Urteil des SozG Berlin vom 27.09.2010

SozG Berlin: anspruch auf bewilligung, verordnung, behinderung, beförderungsdienst, ausbildung, vorrang, zuschuss, verkehrsmittel, form, wohnung

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Gericht:
SG Berlin 70.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 70 AL 1185/07
Dokumenttyp:
Gerichtsbescheid
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 Nr 3 KfzHV, § 3 Abs 1
Nr 1 KfzHV, § 3 Abs 1 Nr 2
KfzHV, § 8 KfzHV, § 9 Abs 1 S 2
Nr 2 KfzHV
Teilhabe am Arbeitsleben - Kraftfahrzeughilfe - Übernahme der
Kosten für die Erlangung einer Fahrerlaubnis - Vorrang der
Nutzung eines Beförderungsdienstes
Leitsatz
Regelleistungen der Kraftfahrzeughilfe (§ 2 Abs 1 KfzHV) dürfen nicht unter Verweis auf die
Möglichkeit der Nutzung eines kostengünstigeren Beförderungsdienstes, der vom
Rehabilitationsträger selbst gefördert wird, abgelehnt werden.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 verurteilt, der Klägerin Leistungen zur
Erlangung einer Fahrerlaubnis zu gewähren.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme von Kosten für die Erlangung
einer Fahrerlaubnis nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV).
Die 1986 geborene schwerbehinderte Klägerin leidet an einer spinalen Muskelatrophie
(Muskelschwund) und ist auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Sie hat einen
Schwerbehindertenausweis, der ihr einen Grad der Behinderung von 100 sowie die
Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und „H“ (Hilflosigkeit)
bescheinigt.
Die Klägerin absolvierte in der Zeit vom September 2004 bis August 2007 eine
Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen bei dem Berufsbildungswerk im O...
gGmbH in P. Diese Ausbildung wurde seitens der Beklagten durch Gewährung von
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, u. a. durch die Bewilligung von
Ausbildungsgeld, gefördert. Während der Ausbildungszeit gelangte die Klägerin durch
einen von der Beklagten bezuschussten Beförderungsdienst von ihrer Wohnung zu dem
Ausbildungsbetrieb.
Die Klägerin beantragte im Juni 2006 die Gewährung von Leistungen der
Kraftfahrzeughilfe in Form eines Zuschusses zu den Kosten der Fahrausbildung und des
Erwerbs der Fahrerlaubnis. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.
Februar 2007 ab. Zur Begründung führte sie an, dass die Klägerin zwar aufgrund ihrer
Behinderung auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sei, um ihren
Arbeitsplatz zu erreichen. Allerdings sei die Übernahme von Beförderungskosten
wirtschaftlicher als die Übernahme der Kosten für die Finanzierung der Fahrerlaubnis und
die Anschaffung eines behinderungsgerechten Kraftfahrzeugs. Die Beförderung koste in
fünf Jahren 73.375,00 Euro (15.075,00 pro Jahr), während für die Finanzierung eines
Führerscheins und eines Pkws ca. 119.000,00 Euro aufgebracht werden müssten. Es
werde daher gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KfzHV weiterhin ein Zuschuss zu den
Beförderungskosten gewährt.
Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin am 06. März 2007 Widerspruch ein.
Ihren Widerspruch begründete sie damit, dass im Hinblick auf das bevorstehende Ende
ihrer Ausbildung zumindest die Führerscheinskosten übernommen werden müssten, da
sie nach Ausbildungsabschluss für den Einstieg ins Berufsleben unbedingt auf einen
Führerschein angewiesen sei.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2007
zurück und verwies dabei im Wesentlichen auf ihre Begründung im Ablehnungsbescheid.
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Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 04. April 2007 Klage beim Sozialgericht
Berlin erhoben und verfolgt damit ihr Begehren weiter. Zur Klagebegründung macht sie
im Wesentlichen geltend:
Ihr stehe ein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe nach der Kraftfahrzeughilfeverordnung
(KfzHV) zu. Da sie sich ein gebrauchtes Fahrzeug im Wert von max. 15.000 Euro
beschaffen wolle und über einen geeigneten Elektrorollstuhl bereits verfüge, fielen
Kosten in Höhe von lediglich ca. 80.000 Euro an. Die Beklagte habe bei ihrer Berechnung
die Vergleichswerte falsch gewichtet. Die Kosten für den Führerschein seien auf ihre
gesamte Lebensarbeitszeit umzulegen und die Verbesserung der Chancen auf dem
Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Zur Ausübung ihrer seit dem 01. September 2007
aufgenommenen Arbeitstätigkeit als kaufmännische Angestellte bei ihrem neuen
Arbeitgeber sei sie auf einen Wagen dringend angewiesen. Der Arbeitgeber erwarte von
ihr die Flexibilisierung der Arbeitszeiten und auch ihren Einsatz in Außenterminen, was
durch den Beförderungsdienst nicht gewährleistet werden könne. Für ihren Arbeitgeber
stelle das eine schwere wirtschaftliche Belastung dar, die nicht mehr erträglich sei. Ihr
Interesse am Erwerb einer Fahrerlaubnis und eines Wagens habe Vorrang, da sie auch
nach Beendigung ihres aktuellen Arbeitsverhältnisses einen Führerschein benötige und
als Rollstuhlfahrerin nur eingeschränkt mobil sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 zu verurteilen, ihr Leistungen
zur Erlangung einer Fahrerlaubnis zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich zunächst auf ihre Begründung in den angefochtenen Bescheiden.
