Urteil des SozG Berlin vom 21.12.2008
SozG Berlin: zusicherung, umzug, wohnung, angemessenheit, unterkunftskosten, erlass, anspruchsvoraussetzung, hauptsache, wohnraum, form
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Gericht:
SG Berlin 128.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 128 AS 8464/10 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 2 S 1 SGB 2 vom
21.12.2008, § 22 Abs 2 S 2 SGB
2 vom 21.12.2008, § 22 Abs 3 S
1 SGB 2 vom 21.12.2008, § 22
Abs 3 S 2 SGB 2 vom
21.12.2008, § 86b Abs 2 S 2
SGG
Arbeitslosengeld II - Angemessenheit der Unterkunftskosten für
die neue Unterkunft bei Umzug - Genossenschaftsanteile als
Kosten der Wohnungsbeschaffung - vorherige Zusicherung als
Anspruchsvoraussetzung - einstweiliger Rechtsschutz
Leitsatz
1. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten der neuen Wohnung
kommt es im Rahmen des § 22 Abs 2 S 2 SGB 2 auf die Heizkosten nicht an.
2. Bei Genossenschaftsanteilen handelt es sich um Wohnbeschaffungskosten im Sinne des §
22 Abs 3 S 1 SGB 2.
3. Im Rahmen des § 22 Abs 3 S 1 SGB 2 ist die vorherige Zusicherung
Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme von Wohnungsbeschaffungskosten, so dass
auch im Eilverfahren bei Fehlen dieser Zusicherung nur eine Verpflichtung zur Erteilung der
Zusicherung nach § 22 Abs 3 S 2 SGB 2, nicht aber eine Verpflichtung zur Übernahme der
Wohnungsbeschaffungskosten in Betracht kommt.
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den
Antragstellern bezüglich der beantragten Wohnung, Sch…straße ... in 1… B… (1. OG,
Wohnungsnummer …) die Erbringung von Leistungen für Unterkunft in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen zuzusichern.
2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung weiter verpflichtet, den
Antragstellern die Übernahme des Genossenschaftsanteils in Höhe von 1.200,- € für die
unter 1. bezeichnete Wohnung zuzusichern.
3. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
4. Der Antragsgegner hat den Antragstellern deren außergerichtliche Kosten zu
erstatten.
5. Den Antragstellern wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwältin J B,S… Str. ... 1… B, bewilligt.
Gründe
Der zulässige Antrag ist auch begründet.
Statthaft ist ein Antrag nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach § 86b
Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Insoweit gilt § 920 der
Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer
Regelungsanordnung ist damit die Glaubhaftmachung von Tatsachen, die einen
Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in
Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und
Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Zwischen beiden besteht eine
Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit
zunehmender Eilbedürftigkeit oder Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind
und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres
funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Beschluss des
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funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Beschluss des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. März 2007 - L 1 ER 32/07 AY -). Ist die
Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund
grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenwertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die
Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die
Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf
einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des
Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine abschließende Aufklärung der Sach- und
Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu
entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers
umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen sich die Gerichte schützend und fördernd
vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1
BvR 569/05).
Die Antragsteller haben im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Anspruch auf
die begehrte Zusicherung der Erbringung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft
sowie auf die Zusicherung der Übernahme eines Genossenschaftsanteils in Höhe von
1.200,- €.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Zusicherung ist § 22 Abs. 2 Satz 2 des Zweiten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 soll der erwerbsfähige
Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die
Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen
Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger
ist gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug
erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
Zum einen ist der Umzug aufgrund des Schimmelproblems notwendig, was zwischen
den Beteiligten unstreitig ist. Auch sind die Aufwendungen für die neue Unterkunft in
Höhe von monatlich 490,- € (ohne Heizkosten; die Kammer zieht einen „Kinderbonus“
von 100,- € ab) für die rund 93 qm große Wohnung angemessen. Die Kammer hält es
dabei für angemessen, den „Kinderbonus“ von der Kaltmiete abzuziehen und nicht etwa
als Einkommen nach § 11 SGB II zu berücksichtigen.
