Urteil des SozG Berlin vom 13.01.2001

SozG Berlin: arbeitslosigkeit, persönliches erscheinen, arbeitsamt, arbeitsfähigkeit, arbeitsunfähigkeit, krankenkasse, anzeige, krankengeld, bekanntgabe, leistungsbegehren

Sozialgericht Berlin
Urteil vom 13.01.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 77 AL 4361/01
1. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2001
wird abgeändert. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld bereits für den Zeitraum vom 2. bis 11.
Juni 2001 zu gewähren. 3. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu
erstatten. 4. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosengeld.
Die Klägerin bezog ab Januar 2000 Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 18. Januar 2001
die Teilnahme an einer Maßnahme vom 29. Januar bis 16. November 2001 und bewilligte für diese Maßnahme
Unterhaltsgeld. Während der Teilnahme an der Maßnahme wurde die Klägerin krank. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte
vom 23. April bis 1. Juni 2001 (40 Tage). Am 29. Mai 2001 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor. Im
Beratungsvermerk der Beklagten zu dieser Vorsprache wurde durch den Mitarbeiter festgehalten, dass der Klägerin
der Maßnahmeabbruch bekannt gegeben und mit dem Maßnahmeträger telefonisch der Abbruch der Maßnahme
vereinbart worden sei. Mit Schreiben vom 2. Juni 2001 teilte die Klägerin der Beklagte das Ende der
Arbeitsunfähigkeit seit 2. Juni 2001 mit. Dieses Schreiben ging der Beklagten am Dienstag, dem 5. Juni 2001
unmittelbar nach Pfingsten, zu. Eine erneute persönliche Vorsprache der Klägerin erfolgte am 12. Juni 2001.
Am 5. Juli 2001 erließ die Beklagte mehrere Bescheide, mit denen die Leistungen hinsichtlich der Maßnahme
aufgehoben wurden und Arbeitslosengeld ab 12. Juni 2001 bewilligt wurde.
Die Klägerin wandte sich mit ihrem Widerspruch vom 10. Juli 2001 gegen den Leistungsbeginn. Sie sei bereits ab 2.
Juni 2001 gesund gewesen und wolle ab diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld. Auch sei sie mit der
Abbruchentscheidung ab 30. Mai 2001 nicht einverstanden, weil sie nicht die Maßnahme abgebrochen habe, sondern
dies der Maßnahmeträger gewesen sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 5. November 2001 zurück. Da sich die Klägerin
ausweislich ihres Antrages erst am 12. Juni 2001 arbeitslos gemeldet habe, sei der Bewilligungsbescheid nicht zu
beanstanden. Das Schreiben der Klägerin vom 2. Juni 2001, in welchem die Klägerin das Ende der Arbeitsunfähigkeit
mitgeteilt hatte, ersetze die persönliche Arbeitslosmeldung nicht.
Mit ihrer Klage vom 23. November 20001 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und machte zunächst einen
Leistungsbeginn ab 30. Mai 2001 geltend, weil die Bewilligung von Unterhaltsgeld/Leistungsfortzahlung bereits ab 30.
Mai 2001 ganz aufgehoben wurde (Bescheid vom 26. November 2001). Nach dem angefochtenen Gerichtsbescheid
vom 11. März 2002 und Beiladung der zuständigen Krankenkasse bewilligte diese der Klägerin für den Zeitraum vom
30. Mai bis 1. Juni 2001 Krankengeld. Daraufhin wurde der Beiladungsbeschluss wieder aufgehoben und die
Beteiligten erklärten hinsichtlich des Zeitraums bis 1. Juni 2001 die Erledigung der Hauptsache.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1. den Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2001
abzuändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 2. bis 11. Juni 2001 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen,
2. die Berufung zuzulassen.
Sie hält die Klage für unbegründet und verweist auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Mangels rechtzeitiger
Bekanntgabe des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit sei die Klägerin nicht verfügbar und deshalb nicht arbeitslos
gewesen. Die persönliche Arbeitslosmeldung müsse die Anzeige des datumsgenauen Eintritts der Arbeitslosigkeit
enthalten.
Dem Gericht haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand
der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten
wird auf die Schriftsätze und den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte im Zeitraum vom 2. Juni bis 11. Juni 2001 Anspruch auf Arbeitslosengeld nach
§§ 117, 118, 119, 122, 123, 124 und 323 Sozialgesetzbuch Drittes Buch in der Fassung bis 31.12.2002 (SGB III). Der
angefochtene Bescheid war deshalb unter Verletzung subjektiver Rechte der Klägerin rechtswidrig und war daher
insoweit abzuändern.
Die Klägerin erfüllte für den fraglichen Zeitraum die Voraussetzungen für eine Gewährung von Arbeitslosengeld nach §
