Urteil des SozG Berlin vom 19.12.2006

SozG Berlin: verfügung, behinderter, behinderung, ermessensleistung, gefahr, ausbildung, zivilprozessordnung, hauptsache, form, beendigung

Sozialgericht Berlin
Beschluss vom 19.12.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 104 AS 3672/06 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verurteilt, dem Antragsteller für die Dauer der
Umschulungsmaßnahme bis zum 31. Januar 2007 einen orthopädischen Bürostuhl zur Verfügung zu stellen. Die
Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Dem
Antragsteller wird für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe gewährt und Frau Rechtsanwältin K beigeordnet.
Gründe:
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Gewährung höherer Fahrkosten für die
Umschulungsmaßnahme des Antragstellers in der Zeit vom 1. Februar 2005 bis zum 31. Januar 2007 im Wege der
einstweiligen Anordnung für erledigt erklärt haben, beantragt der Antragsteller zuletzt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen ihm für die Dauer der
Umschulungsmaßnahme bis zum 31. Januar 2007 einen orthopädischen Bürostuhl zur Verfügung zu stellen.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Für die von dem Antragsteller erstrebte Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-)
besteht ein erforderlicher Anordnungsanspruch. Insbesondere teilt die Kammer die von der Vertreterin der
Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken an ihrer Passivlegitimation hinsichtlich der
Gewährung des orthopädischen Bürostuhls nicht. Im vorliegenden Fall ist insoweit die Antragsgegnerin und nicht die
Agentur für Arbeit Lichtenberg für die Gewährung dieser Leistung zuständig. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1
Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) werden zwar Leistungen zur Eingliederung in Arbeit,
wozu auch die Gewährung des orthopädischen Bürostuhls zu zählen ist (s.u.), von der Agentur für Arbeit erbracht.
Nach § 44 b Abs. 3 Satz 1 SGB II nimmt jedoch die Arbeitsgemeinschaft die Aufgaben der Agentur für Arbeit als
Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Der Anspruch des Klägers auf Zurverfügungstellung des orthopädischen
Bürostuhls beruht auf § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 109 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung -
(SGB III) i.V.m. § 33 Abs. 8 Nr. 4 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
Zur Teilhabe am Arbeitsleben werden die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder
von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen
oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Zu den Leistungen
gehören auch die Übernahme von Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung u.a. zur
Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sind. Diese Voraussetzungen sieht die Kammer
aufgrund der von der Antragsgegnerin eingereichten Stellungnahme der Ärztin Dr. S vom 7. November 2006 als erfüllt
an. Der Stellungnahme kann entnommen werden, dass die Bereitstellung eines orthopädischen Bürostuhls für die
Berufsschulausbildung in Anbetracht des bei dem Kläger bestehenden Bandscheibenvorfalls im Bereich der
Lendenwirbelsäule und des hieraus resultierenden Schmerzsyndroms erforderlich ist. Der dem Antragsteller während
der Berufsschulausbildung in Potsdam zur Verfügung gestellte Bürodrehstuhl "Viasit Basic" (Art.-Nr. 03.2005) genügt
diesen ärztlichen Anforderungen nicht, denn es handelt sich um einen einfachen Bürostuhl und nicht um einen
ergonomisch-orthopädischen Stuhl, der speziell auf die Lendenwirbelsäulenproblematik des Antragstellers
hingearbeitet ist. Entgegen den Ausführungen der Antragsgegnerin in dem Schriftsatz vom 5. Dezember 2006 kann
die Gewährung des orthopädischen Bürostuhls auch nicht mit der Erwägung versagt werden, dass diese Leistung
wegen der bevorstehenden Beendigung der Maßnahme Ende Januar 2007 nicht mehr wirtschaftlich vertretbar sei.
Denn es handelt sich insoweit nicht um eine Ermessensleistung der Antragsgegnerin, bei der
Wirtschaftlichkeitserwägungen einfließen könnten, sondern um eine gebundene Verwaltungsentscheidung.
Des Weiteren besteht auch ein Anordnungsgrund. Ohne die sofortige Zurverfügungstellung des orthopädischen
Bürostuhls besteht die Gefahr, dass der Antragsteller die schon weit fortgeschrittene Ausbildung zum
Veranstaltungskaufmann aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig beenden muss. Auch insoweit sei auf die
Stellungnahme der Ärztin Dr. St vom 7. November 2006 verwiesen. Die regelmäßig zu verlangende Durchführung
eines Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahrens würde hier bei dem Antragsteller zu im Nachhinein nicht mehr
gutzumachenden Schäden in Form des vorzeitigen Abbruchs seiner Umschulungsmaßnahme führen. Insoweit ist es
hier auch gerechtfertigt, ausnahmsweise die Hauptsache vorwegzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Frau Rechtsanwältin K beruht auf
§ 73 a SGG i.V.m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung.