativen Anforderungen abgegeben hat. Voraussetzung da-für ist nach der
Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung i.V.m. § 7ff des 2. Kapitels der Verfahrensordnung des GBA i.d.F.
vom 18. Dezember 2008 der Beleg von Qualität, Wirk-samkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethoden
anhand sog. randomisierter, doppel-blind durchgeführter und placebokontrollierter Studien (BSG, Urteil vom 12. August
2009, Az.: B 3 KR 10/07 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).
(1) Diese Anforderungen gelten auch für die Hilfsmittelsversorgung in der GKV (BSG a.a.O.). Soll ein Hilfsmittel im
Rahmen der Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) de-ren "Erfolg sichern" (§ 33 Abs. 1 SGB V), ist
seine Verwendung ¬&61485; anders als etwa bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich &61485; nicht von dem
zugrunde liegenden Behandlungs-konzept und den dafür geltenden Anforderungen nach § 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs.
1 SGB V i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V zu trennen. Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V
begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten
Krankheitsbild systematisch angewandten "Methode" und demgemäß auch den Einsatz der streitgegenständlichen
Hilfsmittel (BSG a.a.O.). Dies gilt um-so mehr, als nach dem Vorbringen der Klägerin und der sie unterstützenden
Ärzte der Behand-lung der MCS mit Sauerstoff kein bestimmtes medizinisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde
liegt, sondern "nur" die positiven Erfahrungen der Klägerin mit dieser Anwendung. Dass eine bestimmte Therapie im
Falle einzelner Versicherter zur einer &61485; ggf. auch objektiv nachweisbaren &61485; Verbesserung ihres
Gesundheitszustands geführt hat und daher von ihnen als erfolgreich eingestuft wird, genügt seit Einführung des SGB
V jedoch gerade nicht mehr, um eine Leistungspflicht der Krankenkasse auszulösen (vgl. BSG, Urteil vom 27. März
2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).
(2) Anhaltspunkte dafür, dass eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Emp-fehlung des GBA zur
Versorgung in der GKV zuzulassen wäre, sind hier nicht feststellbar. Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG
anerkannt, dass die Sperrwirkung einer fehlenden po-sitiven Empfehlung des GBA unter besonders gelagerten
Voraussetzungen unbeachtlich sein kann. Das kann jedoch nur in Betracht gezogen werden bei einer im Sinne der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25) notstandsähnli-chen
(Krankheits-)Situation mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit oder einer
zumindest wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, medizinischem
Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfü-gung steht; ferner bei einem sog Seltenheitsfall, der sich einer
systematischen Erforschung ent-zieht, und schließlich für den Fall, dass der GBA dem in § 135 Abs. 1 SGB V
vorausgesetzten Auftrag nicht gerecht geworden ist, selbst für eine Aktualisierung der Richtlinien Sorge zu tra-gen
(BSG a.a.O.).
(3) Eine solche Ausnahme liegt hier nicht vor. Die MCS ist keine lebensbedrohliche oder re-gelmäßig tödlich
verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankun-gen. Auch für eine willkürlich oder
ansonsten mit dem Aktualisierungsauftrag des GBA unver-einbar verzögerte Handhabung des Verfahrens nach § 135
Abs. 1 Satz 1 SGB V findet sich kein Anhaltspunkt. Offen bleiben kann, ob die MCS zu den besonders seltenen
Erkrankungen zählt. Dies sind Leiden, an denen nicht mehr als fünf von 10.000 Personen erkranken; bei le-
bensbedrohlichen, zu schwerer Invalidität führenden bzw. schweren und chronischen Leiden kann dieser
Schwellenwert auch überschritten werden (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, Az.: B 1 KR 27/02 R, veröffentlicht in
Juris, unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 EWGV 141/2000 vom 16. Dezember 1999 über "Arzneimittel für seltene Leiden"
– ABlEG 2000 L 18/1 –). Denn auch Behandlungsmethoden bei seltenen Erkrankungen sind nicht von jeglicher Quali-
tätsprüfung befreit. Vielmehr setzt auch insoweit der Leistungsanspruch eines Versicherten voraus, dass ein
Mindestmaß an Behandlungsqualität eingehalten wird. Vor dem Hintergrund der Wissenschaftlichkeits-Klausel des § 2
Abs. 1 Satz 3 SGB V ist es daher erforderlich, dass zuverlässige wissenschaftliche Daten und aussagekräftige
Studien die Unbedenklichkeit und therapeutische Wirksamkeit der Behandlungsmethode zumindest für andere
Krankheiten bele-gen. Denn auch in derartigen Situationen umfasst die Leistungspflicht der Krankenkasse keine
ärztlichen Maßnahmen, die nur ungenügende Erfolgsaussichten bieten. Um eine Mindestquali-tät zu gewährleisten,
müssen die im Zeitpunkt der Behandlung verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen,
dass der voraussichtliche Nutzen der Maßnahme die möglichen Risiken überwiegen wird (BSG a.a.O.). Dass derartige
wissenschaftliche Erkennt-nisse für die Behandlung der MCS mit Sauerstoff vorliegen, ist jedoch nicht ersichtlich.
c) Nichts anderes gilt, soweit die von der Klägerin begehrten Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung (§ 33 Abs. 1
Satz 1, 3. Alt. SGB V) dienen sollen. Hierbei kann der Senat dahin-gestellt sein lassen, ob diese Hilfsmittel
tatsächlich erforderlich sind, um das allgemeine Grundbedürfnis des täglichen Lebens "Erschließen eines gewissen
körperlichen und geistigen Freiraums" zu befriedigen. Denn wegen der o.g. therapeutischen Wirkung der
Sauerstoffver-sorgung bedarf es auch insofern einer Qualitätsprüfung.
Allerdings ist eine Qualitätsprüfung in der Form, dass der therapeutische Nutzen nachgewiesen sein muss, im
Hilfsmittelbereich dann nicht erforderlich, wenn entweder ein neues Hilfsmittel nicht der Anwendung einer neuen
Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dienen, sondern im Rahmen einer eingeführten, anerkannten
Behandlungsmethode zum Einsatz kommen soll, oder es sich um ein Hilfsmittel zum bloßen Behinderungsausgleich
handelt. Im letzteren Fall ist der Nachweis eines therapeutischen Nutzens, der über die Funktionstauglichkeit zum
Aus-gleich der Behinderung hinausgeht, schon von der Zielrichtung des Hilfsmittels nicht geboten und in der Regel
auch nicht möglich. Aber auch bei einem Hilfsmittel, welches – wie hier – therapeutischen Zwecken dient, müssen
nicht in jedem Fall die Ergebnisse klinischer Prüfun-gen vorgelegt werden. Geht es nur um eine Alternative zu einem
gelisteten herkömmlichen Hilfsmittel, reicht es aus, wenn die Produkte zumindest den gleichen therapeutischen
Nutzen wie die herkömmlicherweise benutzten Produkte aufweisen (BSG, Urteil vom 28. September 2006, Az.: B 3
KR 28/05 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.). Sollen therapeutische wirksame Hilfsmittel jedoch im Rahmen einer nicht
anerkannten Behandlungsmethode eingesetzt wer-den, müssen sie die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit bieten, und zwar jeweils nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen
Erkenntnisse. Dann muss es grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sin-ne
geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausrei-chenden Anzahl von
Behandlungsfällen belegt ist. Hieran fehlt es – wie bereits festgestellt – im vorliegenden Fall.
d) Dass die streitgegenständliche Hilfsmittelversorgung auch zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung
erforderlich sein könnte, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlie-gen.