Urteil des SozG Berlin vom 26.06.2007

SozG Berlin: altersrente, rehabilitation, passiven, ausnahme, rechtsnatur, krankenkasse, erwerbsfähigkeit, aktiven, quelle, sammlung

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Gericht:
SG Berlin 36.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 36 KR 1183/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 AltTZG 1996, § 3 Abs 1 S 1
AltTZG 1996, § 8 Abs 3 AltTZG
1996, § 40 Abs 1 SGB 5, § 40
Abs 2 SGB 5
Medizinische Rehabilitation - Leistungen zur Teilhabe während
der Altersteilzeit - Kosten für Anschlussheilbehandlung -
Erstattungsansprüche der Deutschen Rentenversicherung Bund
gegen Krankenkassen
Leitsatz
Für Versicherte sind auch während der Freistellungsphase (passiven Phase) der Altersteilzeit
Leistungen zur Teilhabe des Rentenversicherungsträgers nicht ausgeschlossen (vgl. BSG,
Urteil vom 26.06.2007 - B 1 KR 34/06 R-).Bei dem aufgestockten Entgelt für die
Altersteilzeitarbeit handelt es sich nicht um Leistungen für Personen, die "dauerhaft" aus dem
Erwerbsleben ausgeschieden sind und durch betriebliche Versorgungsleistungen auf die
Altersrente hingeführt werden. Auch kann Altersteilzeitarbeit nicht mit dem dauerhaften
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gleichgesetzt werden. Zwar muss die Altersteilzeit auf
einen Zeitpunkt erstreckt werden, von dem an Rente wegen Alters beansprucht werden kann.
Das bedeutet aber nicht zugleich, dass der Arbeitnehmer damit dauerhaft aus dem
Erwerbsleben ausgeschieden ist: So kann sich an die Phase der Altersteilzeit eine weitere
Arbeitsphase anschließen, und überdies kann der Arbeitnehmer nach Abschluss der
Alterszeitarbeit Arbeitslosengeld beanspruchen. Seiner Rechtsnatur nach ist das
Altersteilverhältnis damit ein vollwertiges Arbeitsverhältnis (vgl. Urteil des BSG vom
26.06.2007 -aa0-).
Tenor
Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 2.296,56 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für erbrachte Leistungen der
medizinischen Rehabilitation – Anschlussheilbehandlung (AHB) – in Höhe von 2.296,56
Euro.
Die am ….. 19.. geborene Versicherte C E (nachfolgend: Versicherte) ist bei der
Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie führte in der Zeit vom 20.06.2007 bis zum
11.07.2007 eine AHB-Leistung durch. Die Klägerin bewilligte die AHB mit Bescheid vom
02.07.2007 im Auftrag und für Rechnung der Beklagten, weil sich die Versicherte seit
April 2006 in der passiven Phase (Freistellungsphase) eines Altersteilzeitmodells befand.
Nachdem sich die Beteiligten vorgerichtlich nicht über die Kostentragung einigen
konnten, hat die Klägerin am 23.05.2008 Klage erhoben, mit der sie die Erstattung der
von ihr verauslagten Kosten der AHB begehrt.
