Urteil des SozG Berlin vom 27.09.2005

SozG Berlin: aufenthalt im ausland, vertrag über die europäische union, verordnung, eugh, soziale sicherheit, tschechische republik, belgien, versicherungsträger, zukunft, verzug

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Gericht:
SG Berlin 9. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 9 RA 2189/02
Dokumenttyp:
EuGH-Vorlage
Quelle:
Normen:
Anh VI Teil D Nr 1 EWGV
1408/71, Anh VI Teil C Nr 1
EWGV 1408/71, Art 10 Abs 1 S 1
EWGV 1408/71, Art 42 EG, Art 51
EGVtr
Antrag auf Vorabentscheidung durch den EuGH - Rentenzahlung
nach Belgien bei Wohnsitznahme im Jahr 2001 -
Gebietsgleichstellung - Freizügigkeitsgebot
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin auch nach deren Umzug nach Belgien
Altersrente aus so genannten Reichsgebiets-Beitragszeiten zu zahlen hat.
Die am XX. XXX 1923 in J./D. (deutsch: E./T.) in Sudety (Sudetenland), damals
Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik geborene Klägerin, die deutsche
Staatsangehörige ist, arbeitete in der Zeit von Januar 1939 bis Mai 1946 in J. (E.). Dabei
entrichtete sie für die Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. April 1945 Pflichtbeiträge zur
deutschen Rentenversicherung, und zwar zur damaligen Reichsversicherungsanstalt für
Angestellte (RfA) in Berlin, die nach der Annexion des Sudetenlandes durch das
Deutsche Reich der zuständige Versicherungsträger war. Nach ihrer Ausweisung aus der
damaligen Tschechoslowakei lebte die Klägerin im Gebiet der heutigen Bundesrepublik
Deutschland.
Mit Bescheid vom 2. November 1987 war der Klägerin Altersruhegeld wegen Vollendung
des 65. Lebensjahres ab XXX 1988 bewilligt worden.Der Rentenberechnung lagen neben
Kindererziehungszeiten und freiwilligen Beiträgen die oben genannten Pflichtbeiträge für
die Zeit von Januar 1939 bis April 1945 sowie Fremdrentenzeiten für die Zeit vom 5. Mai
1945 bis 13. Mai 1946 zu Grunde. In dem zuletzt genannten Zeitraum hatte die Klägerin
in der damaligen Tschechoslowakei versicherungspflichtig gearbeitet.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2001 teilte die Klägerin dem Postrentenservice mit, dass sie
zum 1. August 2001 zu ihrer Tochter nach Belgien übersiedeln werde.
Mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 stellte die Beklagte die Rente der Klägerin neu fest
und bewilligte Regelaltersrente ab 1. Dezember 2001. Der Bescheid enthielt den Zusatz,
dass der Rentenbescheid vom 2. November 1987 mit Wirkung für die Zukunft ab 1.
Dezember 2001 aufgehoben werde. Die Klägerin halte sich gewöhnlich in Belgien auf. Es
sei festgestellt worden, dass die Beitragszeiten von Januar 1939 bis Mai 1946 außerhalb
des Gebietes der heutigen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden seien.
Entgeltpunkte für diese Beitragszeiten seien nicht mehr in vollem Umfang zu
berücksichtigen. Die Aufhebung des Rentenbescheides für die Zukunft sei zulässig, weil
sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des
Rentenbescheides vorgelegen hätten, durch den Verzug nach Belgien wesentlich
geändert hätten und diese Änderung für die Zukunft immer zu berücksichtigen sei.
Weiter erläuterte die Beklagte (Anlage 6 zum Rentenbescheid) die Ermittlung der
Entgeltpunkte. Im ersten Schritt sei eine Berechnung nach dem Recht des
Sozialgesetzbuch VI (SGB VI)/ Rentenreformgesetz 1992 durchzuführen. Im zweiten
Schritt werde geprüft, ob die anteilige Berechnung aus der bisher nach dem Recht des
Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gezahlten Rente zu einem günstigeren
Ergebnis führe. Dies sei bei der Klägerin der Fall. Die Entgeltpunkte der bisher gezahlten
Rente hätten 12,9778 betragen. Die nach dem SGB VI berechnete Auslandsrente würde
3,3060 Entgeltpunkte (EP) ergeben, die so genannte "pro rata" Berechnung ergebe
4,1305 EP. Unter Zugrundelegung der zuletzt genannten EP sei die Rente zu zahlen. Die
Beklagte ermittelte einen monatlichen Bruttobetrag der Rente von 204, 50 DM (104, 56
EUR), was eine Verminderung des bisherigen Rentenbetrages um 438,03 DM (223,96
EUR) monatlich bedeutete.
