Urteil des SozG Berlin vom 16.02.2006

SozG Berlin: gleichgestellte zeit, versicherungspflicht, arbeitslosenversicherung, beitragspflicht, projekt, arbeitslosenhilfe, anschluss, sozialleistung, hauptsache, sammlung

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Gericht:
SG Berlin 58.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 58 AL 3003/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 28a Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 3, §
434j Abs 2 SGB 3, § 107 AFG,
Art 3 Abs 1 GG
(Arbeitslosenversicherung - Versicherungspflichtverhältnis auf
Antrag - Berücksichtigung von länger zurückliegenden
Versicherungspflichtzeiten - Gleichstellung von Zeiten nach §
107 AFG mit Versicherungspflichtzeiten nach SGB 3)
Tatbestand
Streitig ist ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung nach § 28 a SGB III.
Die Klägerin ist als Journalistin selbständig tätig. Sie beantragte am 16. Februar 2006
eine freiwillige Weiterversicherung nach § 28 a SGB III. Dem Antrag beigefügt war ein
Versicherungsverlauf des Rentenversicherungsträgers, wonach bis zum 30. September
1985 eine Zeit der Arbeitslosigkeit nach dem AFG erfasst ist, der ab 1. November bis 31.
Dezember 1985 eine Meldezeit wegen Schwangerschaft und Mutterschutz folgt. Nach
den Angaben der Klägerin war sie unmittelbar nach Ende der Mutterschutzzeit
ausschließlich als freiberufliche Journalistin tätig.
Mangels einer genauen Angabe zum Zeitpunkt des Beginns der freiberuflichen Tätigkeit
lehnte die Beklagte den Versicherungsantrag mit Bescheid vom 22. Juni 2006 ab. Es
fehle an dem Nachweis einer unmittelbar vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit
bestehenden Versicherungspflicht oder einer Bezugszeit von Entgeltersatzleistungen
nach dem SGB III.
Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb aus den Gründen der angefochtenen
Ausgangsentscheidung erfolglos, so dass die Klägerin am 1. September 2006 beim
Sozialgericht Berlin Klage auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf
Antrag erhoben hat.
Den im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen lässt sich entnehmen, dass die Klägerin
bis zum 9. November 1985 Arbeitslosenhilfe bezogen hatte, die dann wegen eines
Anspruchs auf Mutterschaftsgeld (nachgewiesen durch Bescheinigung der DAK vom
11.12.1985) eingestellt wurde. Nach Geburt des Kindes am 10. Dezember 1985 hatte
die Klägerin ausweislich eines Schreibens des Senators für Wirtschaft und Arbeit vom 4.
Februar 1986 ihre Selbständigkeit mit einem Beitrag zu einem Projekt "Frauen machen
sich selbständig" begonnen. In einem Schreiben des Finanzamtes vom 7. Juni 2006 wird
bestätigt, dass die Klägerin ab dem Kalenderjahr 1986 Einkünfte aus freiberuflicher
Tätigkeit als Regisseurin und Produktionsleiterin erzielt habe.
Die Klägerin macht geltend, mit diesen aufgefundenen Unterlagen die Unmittelbarkeit
zwischen Beginn der selbständigen Tätigkeit und einem vorangegangenen
Versicherungspflichtverhältnis ausreichend nachgewiesen zu haben.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni 2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 zu verurteilen, ab 16. Februar 2006 eine
Versicherungspflicht auf Antrag nach 28 a SGB III zu begründen.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, zum einen fehle nach wie vor der Nachweis, dass die im Februar
1986 begonnene Tätigkeit in einem mehr als kurzzeitigen Umfang ausgeübt wurde, zum
anderen könne die nach § 107 AFG einem Versicherungspflichtverhältnis nur
gleichgestellte Bezugszeit von Mutterschaftsgeld nicht als Versicherungspflichtverhältnis
im Sinne des § 28 a SGB III gewertet werden.