Sie verweist zur Begründung auf die Entscheidung des 4. Senats des BSG vom
14.12.2006 (B 4 R 19/06 R) und ist der Ansicht, dass ihre Zuständigkeit zur Erbringung
der AHB-Leistung mangels Vorliegens der persönlichen Voraussetzungen der §§ 9 Abs. 1
Satz 1, 10 Abs. 1 SGB VI nicht gegeben sei, da das Erwerbsleben des Versicherten mit
Beginn der Freistellungsphase geendet habe und die in § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI
genannten Ziele ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erreicht werden könnten. Die nach § 8
Abs. 3 ATG bestehende rechtliche Möglichkeit, an die Freistellungsphase eine weitere
Arbeitsphase anschließen zu lassen, sei unerheblich, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt
der Entscheidung über die beantragten Leistungen keine konkreten Anhaltspunkte im
Einzelfall vorlägen, dass der/die Versicherte beabsichtige, diese Option auch tatsächlich
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Einzelfall vorlägen, dass der/die Versicherte beabsichtige, diese Option auch tatsächlich
wählen zu wollen. Ohne eine solche entsprechende Willensbetätigung gelte der
Grundsatz des § 1 ATG, wonach die Altersteilzeitarbeit älteren Arbeitnehmern einen
gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglichen solle. Zum
Zeitpunkt der Entscheidung über den vorliegenden Antrag hätten keine Anhaltspunkte
vorgelegen, dass die Versicherte entgegen § 1 ATG nicht dauerhaft aus dem
Erwerbsleben ausscheiden habe wollen, weshalb die Rehabilitationsziele des § 9 Abs. 1
Satz 1 SGB VI nicht hätten erfüllt werden können.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.296,56 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die persönlichen und versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen der §§ 9 bis 11 SGB VI erfüllt seien und auch kein
Ausschlusstatbestand nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI vorliege und verweist zur
Begründung auf die Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 26.06.2007 (B 1 KR 34/06
R). Die Altersteilzeit bedeute nicht zugleich ein dauerhaftes Ausscheiden des
Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben. Auch die von der Klägerin angeführte
Entscheidung des 4. Senats des BSG entbinde nicht von der Einzelfallprüfung, wonach
im Einzelfall zu prüfen sei, ob im Zeitpunkt der Leistung durch die Klägerin
zukunftsgerichtet das erreichen der in § 9 Abs. 1 SGB VI genannten Ziele
ausgeschlossen gewesen sei. Hierzu habe die Klägerin nichts vorgetragen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie
die beigezogenen Verwaltungsakten der Beteiligten verwiesen, die Gegenstand der
Entscheidung waren.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche
Verhandlung gemäß § 124 Absatz 2 SGG einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne
mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten zuvor ihr Einverständnis damit
erklärt hatten.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klage ist gemäß § 54 Absatz 5 SGG als allgemeine Leistungsklage zulässig. Die
Klägerin kann ihr Erstattungsbegehren nicht im Wege eines Verwaltungsaktes
durchsetzen, da zwischen den Sozialleistungsträgern kein Über- und
Unterordnungsverhältnis bei Erstattungsstreitigkeiten besteht. Die Träger stehen sich
gleichrangig gegenüber, sodass Maßnahmen hoheitlicher Regelung in diesem Verhältnis
nicht möglich sind.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Erstattung der Kosten
der AHB-Leistung gegen die beklagte Krankenkasse zu, da sie diese Leistung nicht für
einen anderen Rehabilitationsträger, sondern in eigener Zuständigkeit erbracht hat.
Ein Erstattungsanspruch der Klägerin kommt vorliegend nach § 6 der zwischen der
Klägerin und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. sowie dem Arbeiter-
Ersatzkassen-Verband e.V. sowie den Mitgliedskassen geschlossenen Vereinbarung über
ein gemeinsames AHB-Verfahren (AHB-Vereinbarung) vom 01.04.1998 bzw. nach § 104
SGB X in Betracht. § 14 SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen –
schließt die Anwendung von §§ 102 ff SGB X nicht aus (vgl. BSG Urteil vom 26.06.2007 -
B 1 KR 34/06 R). Dasselbe gilt für die Regelungen der AHB-Vereinbarung, die im Sinne
einer unverzüglichen und verwaltungsarmen Versorgung der Versicherten die
Leistungserbringung stets zunächst dem Rentenversicherungsträger überträgt und eine
endgültige Zuständigkeitsklärung erst im nachgehenden Kostenerstattungsverfahren
vorsieht.
