Urteil des SozG Berlin vom 13.03.2017

SozG Berlin: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, wohnung, hauptsache, arbeitslosenhilfe, leistungsanspruch, heizung, kündigungsfrist, link, sammlung, quelle

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Gericht:
SG Berlin 92.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 92 AS 11438/05 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II -
Angemessenheit der Unterkunft - alleinstehende Hilfebedürftige
- Schutz bereits bestehender Mietverhältnisse
Leitsatz
1) Nach den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung ist
für eine alleinstehende Hilfebedürftige eine Brutto-Warmmiete in Höhe von 360,00 Euro als
angemessen anzusehen.
2) Nach § 4 Abs 3 der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der
Wohnung (AV-Wohnen) sollen lediglich Mietverhältnisse geschützt werden, die bereits
bestanden, ohne dass die Hilfebedürftigen bei deren Abschluss auf die Regelsätze des SGB 2
Rücksicht nehmen konnten.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes rückwirkend seit
Februar 2005 höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung.
Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG – kann das Gericht der Hauptsache auf
Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2
SGG). Entsprechend § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO – sind der
Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2
Satz 4 SGG). Nach der Definition des § 23 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch X - SGB X – ist
eine Tatsache dann als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem
Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken
soll, überwiegend wahrscheinlich ist.
Von einem Anordnungsanspruch ist auszugehen, wenn nach summarischer Prüfung der
Erfolgsaussichten in der Hauptsache von überwiegenden Erfolgsaussichten in der
Hauptsache ausgegangen werden kann. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem
Antragssteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen
Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die
Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Weiter darf es keine zumutbaren oder
einfacheren Möglichkeiten zur vorläufigen Wahrung der Sicherung des betreffenden
Rechts geben. Schließlich darf grundsätzlich keine Vorwegnahme der
Hauptsacheentscheidung, sondern nur eine vorläufige Regelung erfolgen.
Soweit die Antragstellerin rückwirkende Leistungen für den Zeitraum seit Februar 2005
bis zum Antrag im Dezember 2005 begehrt, ist bereits ein Anordnungsgrund nicht
ersichtlich. Denn für eine vorläufige Zahlung von Leistungen für die Vergangenheit
besteht grundsätzlich kein Eilbedürfnis.
Darüber hinaus ist auch ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich. Nach § 22 Abs. 1 Satz
1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
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Vorliegend sind die von der Antragstellerin erbrachten Kosten in Höhe von monatlich
947,- € nicht als angemessen zu bezeichnen. Nach den Ausführungsvorschriften zur
Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) wäre
vielmehr für die alleinstehende Antragstellerin eine Brutto-Warmmiete in Höhe von 360,-
€ als angemessen anzusehen.
Dieser Richtwert könnte nicht einmal nach § 4 Abs. 5 AV-Wohnen überschritten werden.
Denn die Antragstellerin bezog vor ihrem Antrag vom April bis zum 31. Dezember 2004
Arbeitslosenhilfe und beantragte am 7. Februar 2005 Leistungen zur Grundsicherung.
Dazwischen mietete sie zum 1. Februar 2005 die neue Wohnung mit rd. 110 m 2 zu
einer monatlichen Miete in Höhe von 947,- € an. Sie kann sich damit hinsichtlich der
weitaus überteuerten Wohnung nicht auf eine längere Wohndauer berufen. Dass das
Mietverhältnis aufgrund der vereinbarten Staffelmietvereinbarung von der
Antragsstellerin erstmalig zum 31. Januar 2007 gekündigt werden könnte, führt nicht zu
einer anderen Beurteilung. Denn die Antragstellerin ist das Mietverhältnis zu diesen
Bedingungen eingegangen, obwohl sie unmittelbar zuvor noch als Hilfsbedürftige
Arbeitslosenhilfe erhielt und unmittelbar danach ebenfalls unter den Gesichtspunkten
nicht vorhandener wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit Arbeitslosengeld II beantragte.
Würde es den Leistungsempfängern zugestanden, in einer solchen Situation Verträge zu
schließen, die weit über ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinausgehen, und
anschließend auf den Bestand dieser Verträge zu beharren, so würden insbesondere die
Regelungen des SGB II zu angemessenen Leistungssätzen ins Leere laufen. Es steht
nicht den Leistungsempfängern zu, durch den Abschluss solcher Verträge einen
entsprechenden Leistungsanspruch herbeizuführen. Im Übrigen wurde die Wohnung vom
Vermieter bereits mit Schreiben vom 6. Oktober 2005 gut zwei Monate vor
Antragseingang fristlos gekündigt.
Schließlich ergibt sich aus diesem Gesichtspunkt auch kein Leistungsanspruch aus § 4
Abs. 3 der AV-Wohnen. Denn nach dem Sinn und Zweck dieser Regelungen sollen
lediglich Mietverhältnisse geschützt werden, die bereits bestehen, ohne dass die
Leistungsberechtigten bei deren Abschluss auf die Regelsätze des SGB II Rücksicht
nehmen konnten. Die Antragstellerin hingegen bezog bis drei Tage vor dem
Vertragsschluss Arbeitslosenhilfe und ab dem Folgemonat Arbeitslosengeld II. Sie
konnte und musste sich daher bei Vertragsabschluss auf die Leistungssätze einstellen.
Schutzwürdige Interessen für eine Übergangszeit, wie sie mit § 4 Abs. 3 AV-Wohnen
normiert werden, liegen daher bei der Antragstellerin nicht vor.
Auch ein Anspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist nicht gegeben. Denn aufgrund der
fristlosen Kündigung seitens des Vermieters ist der Antragstellerin ein Wohnungswechsel
sowohl möglich als auch zuzumuten, ohne die reguläre Kündigungsfrist zum 1. Januar
2007 einhalten zu müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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