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den beigezogenen Verwaltungsvorgang
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat die Voraussetzungen für ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag
ausreichend nachgewiesen, insbesondere erfüllt sie den Tatbestand einer unmittelbar
vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit liegenden Versicherungspflichtzeit zur
Arbeitslosenversicherung.
Die von der Klägerin im Klageverfahren eingereichten Unterlagen belegen, dass sie
unmittelbar, d. h. in einem Zeitraum bis längstens einem Monat (s. dazu die
Gesetzesbegründung, ) nach Ablauf des
Bezugs von Mutterschaftsgeld in der Schutzfrist nach § 13 Abs. 1 Mutterschutzgesetz
ihre selbständige Tätigkeit begonnen hatte. Zwar lässt sich den eingereichten
Unterlagen nichts Genaueres über den zeitlichen Umfang zur Vorbereitung des
seinerzeitigen Beitrags entnehmen, die Kammer schließt jedoch aus dem fehlenden
Wiederbewilligungsantrag von Arbeitslosenhilfe, dass die Klägerin in einem mehr als
kurzzeitigen Umfang in das Projekt eingebunden war. Sie hat dies im Termin zur
mündlichen Verhandlung plausibel geschildert und ein sonstiger Grund, warum sie auf
die Wiederbewilligung von Alhi hätte verzichten sollen, ist nicht ersichtlich.
Der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, dass der damalige Bezug von
Mutterschaftsgeld nach § 107 Abs. 1 Nr. 5 b) AFG lediglich eine den Zeiten einer die
Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichgestellte Versicherungszeit war. Denn
der Gesetzgeber hat in § 434 j Abs. 2 SGB III Antragstellern die Möglichkeit eingeräumt,
auch dann den Zugang zur Weiterversicherung nach § 28 a SGB III beantragen zu
können, wenn sie lediglich in der Vergangenheit im unmittelbaren Anschluss an eine
Anwartschaftszeit oder den Bezug einer Entgeltersatzleistung eine selbständige Tätigkeit
aufgenommen hatten. Da das Gesetz keine zeitliche Begrenzung enthält, können die
Versicherungspflichtzeiten Jahre zurückliegen und zum Beispiel auch Leistungen
umfassen, die es im SGB III nicht mehr gibt (vgl. Winkler, info also 2006, Seite 4).
Das in § 28 a Abs. 1 Nr. 2 SGB III vorausgesetzte Versicherungspflichtverhältnis "nach
den Vorschriften des ersten Abschnitts" ist daher so auszulegen, dass es sich um ein
Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer Sozialleistung handeln muss, die
eine Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung begründet.
Dass § 107 AFG den Bezug von Mutterschaftsgeld einer die Beitragspflicht
begründenden Beschäftigung bzw. einem Versicherungspflichttatbestand lediglich
gleichstellte, ist für die Begründung des Anspruchs auf freiwillige Weiterversicherung
nach § 28 a SGB III unerheblich. Denn wie das Bundesverfassungsgericht jüngst
entschieden hat, war die zeitweilige Aberkennung der Bezugszeit von Mutterschaftsgeld
als Versicherungspflichtzeit verfassungswidrig (Beschluss vom 28.3.2006 – 1 BvL 10/01).
Zur Vermeidung einer nach Artikel 3 willkürlichen Ungleichbehandlung ist es daher
geboten, auch Antragstellern, die lediglich eine nach § 107 AFG gleichgestellte Zeit
unmittelbar vor Beginn ihrer Selbständigkeit erfüllt haben, Beziehern einer
Versicherungspflichtzeit nach dem SGB III gleichzustellen.
Steht nach alledem fest, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 28 a SGB III erfüllt,
war ihrem Klageantrag mit dem in § 28 a Abs. 2 SGB III vorgeschriebenen Beginn des
Versicherungspflichtverhältnisses stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der
Hauptsache. Zwar hat die Klägerin aussagekräftige Unterlagen erstmals im
Klageverfahren vorgelegt, die Beklagte hatte dann jedoch zu Unrecht unter
Aberkennung der Mutterschaftszeit als Versicherungspflichtverhältnis die angefochtenen
Entscheidungen bekräftigt.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum