Urteil des SozG Berlin vom 20.07.2006
SozG Berlin: darlehen, zuschuss, öffentliche schule, eltern, fahrtkosten, höchstbetrag, beschränkung, wohnung, kompetenz, gesundheit
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Gericht:
SG Berlin 103.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 103 AS 7827/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 23 Abs 3 S 1 Nr 3 SGB 2 vom
20.07.2006, § 23 Abs 3 S 2 SGB
2 vom 20.07.2006, § 23 Abs 3 S
4 SGB 2 vom 20.07.2006, § 23
Abs 3 S 5 SGB 2 vom
20.07.2006, § 76 Abs 2 Nr 7
SchulG BE 2004
Arbeitslosengeld II - Sonderbedarf - mehrtägige Klassenfahrt -
Unzulässigkeit der Begrenzung bzw Pauschalierung
Tenor
Die Bescheide vom 2. April 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 4. April 2007 werden aufgehoben. Der
Beklagte wird unter Änderung der Bescheide vom 5. April 2007 verpflichtet,
die den Klägern jeweils mit Bescheiden vom 5. April 2007 gewährten Kosten
für mehrtägige Klassenfahrten statt als Darlehen als Zuschuss zu
gewähren.
Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten
zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen, soweit sie nicht kraft Gesetzes zulässig ist.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Kläger auf Gewährung einer einmaligen
Beihilfe für Schülerfahrten als Zuschuss.
Der 1987 geborene Kläger zu 1 ist der Bruder des 1991 geborenen Klägers zu 2. Sie
bewohnen gemeinsam mit ihrer minderjährigen Schwester sowie ihren verheirateten
Eltern eine Wohnung unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift im Verwaltungsbezirk
Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin.
Der Vater des Klägers erzielt aus seiner Erwerbstätigkeit ein monatliches Nettoentgelt
von 1503,86 Euro bei einem Bruttoentgelt von 2036,75 Euro. Für die Kläger und ihre
Schwester wird jeweils Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro monatlich gezahlt. Die
Bruttowarmmiete der von den Klägern und ihrer Familie bewohnten Wohnung beträgt
gegenwärtig 1024,51 Euro im Monat. Der Kläger zu 2 erzielt ein Einkommen aus einer
Schülernebentätigkeit von weniger als 100 Euro im Monat.
Zuletzt mit Bescheid vom 15. November 2006 bewilligte der Beklagte den Klägern sowie
ihren Eltern und ihrer Schwester laufende Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes für den Zeitraum 1. März 2007 bis 31. August 2007. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Bescheid (als Textvorschau auf Blatt 342 der Verwaltungsakte)
Bezug genommen.
Die Kläger besuchen im Schuljahr 2006/2007 die Freie Waldorfschule K e. V., eine bis
zum Abitur führende öffentliche Schule in freier Trägerschaft. Der Kläger zu 1 besucht
dort die 12. Klasse, der Kläger zu 2 befindet sich in der neunten Klassenstufe.
Am 12. März 2007 beantragten die Kläger, vertreten durch ihren Vater, jeweils die
Übernahme von Kosten von Klassenfahrten.
Der Kläger zu 1 beantragte die Übernahme der Kosten in Höhe von insgesamt 719 Euro
(212 Euro Fahrtkosten, 260 Euro Unterkunft, 260 Euro Unterkunft, 80 Euro Verpflegung
und 167 Euro Nebenkosten ohne Taschengeld) für eine Kunststudienfahrt seiner Klasse
im Zeitraum vom 8. Mai 2007 bis 19. Mai 2007 nach F.
Für den Kläger zu 2 wurde die Gewährung von insgesamt 285,00 Euro (40,00 Euro
Fahrtkosten, 210 Euro für Unterkunft und Verpflegung und 35,00 Euro Nebenkosten
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Fahrtkosten, 210 Euro für Unterkunft und Verpflegung und 35,00 Euro Nebenkosten
ohne Taschengeld) für eine Fahrt seiner Klasse vom 16. April 2007 bis zum 4. Mai 2007
nach R im Bundesland Brandenburg beantragt.
