Urteil des SozG Berlin vom 14.03.2017
SozG Berlin: erlass, sozialhilfe, gesetzeslücke, anzeichen, weiterbildung, härtefall, sammlung, wahrscheinlichkeit, quelle, link
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Gericht:
SG Berlin 93.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 93 AS 9944/05 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 60ff BAföG, § 7 Abs 5 S 1 SGB
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Grundsicherung für Arbeitslose - Arbeitslosengeld II -
Leistungsausschluss für Auszubildende - dreijährige Ausbildung
zur Altenpflegerin - Förderungsfähigkeit nach dem BAfög dem
Grunde nach - Fehlen der persönlichen Voraussetzungen - keine
Gesetzeslücke
Leitsatz
Erfüllt eine Antragstellerin lediglich nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Förderung
einer dreijährigen Ausbildung zur Altenpflegerin gemäß dem BAföG oder dem SGB III, handelt
sich hierbei nicht um eine Gesetzeslücke in dem Sinne, dass der Gesetzgeber derartige Fälle
übersehen hätte. Vielmehr sollen Leistungen der Sozialhilfe von den finanziellen Lasten der
Ausbildungsförderung freigehalten werden, und keineswegs sollen über die Vorschriften des
SGB II Ausbildungen finanziert werden, die nach den spezielleren Regelungen der
Ausbildungsförderung nicht mehr bezahlt würden.
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
2. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die 1966 geborene Antragstellerin ist ausgebildete Kauffrau für Bürokommunikation.
Bis Ende August 2004 arbeitete sie als Sekretärin, anschließend bezog sie
Arbeitslosenunterstützung. Seit dem 1. Juni 2005 nimmt sie an einer vom
Antragsgegner vermittelten und bis 28. Februar 2006 dauernden
Beschäftigungsmaßnahme teil, bei der sie 1.150 Euro monatlich verdient.
Vom Antragsgegner erhielt sie einen Bildungsgutschein, mit dem sie sich für eine
dreijährige Berufsausbildung zur Altenpflegerin beim DRK-Bildungswerk anmeldete. Die
Ausbildung begann am 1. Oktober 2005.
Im September 2005 beantragte die Antragstellerin die Bewilligung von ALG II für die Zeit
der Teilnahme an der Ausbildung zur Altenpflegerin. Diesen Antrag lehnte der
Antragsgegner mit Bescheid vom 10. Oktober 2005 ab.
Am 18. Oktober 2005 legte die Antragstellerin gegen den Bescheid Widerspruch ein und
stellte bei dem Sozialgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung.
Sie trägt vor, dass sie sich vom Antragsgegner betrogen fühle. Einerseits sei ihr ein
Bildungsgutschein für eine Ausbildung gegeben worden, andererseits werde ihr der
nötige Lebensunterhalt für die Zeit der Ausbildung verweigert.
Die Antragstellerin beantragt demzufolge sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr während
der Zeit der Ausbildung zur Altenpflegerin ALG II zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Er trägt vor, dass die Antragstellerin nicht hilfebedürftig sei, da sie ja bereits an einer
bezahlten Beschäftigungsmaßnahme teilnehme.
Die betreffende Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners lagen dem
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Die betreffende Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners lagen dem
Gericht bei seiner Entscheidung vor. Für Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den
Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
II. Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf einen Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr
besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Entscheidungserhebliche Angaben sind dabei von den Beteiligten glaubhaft zu machen
(§ 86 b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
Zusammengefasst müssen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig
zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss es im Ergebnis einer Prüfung der
materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Antragsteller mit
seinem Begehren im hauptsächlichen Verwaltungs- oder Klageverfahren erfolgreich sein
wird (Anordnungsanspruch). Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung
deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender
schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang eines Hauptverfahrens
abzuwarten (Anordnungsgrund). Dabei hat das Gericht die Belange der Öffentlichkeit
und des Antragstellers miteinander abzuwägen.
In Anlehnung dieses Maßstabes sind die Voraussetzungen für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung nicht erfüllt.
Es besteht kein Anspruch auf die begehrte Leistung. Auszubildende, deren Ausbildung
im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAfÖG) oder §§ 60 bis 62 des
Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig sind,
haben nämlich gemäß § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes. Dieser Fall liegt hier vor. Unstreitig wäre die dreijährige
Ausbildung zur Altenpflegerin dem Grunde nach gemäß dem BAFÖG oder dem SGB III
förderungsfähig, die Antragstellerin erfüllt hierfür lediglich die persönlichen
Voraussetzungen nicht.
Es handelt sich hierbei nicht um eine Gesetzeslücke in dem Sinne, dass der
Gesetzgeber Fälle wie den vorliegenden übersehen hätte. Vielmehr sollen aus durchaus
vertretbaren Gesichtspunkten Leistungen der Sozialhilfe von den finanziellen Lasten der
Ausbildungsförderung freigehalten werden. Keineswegs sollen über die Vorschriften des
SGB II Ausbildungen finanziert werden, die nach den spezielleren Regelungen der
Ausbildungsförderung nicht mehr bezahlt würden. Ziel der Regelungen zum ALG II ist es
insbesondere, die Hilfebedürftigen rasch auf dem Arbeitsmarkt einzugliedern. Dem
würde die Bewilligung von ALG II für eine drei Jahre dauernde Ausbildung klar
widersprechen. Die Antragstellerin würde für diesen langen Zeitraum einer Vermittlung
in Arbeit nicht mehr zur Verfügung stehen. Es würde für mindestens drei Jahre eine
Hilfebedürftigkeit verfestigt, die durchaus mit gewisser Wahrscheinlichkeit auf andere
Weise früher beseitigt werden könnte, zum Beispiel durch eine verkürzte Weiterbildung.
Anzeichen für einen gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II ausnahmsweise zu beachtenden
Härtefall sind nicht ersichtlich. Die Klägerin ist gut ausgebildet und relativ jung. Das
Ergebnis der laufenden Beschäftigungsmaßnahme bleibt abzuwarten.
Angemerkt sei, dass im vorliegenden Fall allem Anschein nach durch eine ganze Reihe
von Missverständnissen bei der Antragstellerin bedauerlicherweise Erwartungen geweckt
wurden, die nach der Gesetzeslage nicht erfüllt werden können. Ein Anspruch auf die
begehrte Leistung lässt sich indes selbst bei eindeutigen, lediglich mündlichen Zusagen
nicht begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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