Mit Schriftsatz vom 28. November 2001 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin gegen
den Bescheid vom 22. Oktober 2001 Widerspruch. Er machte geltend, dass das
Sudetenland in der Zeit von 1939 bis 1945 zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
gehört habe.
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Mit Bescheid vom 11. März 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte
aus, dass bei der Zahlung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung an
Rentenempfänger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland die besonderen
Zahlungsvorschriften – hier § 113 SGB VI – zu berücksichtigen seien. Nach dieser
Vorschrift würden die persönlichen Entgeltpunkte von (Renten-)berechtigten aus EP für
Bundesgebiets-Beitragszeiten ermittelt. Dies seien Beitragszeiten, für die Beiträge nach
Bundesrecht nach dem 8. Mai 1945 gezahlt worden seien und diesen im 5. Kapitel des
SGB VI gleichgestellte Beitragszeiten. Die von der Klägerin in der Zeit von Januar 1939
bis April 1945 für eine Beschäftigung im Sudetenland zurückgelegten Beitragszeiten
seien damit nicht nach dem nach dem 8. Mai 1945 geltenden Bundesrecht gezahlt
worden. § 271 SGB VI regele, welche vor dem 9. Mai 1945 entrichteten Beiträge als
Bundesgebiets-Beitragszeiten im Sinne des § 113 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI anzusehen seien.
Hiernach seien Bundesgebiets-Beitragszeiten auch Zeiten, für die nach den vor dem 9.
Mai 1945 geltenden Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung
oder selbständige Tätigkeit im Inland gezahlt worden seien. Unter dem Begriff "im Inland"
sei nicht der jeweilige Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze, sondern allein
das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zu verstehen. Damit seien
Pflichtbeiträge, die zwar nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung
oder Tätigkeit im Gebiet des damaligen Deutschen Reichs, aber außerhalb des Gebietes
der heutigen Bundesrepublik Deutschland geleistet worden seien, keine
Bundesgebietsbeiträge. Pflichtbeiträge seien im Inland entrichtet, wenn sie auf einer
Beitragsleistung für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in diesem Gebiet
beruhten. Die von der Klägerin von Januar 1939 bis April 1945 nach den deutschen
reichsgesetzlichen Vorschriften entrichteten Beiträge seien jedoch – in Anwendung des §
271 SGB VI – keine Bundesgebiets-Beitragszeiten, da das Sudetenland nicht auf dem
Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland liege.
Mit der am 23. März 2002 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr
Begehren weiter. Zur Begründung hat ihr Bevollmächtigter erneut vorgetragen, dass das
Sudetenland in der Zeit von 1939 bis 1945 zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
gehört habe. Nach Hinweis der Vorsitzenden, dass dies zu keinem Zeitpunkt der Fall
gewesen sei, hat der Bevollmächtigte der Klägerin vorgetragen, dass die Klägerin im
Wesentlichen nicht verstehe, weshalb über Jahre hinweg ihr die Rente auch unter
Berücksichtigung der Zeiten für 1939 bis 1945 gewährt worden sei und alleine wegen des
Verzuges aus der Bundesrepublik Deutschland nach Belgien eine Neubescheidung
erfolgt sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. März 2002 insoweit aufzuheben, als die Rente auch
ohne Berücksichtigung der Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. April 1945 neu festgestellt
wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid.
Das Gericht hat bei der Beklagten angefragt, zu welcher Versicherungsanstalt die
Pflichtbeiträge der Klägerin in der Zeit von 1939 bis 1945 gezahlt worden seien. Mit
Schriftsatz vom 27. Juni 2002 hat die Beklagte mitgeteilt, dass die Klägerin Beiträge zur
RfA entrichtet habe. Die Versicherungskarten seien zwischenzeitlich vernichtet.