Die Antragsangaben wurden jeweils durch die Schule auf dem dafür vorgesehenen Teil
des hierfür ausgegebenen Formulars bestätigt.
Mit Schreiben vom 16. März 2007 an den Vater der Kläger legte der Beklagte seine
Rechtsauffassung dar, dass für die Fahrt des Klägers zu 1 ein Höchstbetrag von 400,00
Euro und für die Fahrt des Klägers zu 2 ein Höchstbetrag von 180,00 Euro gewährt
werden könne. Zugleich forderte er den Vater des Klägers auf, bis zum 2. April 2007
mitzuteilen, wie die Differenz bis zur vollen Höhe der Kosten für Schülerfahrten beglichen
werde.
Am 26. März 2007 sprach der Vater der Kläger bei dem Beklagten vor und teilte mit,
dass er den Rest der Fahrtkosten nicht bezahlen könne. Er erhielt daraufhin von dem
Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin S die mündliche Mitteilung, dass die 400,00 bzw.
180,00 Euro für die Kläger nicht zur Auszahlung kämen.
Am 29. März 2007 beantragten die Kläger in zwei getrennten Verfahren den Erlass von
einstweiligen Anordnungen gegen den Beklagten. Die Verfahren wurden unter dem
Aktenzeichen S 103 AS 7827/07 ER zur gemeinsamen Entscheidung durch die Kammer
verbunden (Beschluss vom 4. April 2007).
Mit zwei Bescheiden vom 2. April 2007 lehnte der Beklagte die Anträge der Kläger ab.
Zur Begründung führte er jeweils aus, dass die Kosten für die Schülerfahrten die im
Rundschreiben I Nr. 38/2004 der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und
Verbraucherschutz genannten Höchstbeträge überschritten. Für die Klassenfahrt des
Klägers zu 1 ins europäische Ausland sei dort ein Höchstbetrag von 400,00 Euro
vorgesehen. Für die Klassenfahrt des Klägers zu 2 sei ein Höchstbetrag für Fahrten
innerhalb Brandenburgs von 180,00 Euro vorgesehen. Ein diese Höchstbeträge
überschreitender Antrag sei im Gesamten abzulehnen, wenn der Leistungsberechtigte
nicht in der Lage sei, bei einer Überschreitung des Höchstbetrages die zusätzlichen
Kosten selbst zu tragen und der überschreitende Restbetrag nicht durch Dritte getragen
werde. Die Kläger hätten hingegen angegeben, den Differenzbetrag nicht bezahlen zu
können.
Am 4. April 2007 legten die Kläger vertreten durch ihre jetzige Prozessbevollmächtigte
zu Protokoll der Kammer im Erörterungstermin über die Anträge im einstweiligen
Rechtsschutz vom 29. März 2007 Widerspruch gegen die Bescheide vom 2. April 2007
ein. Diesen begründeten sie mit Schriftsätzen vom selben Tag dahingehend, dass die
Anspruchsnorm des § 23 Abs. 3 Nr. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) weder
selbst eine Begrenzung der mit den Schülerfahrten verbundenen Kosten enthielten noch
eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung etwaiger anspruchsbegrenzender
Rechtsverordnungen vorsehe. Der Anspruch beziehe sich daher auf die tatsächlichen
Kosten.
