Urteil des SozG Berlin vom 19.04.2007

SozG Berlin: praktische ausbildung, heizung, haushalt, ausbildungskosten, gegenüberstellung, erwerbstätigkeit, zusicherung, untermiete, umzug, besuch

Sozialgericht Berlin
Beschluss vom 19.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 102 AS 9326/07 ER
Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, Kosten für Unterkunft und Heizung für den
Zeitraum 19. April 2007 bis 30. April 2007 in Höhe von 38,36 EUR und ab 1. Mai 2007 in Höhe von monatlich 95,91
EUR zu übernehmen. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
Die 1983 geborene Antragstellerin begehrt Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II.
Zum 1. August 2006 zog die Antragstellerin von N. nach B. Sie wohnt hier zur Untermiete. Vor ihrem Umzug war die
Antragstellerin als Pflegehelferin tätig. Am 1. September 2006 begann sie eine dreijährige Ausbildung zur
Altenpflegerin. Im ersten Ausbildungsjahr erhält sie eine Ausbildungsvergütung von 550 EUR brutto. Die Ausbildung
umfasst eine schulische Ausbildung von mindestes 2100 Unterrichtsstunden und eine praktische Ausbildung von
mindestens 2500 Stunden. Die Antragstellerin hat monatliche Ausbildungsgebühren in Höhe von 144 EUR zu zahlen.
Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II in Höhe von monatlich 144 EUR zu gewähren,
hat gemäß § 86 b Abs. 2 SGG in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg Die Antragstellerin hat
insoweit einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§§ 86 b Abs. 2 Satz 2, Satz 4
SGG i.V.m. 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung ergibt sich aus § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II in der ab 1. Januar 2007
geltenden Fassung vom 20. Juli 2007. Demnach erhalten Auszubildende, die Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalten und deren Bedarf sich – wie hier – nach § 12 Abs. 2 und Abs.
3 BAföG bemisst, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22
Abs. 1 Satz 1 SGB II). Dies gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn die Übernahme der Leistungen für Unterkunft
und Heizung nach § 22 Abs. 2 a SGB II ausgeschlossen ist.
Die gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft der Antragstellerin betragen
monatlich 203,62 EUR. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der von ihr zu leistenden Untermiete in Höhe von 185
EUR zuzüglich einer Vorauszahlung von 30 EUR für Gas, abzüglich eines pauschalierten Anteils für
Warmwasseraufbereitung in Höhe von 6,53 EUR und eines pauschalen Anteils für Kochenergie in Höhe von 4,85 EUR
(vgl. Rundschreiben I Nr. 20/2006 der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 22. Dezember 2006
in der Fassung vom 2. Februar 2007, Anlage 1 Nr. 4). Die im Untermietvertrag zusätzlich aufgeführten Kosten für
Strom, Telefon und Internetnutzung in Höhe von insgesamt 35 EUR können nicht als Kosten der Unterkunft anerkannt
werden.
Die Kosten in Höhe von 203,62 EUR sind angemessen; der für einen 1-Personen-Haushalt geltende Richtwert von 360
EUR gemäß AV-Wohnen wird eingehalten.
Die Kosten der Unterkunft sind in Höhe von 95,91 EUR nicht gedeckt. Dieser ergibt sich aus der Gegenüberstellung
des Bedarfs der Antragstellerin und ihrem zu berücksichtigenden Einkommen.
Da die Antragstellerin nicht bei ihren Eltern wohnt und Auszubildende an einer Berufsfachschule ist, deren Besuch
eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, bemisst sich ihr Bedarf zunächst auf der Grundlage des §
12 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BAföG. Die Anwendung der §§ 19, 20 SGB II ist durch § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen; ein
besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt nicht vor; § 7 Abs. 6 SGB II greift nicht. Hiervon
ausgehend ist entsprechend dem Bescheid des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald – Amt für
Ausbildungsförderung – vom 27. Februar 2007 ein monatlicher Grundbedarf der Antragstellerin in Höhe von 348 EUR
zuzüglich eines Mehrbedarfs für die Unterkunft in Höhe von 64 EUR gemäß § 12 Abs. 3 BAföG anzuerkennen,
insgesamt ein Betrag von 412 EUR. Darüber hinaus sind auf der Grundlage des § 22 Abs. 7 i. V. m. Abs. 1 Satz 1
SGB II die tatsächlichen Kosten der Unterkunft anzuerkennen, soweit diese nicht bereits auf der Grundlage des § 12
Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BAFöG als Bedarf zu berücksichtigen sind. Da in dem Grundbedarf gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1
BAFöG ein Betrag von 52 EUR für Kosten der Unterkunft enthalten ist (arg. ex § 12 Abs. 3 BAFöG) und gemäß § 12
Abs. 3 BAföG ein zusätzlicher Bedarf von 64 EUR anzuerkennen ist, ergibt sich, dass in dem vorstehend ermittelten
Bedarf von 412 EUR ein Betrag von insgesamt 116 EUR für Kosten der Unterkunft enthalten ist. Demnach verbleibt
ein unberücksichtigter Bedarf von 203,62 – 116 = 87,62 EUR. Den Betrag von 412 EUR und 87,62 EUR addiert, ergibt
sich ein zu berücksichtigender Gesamtbedarf von 499,62 EUR.
Demgegenüber ist folgendes Einkommen der Antragstellerin zu berücksichtigen: Die Ausbildungsvergütung in Höhe
von brutto 550 EUR brutto, netto 428, 71 EUR, hiervon ist abzuziehen ein Freibetrag in Höhe von 190 EUR gemäß §§
11 Abs. 8 Satz 2, 30 SGB II und eine Versicherungspauschale in Höhe von 30 EUR gemäß § 3 Nr. 1 Alg II-V. Als
Einkommen ist ferner zu berücksichtigen eine Unterstützungsleistung der Mutter in Höhe des dieser gezahlten
Kindergeldes von 154 EUR sowie BAföG in Höhe von 41 EUR. Es ergibt sich ein zu berücksichtigendes Einkommen
von 403,71 EUR. Die von der Antragstellerin monatlich zu zahlende Ausbildungsgebühr (Schulgebühr) kann nicht als
mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben im Sinne des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II vom
Einkommen abgesetzt werden. Grundsätzlich ist insoweit die einkommensteuerrechtliche Bewertung maßgebend.
Dabei haben jedoch den Zwecken des SGB II fremde Steuervergünstigungen unberücksichtigt zu bleiben
(Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rdnr. 71). Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Einnahmen Werbungskosten. Bildungsaufwendungen sind steuerrechtlich dem Grunde
nach als Werbungskosten zu berücksichtigen, sofern sie beruflich veranlasst sind, das heißt, wenn ein objektiver
Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden.
Dies ist der Fall, wenn die Bildungsmaßnahme den Auszubildenden konkret und zielgerichtet auf eine künftige
Erwerbstätigkeit vorbereiten soll und damit auf die Erzielung von steuerbaren Einnahmen gerichtet ist (vgl. BFH, Urteil
vom 4. Dezember 2002 VI R - 120/01 -, Urteil vom 29. April 2003 – VI R 86/99, Urteil vom 11. September 2003 - VI R
86/02 -). Hiernach wäre die von der Antragstellerin zu zahlende Schulgebühr steuerrechtlich als Werbungskosten
anzuerkennen, weil ihre Ausbildung konkret auf eine künftige Erwerbstätigkeit im Beruf der Altenpflegerin vorbereiten
soll. Die steuerrechtliche Behandlung der Ausbildungskosten für einen künftigen Beruf als Werbungskosten lässt sich
jedoch mit den Zwecken des SGB II nicht vereinbaren. Denn im Rahmen des § 3 SGB II besteht kein Anspruch des
Hilfebedürftigen auf eine bestimmte Ausbildung und die Übernahme der Kosten einer solchen Ausbildung durch den
Leistungsträger (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Oktober 2006 – L 19 B 599/06 AS ER). Die
Ausbildungskosten der Antragstellerin können auch nicht deshalb als mit der Erzielung des Einkommens verbundene
notwendige Ausgaben im Sinne des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II berücksichtigt werden, weil sie mit der
Ausbildungsvergütung in der Weise verknüpft war, dass die Antragstellerin die Vergütung nur in Verbindung mit dem
schulgeldpflichtigen Besuch der Berufsfachschule erhalten konnte. Denn Schulausbildung und praktische Ausbildung
stehen gleichwertig nebeneinander und dienen jeweils der Vorbereitung auf einen künftigen Beruf und der künftigen
Erzielung von Einkünften. Als mit der Erzielung von Einkommen verbundene notwendige Ausgaben können aber nur
solche Ausgaben im Sinne des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II anerkannt werden, denen eine dienende Funktion in Bezug
auf die Erzielung gegenwärtiger Einkünfte zukommt.
Aus der Gegenüberstellung des Bedarfs von 499,62 EUR und des zu berücksichtigenden Einkommens von 403,71
EUR ergibt sich, dass die Kosten der Unterkunft der Antragstellerin in Höhe von monatlich 95,91 EUR nicht gedeckt
sind. Dieser Betrag ist der Antragstellerin zu bewilligen.
Die Übernahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung ist nicht durch § 22 Abs. 2 a SGB II ausgeschlossen.
Nach dieser mit Wirkung zum 1. April 2006 eingeführten Vorschrift setzt die Übernahme von Kosten der Unterkunft bei
Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben voraus, dass der kommunale Träger dies vor Abschluss
des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Bei sachgerechter Auslegung ist diese Vorschrift nur auf
Jugendliche und junge Erwachsene anzuwenden, die vor dem Umzug nicht bereits einen eigenen Haushalt begründet
hatten, und auch nicht Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II waren, die Leistungen
nach dem SGB II bezog, oder , ohne Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft zu sein, einem solchen Haushalt angehörten
(vgl. Berlit in LPK-SGB II, § 22 Rdnr. 81 f.). Diese Voraussetzungen liegen bei der Antragstellerin nicht vor. Zudem
wäre der Antragsgegner gemäß § 22 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2 SGB II zur Erteilung der Zusicherung verpflichtet gewesen,
weil der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitmarkt erforderlich war. Auch wäre es der Antragstellerin
aus wichtigem Grund im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 3 SGB II wegen drohenden Zeitablaufs nicht zumutbar gewesen,
eine vorherige Zusicherung des Leistungsträgers einzuholen.
Für den Zeitraum ab Antragstellung am 19. April 2007 bis 30. April 2007 waren die zustehenden Leistungen anteilig zu
berechnen. Eine rückwirkende Leistungsgewährung kommt im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich
nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.