Urteil des SozG Berlin vom 01.02.2006

SozG Berlin: aufschiebende wirkung, konzept, eingliederung, rechtsgrundlage, vollziehung, quelle, sammlung, unterlassen, link, beendigung

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Gericht:
SG Berlin 102.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 102 AS 2564/06 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 1 SGB 2, § 31 Abs 3
SGB 2
Absenkung des Arbeitslosengeld II - keine mehrfache
Absenkung um 30% in der ersten Stufe für gleichen Zeitraum -
wiederholte Pflichtverletzung - Zeitpunkt des
sanktionsbegründenden Ereignisses
Gründe
Der sinngemäße Antrag des 1961 geborenen Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage S 102 AS 2564/06 gegen die Bescheide des
Antragsgegners vom 1. Februar 2006 und 7. Februar 2006 in der Gestalt der
Widerspruchsbescheide vom 27. Februar 2006 und des Widerspruchs vom 6. April 2006
gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 3. März 2006 anzuordnen,
hat gemäß §§ 86 b Abs. 1 Nr. 2, 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG, 39 SGB II in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen ist er unbegründet.
An der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 1. Februar 2006, mit dem das dem
Antragsteller mit Bescheid vom 10. November 2005 für den Zeitraum 1. Dezember
2005 bis 31. Mai 2006 zuerkannte Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 453,- Euro
für den Zeitraum 1. März 2006 bis 31. Mai 2006 monatlich um 30 % der Regelleistung
abgesenkt wurde, bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG).
Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Nach dieser
Vorschrift wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer
ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20
maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz
Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit
abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat. Der Antragsteller räumt selbst
ein, die am 24. November 2005 begonnene Eingliederungsmaßnahme bei der
Gesellschaft für Arbeitsförderung in K im Januar 2006 abgebrochen zu haben. Wichtige
Gründe für den Abbruch (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II) hat er nicht benannt. Vielmehr war
dem Antragsteller die Fortsetzung der Maßnahme zuzumuten. Sein Vorbringen, er sei
minderbeschäftigt gewesen und habe von Arbeitsbeginn bis Arbeitsende nur
herumgesessen, vermag die Unzumutbarkeit nicht zu begründen (vgl. § 10 Abs. 2 SGB
II). Der Antragsteller ist vor Beginn der Maßnahme über die Rechtsfolgen eines Abbruchs
ordnungsgemäß belehrt worden.
An der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 7. Februar 2006 und 3. März 2006 bestehen
hingegen ernstliche Zweifel.
Rechtsgrundlage des Bescheides vom 7. Februar 2006, mit dem das dem Antragsteller
gewährte Arbeitslosengeld II für den Zeitraum 1. März 2006 bis 31. Mai 2006 wegen
Nichtabschlusses einer Eingliederungsvereinbarung nochmals monatlich um 30 % der
Regelleistung abgesenkt wurde, ist § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) SGB II. Nach dieser
Vorschrift ist das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der
Regelleistung zu kürzen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich weigert, eine
Eingliederungsmaßnahme abzuschließen. Zwar hatte sich der Antragsteller geweigert,
die ihm mit Schreiben vom 10. Januar 2006 übersandte Eingliederungsmaßnahme zu
unterschreiben und insoweit verfassungsrechtliche Bedenken gegen den gesetzlichen
Abschlusszwang geltend gemacht. Der Absenkung um 30 % steht jedoch – ungeachtet
verfassungsrechtlicher Bedenken gegen § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) SGB II (vgl. dazu
Berlit in LPK-SGB II, § 31 Rdnr. 14) – entgegen, dass der Antragsgegner mit Bescheid
vom 1. Februar 2006 für denselben Zeitraum bereits eine Absenkung um 30 %
ausgesprochen hatte. Eine zusätzliche Leistungsabsenkung um 30 % ist jedoch erst bei
einer wiederholten Pflichtverletzung im Sinne des § 31 Abs. 3 SGB II zulässig. Hingegen
kann das Arbeitslosengeld II nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ungeachtet der Anzahl und
Verschiedenheit begangener Obliegenheitsverletzungen in der ersten Stufe nur um 30 %
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Verschiedenheit begangener Obliegenheitsverletzungen in der ersten Stufe nur um 30 %
der Regelleistung gekürzt werden. Dies entspricht dem der Vorschrift des § 31 SGB II
zugrunde liegenden Konzept der stufenweisen Leistungsabsenkung, mit dem der
Hilfebedürftige motiviert werden soll, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder
Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen (vgl. § 2 Abs. 1 SGB II). Der
Absenkung in der ersten Stufe um 30 % verbunden mit der bei wiederholter
Pflichtverletzung drohenden zusätzlichen Minderung um 30 % soll neben dem
sanktionierenden Charakter auch eine Warnfunktion zukommen, um den
Hilfebedürftigen zur Mitwirkung bei der Eingliederung in Arbeit anzuhalten (vgl. BT-Drucks
15/1516 zu § 31, Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 Rdnr. 1, 5; Berlit in LPK-SGB II, § 31 Rdnr.