Die Angemessenheit ergibt sich zum einen, wenn man Nummer 3.2.1 Abs. 2 der
Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 29
und 34 SGB XII der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes
Berlin mit Stand vom 10. Februar 2009 (AV-Wohnen) zugrunde legt, nach der zwar nur
eine monatliche Warmmiete von 619,- € angemessen ist. Für die Beurteilung der
Angemessenheit der Unterkunftskosten der neuen Wohnung kommt es aber auf die
Heizkosten nicht an (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Oktober 2008 - L 5
B 2010/08 AS ER). Es ist zwar unklar, welche Kaltmiete nach der AV-Wohnen
angemessen ist. 490,- € (inklusive Betriebskosten) dürften aber vorliegend in jedem Fall
angemessen sein (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Oktober 2008 - L 5 B
2010/08 AS ER -, das ausgehend von den dort bekannten Aktenunterlagen, die der
Kammer hier nicht vorliegen, 558,06 € annimmt). Angemessen sind die neuen
Unterkunftskosten auch dann, wenn man dem Ansatz eines Projekts der Sozialrichter
Berlins folgen wollte (vgl. Schifferdecker/lrgang/Silbermann, Einheitliche Kosten der
Unterkunft in Berlin - Ein Projekt von Richterinnen und Richtern des Sozialgerichts Berlin,
Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit Nr. 1/2010, S. 28 – 42). Denn auch
danach darf die Kaltmiete zuzüglich Betriebs-, aber ohne Heizkosten monatlich 542,70 €
betragen.
Die Antragsteller haben im Übrigen nur einen Anspruch auf Zusicherung der Übernahme
des Genossenschaftsanteils von 1.200,- €, nicht aber auf darlehensweise Übernahme. §
22 Abs. 3 Satz 1 SGB II zufolge können Wohnungsbeschaffungskosten, Umzugskosten
und eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung übernommen werden. Nach § 22 Abs. 3
Satz 2 SGB II soll die Zusicherung erteilt werden, wenn der Umzug durch den
kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne
die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden
werden kann. Bei den Genossenschaftsanteilen handelt es sich um
Wohnbeschaffungskosten (vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 29. September 2008 - L 2
B 611/08 AS-ER). Im Rahmen des § 22 Abs. 3 SGB II ist die vorherige Zusicherung
Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme von Wohnungsbeschaffungskosten (vgl.
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2007 - L 32 B 1912/07 AS ER),
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LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2007 - L 32 B 1912/07 AS ER),
so dass hier nur eine Verpflichtung zur Erteilung der Zusicherung nach § 22 Abs. 3 Satz
2 SGB II in Betracht kommt. Dessen Voraussetzungen liegen vor. Der Umzug ist
notwendig. Die zweite Voraussetzung, „wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in
einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann“, ist hier ohne Bedeutung.
Sie kann im Regelfall zwar auch für Wohnungsbeschaffungskosten, etwa in Form von
Maklercourtage, Kosten für Zeitungsinserate oder doppelte Mietzinszahlung gelten,
während Umzugskosten und Mietkaution unabhängig davon anfallen, ob Wohnraum
knapp oder im Überfluss vorhanden ist (vgl. vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
27. Oktober 2008 - L 5 B 2010/08 AS ER). Obwohl es sich bei den
Genossenschaftsanteilen aber um Wohnungsbeschaffungskosten handelt, haben sie
auch den Charakter einer Mietkaution, die regelmäßig anfällt und ohne deren Zahlung
eine Unterkunft nicht gefunden werden kann. Diese ist vorliegend auch in der geltend
gemachten Höhe angemessen. Abzulehnen ist der Antrag demnach, soweit er auch die
Übernahme der Genossenschaftsanteile (und nicht lediglich die Erteilung der
Zusicherung) gerichtet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das Unterliegen der Antragsteller fällt
kostentechnisch nicht ins Gewicht.
Aus den oben genannten Gründen hat das Prozesskostenhilfegesuch der Antragsteller
Erfolg (§ 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO).
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