Ergänzend trägt sie vor:
Die Kosten für den Beförderungsdienst betrügen in fünf Jahren nunmehr 59.200 Euro.
Auch unter Berücksichtigung von Kosten in Höhe von 88.000 Euro oder ca. 80.000 Euro,
wie von der Klägerin vorgetragen, sei der Beförderungsdienst wirtschaftlicher.
Außendienste gehörten nicht zum Berufsbild der Kauffrau im Gesundheitswesen. Im
Übrigen sei nicht sie, sondern das Integrationsamt für die Übernahme von Kosten für
Außendienstfahrten zuständig. Sie sei nur für die Fahrtkosten zuständig, die für den Weg
zum Arbeitsplatz anfielen.
Durch Beschluss vom 03. April 2008 hat die Kammer einen Antrag der Klägerin auf
einstweiligen Rechtsschutz in dieser Sache mangels Eilbedürftigkeit abgelehnt (Az. S 70
AL …./08 ER):
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Leistungsakte der Beklagten und
die Gerichtsakte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Az. S 70 AL …/08 ER) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer entscheidet nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche
Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind
hierzu im Erörterungstermin vom 20.08.2010 gehört worden.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 19.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
21.03.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat
einen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen der Kraftfahrzeughilfe in Form der
Förderung der Erlangung einer Fahrerlaubnis.
Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 33 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und
Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 des 9. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) in Verbindung mit §§
3 Abs. 1, 8 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV). Zur Teilhabe am Arbeitsleben werden
gem. § 33 SGB IX die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit
behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer
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behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer
Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und
ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Die Leistungen umfassen
nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX insbesondere Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines
Arbeitsplatzes einschließlich vermittlungsunterstützende Leistungen. Gem. § 33 Abs. 8
Satz 1 Nr. 1 SGB IX umfassen Leistungen nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 und 6 SGB IX auch
Kraftfahrzeughilfe nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe auf Grundlage von § 33
Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 8 S. 1 Nr. 1 SGB IX i. V. m. der Kraftfahrzeughilfe-
Verordnung sind entgegen der Ansicht der Beklagten vorliegend erfüllt. Die
Schwerbehinderung der Klägerin ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Die
Auswirkungen der Schwerbehinderung der Klägerin führen hier dazu, dass unter
Zugrundelegung der Vorgaben des § 33 SGB IX in Verbindung mit der Kraftfahrzeughilfe-
Verordnung hinsichtlich des Klagebegehrens von einer erforderlichen Leistung zur
Teilhabe am Arbeitsleben auszugehen ist.
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 der KfzHV umfasst die Kraftfahrzeughilfe Leistungen zur
Erlangung einer Fahrerlaubnis. Die Leistungen der Kraftfahrzeughilfe setzen nach § 3
Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 KfzHV voraus, dass der Behinderte infolge seiner Behinderung
nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, um
seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Maßnahme der
beruflichen Bildung zu erreichen (Nr. 1), und der Behinderte ein Kraftfahrzeug führen
kann oder gewährleistet ist, dass ein Dritter das Kraftfahrzeug für ihn führt (Nr. 2).
Diese persönlichen Voraussetzungen gem. § 3 Abs. 1 KfzHV sind zur Überzeugung der
Kammer vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist ausweislich der im Verwaltungsverfahren
durchgeführten Ermittlungen - insbesondere des orthopädischen
Führerscheingutachtens vom 05.12.2006 und des Gutachtens der DEKRA e. V. D vom
15.01.2007 - bei einer behinderungsgerichteten Ausstattung des Kraftfahrzeug
grundsätzlich in der Lage, ein Kraftfahrzeug der Klasse „B“ zu führen. Gegen die
Feststellung der grundsätzlichen Fahrtauglichkeit der Klägerin wurden von der Beklagten
keine Bedenken erhoben. Auch für die Kammer sind auf der Grundlage der eingeholten
Gutachten keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin ein Kraftfahrzeug
nicht führen kann.
