Urteil des SozG Berlin vom 13.07.2007

SozG Berlin: zusicherung, umzug, räumung, miete, kündigung, ermessensüberschreitung, ermächtigung, ermessensmissbrauch, wohnungsmarkt, hauptsache

Sozialgericht Berlin
Beschluss vom 13.07.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 125 AS 13747/07 ER
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Prozesskostenhilfe werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Der am 22. Juni 2007 beim SG Berlin eingegangene Antrag,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zustimmung zum Umzug bzw.
Kostenübernahme für das Wohnungsangebot am H in ... B sowie der Umzugskosten zu erteilen,
hat keinen Erfolg.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im
Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen
Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Vorliegend hat die Antragstellerin
keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Rechtsgrundlage für die begehrten Zusicherungen ist § 22 Abs. 2
(Zustimmung zum Umzug) und Abs. 3 (Übernahme der Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten) SGB II. Nach §
22 Abs. 2 S. 1 SGB II soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft
die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den
Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 ist der kommunale Träger nur zur Zusicherung
verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Diese
Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar sind die beabsichtigten Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne der Nr.
4 Abs. 2 der "Ausführungsvorschriften Wohnen" angemessen. Allerdings ist der Umzug nicht notwendig im Sinne des
Gesetzes. Von der Notwendigkeit des Umzugs ist grundsätzlich auszugehen, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer
Grund für den Wohnungswechsel vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger leiten lassen würde (Berlit, in:
LPK-SGB II, 2. Auflage, § 22, Rn. 76). Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Umzug von dem kommunalen Träger
veranlasst worden ist, wegen der Annahme einer Arbeitsstelle an einem anderen Ort, gestiegenem Unterkunftsbedarf
oder aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen (Berlit a.a.O). Die Erforderlichkeit weist somit eine objektive wie
auch eine subjektive Komponente auf (Lang, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 72). Deshalb kann von einer
Notwendigkeit des Umzugs nicht ausgegangen werden, wenn der Hilfebedürftige die objektive Notwendigkeit des
Umzugs – die hier aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Räumung grundsätzlich zu bejahen wäre (so offenbar
auch Berlit a.a.O., jedoch ohne weitere Anmerkungen) – selbst herbeigeführt hat, beispielsweise durch eigenhändige
Kündigung, bewusstes Herbeiführen der Unbewohnbarkeit oder auch durch Nichtzahlung der Miete, wie dies
vorliegend der Fall ist. Die Antragstellerin, die bereits im November 2006 den Wunsch äußerte, aus der Wohnung
auszuziehen, hat trotz Leistungen für Unterkunft und Miete durch den Antragsgegner die Miete nicht bezahlt und
"Mietschulden gemacht", wie dem Antragsgegner selbst im Schreiben vom 9. Januar 2007 mitgeteilt hat. Um die
Übernahme der Mietschulden durch den Antragsgegner zur Vermeidung der Kündigung hat sie sich nicht bemüht,
einen entsprechenden, vom Antragsgegner angebotenen Termin nicht wahrgenommen. Ebenso wenig ist sie der
Räumungsklage entgegengetreten, sondern hat durch Versäumung des Gerichtstermins vor dem AG N ein
Versäumnisurteil hingenommen. Sie hat es auch unterlassen, das hiergegen gegebene Rechtsmittel einzulegen. Weil
die Antragsstellerin auf diese Weise zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich den Grund für die
drohende Räumung herbeigeführt hat, kann kein Anspruch gegen den Antragsgegner bestehen, die Übernahme der
Kosten einer neuen Unterkunft zuzusichern. Denn dann könnte jeder Hilfebedürftige, dem seine Wohnung – aus
welchen Gründen auch immer – nicht mehr gefällt, den Umzug und die Übernahme der hiermit verbundenen, ggf.
höheren, Mietkosten praktisch erzwingen. Dies ist nicht im Sinne des Gesetzes, nach dem die Leistungen
wirtschaftlich und sparsam zu erbringen sind (§ 3 Abs. 1 S. 3 SGB II), was im öffentlichen Interesse liegt. Aus den
gleichen Gründen sind Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten nicht zu übernehmen. Gem. § 22 Abs. 3
SGB II können diese bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger
übernommen werden; eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft
zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Nach Satz 2 der Vorschrift soll die Zusicherung erteilt werden,
wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne
die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Auch hier ist die
Notwendigkeit des Umzugs zu verneinen. Somit liegt die Erteilung der begehrten Zusicherungen gem. § 22 Abs. 2 S.
und Abs. 3 S. 1 SGB II im Ermessen des Antragsgegners. Die Gerichte sind bezüglich der Überprüfung von
Ermessensentscheidungen eines Leistungsträgers gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG darauf beschränkt zu
kontrollieren, ob dieser seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch), er mit
seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, d.h. eine nach dem Gesetz nicht
zugelassene Rechtsfolge gesetzt hat (Ermessensüberschreitung), oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit und Ermessensmissbrauch).
Bei der Überprüfung darf das Gericht nicht eigene Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen des
Leistungsträgers setzen. Die Prüfung hat sich auf die Frage zu beschränken, ob die dargelegten
Ermessenserwägungen den Rahmen der §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überschreiten. Unter Beachtung
dieser Grundsätze hat der Antragsgegner im dargestellten Sinne nicht ermessensfehlerhaft gehandelt. Es ist nicht zu
beanstanden, wenn er die Zusicherung deswegen ablehnt, weil die Antragstellerin die Räumung ihrer Wohnung selbst
herbeigeführt hat. Auch weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass es der Antragstellerin auch ohne die
Zusicherung gelingen dürfte, auf dem bekanntermaßen entspannten B Wohnungsmarkt eine neue Wohnung zu finden,
zumal Mietkosten einer neuen Wohnung auch ohne Zusicherung im bisherigen Umfang übernommen werden (§ 22
Abs. 1 S. 2 SGB II) und bereits gegenwärtig der Maximalbetrag von 360,- EUR gezahlt wird. Schließlich droht der
Antragstellerin auch keine unmittelbare Obdachlosigkeit, weil sie im Rahmen des betreuten Wohnens an eine
Wohnung gelangen kann.
Aus den oben genannten Gründen ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe gem. §§ 73a Abs. 1 SGG, 114 Abs. 1 ZPO
mangels hinreichender Erfolgaussicht ebenfalls erfolglos.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.