Die Voraussetzungen des § 6 der AHB-Vereinbarung bzw. des § 104 SGB X sind aber
nicht erfüllt. Beide setzen voraus, dass die Klägerin als unzuständiger
Rehabilitationsträger die Leistung erbracht hat. Dies war vorliegend nicht der Fall. Die
Klägerin ist kein unzuständiger Leistungsträger gewesen, als sie der Versicherten die
Rehabilitationsmaßnahme leistete. Vielmehr war sie selbst der zuständig verpflichtete
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Rehabilitationsmaßnahme leistete. Vielmehr war sie selbst der zuständig verpflichtete
Leistungsträger.
§ 40 Absatz 4 SGB V beruft die beklagte Krankenkasse nur zu Leistungen der
medizinischen Rehabilitation nach § 40 Absatz 1 und 2 SGB V, wenn nach den für andere
Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften mit Ausnahme des § 31 SGB VI
solche Leistungen nicht erbracht werden können. Daran fehlt es. Die Klägerin musste
der Versicherten die Rehabilitationsmaßnahme nach den Bestimmungen des SGB VI
bzw. der (insofern inhaltsgleichen) AHB-Vereinbarung leisten.
Der Bezug von Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz – ATG – stellt keinen
Ausschlussgrund i.S.d. § 12 Absatz 1 Nr. 4 a SGB VI bzw. des § 5 Abs. 1, 3. Sp.-Str., Abs.
2, 3. Sp.-Str. der AHB-Vereinbarung dar. Nach diesen Vorschriften werden Leistungen
zur Teilhabe bzw. AHB-Leistungen durch den Rentenversicherungsträger nicht für
Versicherte erbracht, die eine Leistung beziehen, die regelmäßig bis zum Beginn einer
Rente wegen Alters gezahlt wird. Diese Voraussetzung war für die Versicherte, die
lediglich aufgestocktes Altersteilzeitentgelt von ihrem Arbeitgeber in der Passivphase
der Altersteilzeit bezog, nicht erfüllt.
Bei dem aufgestockten Entgelt für die Altersteilzeitarbeit handelt es sich nicht um
Leistungen für Personen, die „dauerhaft“ aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind
und durch betriebliche Versorgungsleistungen auf die Altersrente hingeführt werden.
Altersteilzeitarbeit kann nicht mit dem dauerhaften Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
gleichgesetzt werden. Die Altersteilzeit muss auf einen Zeitpunkt erstreckt werden, von
dem an Rente wegen Alters beansprucht werden kann. Das bedeutet aber nicht auch,
dass der Arbeitnehmer damit dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. An
die Phase der Altersteilzeit kann sich eine weitere Arbeitsphase anschließen. Auch kann
der Arbeitnehmer nach Abschluss der Altersteilzeitarbeit Arbeitslosengeld
beanspruchen. Er ist deshalb zu diesem Zeitpunkt nicht gehalten, Altersrente zu
beanspruchen. Seiner Rechtsnatur nach ist das Altersteilzeitverhältnis ein vollwertiges
Arbeitsverhältnis (vgl. Urteil des BSG vom 26.06.2007, a.a.0.).
In Anwendung dieser Grundsätze bezog die Versicherte bei Beginn der
Anschlussheilbehandlung nicht eine Leistung, die regelmäßig bis zum Beginn einer Rente
wegen Alters gezahlt wird, sondern lediglich aufgestockten Lohn gemäß § 3 Absatz 1
Satz 1 ATG. Dabei ist es nicht erheblich, ob sich die Versicherte bei Beginn der
Anschlussheilbehandlung in der aktiven oder passiven Phase der Altersteilzeit befindet
(vgl. Urteil des BSG, a.a.0.).
Die von der Klägerin in Parallelverfahren vertretene und auf die Entscheidung des 4.