75). Diesem Konzept würde es widersprechen, wenn es nach § 31 Abs. 1 SGB II bereits in
der ersten Stufe zulässig wäre, das Arbeitslosengeld um 60 % der Regelleistung zu
kürzen. Eine solche Kürzung würde gegen das Übermaßverbot verstoßen. Dass der
Antragsteller die am 10. Januar vom Antragsgegner übersandte
Eingliederungsvereinbarung nicht unterschrieben hatte, ist nicht als wiederholte
Pflichtverletzung im Sinne des § 31 Abs. 3 SGB II zu werten. Ausgehend davon, dass der
Gesetzgeber grundsätzlich von einem verhaltensändernden Effekt der Absenkung in der
ersten Stufe ausgeht, setzt eine wiederholte Pflichtverletzung im Sinne des § 31 Abs. 3
SGB II voraus, dass der Hilfebedürftige die Pflichtverletzung nach einer Absenkung des
Arbeitslosengeldes II gemäß § 31 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 SGB II begeht. Der
Antragsteller hatte sich jedoch bereits vor Absenkung des Arbeitslosengeldes II mit
Bescheid vom 1. Februar 2006 geweigert, die Eingliederungsvereinbarung vom 10.
Januar 2006 zu unterzeichnen.
Aus den vorstehenden Gründen bestehen auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheides vom 3. März 2006, mit dem – gestützt auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 d)
SGB II - das Arbeitslosengeld für den Zeitraum 1. April 2006 bis 30. Juni 2006 wegen
Nichtaufnahme einer ab 1. Februar 2006 angebotenen Arbeit nach § 16 Abs. 3 SGB II
monatlich um 30 % der Regelleistung abgesenkt wurde. Eine wiederholte
Pflichtverletzung liegt wiederum nicht vor, weil das sanktionsbegründende Ereignis
bereits vor Bekanntgabe der ersten Absenkung des Arbeitslosengeldes II mit Bescheid
vom 1. Februar 2006 eingetreten war.
Gleiches gilt schließlich für den Bescheid vom 3. März 2006, mit dem das
Arbeitslosengeld für den Zeitraum 1. April 2006 bis 30. Juni 2006 wegen
Nichtabschlusses der Eingliederungsvereinbarung vom 10. Januar 2006 nochmals
monatlich um 30 % der Regelleistung abgesenkt wurde. Diese Pflichtverletzung war
bereits Gegenstand des Bescheides vom 7. Februar 2006. Auf die obigen Ausführungen
zu diesem Bescheid wird deshalb Bezug genommen. Soweit der Antragsteller der
nochmaligen Aufforderung des Antragsgegners vom 3. Februar 2006 (Bl. 97
Verwaltungsakte) nicht nachkam, die Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen,
kann hierin keine neuerliche Pflichtverletzung gesehen werden. Vielmehr handelt es sich
um das fortgesetzte Unterlassen ein und derselben Handlung.
Der Ausspruch über die Rückgängigmachung der Vollziehung beruht auf § 86 b Abs. 1
Satz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
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