Urteil des SozG Berlin vom 14.03.2017

SozG Berlin: zusicherung, abschlag, ausstattung, dusche, kaution, bad, wohnungsmarkt, vermietung, gefahr, ratenzahlung

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Gericht:
SG Berlin 37.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 37 AS 10013/05 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 2 S 2 SGB 2, § 33 S 2
SGB 1
Arbeitslosengeld II - Unterkunft - Wohnungswechsel -
Zusicherung der Mietkostenübernahme für neue Wohnung -
Erforderlichkeit des Umzuges - Angemessenheit
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem
Antragsteller eine Zusicherung zur Übernahme der Miete für die 43,5 qm-Wohnung in
der Sternstraße 15, 13359 Berlin (209,85 EUR + Gasabschlagszahlung) zu erteilen. Der
Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der 1947 geb. Antragsteller (Ast.) bezog bis Ende 2004 Sozialhilfe. Er bewohnt seit Juni
2003 eine 48 qm große Wohnung ohne Bad oder Dusche mit Ofenheizung. Der Mietzins
beträgt 175,35 EUR zuzgl. 66,78 EUR Betriebskosten und 13,47 Kabel-TV (= 255,60
EUR). Während der Heizperiode wird ihm eine Brennstoffhilfe von 54,69 EUR monatlich
gewährt.
Ein im August 2005 gestellter Antrag auf Zustimmung zu einem Wohnungswechsel in
eine 1- Raum-Wohnung von 60 qm mit Bad und Gasetagenheizung für 280,- EUR
Warmmiete plus 70,- EUR Abschlag für die Gasheizung war nach einem nicht
weiterverfolgten Widerspruch bestandskräftig abgelehnt worden.
Am 5.9. 2005 wiederholte der Ast. seinen Antrag, nachdem er von der Vermieterin durch
Teilung der avisierten Wohnung ein Mietangebot über 209,85 EUR Warmmiete plus 45,-
EUR Abschlag erhalten hatte. Die Wohnung ist 43,5 qm groß und liegt im Hochpaterre.
Gegen die erneute Ablehnung einer Zusicherung der Mietkostenübernahme mit
Bescheid vom 20.10.2005 hat der Ast. das Sozialgericht auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes angerufen. Er macht unter Bezugnahme auf ärztliche
Untersuchungsbefunde und einem Attest seiner Hausärztin geltend, wegen einer
schmerzhaften Bandscheibenerkrankung sowie eines Herzfehlers den mit der Beheizung
seiner derzeitigen, im 4. Stock gelegenen Wohnung verbundenen Belastungen nicht
gewachsen zu sein. Bei dieser Wohnung habe es sich ohnehin nur um eine
Ausweichunterkunft wegen Renovierungsmaßnahmen seiner ursprünglichen Wohnung
gehandelt. Auch als Alg II Empfänger müsse ihm eine kleine Wohnung mit ausreichender
sanitärer Ausstattung und Gasheizung zustehen. Die Kosten des Umzugs und die
Kaution werde er allein übernehmen. Im Ergebnis komme die neue Wohnung nicht
teurer. Da es sehr schwierig sei, eine entsprechende Wohnung zu diesem Preis zu
bekommen und die Vermieterin die Wohnung nur bis zum 1.11.2005 freihalte, sei eine
rasche Entscheidung geboten.
Die Leistungsakte ging am 3.11.2005 bei Gericht ein. Auf telefonische Anfrage hat der
Ast. mitgeteilt, dass er die Wohnung bei einer Mietübernahme des Jobcenter noch
bekommen könne.
Der Antragsgegner hält dem geltend gemachten Anspruch entgegen, dass der Ast.
derzeit mit ausreichendem Wohnraum versorgt sei. Die Voraussetzungen für einen
notwendigen Wohnungswechsel, der allein zur Zusicherung verpflichte, lägen nicht vor.
II.
