Urteil des SozG Berlin vom 13.03.2017

SozG Berlin: jugend und sport, berufliche weiterbildung, französisch, englisch, hauptsache, zertifizierung, erlass, europa, eingliederung, spanisch

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Gericht:
SG Berlin 34.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 34 AS 1940/06 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 16 Abs 1 S 1 SGB 2, § 77 SGB
3, § 84 SGB 3, § 85 SGB 3
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II -
Leistungen zur Eingliederung - Förderung einer beruflichen
Weiterbildung
Leitsatz
Solange eine Zertifizierung einer der Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung im Sinne von §
85 SGB 3 und ihre Zulassung für die Förderung noch nicht erfolgt sind, fehlt es an den
Voraussetzungen für die Förderung, denn die in den Nrn. 1 bis 3 von § 77 Abs 1 SGB 3
genannten Voraussetzungen müssen in ihrer Gesamtheit vorliegen.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 02. März 2006 wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von der
Antragsgegnerin die Förderung einer am 13. März 2006 beginnenden Maßnahme der
beruflichen Weiterbildung zur EG-Sekretärin / Europa-Management-Assistentin (Englisch,
Französisch und Spanisch mit kaufmännischer Ausbildung) nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des
Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i.V.m. §§ 77 ff des
Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB III).
Die am 09. Dezember 1958 geborene Antragstellerin hat nach eigenen Angaben von
1980 bis 1985 ein Studium der Rechtswissenschaften ohne Abschluss absolviert.
Anschließend nahm sie ein Studium der Veterinärmedizin auf, das sie im Jahr 2002
beendete. Von September 2002 bis August 2003 nahm sie an einem
Fortbildungsseminar „Gesundheitsmanagement“ erfolgreich teil. Seither war sie
Gasthörerin an der TU Berlin und hat sich mit Vorträgen/Seminaren in
gesundheitspolitischen Fragestellungen beschäftigt. Sie erhält laufende Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II - ALG II).
Auf ihren Antrag stellte die Antragsgegnerin der Antragstellerin einen bis zum 13. Mai
2006 gültigen Bildungsgutschein mit dem Bildungsziel Europasekretärin Englisch,
Französisch im Tagespendelbereich für eine Weiterbildungsdauer bis zu 24 Monaten
einschließlich eines notwendigen Betriebspraktikums aus.
Im Februar 2006 schloss die Antragstellerin mit der Internationalen Wirtschaftsakademie
Berlin - nachfolgend IWA - einen Studienvertrag über die vom 13. März 2006 bis
einschließlich 12. März 2008 durchzuführende Weiterbildung zur EG-Sekretärin / Europa-
Management-Assistentin (Englisch, Französisch und Spanisch mit kaufmännischer
Ausbildung).
Mit Schreiben vom 17. Februar 2006 wandte sich die IWA an die Antragsgegnerin und
teilte dieser unter anderem mit, dass in der IWA ein Qualitätsmanagement aufgebaut
werde. Da für diesen Prozess ca. 2 Jahre veranschlagt werden, könne nach den Auflagen
der Agentur für Arbeit aus dem Jahr 2004 zum jetzigen Zeitpunkt die Zertifizierung noch
nicht abgeschlossen sein. Darauf teilte die Antragsgegnerin der IWA unter dem 21.
Februar 2006 mit, dass eine Förderung der Umschulung der Antragstellerin bei der IWA
durch die Antragsgegnerin derzeit nicht möglich sei, da eine Zulassung der IWA als
Träger der Weiterbildung durch die Bundesagentur für Arbeit mangels der Begutachtung
durch eine fachkundige Stelle noch nicht erfolgt sei.
Mit ihrem am 02. März 2006 beim Sozialgericht Berlin gestellten Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die Verpflichtung der
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einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die Verpflichtung der
Antragsgegnerin, umgehend Leistungen zur beruflichen Weiterbildung zu gewähren.
Demgegenüber ist die Antragsgegnerin der Ansicht, dass kein Anspruch auf Förderung
bestehe, wenn der ausgewählte Bildungsträger für die Maßnahme nicht zertifiziert sei.
Das Verfahren hinsichtlich der Anerkennung der Maßnahme gem. §§ 86 ff SGB II sei
gegenwärtig noch nicht abgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen, welche der Kammer bei ihrer Entscheidung vorlag.
II. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf
Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Voraussetzung ist mithin das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines
Anordnungsgrundes, wobei der Anordnungsanspruch den materiellen Anspruch auf die
Regelung an sich beinhaltet und der Anordnungsgrund ein besonderes Eilbedürfnis, also
die Dringlichkeit der begehrten Regelung für den Antragsteller voraussetzt. Hierbei ist
insbesondere zu berücksichtigen, dass durch eine einstweilige Anordnung grundsätzlich
keine endgültige Entscheidung vorweggenommen werden darf.
Im Rahmen der einstweiligen Anordnung dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl
auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache gestützt werden (BVerfG NVwZ-RR 1999, S. 217 <218>). Nach der
Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte in den
Fällen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und
unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die
durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind und sie sich an den
Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur
summarisch, sondern abschließend prüfen (BVerfG, Entscheidung vom 12. Mai 2005, 1
BvR 569/05, Seite 8 mwN).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war wie geschehen zu entscheiden.
Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ist nach summarischer Prüfung nicht
überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf die begehrte
Förderung der am 13. März 2006 beim IWA beginnenden beruflichen
Weiterbildungsmaßnahme hat.
Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II können als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit unter
anderem alle im VI. Abschnitt des IV. Kapitels des SGB III geregelten Leistungen erbracht
werden. Soweit das SGB II für die einzelnen Leistungen nach Satz 1 keine abweichenden
Voraussetzungen regelt, gelten diejenigen des SGB III (§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Nach §
77 Abs. 1 SGB III können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme
der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn
bei ihnen wegen eines fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung
anerkannt ist,
vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und
die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.
Aus der Formulierung „können“ wird indes deutlich, dass die Antragsgegnerin bei der
Entscheidung über die Förderung einer beruflichen Weiterbildung Ermessen auszuüben
hat.
Die Entscheidung und Ermessensausübung ist insoweit mehrstufig gestaltet, als
zunächst das Vorliegen der Nr. 1 bis 3 von § 77 Abs. 1 SGB III genannten
Voraussetzungen, die in ihrer Gesamtheit vorliegen müssen, von der Antragsgegnerin
zu prüfen ist und erst dann eine Entscheidung über die Bewilligung von Förderleistungen
zur Förderung der beruflichen Weiterbildung getroffen werden kann. Ermessen ist auf der
Rechtsfolgenseite auszuüben, d.h. bei der Frage, ob die Förderung der beruflichen
Weiterbildung erfolgen soll oder nicht (vgl. Niewald, in: Gagel, SGB III Stand: August 2001,
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Weiterbildung erfolgen soll oder nicht (vgl. Niewald, in: Gagel, SGB III Stand: August 2001,
§ 77 Rdz. 2, 84ff).
Fehlt es indes an einer der zwingend vorgeschriebenen tatbestandlichen
Voraussetzungen darf die Antragsgegnerin die Teilnahme an der Maßnahme der
beruflichen Weiterbildung nicht fördern und handelt jedenfalls nicht
ermessensmissbräuchlich, wenn sie die Förderung ablehnt (vgl. Hessisches
Landessozialgericht, Urteil vom 20.03.2002, AZ: L 6 AL 1424/00).
Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Förderung wird dem Arbeitsuchenden durch
Erteilung eines Bildungsgutscheines bescheinigt (§ 77 Abs. 3 SGB III). Diese
Voraussetzung ist unstreitig, denn die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin bereits
einen diesbezüglichen Bildungsgutschein erteilt und hat auch im vorliegenden
einstweiligen Verfahren erklär, bereit zu sein, die berufliche Weiterbildung der
Antragstellerin zu fördern.
Soweit nach § 77 Abs. 1 Ziff. 3 SGB III i.V.m. §§ 84, 85 SGB III die Zulassung der
Maßnahme und des Trägers der Maßnahme vorliegen müssen, ist festzustellen, das die
begehrte Maßnahme die Kriterien der §§ 84, 85 SGB II (noch) nicht erfüllt. Bei der IWA
handelt es sich um einen von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport
zugelassenen Träger der Weiterbildung. Eine Zertifizierung im Sinne des § 85 SGB III liegt
demgegenüber noch nicht vor. Auch die Maßnahme selbst ist von der Antragsgegnerin
(noch) nicht für die Förderung zugelassen. Somit sind zwar bei der Antragstellerin die
Voraussetzungen erfüllt, an die der Zugang zu Maßnahmen der beruflichen
Weiterbildung geknüpft ist (§§ 16 SGB II, 77 SGB III), jedoch steht die Förderung einer
Maßnahme in Frage, die offensichtlich (noch) nicht den in §§ 84, 85 SGB III genannten
Voraussetzungen entspricht.
Fehlt es jedoch für die von der Antragstellerin begehrte Maßnahme der beruflichen
Weiterbildung an dieser Voraussetzung konnte die Antragsgegnerin bereits danach keine
Ermessensentscheidung zu Gunsten der Antragstellerin treffen.
In dieser Situation durfte sich die Antragsgegnerin darauf beschränken, die gewünschte
Maßnahme abzulehnen.
Ungeachtet dessen erscheint der Kammer auch nicht ersichtlich, dass nur diese vom
IWA angebotene Maßnahme für die Förderung der Antragstellerin in Betracht kommen
sollte. Da - bei Vorlage der Voraussetzungen nach § 77 Abs. 1 SGB III in ihrer
Gesamtheit - im Rahmen von Ermessenserwägungen gleichwertige Alternativen in
Betracht zu ziehen sind, ergibt sich kein Anhalt dafür, dass es hier geboten sein müsste,
die Antragstellerin, sofern die sonstigen Voraussetzungen vorliegen würden,
ausschließlich in der von ihr begehrten Weise zu fördern.
Dem steht auch nicht der der Antragstellerin erteilte Bildungsgutschein entgegen. Zwar
hat die Einführung des Bildungsgutscheines (§ 77 Abs. 3 SGB III) deutlich gemacht, dass
§ 77 SGB III in seiner neuen Fassung die Stärkung der Eigenverantwortung des
Arbeitsuchenden und damit seiner Entscheidungs- und Wahlrechte bezweckt. Im
Rahmen der Ermessensausübung hat die Antragsgegnerin indes aus den ihr möglichen
Leistungen die konkret angebrachte ermessensfehlerfrei, d.h. unter zumindest
gleichwertigen, ggfs. finanziell weniger aufwändigen Alternativen auszuwählen und zu
erbringen.
Da vorliegend die Voraussetzungen nach § 77 Abs. 1 SGB III für die von der
Antragstellerin begehrte Maßnahme jedoch nicht in ihrer Gesamtheit vorlagen, kam es
hierauf letztlich nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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