Urteil des SozG Berlin vom 08.10.2009

SozG Berlin: erlass, stromversorgung, verfügung, notlage, deckung, unterbrechung, nichterfüllung, sperrung, sozialhilfe, wohnung

Sozialgericht Berlin
Beschluss vom 08.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 121 AS 32195/09 ER
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Der am 25. September 2009 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Antrag des Antragstellers, "den Antragsgegner
im Wege der einstweiligen An¬ordnung zu verpflichten, umgehend die Kosten für die Stromrückstände in Höhe von
2.938,67 EUR zuzüglich Wiedereinschaltungs¬kosten zu übernehmen", ist sowohl unzulässig, als auch unbegründet.
Der Antrag ist entsprechend § 141 Abs. 1 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn.
19a, § 141 Rn. 2, 6.) unzulässig, weil sein Gegenstand mit dem vom Antragsteller am 11. Juni 2009 erhobenen Antrag
(S 171 AS./ ... ER) übereinstimmt, den das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 2. Juli 2009 rechtskräftig
abgelehnt hat.
Der Antrag ist zudem unbegründet, weil die in § 86b Abs. 2 S. 2 SGG aufgestellten Vorausset¬zungen für den Erlass
einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben sind. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist der Erlass einer einstweiligen
Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zu¬stands nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, als auch ein
Anordnungs¬grund vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn es ist nicht überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft (vgl. § 23 Abs. 1
S. 2 SGB X), dass dem Antragsteller ein Anordnungs¬anspruch zur Seite steht.
§ 23 Abs. 1 S. 1 SGB II scheidet als Grundlage eines Anordnungsanspruches aus. Denn in Streit steht nicht die
Deckung eines unabweisbaren "Bedarfs", sondern die – in § 22 Abs. 5 SGB II spezialgesetzlich geregelte –
Übernahme von "Schulden". Dies ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller zwar einen
unaufschiebbaren, mithin iSd § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II "unabweisbaren" (vgl. Mün¬der, in: Münder, SGB II, 3. Aufl.
2009, § 23 Rn. 9.) Sachleis¬tungsbedarf hat (nämlich an Strom in "Natur"), der Antragsgegner diesen
Sachleistungsbedarf (obwohl er hierzu gemäß §§ 4 Abs. 1 Nr. 3, 23 Abs. 1 S. 1 SGB II rechtlich befugt wäre) je¬doch
nicht decken kann. Denn decken kann der Antragsgegner nur den Bedarf an Geld, das er¬forderlich ist, um Strom von
einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen iSd § 1 Abs. 3 Strom¬grundversorgungsverordnung (Strom¬GVV) zu
beziehen.
Einen unabweisbaren Bedarf an Geld wiederum, das erforderlich ist, um Strom von einem
Elektrizitätsversorgungsunternehmen zu beziehen, hat der Antragsteller nicht. Denn da die Lei¬stungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II gleich den Leistungen des SGB XII (vgl. insoweit: BVerwGE 79, S. 46 [49].)
der Deckung einer gegenwärtigen Notlage die¬nen, begründen Geldforderungen nur solange einen "Bedarf" im Sinne
des SGB II, wie sie im noch laufenden "Bedarfszeitraum" gemäß § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II entstehen und fällig sind
und vom Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zeitpunkt des Erlasses des diesen Zeitraum betreffenden
Bewilligungsbescheides noch nicht berücksichtigt werden konnten, weil sie dem Hilfebedürftigen noch nicht bekannt
waren (vgl. zum Recht der Sozialhilfe: BVerwGE 79, S. 46 [49, 50 f.].). Geldforderungen hingegen, die – wie hier –
schon vorher entstanden und fällig wa¬ren, sind Schulden (vgl. BVerwGE 79, S. 46 [51]; vgl. dazu, wann
Energiekostenrück¬stände "Schulden" sind, auch: Berlit, in: Münder, SGB II. 3 Aufl. 2009, § 22 Rn. 126; Mün¬der, in:
Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 23 Rn. 8.), die nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II übernommen
werden können.
Diese Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II sind vorliegend nicht gegeben. Denn obgleich die faktische
Unbewohnbarkeit einer Wohnung infolge einer Sperrung der Energie- oder Gas¬zufuhr eine "vergleichbare Notlage" iSd
§ 22 Abs. 5 S. 1 SGB II begründet (Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 125.), ist es nicht überwiegend
wahrscheinlich, dass die Über¬nahme der Schul¬den, die der Antragsteller gegenüber der V ... E ... AG hat, iSd § 22
Abs. 5 S. 1 SGB II "gerechtfertigt" ist. Denn "gerechtfertigt" iSd § 22 Abs. 5 S. 1, 2 SGB II ist die Über¬nahme von
Schulden nur dann, wenn der Hilfebedürftige nicht in der Lage ist, die "Not¬lage" iSd § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II selbst
zu beheben (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. 11.2007, L 20 B 1361/07 AS ER.). Dies ist hier nicht der
Fall. Denn dem An¬tragsteller ist es möglich und zuzumuten, die V ... E AG im We¬ge des Erlasses einer
einstweiligen Verfügung in Anspruch zu nehmen (vgl. Gotzen, ZfF 2007, S. 248 [249]; ders., ZfF 2009, S. 106 [107];
Berlit, in: Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 125.).
Dies ergibt sich aufgrund der Behauptung des Antragstellers, dass ihm infolge der Einstellung der Stromversorgung
schwere gesundheitliche Schäden drohen. Denn da diese Behauptung mit Rücksicht auf das vom Antragsteller
vorgelegte ärztliche Attest höchstwahrscheinlich wahr ist, hat ein auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung
gegenüber der V ... E ... AG ge¬richteter Antrag des An¬tragstellers aller Voraussicht nach Erfolg (vgl. Gotzen, ZfF
2007, S. 248 [250].). § 19 Abs. 2 S. 2 Strom¬GVV nämlich bestimmt, dass der "Grundversorger" nicht be¬rechtigt ist,
die Stromversorgung bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung unterbre¬chen zu lassen, "wenn die Folgen der
Unterbrechung au¬ßer Verhältnis zur Schwere der Zuwi¬derhandlung stehen".
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.