Der nach § 86 b Abs. 2 SGG zulässige Antrag ist auch begründet. Der Ast. hat Anspruch
auf Zusicherung einer Mietübernahme für die 43,5 qm-Wohnung. Hierbei kann offen
bleiben, ob die gesundheitlichen Einschränkungen so gravierend sind, dass dem Ast. die
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bleiben, ob die gesundheitlichen Einschränkungen so gravierend sind, dass dem Ast. die
mit der Befeuerung der Ofenheizung verbundenen Belastungen nicht mehr zumutbar
sind. Denn die Erforderlichkeit eines Wohnungswechsels i.S. von § 22 Abs. 2 S. 2 SGB II
kann sich auch aus der Summierung unterwertiger Wohnverhältnisse ergeben, worunter
neben schlechten sanitären Verhältnissen, wie hier, auch die mit einer Ofenheizung
verbundenen Belastungen für einen älteren, gesundheitlich angeschlagenen
Leistungsbezieher gehören (vgl. OVG Niedersachsen vom 12.7.1994 – FEVS 45, S. 386;
OVG Hamburg vom 16.1.1990 – FEVS 39, 356).
Selbst wenn man bei sehr strenger Auslegung der "Erforderlichkeit" in § 22 Abs. 2 SGB II
im vorliegenden Fall keine Zustimmungsverpflichtung des Ag. annimmt, liegen die
Gesamtumstände so, dass das dem Ag. zustehende Ermessen, einem nicht
notwendigen Wohnungswechsel zuzustimmen, hier auf Null reduziert ist. Denn aus dem
Fehlen einer § 9 Abs. 2 SGB XII entsprechenden Vorschrift im SGB II (bzgl. der laufenden
Leistungen zum Lebensunterhalt) kann nicht geschlossen werden, dass angemessene
Hilfewünsche des Leistungsberechtigten unbeachtlich sind. Ihnen ist vielmehr über die
Generalnorm des § 33 SGB I Geltung zu verschaffen, wenn es sich um einen
"angemessenen" Wunsch handelt. Dann soll der Leistungsträger dem Wunsch bei
Ausgestaltung der Hilfe entsprechen (§ 33 S. 2 SGB I).
Der Wunsch, anstelle einer ofen- eine automatisch beheizbare Wohnung zu bewohnen,
ist grundsätzlich angemessen (OVG Hamburg, a.a.O.); im vorliegenden Fall kommt
hinzu, dass auch die sanitären Verhältnisse der jetzigen Wohnung unzureichend sind.
Zumindest eine Dusche gehört zu den auch einem Alg II-bezieher zugestandenen
Wohnstandard im insgesamt unteren Segment des Wohnungsmarktes, in dem sich die
avisierte Wohnung befindet.
Sie ist deshalb auch "angemessen" i.S. von § 22 Abs. 2 S. 2 SGB II (vgl. LSG NRW vom
24.8.2005 – L 19 B 28/05 AS ER).
Sollten die Gesamtkosten der Unterkunft (Wartung der Gastherme, Erhöhung des
geschätzten Abschlags) über den derzeitigen liegen, steht wegen der geringen
Grundmiete jedenfalls fest, dass die Überschreitung bei Berücksichtigung der
Brennstoffhilfeleistungen nur geringfügig sein wird. Der Wunsch des Ast. nach einem
Wohnkomfort, der Mindeststandards nicht überschreitet, wird dadurch bei Abwägung mit
dem berechtigten Anliegen einer sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel, nicht
unangemessen. Eine Überschreitung der nach den seit Juli geltenden Richtlinien
maßgebenden Warmmiete für einen 1-Personen-Haushalt (360,- EUR) wird auch bei
steigenden Energiepreisen keinesfalls eintreten.
Nach alldem war dem Antrag im Hinblick auf die glaubhaft gemachte Gefahr einer
anderweitigen Vermietung vorläufig stattzugeben. Auch wenn auf dem Berliner
Wohnungsmarkt andere, gleichwertige Wohnungen noch zu erhalten sind, liegt hier die
Besonderheit vor, dass sich der Ast. mit der Vermieterin über eine Ratenzahlung der
Kaution geeinigt hat. Überdies ist es unwahrscheinlich, dass der Ast. eine günstigere
Wohnung mit vergleichbarer Ausstattung finden wird.
Vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass der Eilantrag den Widerspruch gegen den
Ablehnungsbescheid vom 20.10.2005 nicht ersetzt. Der Widerspruch ist innerhalb der
Monatsfrist nach Bekanntgabe des Bescheides beim JobCenter einzulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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