Die Klägerin ist ferner gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV infolge ihrer Schwerbehinderung nicht
nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kfz angewiesen, um ihren Arbeitsort zu
erreichen. Die Beurteilung dieser Leistungsvoraussetzung ist vom jeweiligen Einzelfall
abhängig. Bei erheblich Gehbehinderten, die bis zum Arbeitsort mehr als zwei Kilometer
zurückzulegen haben, ist lediglich im Einzelfall zu prüfen, ob sie tatsächlich auf ein Kfz
angewiesen sind, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen (vgl. dazu und zum Folgenden:
BSG, Urteil v. 21.03.2001, B 5 RJ 8/00 R; Urteil v. 26.08.1992, B 9b RAr 14/91). Ein
Angewiesensein auf ein Kfz zur Erlangung des Arbeitsplatzes ist nur dann zu verneinen,
wenn es öffentliche Verkehrsverbindungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz oder
Beförderungsdienste des Arbeitgebers oder sonstige Transportmöglichkeiten gibt, die
trotz der Behinderung benutzt werden können. § 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV ist hierbei nicht so
zu verstehen, dass die Behinderung die alleinige Ursache des Angewiesenseins auf ein
Kraftfahrzeug sein müsste.
Ausgehend von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung können die Voraussetzungen
des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV nicht verneint werden. Der Arbeitsweg der außergewöhnlich
gehbehinderten Klägerin beträgt mehr als zwei Kilometer. Denn nach Berechnungen der
Kammer mittels des Routenplaners „Falk“ beträgt die kürzeste Verbindung 4,46 km. Es
ist zudem kein Fall einer anderweitigen zumutbaren Erreichbarkeit des Arbeitsorts
gegeben. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Klägerin aufgrund ihrer
Schwerbehinderung nicht möglich. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die
Beklagte darf die Klägerin auch nicht auf die Weiternutzung des Behindertenfahrdienstes
verweisen. Das ergibt sich aus der Systematik der KfzHV. In § 9 Abs. 1 S. 2 KfzHV hat
der Verordnungsgeber die Übernahme von Kosten eines Beförderungsdienstes in
Sonderfällen vorgesehen. Danach können zur Vermeidung besonderer Härten die
Kosten eines Beförderungsdienstes u. a. dann übernommen werden, wenn die
persönlichen Voraussetzungen nach § 3 KfzHV erfüllt sind und die Beschaffung eines Kfz
nicht möglich oder nicht zweckmäßig ist. Dabei ist in § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KfzHV der Fall
geregelt, dass die Übernahme der Beförderungskosten anstelle von Kraftfahrzeughilfen
wirtschaftlicher und für den behinderten Menschen zumutbar ist. Bei der Regelung des §
9 KfzHV handelt es sich um einen Auffangtatbestand für Sonderleistungen in
besonderen Härtefällen (vgl. BSG, Urteil v. 29.07.1993, 11/9b RAr 27/92; Urteil v.
08.02.2007, B 7a AL 34/06 R; Niesel in: Niesel, SGB III, 4. Aufl., Anh. § 109 Rn. 29). Die
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08.02.2007, B 7a AL 34/06 R; Niesel in: Niesel, SGB III, 4. Aufl., Anh. § 109 Rn. 29). Die
Leistungen nach § 2 KfzHV stellen dagegen nach der Konzeption des
Verordnungsgebers die Regelleistungen der Kraftfahrzeughilfe dar. Würde man nun für
die Inanspruchnahme der Regelleistungen gem. § 2 KfzHV auf die vorrangige Nutzung
eines Beförderungsdienstes verweisen - wie dies hier durch die Beklagte unter Verweis
auf § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KfzHV geschieht - wäre damit das Regel-Ausnahmeverhältnis
missachtet (ebenso: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 03.04.2000, L 7 Ar 200/98, zitiert nach
juris Rn. 35). Aus § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KfzHV ist zu folgern, dass der Verordnungsgeber
nur für die dort geregelten Sonderleistungen den Vorrang der Nutzung eines
Beförderungsdienstes gelten lassen will, wenn die Übernahme der Beförderungskosten
wirtschaftlicher und dem behinderten Menschen zumutbar ist. Für die Regelleistungen in
§ 2 KfzHV hat er dagegen einen solchen Vorbehalt nicht aufgestellt. Dementsprechend
ist es nicht sachgerecht, einen solchen Vorbehalt in die Voraussetzung des
Angewiesenseins in § 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV hineinzulesen.
Gegen eine Verweisung auf die Nutzung von Beförderungsdiensten spricht weiter, dass
damit auch für die Regelfälle eine Leistung erbracht würde, für die in der abschließenden
Aufzählung des § 2 Abs. 1 KfzHV keine Grundlage besteht. In § 2 Abs. 1 KfzHV hat der
Verordnungsgeber genau festgelegt, welche Leistungen zur Kraftfahrzeughilfe gehören.
Die Übernahme von Kosten für einen Beförderungsdienst gehört nicht dazu. Daher darf
der Rehabilitationsträger seine Verpflichtung zur Erbringung der in der Verordnung
genannten Leistungen nicht dadurch umgehen, dass er eine Leistung gewährt, die nach
der Systematik der Verordnung nur für Sonderfälle vorgesehen ist. Aus diesem Grunde
kann die Begründung der Beklagten auch im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen
nicht überzeugen. Denn danach dürfte es ihr in der Mehrheit der Fälle möglich sein, statt
der regelmäßig zu leistenden Leistungen der Kraftfahrzeughilfe gem. § 2 KfzHV die
günstigeren Beförderungskosten zu übernehmen. Damit würde vielen behinderten
Menschen, die zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes auf ein Kraftfahrzeug angewiesen
sind, nur die Nutzung eines Behindertenfahrdienstes bleiben.
Bei dem von der Beklagten angeführten Beförderungsdienst handelt es sich nach
Ansicht der Kammer auch nicht etwa um eine „sonstige Transportmöglichkeit“ im Sinne
der obigen Rechtsprechung des BSG. Aus dem Wortlaut und dem Zusammenhang
dieser höchstrichterlichen Ausführungen entnimmt die Kammer, dass es sich jeweils um
Transportmöglichkeiten handeln muss, die der behinderte Mensch ohne
Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nutzen kann. Dies folgt
aus dem Vergleich mit den dort ausdrücklich genannten Fällen der Nutzung öffentlicher
Verkehrsmittel oder eines Fahrdienstes des Arbeitgebers. Es muss sich demnach um
Transportmöglichkeiten handeln, die nicht von dem Rehabilitationsträger gefördert
werden. Das ergibt sich auch aus der Einschränkung des BSG, dass die
Transportmöglichkeiten vom Betroffenen „trotz der Behinderung benutzt werden
können“. Würde man zu den sonstigen Transportmöglichkeiten i. S. d. der
höchstrichterlichen Rechtsprechung auch vom Rehabilitationsträger geförderte
Behindertenfahrdienste zählen, wäre diese vom BSG genannte Einschränkung
offensichtlich überflüssig.
Der Anspruch auf Übernahme der Kosten zur Erlangung einer Fahrerlaubnis ist
schließlich nicht wegen übersteigenden Einkommens ausgeschlossen. Nach § 8 Abs. 1
KfzHV wird zu diesen Kosten ein Zuschuss geleistet. Dieser beläuft sich gem. § 8 Abs. 1
Satz 2 KfzHV bei behinderten Menschen mit einem Einkommen bis 40 % der
monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch
(monatliche Bezugsgröße) auf die volle Höhe (Nr. 1), bei einem Einkommen bis zu 55 %
der monatlichen Bezugsgröße auf zwei Drittel und bei einem Einkommen bis zu 75 % der
monatlichen Bezugsgröße auf ein Drittel. Einkommen ist hierbei gem. § 6 Abs. 3 Satz 1
KfzHV das monatliche Arbeitsentgelt, Netto-Arbeitseinkommen und vergleichbare
Lohnersatzleistungen des behinderten Menschen. Gegenwärtig beträgt das monatliche
Netto-Arbeitseinkommen der Klägerin ausweislich der vorliegenden
Gehaltsabrechnungen 1.091,47 Euro. Nach § 2 der Verordnung über maßgebende
Rechengrößen der Sozialversicherung für 2010 (BGBl. I 2009, 3846) beträgt die
monatliche Bezugsgröße (West) 2.555,00 Euro und die monatliche Bezugsgröße (Ost)
2.170,00 Euro. Somit ist auch ohne Berücksichtigung möglicher
Unterhaltsverpflichtungen (§ 8 Abs. 2 S. 2 2. Hs. i. V. m. § 6 Abs. 3 KfzHV) jedenfalls kein
Einkommen der Klägerin von über 75 % der monatlichen Bezugsgröße gegeben, so dass
dem Grunde nach ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Erlangung der
Fahrerlaubnis besteht.
Bei der Erbringung von Leistungen der Kraftfahrzeughilfe als besondere Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben besteht kein Ermessen der Beklagten (Niesel in: Niesel, SGB
III, 4. Aufl., Anhang § 109 Rn. 3).
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Die Klage hat nach alledem Erfolg. Daher war die Beklagte dem Grunde nach zu
verurteilen, der Klägerin Leistungen zur Erlangung einer Fahrerlaubnis zu bewilligen (vgl.
§ 105 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der
Hauptsache.
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