117 SGB III. Mit ihrer persönlichen Vorsprache am 29. Mai 2001 hatte sich die Klägerin insbesondere im Sinne von §§
117 Abs. 1 Ziff. 2, 122 Abs. 1 Satz 1 SGB III persönlich arbeitslos gemeldet.
Die persönliche Arbeitslosmeldung ist wegen § 117 Abs. 1 SGB III selbständige Anspruchsvoraussetzung neben der
Arbeitslosigkeit und der Erfüllung der Anwartschaftszeit. Sie enthält deshalb gerade nicht die Erklärung der aktuellen
Verfügbarkeit i.S.v. §§ 118, 119 SGB III (vgl. Steinmeyer in Gagel: SGB III § 122 Rn. 22b), weil dies Frage des
Vorliegens der Arbeitslosigkeit – also einer anderen Leistungsvoraussetzung – ist. Überdies hat die Beklagte bei der
Auslegung der Erklärung der Arbeitslosmeldung zu beachten, dass Arbeitslosigkeit ein sehr komplizierter
Rechtsbegriff ist, so dass es nicht auf die Mitteilung des Eintritts der Arbeitslosigkeit in diesem komplexen Sinne
sondern lediglich der Beschäftigungslosigkeit ankommt (vgl. § 122 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB III). Die persönliche
Arbeitslosmeldung ist daher die bloße Anzeige einer Tatsache, aus der lediglich erkennbar sein muss, dass das
Arbeitsamt aufgesucht wird, um den Eintritt oder Fortbestand der Beschäftigungslosigkeit mitzuteilen (vgl. Steinmeyer
ebd. Rn. 17-21). Dies ist immer dann anzunehmen, wenn durch persönliches Erscheinen des Arbeitslosen das
Leistungsverlangen oder das Vermittlungsbegehren bekundet wird.
Im hiesigen Fall sprach die Klägerin am 29. Mai 2001 bei der Beklagten persönlich vor, um die weiteren
Vermittlungsschritte zu besprechen. Gleichzeitig wurde ihr seitens des Arbeitsamtes die Beendigung der Maßnahme,
also der sofortige Eintritt der Beschäftigungslosigkeit mitgeteilt. Dies genügt den Anforderungen an die persönliche
Arbeitslosmeldung.
Bei der Auslegung von § 122 Abs. 1 SGB III ist weiter zu beachten, dass der Gesetzgeber in Satz 2 eine
vorgezogene Arbeitslosmeldung ausdrücklich erlaubt, zu deren Zeitpunkt die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten
sein muss. Es genügt, dass der Eintritt der Arbeitslosigkeit innerhalb von zwei Monaten ”zu erwarten” ist. Damit
schränkt der Gesetzgeber den Charakter der Arbeitslosmeldung insofern ein, als nicht zwingend ist, dass der
Betroffene die bereits eingetretene Beschäftigungslosigkeit dem Arbeitsamt meldet. Dies ist nach Auffassung der
Kammer deshalb bedeutsam, weil über diese Regelung eine zeitliche Divergenz zwischen der tatsächlichen Handlung
und deren Wirkung vom Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt wird. Die Wirkung der Erklärung macht er von der anderen
Leistungsvoraussetzung Arbeitslosigkeit abhängig. Es muss daher auch nicht ein konkreter Zeitpunkt des Eintritts der
Arbeitslosigkeit mitgeteilt werden. Vielmehr genügt es, wenn die Arbeitslosigkeit (irgendwann) innerhalb der nächsten
zwei Monate zu erwarten ist. Die Klägerin musste deshalb nicht eine (ihr als medizinischer Laie unmögliche) Prognose
über den genauen Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit treffen. Nicht anders verhält es sich, wenn etwa
einem Arbeitnehmer die Kündigung in Aussicht gestellt wird, der genaue Kündigungstermin jedoch noch nicht vom
Arbeitgeber mitgeteilt wird und der Arbeitnehmer sich sofort persönlich an das Arbeitsamt wendet.
Da die Arbeitslosigkeit am 2. Juni 2001 innerhalb zweier Monate nach der Arbeitslosmeldung eintrat und zu diesem
Zeitpunkt alle Merkmale der Arbeitslosigkeit vorlagen (s.u.), war die persönliche Arbeitslosmeldung auch zu diesem
Zeitpunkt wirksam.
Die Klägerin war ab 2. Juni 2001 im Sinne des § 118 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 SGB III arbeitslos. Sie stand vorübergehend
nicht in einem Beschäftigungsverhältnis (§ 118 Abs. 1 Ziff. 1 SGB III) und hat unstreitig die erforderliche
Anwartschaftszeit (§§ 123, 124 SGB III) erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten zutreffend unstreitig. Die Klägerin
hat auch den nach § 323 Abs. 1 SGB III erforderlichen Antrag gestellt (§ 323 Abs. 1 Satz 2 SGB III).
Sie befand sich im Sinne von §§ 118 Abs. 1 Ziff. 2, 119 Abs. 1, 2, 3 SGB III auf der Beschäftigungssuche und war
insbesondere für die Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes verfügbar.
Der Arbeitslose hat den konkreten Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsfähigkeit oder Beschäftigungslosigkeit, wenn dies
bei der frühen persönlichen Arbeitslosmeldung nach § 122 Abs. 1 Satz 2 SGB III noch nicht bekannt sein sollte, dem
Arbeitsamt rechtzeitig mitzuteilen, weil er sonst nicht umfassend verfügbar im Sinne des § 119 Abs. 1 SGB III ist und
bei fehlender Kenntnis der Verfügbarkeit des Arbeitslosen beim Arbeitsamt dessen Vermittlungsbemühungen nur
eingeschränkt möglich sind. Der Arbeitslose würde dadurch nicht alle Möglichkeiten nutzen die
Beschäftigungslosigkeit zu beenden.
Die Klägerin hat jedoch unverzüglich, nämlich am Tag des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit (am Pfingstsonnabend)
der Beklagten dies mitgeteilt. Der Zugang dieser Mitteilung beim Arbeitsamt am ersten Werktag nach Pfingsten ist
ausreichend. Eine persönliche Vorsprache zur Bekanntgabe dieser Angabe sieht das Gesetz nicht vor.
Damit sind alle Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld seit dem 2. Juni 2001 erfüllt gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung auch hinsichtlich
des Zeitraums vor dem 2. Juni 2001. Darüber hinaus war der Rechtsstreit auch insoweit von der Beklagten veranlasst,
als sie das Leistungsbegehren nicht gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGB I als Antrag auf Krankengeld ausgelegt
und an die Krankenkasse weiter geleitet hat.