Auf weitere Anfrage des Gerichts, und zwar dahingehend, ob sich im Hinblick darauf,
dass das Gebiet, in dem die Klägerin in der Zeit von Januar 1939 bis April 1945 (richtig
müsste es heißen: Mai 1946) gearbeitet hat, ab 1. Mai 2004 zum Gebiet der
Europäischen Union gehört, die Entscheidung der Beklagten auch über diesen Zeitpunkt
hinaus aufrecht erhalten werde, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Juni 2004
mitgeteilt, dass sich daraus keine Änderung ergebe. Nach Anhang VI C, Deutschland Nr.
1 zur VO(EWG) Nr. 1408/71 könne aus den Entgeltpunkten für so genannte
Reichsgebiets-Beitragszeiten und Zeiten nach dem Fremdrentengesetz keine Leistung
in einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU) gezahlt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die Akten der Beklagten die Klägerin betreffend haben dem Gericht vorgelegen und sind
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Die Akten der Beklagten die Klägerin betreffend haben dem Gericht vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die im Tenor genannte
Rechtsfrage zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts gem. Art. 234 des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) zur Vorabentscheidung vor, da sie im
vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist.
Sofern die Bestimmungen im Anhang VI D. Deutschland Nr. 1 zur Verordnung (EWG) Nr.
1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und
Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern (EWGV 1408/71) mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sind, hätte die
Beklagte die Rente der Klägerin nach dem Verzug nach Belgien zu Unrecht ohne die im
Sudetenland zurückgelegten Reichsgebiets-Beitragszeiten festgestellt.
Bei den von der Klägerin an die RfA gezahlten Beiträgen handelt es sich um so genannte
"Reichsgebiets-Beitragszeiten". Dies sind Beitragszeiten, für die nach den
Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige
Beiträge gezahlt worden sind (§ 247 Absatz 3 Satz 1 SGB VI). Im Sudetenland war nach
dem Einmarsch der Deutschen mit Wirkung ab 1. Januar 1939 die (deutsche)
Reichsversicherung eingeführt worden (Verordnung vom 27. Juni 1940 über die
endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen,
dem Deutschen Reich eingegliederten Gebieten, Reichsgesetzblatt I S. 957 in der
Fassung vom 27. Februar, 4. November und 22. Dezember 1941, zitiert nach Pin, Die
gesetzliche Rentenversicherung im Ausland). Die von der Klägerin in der Zeit vom 1.
Januar 1939 bis 30. April 1945 entrichteten Beiträge waren damit nach den
Reichsversicherungsgesetzen, hier dem Angestelltenversicherungsgesetz, entrichtet.
Nach den anzuwendenden deutschen Rechtsvorschriften können Renten, soweit sie auf
Reichsgebiets-Beitragszeiten beruhen, die nicht auf dem Gebiet der heutigen
Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt sind, nicht in das Ausland gezahlt werden.
Nach deutschem Recht ergibt sich durch den Verzug nach Belgien folgende Rechtslage:
Es ist eine Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen i. S. d. § 48 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) eingetreten. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in
den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines
Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Änderung in den
Verhältnissen ist wesentlich, weil gemäß den §§ 110 Abs. 2, 113 Abs. 1 Sozialgesetzbuch
VI (SGB VI) eine Zahlung aus Reichsgebiets-Beitragszeiten, die nicht auf dem Gebiet der
heutigen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt sind, ins Ausland ausgeschlossen
ist. § 110 Abs. 2 SGB VI lautet: Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im
Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über
Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.
§ 113 Abs. 1 SGB VI lautet: Die persönlichen Entgeltpunkte von Berechtigten werden
ermittelt aus
1. Entgeltpunkten für Bundesgebiets-Beitragszeiten,
2. dem Leistungszuschlag für Bundesgebiets-Beitragszeiten,
3. Zuschlägen an Entgeltpunkten aus einem durchgeführten
Versorgungsausgleich oder Rentensplitting unter Ehegatten,
4. Abschlägen an Entgeltpunkten aus einem durchgeführten
Versorgungsausgleich oder Rentensplitting, soweit sie auf Bundesgebiets-Beitragszeiten
entfallen,
5. Zuschlägen aus Zahlungen von Beiträgen bei vorzeitiger Inanspruchnahme
einer Rente wegen Alters oder bei Abfindung von Anwartschaften auf betriebliche
Altersversorgung,
6. Zuschlägen an Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus geringfügiger
versicherungsfreier Beschäftigung,
7. zusätzlichen Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus nicht gemäß einer
Vereinbarung über flexible Arbeitszeitregelungen verwendeten Wertguthaben,
8. Zuschlägen an Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten und
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8. Zuschlägen an Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten und
9. Zuschlägen an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen
Alters.
Bundesgebiets-Beitragszeiten sind Beitragszeiten, für die Beiträge nach Bundesrecht
nach dem 8. Mai 1945 gezahlt worden sind, und die diesen im 5. Kapitel gleichgestellten
Beitragszeiten.
Die von der Klägerin im Sudetenland in der Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. April 1945
zurückgelegten Beitragszeiten sind den Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht
gleichgestellt. Nach § 271 SGB VI sind Bundesgebiets-Beitragszeiten auch Zeiten, für die
nach den vor dem 9. Mai 1945 geltenden Reichsversicherungsgesetzen
1. Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Inland
oder
2. freiwillige Beiträge für die Zeit des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland oder
außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze
gezahlt worden sind. Kindererziehungszeiten sind Bundesgebiets-Beitragszeiten, wenn
die Erziehung des Kindes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist.
Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da die Pflichtbeiträge nicht für eine
Beschäftigung im Inland gezahlt worden sind, sondern im Ausland, nämlich in der
(heutigen) Tschechischen Republik.
In den Genuss der Vergünstigung des § 272 SGB VI kommt die Klägerin nicht, da sie
nicht vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen hat. §
272 Absatz 1 SGB VI lautet: Die persönlichen Entgeltpunkte von Berechtigten, die die
Staatsangehörigkeit eines Staates haben, in dem die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
anzuwenden ist, die vor dem 19. Mai 1950 geboren sind und vor dem 19. Mai 1990 ihren
gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen haben, werden zusätzlich ermittelt aus
1. Entgeltpunkten für Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz, begrenzt auf die
Höhe der Entgeltpunkte für Bundesgebiets-Beitragszeiten,
2. – 4. ( ).
§ 272 Abs. 3 Satz 1 SGB VI lautet: Zu den Entgeltpunkten von Berechtigten im Sinne
von Absatz 1, die auf die Höhe der Entgeltpunkte für Bundesgebiets-Beitragszeiten
begrenzt zu berücksichtigen sind, gehören auch Reichsgebiets-Beitragszeiten.
Auch aus § 110 Abs. 3 SGB VI ergibt sich nichts anderes. § 110 SGB VI lautet:
1. Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für
diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
haben.
2. Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten
diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte
im Ausland etwas anderes bestimmen.
3. Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nur anzuwenden, soweit nicht nach
über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.
Es ist nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt im
Sinne des Absatzes 3 des § 110 SGB VI, da sich im Anhang VI D. (früher C.) Deutschland
Nr. 1 EWGV 1408/71 eine das Exportgebot des Art. 10 EWGV 1408/71 einschränkende
Bestimmung findet. Nach dieser Vorschrift berührt Artikel 10 der Verordnung nicht die
Rechtsvorschriften, nach denen aus Unfällen (Berufskrankheiten) und Zeiten, die
außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland eingetreten bzw. zurückgelegt
sind, Leistungen an Berechtigte außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht oder
nur unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt werden.
Es gilt für die Klägerin auch nicht das so genannte "Rentnerprivileg" des § 98 Abs. 2
Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Trotzdem seit einer Rechtsänderung zum 1.
Januar 2001 für eine Neufeststellung der Rente das Recht anzuwenden ist, das bei
Erstfeststellung der Rente anzuwenden war (§ 300 Abs. 3 SGB VI), hat der Gesetzgeber
die Anwendung des alten Rechts für den Fall ausgeschlossen, dass ein Verzug ins
Ausland erfolgt (§ 317 Abs. 2 a SGB VI).
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Sofern also die Bestimmung des Anhang VI. D. Deutschland Nr. 1 zum EWGV 1408/71
rechtmäßig ist, hätte die Beklagte die Neufeststellung der Rente ohne die Reichsgebiets-
Beitragszeiten zu Recht vorgenommen.