Mit einem an die Prozessbevollmächtigte der Kläger adressierten Widerspruchsbescheid,
der den Vater der Kläger als Widerspruchsführer nennt, vom 4. April 2007 wies der
Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hierin führte er aus, dass nach § 76
des Schulgesetzes die Kompetenz zur Festsetzung der Grundsätze zur Durchführung
von Klassenfahrten, insbesondere zur der pädagogischen Zielsetzung, Anzahl, Dauer
und Beförderung auf die Schulkonferenz der jeweiligen Schule übertragen sei. Deswegen
seien im Land Berlin erhebliche Abweichungen in Sachen Reisedauer, Reisekosten sowie
Reiseziel zu erwarten. Obwohl davon ausgegangen werde, dass die Schulkonferenz
aufgrund ihrer sozialen und pädagogischen Kompetenz bei den Entscheidungen auch die
unterschiedliche finanzielle Ausgangslage der Erziehungsberechtigten bzw. volljährigen
Schülerinnen und Schüler mitberücksichtigt, würden zur Vermeidung unangemessen
hoher Kosten für mehrtägige Klassenfahrten in der Anlage 3 des in
Ablehnungsbescheiden genannten Rundschreibens aufgeführten Beträge als
"Höchstbeträge" festgesetzt. Im Übrigen sei zunächst ein Antrag auf einen Zuschuss zu
den Fahrtkosten beim Bezirksamt zu stellen. Soweit solche Zuschüsse bewilligt werden
können – wenn auch nur in Einzelfällen – habe der Antragsteller die Gewährung oder
begründete Ablehnung nachzuweisen. Die Mutter der Kläger habe zudem im
Erörterungstermin vor der Kammer eingeräumt, dass die Möglichkeit bestanden hätte,
eine Elternsammlung in der Schule zu beantragen, um die Differenz aufzubringen.
Mit Bescheiden vom 5. April 2007 wurden den Klägern die beantragten Fahrtkosten –
entsprechend einer Zusicherung des Beklagten im Erörterungstermin am 4. April 2007 –
jeweils in voller Höhe als Darlehen gewährt. Die Bescheide enthielten den Zusatz, dass
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jeweils in voller Höhe als Darlehen gewährt. Die Bescheide enthielten den Zusatz, dass
die Tilgung bis zur Erledigung des vorliegenden Hauptsacheverfahrens ausgesetzt
werde.
Mit ihren am 5. April 2007 bei Gericht eingegangenen Klagen verfolgen die Kläger ihr
Begehr weiter. Sie sind der Auffassung, dass bereits der Wortlaut des § 23 Abs. 3 Ziffer 3
Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) keinen Auslegungsspielraum zulasse. Der
Gesetzgeber habe in § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II gerade deutlich gemacht, dass nur für die
Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 und 2 Geldleistungen als Pauschalbeträge
zulässig seien. Die zu übernehmenden Kosten für Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1
Ziffer 3 SGB II seien weder vom Gesetzgeber begrenzt worden, dieser habe vielmehr
wissentlich in diesem Zusammenhang auf die Festsetzung von Höchstgrenzen
verzichtet.
Nachdem die Kammer die Klagen durch einen im Termin zur mündlichen Verhandlung
verkündeten Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden
hat beantragen die Kläger,
den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 2. April 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 4. April 2007 sowie unter Änderung der Bescheide vom 5.
April 2007 zu verpflichten, ihnen die mit den Bescheiden vom 5. April 2007 als Darlehen
gewährten Kosten für mehrtägige Schülerfahrten statt als Darlehen als Zuschuss zu
gewähren,
hilfsweise die Berufung und die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen,
hilfsweise die Berufung und die Revision zuzulassen.
Er hält an seiner im Widerspruchsbescheid dargestellten Auffassung fest. Der Beklagte
hat ferner im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, dass es sich bei der Nennung
des Vaters des Klägers als Widerspruchsführer im Widerspruchsbescheid um eine
offenbare Unrichtigkeit handele und über die Widersprüche der Kläger entschieden
worden sei.
Nach Klagerhebung haben die Klassenfahrten beider Kläger stattgefunden.
Die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gerichtsakten der Eilverfahren S 103 AS
7827/07 ER und S 102 AS 7826/07 ER sowie die Gerichtsakten des verbundenen
Klageverfahrens (S 103 AS 7827/07 und S 103 AS 7827/07 I), auf die ergänzend Bezug
genommen wird, haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Klagen haben auch in der Sache Erfolg.
I.
