Urteil des SozG Berlin vom 01.01.2005
SozG Berlin: unterkunftskosten, heizung, sozialhilfe, wohnung, bindungswirkung, beendigung, anerkennung, link, sammlung, senkung
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Gericht:
SG Berlin 55.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 55 AS 6109/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 22 Abs
1 S 2 SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II-
Angemessenheit der Unterkunftskosten - Verbindlichkeit von
Entscheidungen des Sozialhilfeträger vor dem 1. Januar 2005
Leitsatz
Die Entscheidung eines Sozialamtes zur Berücksichtigung von Wohnaufwendungen hat nach
der Beendigung der Sozialhilfe mangels rechtlicher Identität zwischen Sozialamt und
Jobcenter keinerlei Bindungswirkung mehr. Die Frage der Unterkunftskosten ist vielmehr
aufgrund der ab 1. Januar 2005 geltenden Regelung des § 22 Abs. 1 SGB 2I von Neuem an zu
beurteilen.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2005 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Auf Antrag der Klägerin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 2005 für
Januar bis Mai 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter
Berücksichtigung ihrer Bruttowarmmiete von monatlich 516,04 €. Mit Schreiben vom
selben Tag wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass ihre Wohnung unangemessen
groß und teuer sei, und forderte die Klägerin auf, ihre Unterkunftskosten zu senken und
ihre Bemühungen hierzu spätestens bis zum 31. März 2005 nachzuweisen.
Der Beklagte änderte den Bescheid vom 9. Dezember 2005 mit Bescheid vom 17.
Dezember 2005 ab und bewilligte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe
von 331,64 €.
Der hiergegen am 29. Dezember 2004 beim Beklagten eingelegte Widerspruch wurde
mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2005 zurückgewiesen.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren mit der am 15. Juli 2005 erhobenen Klage weiter. Die
Klägerin ist mit der am 22. September 2005 zugestellten Ladung zur mündlichen
Verhandlung am 19. Oktober 2005 darauf hingewiesen worden, dass im Falle ihres
Ausbleibens ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.
Ihrem Begehren lässt sich der sinngemäße Antrag entnehmen,
den Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten und Einzelheiten des Sachverhalts wird auf
die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen
und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Es kann ohne die Klägerin verhandelt und entschieden werden, nachdem sie mit der
ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, vgl. §
126 SGG.
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Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat aus §§ 7, 19 ff., 22 Abs. 1 SGB II einen Anspruch auf Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts. Die Klägerin ist unstreitig älter als 15 Jahre,
erwerbsfähig, hilfebedürftig und lebt in Deutschland. Insbesondere hat die Klägerin aus §
22 Abs. 1 SGB II auch einen Anspruch auf die Leistungsgewährung unter
Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Unterkunfts- und Heizungskosten.
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe
der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Nach § 22
Abs. 1 S. 2 SGB II sind die Aufwendungen, soweit den der Besonderheit des Einzelfalls
angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem
Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken, in
der Regel jedoch längstens für sechs Monate.
Fraglos sind die Kosten der alleinstehenden Klägerin für Unterkunft und Heizung mit
516,04 € monatlich unangemessen. Nach den bis zum 30. September 2005 gegoltenen
Ausführungsvorschriften, die die Kammer mittlerweile wiederholt als sachgerecht
zugrunde gelegt hat, wären im Fall der Klägerin nur Wohnaufwendungen in einer
Größenordnung von 331,64 € als angemessen zugrunde zu legen gewesen, nach den ab
1. Oktober 2005 geltenden Ausführungsvorschriften eine Bruttowarmmiete von 360,00
€. Nichtsdestotrotz war der Beklagte gehalten, zunächst einmal jedenfalls für die Zeit bis
Mai 2005 die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zu übernehmen, weil es
der Klägerin nicht zuzumuten war, die Wohnaufwendungen gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II
zu senken.
Zum einen ist es dem Beklagten verwehrt, darauf abzustellen, dass die Klägerin vormals
vom Sozialamt Tempelhof-Schöneberg vom 1. bis zum 31. Dezember 2004 nach
vorheriger Belehrung Sozialhilfe unter Berücksichtigung von Wohnaufwendungen in Höhe
von 331, 63 € monatlich erhielt. Diese Entscheidung des Sozialamts hat nach der
Beendigung der Sozialhilfe für die Klägerin am 31. Dezember 2004 und mangels
rechtlicher Identität zwischen Sozialamt und Beklagten keinerlei Bindungswirkung mehr.
Die Frage der Unterkunftskosten ist vielmehr aufgrund der ab 1. Januar 2005 geltenden
Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II von Neuem an zu beurteilen.
Insbesondere vermag § 65e SGB II keine Fortschreibung von Entscheidungen des
Sozialhilfeträgers wie der vorliegenden zu bewirken, weil in dessen Abs. 2 nur von
Entscheidungen des Sozialhilfeträgers über eine Minderung der Hilfe zum
Lebensunterhalt die Rede ist, die sich begrifflich nur auf Minderungen nach §§ 25 BSHG
nach unzureichenden oder fehlenden Erwerbsbemühungen beziehen kann (vgl. Eicher/
Spellbrink, SGB II, 1. Aufl. 2005, § 65e Rn. 5). Im Umkehrschluss ist vielmehr zu folgern,
dass andere Entscheidungen des Sozialhilfeträgers eben gerade keine Fortwirkung über
den 31. Dezember 2004 hinaus zeitigen sollten.
Davon abgesehen wies der Beklagte selbst die Klägerin noch mit Schreiben vom 9.
Dezember 2005 darauf hin, dass sie immerhin bis März 2005 Zeit habe, ihre
Bemühungen zur Senkung Wohnaufwendungen nachzuweisen, mit der Folge, dass sich
die Klägerin darauf einstellen durfte, vorerst bei Anerkennung der tatsächlichen
Wohnaufwendungen in ihrer Wohnung bleiben zu dürfen. Ferner ist gerichtsbekannt, dass
die politischen Entscheidungsträger in Berlin wiederholt darauf hinwiesen, dass im Jahr
2005 grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten übernommen werden, wovon
sich die Klägerin allem Anschein nach leiten ließ.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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