Bedenken gegen die Vereinbarkeit der genannten Normen mit höherrangigem Recht
ergeben sich aus dem in Artikel 42 EGVtr normierten Recht auf Freizügigkeit, hier dem
Leistungsexportgebot. Zu dem hierdurch geschützten Personenkreis gehören nicht nur
die Arbeitnehmer im engeren Sinn, sondern auch Rentner, d.h. ehemalige
Arbeitnehmer, vorausgesetzt, sie werden durch ein gesetzliches
Sozialversicherungssystem erfasst (vgl. Langer in: Fuchs (Hg.), Europäisches
Sozialrecht, Art. 42 EGVtr, Randziffer(Rz) 11 mit weiteren Nachweisen; Vorlagebeschluss
des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002, Az.: B 5 RJ 24/00 R- Aktenzeichen des
EuGH: C-156/02-, JURIS-Ausdruck S.6). Weiterhin ist es für die Anwendung der EWGV
1408/71 nicht notwendig, dass ein Wechsel von einem Mitgliedsstaat zu einem anderen
aus beruflichen Gründen stattgefunden hat (Langer in Fuchs (Hg.), Europäisches
Sozialrecht, Art. 42 EG Rz 13).
Es könnte hier insbesondere ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 EWGV 1408/71, der den
Koordinierungsauftrag des Art 42 lit b) EGVtr einlösen soll, vorliegen. Nach Art 10 Abs. 1
Satz 1 EWGV 1408/71 dürfen die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die
Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die
Sterbegelder , auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten
Anspruch erworben worden ist, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist,
nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt
werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats als des Staates
wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.
Der Ausschluss der Zahlung der Rente in andere Mitgliedsstaaten, der durch die
Vorschrift des Anhang VI, D. Deutschland Nr. 1 EWGV 1408/71 bewirkt wird, wird nach
Auffassung der Kammer nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Zahlung der Rente aus
Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht in den sachlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71
fällt. Der sachliche Geltungsbereich ist in Art. 4 EWGV 1408/71 festgelegt. Diese
Vorschrift lautet:
1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit,
die folgende Leistungsarten betreffen:
a) –b) ( )
c) Leistungen bei Alter
d) –h) ( )
2) Diese Verordnung gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen
beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für die
Systeme, nach denen die Arbeitgeber, einschließlich der Reeder, zu Leistungen gemäß
Absatz 1 verpflichtet sind.
2 a) Diese Verordnung gilt auch für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter
andere als die in Absatz 1 erfassten oder die nach Absatz 4 ausgeschlossenen
Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie
a) entweder in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h)
aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt
werden
b) oder allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind.
2 b) Diese Verordnung gilt nicht für die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates
betreffend die in Anhang II Teil III genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen,
deren Geltung auf einen Teil des Gebietes dieses Mitgliedstaates beschränkt ist.
3) ( )
(4) Diese Verordnung ist weder auf die Sozialhilfe noch auf Leistungssysteme für Opfer
des Krieges und seiner Folgen anzuwenden.
Nach Auffassung der Kammer fällt die Rente, auch wenn in ihr im Ausland zurückgelegte
Reichsgebiets-Beitragszeiten zu berücksichtigen sind, unter das System der Leistungen
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Reichsgebiets-Beitragszeiten zu berücksichtigen sind, unter das System der Leistungen
bei Alter und an Hinterbliebene im Sinne des Art. 4 Abs. 1 c und d EWGV 1408/71 (so
auch Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002, Az.: B 5 RJ 24/00
R, Jurisauszug Seite 6, 7, das allerdings nicht zwischen Fremdrentenzeiten - nach dem
Fremdrentengesetz - und Reichsgebiets-Beitragszeiten differenziert, obwohl auch dort
Reichsgebiets-Beitragszeiten in Streit gewesen sein dürften). Dies ergibt sich schon
daraus, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Erklärung gemäß Art. 5 EWGV
1408/71 (All. Nr. C 210 vom 5. September 2003) unter I. 3. a) das Sozialgesetzbuch,
Sechstes Buch vom 18. Dezember 1989 als Rechtsvorschriften und Systeme im Sinne
des Art. 4 Abs. 1 EWGV Nr. 1408/71 benannt hat. Die Berücksichtigung der
Reichsgebiets-Beitragszeiten bei der Rentenberechnung ergibt sich jedoch aus einer
Vorschrift dieses Gesetzes, nämlich aus dem oben bereits zitierten § 247 Abs. 3 Satz 1
SGB VI, nach dem Beitragszeiten auch Zeiten sind, für die nach den
Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige
Beiträge gezahlt worden sind. Hat ein Mitgliedsstaat in einer Erklärung gemäß Art. 5
EWGV 1408/71 eine Rechtsvorschrift genannt, so folgt daraus zwingend, dass die in der
Rechtsvorschrift angesprochenen Leistungen solche der sozialen Sicherheit im Sinne der
EWGV 1408/71 sind. Die Mitgliedsstaaten müssen sich dann an ihren Erklärungen
festhalten lassen (Fuchs in: Fuchs (Hg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 5 EWGV 1408/71,
Rz 2 mit weiteren Nachweisen).