Senats des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 19/06 R) gestützte Ansicht, dass unabhängig
vom Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 12 Abs. 1 SGB VI bereits im Rahmen der
persönlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs nach § 10 Abs. 1 SGB VI zu
prüfen ist, ob der Versicherte sein Erwerbsleben auf Dauer angelegt aufgegeben hat,
was mit dem Beginn der Freistellungsphase grundsätzlich der Fall sein soll, vermag die
Kammer nicht zu überzeugen.
§ 9 Abs. 1 SGB VI regelt nur allgemein vorab die Aufgaben der Leistungen zur Teilhabe
im Sinne einer Zielvorstellung ( , in Kasseler Kommentar, 56. EL 2007, § 9 SGB VI
Rdnr. 2). Diese wird durch die die eigentlichen Voraussetzungen der Teilhabeleistungen
regelnden §§ 10 bis 12 SGB VI konkretisiert (vgl. § 9 Abs. 2 SGB VI). Dass das Ziel der
Teilhabeleistungen bei Versicherten, die ihr Erwerbsleben auf Dauer angelegt
aufgegeben haben, grundsätzlich nicht mehr erreicht werden kann, mag zwar an sich
zutreffend sein. Diesem Umstand wird jedoch für den vorliegenden Fall ausschließlich die
Vorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 4a SGB VI gerecht. Diese Vorschrift hat nach dem Willen
des Gesetzgebers auch den Zweck, ältere Versicherte, die bereits dauerhaft aus dem
Erwerbsleben ausgeschieden sind und durch Lohnersatzleistungen auf die Altersrente
hingeführt werden, von Reha-Leistungen auszuschließen (BT-Drucks. 13/4610, S. 21 zu
Nr. 4; , a.a.O., § 12 Rdnr. 15a; Hervorhebung nur hier). § 10 Abs. 1 SGB VI regelt
dagegen ausschließlich die persönlichen Voraussetzungen der Leistungen und stellt
hierbei allein auf die Erwerbsfähigkeit als solche ab, und zwar (mit Ausnahme der hier
nicht einschlägigen § 10 Abs. 1 Nr. 2 c) SGB VI) unabhängig davon, ob der Versicherte
noch einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder nachgehen wird/will. Würde man das
Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI allein deshalb
verneinen, weil der Versicherte sein Erwerbsleben dauerhaft aufgegeben hat, wäre der
Ausschlusstatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 4a SGB VI nicht nur überflüssig, vielmehr
widerspräche dies auch dem mit dieser Regelung zum Ausdruck gebrachten Willen des
Gesetzgebers, dass die (regelmäßige) dauerhafte Aufgabe des Erwerbslebens allein
noch nicht zum Ausschluss der Leistung führen soll, sondern nur dann, wenn der
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noch nicht zum Ausschluss der Leistung führen soll, sondern nur dann, wenn der
Versicherte zudem durch Lohnersatzleistungen auf die Altersrente hingeführt wird (vgl.
BT-Drucks., a.a.O.).
Dementsprechend kommt es nur allgemein darauf an, ob der oder die Versicherte eine
Leistung erhält, die bis zum Beginn der Altersrente gezahlt wird (§ 12 Abs. 1
Nr. 4 a) SGB VI). Ob im Einzelfall das Erwerbsleben endgültig aufgegeben wurde, ist
dagegen im Hinblick auf den Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
nach dem SGB VI irrelevant.
Dementsprechend hat auch der 1. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom
26.06.2007 (B 1 KR 34/06 R) im Fall eines Versicherten, der nur ca. 2 Monate vor der
passiven Phase der Altersteilzeit stand, ohne weitere Begründung das Vorliegen der §§
9-11 SGB VI bejaht und sich lediglich mit den Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Nr. 4a
SGB VI näher auseinandergesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VWGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Die Zulassung der gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG zulassungsbedürftigen Berufung
erfolgte, weil die Kammer der Sache wegen der wohl divergierenden Rechtsauffassungen
in den Entscheidungen des 1. und des 4. Senats des BSG grundsätzliche Bedeutung
beimisst (§ 144 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
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