Urteil des SozG Berlin vom 13.03.2017

SozG Berlin: eltern, schenkung, zuschuss, effektivität, leistungsanspruch, sammlung, quelle, link, sozialhilfe, arbeitslosenhilfe

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Gericht:
SG Berlin 63.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 63 AS 7229/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 SGB 2, § 9 Abs 1 SGB 2, § 37
Abs 2 S 1 SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungen für die
Vergangenheit; Nachrang- und Selbsthilfegrundsatz
Leitsatz
1) Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende werden gemäß § 37 Abs 2 S 1 SGB 2
nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht.
2) Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden wie im Sozialhilferecht nach
Maßgabe des Nachrang- und Selbsthilfegrundsatzes gewährt und sind nach Wegfall der Not
grundsätzlich ausgeschlossen.
3) Eine bedarfsdeckende Hilfe Dritter (hier: Eltern) wirkt anspruchsvernichtend, wenn der
Dritte die Hilfe endgültig, das heißt als verlorenen Zuschuss - zum Beispiel durch Schenkung -
leistet.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
Die Klägerin, die mit ihrem Lebenspartner in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebt,
begehrt vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für den
Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Januar 2005. Nach ihrem Antrag vom 31.
Januar 2005 bewilligte der Beklagte den beiden mit Bescheid vom 4. März 2005 in der
Fassung des Änderungsbescheides vom 6. Juli 2005 und des Widerspruchsbescheides
vom 13. Juli 2005 für die Zeit seit dem 31. Januar 2005 bis zum 31. Juli 2005 die
begehrten Leistungen, nicht jedoch für die Zeit vor der Antragstellung. In dem Zeitraum
vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Januar 2005 erhielt die Klägerin bedarfsdeckende
Zuwendungen von ihren Eltern als Schenkung.
Mit ihrer am 9. August 2005 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter
und trägt zur Begründung vor, sie sei von Mitarbeitern der zuständigen Agentur für
Arbeit dahingehend falsch belehrt worden, dass sie den Antrag erst dann stellen könne,
wenn sie ihren letzten Bescheid über die Arbeitslosenhilfe für das Jahr 2004 vorlegen
könne. Entsprechend dieser Vorgabe habe sie den Antrag erst am 31. Januar 2005
gestellt. Sie müsse nun so gestellt werden, als hätte sie ihren Antrag rechtzeitig am 1.
Januar 2005 beim Beklagten eingereicht.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 4. März 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6. Juli
2005 und des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2005 abzuändern und den Beklagten
zu verurteilen, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch für den Zeitraum
vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Januar 2005 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Streitakten und die Leistungsakten des Beklagten Bezug
genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage richtet sich zutreffend gegen den Beklagten, der als
Arbeitsgemeinschaft der Bundesagentur für Arbeit und des Landes Berlin eine
nichtrechtsfähige Personenvereinigung darstellt und gemäß § 70 Nr. 2 SGG
beteiligtenfähig ist.
Die Klage ist jedoch unbegründet, da die Klägerin für den streitgegenständlichen
Zeitraum keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen aus den §§ 7 Abs. 1, 19 Satz 1
SGB II hat. Denn gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II werden die Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Die
Klägerin kann ihr Begehren auch nicht im Wege des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs durchsetzen. Ob ein solcher Herstellungsanspruch im
Anwendungsbereich des SGB II überhaupt in Betracht kommt und ob gegebenenfalls
dessen Voraussetzungen vorliegen, weil die Klägerin durch die Mitarbeiter der
zuständigen Agentur für Arbeit tatsächlich falsch beraten wurde, kann hier offen bleiben.
Selbst wenn die Klägerin wegen eines Beratungsfehlers so gestellt werden müsste, als
hätte sie den Antrag rechtzeitig eingereicht, so wäre ihr Anspruch mit der
darlehenslosen Bedarfsdeckung durch ihre Eltern untergegangen. Denn die Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts werden wie im Sozialhilferecht nach Maßgabe des
Nachrang- und Selbsthilfegrundsatzes gewährt. Die Anwendung dieses Grundsatzes
folgt aus den §§ 2, 9 Abs. 1 SGB II. Vor diesem Hintergrund ist die hierzu im Rahmen des
Sozialhilferechts bestehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch auf
die Grundsicherung für Arbeitsuchende anzuwenden. Nach dem Zweck der Leistungen
als Hilfe in gegenwärtigen Notlagen sind sie nach Wegfall der Not grundsätzlich
ausgeschlossen. Das Einsetzen der Leistungen hängt davon ab, dass zu dem Zeitpunkt
der letzten Behördenentscheidung, der grundsätzlich die für die gerichtliche Überprüfung
einer hilferechtlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage bestimmt, noch
ein Bedarf angenommen werden kann. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht in
ständiger Rechtsprechung den Grundsatz betont, dass keine Sozialhilfe für die
Vergangenheit geleistet werden könne (vgl. BVerwGE 90, 154, 156). Ausnahmen vom
Erfordernis eines tatsächlich fortbestehenden Bedarfs hat das Bundesverwaltungsgericht
jedoch, insbesondere bei einer zwischenzeitlichen Bedarfsdeckung im Wege der
Selbsthilfe oder durch die Hilfe dritter Personen, immer in zwei Fallgestaltungen
zugelassen, nämlich in Eilfällen, um der Effektivität der gesetzlichen Gewährung des
Rechtsanspruchs des Hilfebedürftigen auf Fürsorgeleistungen zu genügen (BVerwGE 26,
217, 220), und bei Einlegung von Rechtsbehelfen, um der Effektivität des Rechtsschutzes
hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. BVerwGE 40, 343, 346; 58, 68, 74). Jedoch wirkt
eine bedarfsdeckende Hilfe Dritter anspruchsvernichtend, wenn der Dritte die Hilfe
endgültig, das heißt als verlorenen Zuschuss – zum Beispiel durch Schenkung – leistet.
Die Hilfe eines Dritten schließt den Leistungsanspruch lediglich dann nicht aus, wenn der
Dritte vorläufig anstelle des Leistungsträgers und unter Vorbehalt des
Erstattungsverlangens nur deshalb einspringt, weil der Leistungsträger nicht rechtzeitig
geholfen hat (vgl. BVerwGE 26, 217, 219; 90, 154, 156, 158; 94, 127, 135).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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