Die Klage ist nach Erlass der Bescheide vom 5. April 2007 als kombinierte Anfechtungs-
und Verpflichtungsklage statthaft und zulässig erhoben. Die am Tag der Klageerhebung
ergangenen und damit unter Berücksichtigung der Postlaufzeit zwingend nach
Rechtshängigkeit bekannt gegebenen Bescheide vom 5. April 2007 sind unmittelbar
nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die
ursprünglichen Bescheide vom 2. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 4. April 2007 werden hierdurch dahingehend teilweise abgeändert, dass nunmehr
die begehrten Leistungen als Darlehen gewährt werden. Die ursprünglichen Bescheide
wirken nur noch hinsichtlich der Ablehnung der Gewährung der Leistungen als Zuschuss
fort.
Die Kläger erreichen ihr Begehr damit allein mit der Anfechtung der
Ablehnungsbescheide und der Änderung der Bescheide vom 5. April 2007 dahingehend,
dass die Leistungen statt als Darlehen als Zuschuss gewährt werden. Dabei handelt es
sich um eine Verpflichtungskonstellation, auch wenn sprachlich dieses Ziel durch die
Streichung der darlehensweisen Gewährung aus dem Bescheid vom 5. April 2007
erreicht werden kann, weil es sich inhaltlich um eine andere Regelung handelt, die die
Kläger herbeiführen wollen. Nach Auffassung der Kammer gehört zum Verfügungssatz
jeder Leistungsbewilligung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch die Leistungsform
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jeder Leistungsbewilligung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch die Leistungsform
(Darlehen oder Zuschuss). Enthält ein Verwaltungsakt hierzu von Anfang an keine
ausdrücklichen Feststellungen, ist dieser regelmäßig so auszulegen, dass die Leistung
als Zuschuss gewährt wird. Die Beseitigung des Ausspruchs der Behörde, eine Leistung
als Darlehen zu gewähren, führt jedoch nur dazu, dass nunmehr überhaupt keine
entsprechende Verfügungssatzkomponente vorliegt. Es bedarf daher der Verpflichtung
des Trägers zur Änderung des Bewilligungsbescheides in eine ausdrückliche
Darlehensgewährung.
Nur hilfsweise weist die Kammer darauf hin, dass selbst wenn man von einer Zulässigkeit
und Begründetheit einer isolierten Anfechtungsklage gegen die Art der Leistung
(Darlehen) als teilbare Bestimmung der Verwaltungsakte vom 5. April 2007 ausginge
und das Rechtsschutzbedürfnis für die Verpflichtungsklage verneinte, wäre der auf
Änderung der Bescheide vom 5. April 2007 gerichtete Antrag als entsprechender
Anfechtungsantrag auszulegen (§ 123 SGG).
Nicht eröffnet wäre hingegen eine unechte Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG), weil die
Kläger nicht die Erbringung weiterer Leistungen (Auszahlungen) begehren, sondern nur
noch die Änderung der Leistungsform der bereits vom Beklagten erbrachten Zahlungen.
Das erforderliche Verwaltungs- und Vorverfahren (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) hat
stattgefunden. Soweit der Beklagte irrtümlich den Vater der Kläger im
Widerspruchsbescheid als Widerspruchsführer bezeichnet hat, ist diese offenbare
Unrichtigkeit durch die Erklärung des Beklagtenvertreters zu Protokoll im
Verhandlungstermin korrigiert worden. Auch den sonstigen Bescheiden lässt sich nach
Auffassung der Kammer im Wege der Auslegung entnehmen, dass diese inhaltlich an die
Kläger adressiert sind und über deren Individualleistungsansprüche entscheiden. Der
volljährige Kläger zu 1 hat insoweit im Verhandlungstermin bestätigt, dass sein Vater ihn
im Verwaltungsverfahren mit seinem Einverständnis vertreten hat.
II.
Die Klagen sind auch begründet.
Die Kläger haben einen Anspruch auf Gewährung der Kosten der mehrtätigen
Schülerfahrten als Zuschuss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Die Bescheide vom 2.
April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2007 sowie der
Bescheide vom 5. April 2007 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren
subjektiven Rechten. Die Bescheide vom 2. April 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 4. April 2007 unterliegen daher der Kassation durch das
Gericht, die Bescheide vom 5. April 2007 sind vom Beklagten entsprechend zu ändern.
1.
Die Kläger sind leistungsberechtigte Personen im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II.
Nach §§ 7, 9, 19 SGB II haben solche Personen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Diese Voraussetzungen liegen vor und wurden von dem Beklagten im zuletzt
ergangenen Bewilligungsbescheid für sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der
Kläger zutreffend festgestellt. Insbesondere sind die Kläger hilfebedürftig, weil – neben
dem Kindergeld – das allein zu berücksichtigende Einkommen des Vaters der Kläger aus
Erwerbstätigkeit offenkundig nicht ausreicht, um den Bedarf aller Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft zu decken.
2.
Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im
Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung erfasst. Sie
werden gesondert erbracht (§ 23 Abs. 3 Satz 2 SGB II).
a)
Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten stehen – wie die Regelleistung auch
(mittlerweile st. Rspr. des BSG) – den jeweiligen Schülern als
Individualleistungsansprüche zu, nicht hingegen den Eltern. Der Bedarf, den die Leistung
decken soll, besteht gerade in der Person des Schülers.
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b)
Beide von den Klägern absolvierte Fahrten sind Klassenfahrten im Rahmen der
schulrechtlichen Bestimmungen.
Klassenfahrten sind jedenfalls bereits nach dem Wortsinn solche Fahrten, die in der
Organisationshoheit der Schule im Klassenverband durchgeführt werden (Schülerfahrten
im engeren Sinne wie sie das Rundschreiben 38/2004 der Senatsverwaltung für Soziales,
Gesundheit und Verbraucherschutz in der Fassung von März 2006 nennt). Um solche
Fahrten handelt es sich hier. Sowohl der Kläger zu 1 als auch der Kläger zu 2 haben an
Fahrten der gesamten Klasse teilgenommen.
Die Fahrten fanden auch jeweils im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen statt.
Die Regelung von Klassenfahrten im Schulgesetz des Landes Berlin beschränkt sich auf
die Regelung nach § 76 Abs. 2 Nr. 7 des Schulgesetz dahingehend, dass die Kompetenz
zur Aufstellung der Grundsätze für Klassenfahrten in den einzelnen Schulen der
Schulkonferenz (zur Entscheidung mit einfacher Mehrheit) zugewiesen wird. Diese
Zuständigkeitsnorm gilt zudem nur für staatliche Schulen, mangels Erwähnung in der
Verweisungsvorschrift des § 95 Abs. 4 Schulgesetz jedoch nicht für Schulen in freier
Trägerschaft (§ 94 Schulgesetz), auch nicht wenn diese als Ersatzschulen (§ 97
Schulgesetz) – wie die Schule der Kläger – betrieben wird. Vielmehr steht den Schulen in
freier Trägerschaft insoweit die Schulgestaltung unter Beachtung des Bildungsauftrags
und der weiteren grundlegenden Aufgaben von Ersatzschulen (vgl. § 95 Abs. 4
Schulgesetz) eigenverantwortlich zu (§ 95 Abs. 1 Satz 1 Schulgesetz). Für eine
Überschreitung des Gestaltungsrechts der Schule sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich.
Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die durchgeführten Klassenfahrten nicht in
Einklang mit den von der Senatsschulverwaltung erlassenen Ausführungsvorschrift
Klassenfahrten vom 22. Mai 1987 in der Fassung vom 26. Oktober 2000 (AV
Klassenfahrt) standen. Daher kann dahinstehen, ob diese insoweit auf dem durch § 130
Nr. 3 des Schulgesetzes aufgehobenen Privatschulgesetz vom 1. Oktober 1987
beruhenden Vorschriften gegenwärtig überhaupt noch in Anwendung von § 105 Abs. 6
Nr. 1 Schulgesetz für Schulen in freier Trägerschaft Wirkung haben und ob der Begriff
"schulrechtliche Bestimmungen" in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II in
verfassungskonformer Weise eine dynamische Verweisung auf untergesetzliche
Regelungen dieser Art darstellt.
Die Kammer hat daher in Anwendung von Landesrecht – ebenso wie die Beteiligten –
keine Zweifel daran, dass die Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen
Bestimmungen stattgefunden haben.
c)
Die Kläger hatten auch keine anderweitige Möglichkeit, die Kosten für die Klassenfahrten
zu decken. Die Möglichkeit zur Beantragung eines Zuschusses bei der Schulverwaltung
des Bezirks oder der Senatsverwaltung für allgemeine Klassenfahrten bestand nicht.
Insoweit handelt es sich um eine Leistung, die gesetzlich allein im jeweiligen
Haushaltsgesetz geregelt war, wobei die Mittelvergabe durch die Regelung der Nr. 13 der
AV Klassenfahrten und den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1
Grundgesetz) gesteuert wurde. Seit dem 1. Januar 2006 stehen jedoch solche
Haushaltsmittel für Schülerfahrten allgemein bildender Schulen nicht mehr zur
Verfügung. Dies ergibt sich aus dem Rundschreiben 38/2004 (Stand März 2006,
vorgelegt als Blatt 421f. der Verwaltungsakte, hier Blatt 422), das der Beklagte seiner
Verwaltungspraxis zu Grunde legt. Allein für Auslandsfahrten in Nachfolgestaaten der
Sowjetunion, die Türkei, nach Israel, Übersee und die Partnerstädte Berlins sowie für
Fahrten zu Gedenkstätten und bestimmte Repräsentationsfahrten stehen hiernach noch
Mittel zur Verfügung. Die Kammer stellt aus allgemein zugänglichen Informationsquellen
(http://www.berlin-chronik.de/Novitaeten/interessantes/textepartner_berlin.htm) fest,
dass es sich bei Florenz und Venedig selbst bei Berücksichtigung der Fortgeltung der
Partnerschaftsverträge des Magistrats von Ost-Berlin nicht um Partnerstädte Berlins
handelt. Eine besondere Repräsentationsaufgabe lag offenkundig auch nicht vor.
Die Kläger waren zudem nicht darauf zu verweisen, eine Sammlung bei den Eltern der
Mitschüler durchzuführen. Mit der historischen Entwicklung des staatlichen
Fürsorgerechts von einem Almosen gewährenden Armenrecht hin zu einem System
subjektiver Rechte ist es unvereinbar, der Bedarfsdeckung quasi durch Betteln bei
unbeteiligten Dritten den Vorrang einzuräumen. Anders läge es nur, wenn insoweit eine
Institutionalisierung der Solidarität der Elterngemeinschaft der Schule stattgefunden
hätte. Ein von den Eltern gespeister Unterstützungsfonds ist jedoch an der Schule der
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hätte. Ein von den Eltern gespeister Unterstützungsfonds ist jedoch an der Schule der
Eltern gerade nicht eingerichtet, wie die Mutter der Kläger im Erörterungstermin in den
Eilverfahren am 4. April 2007 glaubhaft versichert hat.
d)
Eine Beschränkung der Leistungspflicht durch den Beklagten auf Höchstbeträge bzw. die
hierin liegende Beschränkung auf vermeintlich angemessene Klassenfahrtskosten ist
mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Die Verwaltungspraxis der
Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Berlin ist insoweit ebenso wie das
Rundschreiben Nr. 38/2004 mit dem Gesetzesrecht nicht zu vereinbaren.
Bereits der Wortlaut dürfte kaum ein anderes Verständnis zulassen. Nach § 23 Abs. 3
Satz 2 SGB II werden die in den Nummern 1 bis 3 des § 23 Abs. 3 SGB II genannten
Leistungen gesondert erbracht. Die gesonderte Erbringung bezieht sich demnach
sprachlich auf die in § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II Leistungen für Klassenfahrten, ohne dass
ein Ansatzpunkt für eine Beschränkung auf einen Betrag unterhalb der tatsächlichen
Kosten ersichtlich wäre.
Bestätigt wird dies im Wege der systematischen Auslegung durch § 23 Abs. 3 Satz 5
SGB II. Hiernach können die nicht von der Regelleistung umfassten Leistungen nach § 23
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II durch pauschale Leistungen erbracht werden. Die
Regelung zu Klassenfahrten in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist dort nicht genannt. Im
Wege des Umkehrschlusses ergibt sich hieraus, dass eine Pauschalisierung solcher
Kosten gerade nicht möglich ist (ebenso Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 10.
Mai 2007 – Az.: L 11 AS 178/06; Hessisches LSG Beschluss vom 20.09.2005 – Az.: L 9
AS 38/05 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.04.2007 – Az.: L 5 B 473/07 AS
ER; SG Lüneburg, Beschluss vom 29.03.2007 – Az.: S 30 AS 398/07 ER).
Schließlich wäre eine andere Auffassung mit dem vom Gesetzgeber beabsichtigten
Regelungszweck nicht vereinbar. Die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II war
nicht Inhalt des ursprünglichen Entwurfs des SGB II. Sie wurde erst im Rahmen der
parlamentarischen Beratungen eingefügt. Es fehlt insoweit an einer expliziten
Gesetzesbegründung. Die – soweit erheblich – wortgleiche Regelung in § 31 Abs. 1 Nr. 3
des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ist in der Bundestagsdrucksache 15/1514 (Seite
60) wie folgt begründet:
Absatz 3 Satz 1 ermächtigt die Träger der Sozialhilfe, die Leistungen für die
Erstausstattungen für Wohnung und Kleidung zu pauschalieren, und konkretisiert die
Ermittlung des Pauschalbetrages. Die Regelung entspricht der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zu den einmaligen Leistungen, wonach Pauschalierungen
nur zulässig sind, wenn die Pauschalen zumindest auf "ausreichenden Erfahrungswerten"
beruhen. Für mehrtägige Klassenfahrten sind dagegen keine Pauschalen vorgesehen.
Da die Regelung nur Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen
umfasst, sollen die tatsächlichen Kosten übernommen werden, um eine Teilnahme zu
gewährleisten. Damit wird auch dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass
Schulfahrten ein wichtiger Bestandteil der Erziehung durch die Schulen sind.
Da durch die Aufnahme des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II im Rahmen der
parlamentarischen Beratungen eine Gleichstellung mit dem Schülern erreicht werden
sollte, die Sozialhilfe beziehen, ist auf diese gesetzgeberischen Erwägungen auch im
Rahmen des SGB II zurückzugreifen.
Mit dieser Zielsetzung ist aber die Beschränkung der Leistungspflicht auf angemessene
Klassenfahrten durch Höchstbeträge (so etwa SG Aachen, Urteil vom 18.11.2005 Az.: S
8 AS 39/05) nicht vereinbar. Die Rechtsprechung zum früheren Sozialhilferecht zum
Umfang des Anspruchs auf Kosten für Klassenfahrten als einmalige Leistungen (BVerwG,
Urteil vom 09.02.1995 – Az.: 5 C 2/93 = BVerwGE 97, 376) ist auf die erfolgte gesetzliche
Kodifizierung verbunden mit der gesetzgeberischen Zweckbestimmung nicht
übertragbar.
Den Klagen war daher in vollem Umfang zu entsprechen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Kammer hat bei der Ausübung
ihres Ermessens maßgeblich das vollständige Obsiegen der Kläger berücksichtigt.
IV.
56 Die Zulassung der Revision und hinsichtlich der Beschwer des Beklagten von weniger als
500 Euro im Verhältnis zum Kläger zu 2 insoweit die Berufung waren wegen der
grundsätzlichen Bedeutung antragsgemäß zuzulassen (§ 161 Abs. 2, 160 Abs. 2 Nr. 1
und § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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