Selbst wenn man jedoch die Erklärung nach Art. 5 nicht als bindend ansehen und nach
dem tatsächlichen Wesen der Leistungen fragen wollte, so wären die Rentenzahlungen
aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nach Überzeugung der Kammer jedenfalls keine
beitragsunabhängigen Sonderleistungen im Sinne des Artikel 4 Abs. 2 a EWGV 1408/71,
die nicht – bzw. nur in den Ausnahmefällen des Art. 4 Abs. 2a EWGV 1408/71 – in den
Geltungsbereich der genannten Verordnung fallen. Der Grund für die Zahlung der Rente
aus Reichsgebiets-Beitragszeiten (solange sich der Berechtigte in der Bundesrepublik
Deutschland aufhält) liegt gerade in der Tatsache, dass früher Beiträge zu einem
(deutschen) System der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Aus diesem
Grund wurden die Reichsgebiets-Beitragszeiten auch bereits mit dem Fremdrenten- und
Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S. 93) aus
dem Fremdrentenrecht herausgenommen und in die allgemeinen Regelungen, nämlich
die Reichsversicherungsordnung (RVO- § 1250-) und das AVG (§ 27) übernommen (vgl.
Kommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben vom
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Anhang Band 1, Vorbemerkung vor § 1
FRG, Rz. 2.13) und befinden sich auch jetzt in den allgemeinen Regelungen, nämlich dem
SGB VI.
Es handelt sich auch deshalb nicht um "beitragsunabhängige Sonderleistungen", weil sie
wie die Renten, die auf im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland
zurückgelegten Zeiten beruhen, finanziert werden. Es gilt das Umlageverfahren (§ 153
SGB VI), d.h. die zur Zeit aktiv berufstätigen Versicherten zahlen aus ihren Beiträgen die
Renten für diejenigen, die früher Beiträge entrichtet haben. Das bedeutet auch
gleichzeitig, dass Leistungen an die Klägerin aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht etwa
entschädigungsrechtlichen Charakter hätten, etwa weil die frühere RfA untergegangen
ist. Es kommt nicht darauf an, welches Kapital ein Versicherungsträger früher einmal
gesammelt hat und ob dieses eventuell kriegsbedingt verloren gegangen ist. Auch
werden die Leistungen, die sich aus Reichsgebiets-Beitragszeiten, die nicht auf dem
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt wurden, ergeben, nicht etwa aus
dem Bundeszuschuss (§ 213 SGB VI) finanziert. Dieser gilt zwar als Abgeltung für so
genannte "versicherungsfremde Leistungen", wobei außerordentlich umstritten ist,
welche Leistungen zu diesen zählen (vgl. Sitte, Alternative Finanzierung der sozialen
Sicherung, Soziale Sicherheit 1998, Seite 134, 135; Rolfs, Das Versicherungsprinzip im
Sozialversicherungsrecht, München 2000, S.195 ff); regelmäßig werden dabei jedoch nur
solche Zeiten genannt (vgl. z. B. Kommentar zur gesetzlichen Rentenversicherung,
herausgegeben von Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 213, Rz. 4.1, S.17
Mitte), die nicht auf Beiträgen beruhen, wie z. B. die Ersatzzeiten (§ 250 SGB VI), die u.
a. als rentenversicherungsrechtlich relevant berücksichtigt werden, weil –kriegsbedingt-
gerade keine Beiträge gezahlt werden konnten. Reichsgebiets-Beitragszeiten fallen auch
nicht unter § 291 b SGB VI, nach dem der Bund den Trägern der Rentenversicherung die
Aufwendungen für Leistungen nach dem Fremdrentenrecht erstattet, da sie, wie oben
erläutert, nicht im Fremdrentengesetz (FRG) geregelt sind.
Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei Leistungen aus
reichsgebietsrechtlichen Zeiten auch nicht um Leistungen aus einem "Leistungssystem
für Opfer des Krieges und seiner Folgen" i. S. d. Art. 4 Abs. 4 EWGV 1408/71, auf die
diese Verordnung nicht anzuwenden ist. Der EuGH hat zwar in den Rechtssachen 79/76
(Fossi, Slg. 1977, 667= SozR 6050 Art 3 EWG-V 1408/71 Nr. 2) und 144/78 (Tinelli, Slg.
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(Fossi, Slg. 1977, 667= SozR 6050 Art 3 EWG-V 1408/71 Nr. 2) und 144/78 (Tinelli, Slg.
1979, 757 = SozR 6050 Allg EWG-V 1408/71) entschieden, dass Leistungen dann nicht
als dem Bereich der sozialen Sicherheit zugehörig anzusehen sind, wenn "die seinerzeit
zuständigen Versicherungsträger, bei denen die von der betreffenden Vorschrift
erfassten Personen versichert waren, nicht mehr bestehen oder sich außerhalb des
Gebietes der Bundesrepublik Deutschland befinden, da ferner die in Rede stehenden
deutschen Rechtsvorschriften bestimmte Härtefälle mildern sollen, die durch die
Ereignisse im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Herrschaft und dem
Zweiten Weltkrieg entstanden sind, da schließlich die Zahlung der streitigen Leistungen
an die eigenen Staatsangehörigen Ermessenssache ist, wenn diese im Ausland
wohnen". Im Rahmen dieses Rechtsstreits hatte die Bundesregierung eine
Stellungnahme abgegeben, die betont hatte, dass die Fremdrentengesetzgebung
bezweckt habe, die Flüchtlinge und Vertriebenen, die mit ihrer Arbeit zum Wiederaufbau
in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen hätten, nach den mit der
nationalsozialistischen Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden
Ereignissen wiedereinzugliedern (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 1979, Az. 144/78,
Tinelli, SozR Allg EWGV 1408/71 Nr. 1, S.3). Die Kammer hat starke Bedenken bezüglich
des dort gefundenen Ergebnisses und der gegebenen Begründung. Zunächst handelt es
sich hier, wie oben bereits aufgezeigt, nicht um einen Fremdrentenfall; es ist nach
Auffassung der Kammer zu differenzieren zwischen Fremdrentenzeiten, die auf der
Berücksichtigung von Beitragszeiten in einem fremden, d.h. nichtdeutschen System
zurückgelegt wurden und Reichsgebiets-Beitragszeiten, bei denen Beiträge an einen
deutschen Träger entrichtet wurden. Zweifellos handelte es sich bei der Einverleibung
des Sudetengebietes durch das Deutsche Reich um einen aggressiven, von vornherein
in verbrecherischer Absicht vorgenommenen widerrechtlichen Akt, dies ändert jedoch
nichts an der historischen Tatsache, dass während der in Rede stehenden Zeit im
Sudetenland die deutschen Vorschriften zur Rentenversicherung galten und die Klägerin
in dieses System einzahlen musste und eingezahlt hat. Das Argument, dass der
seinerzeit zuständige Versicherungsträger, bei dem die von der betreffenden Vorschrift
erfassten Personen versichert waren, nicht mehr besteht, kann kein Argument für die
Annahme einer Kriegfolgeleistung sein. Die RfA ist zwar nicht mehr existent, sie hatte
ihren Sitz jedoch in Berlin, also auf dem Gebiet der jetzigen Bundesrepublik Deutschland,
und ihr Vermögen (z. B. die Grundstücke und Verwaltungsgebäude) ist in das Eigentum
der jetzigen Beklagten, also der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (ab 1.
Oktober 2005: Deutsche Rentenversicherung Bund) übergegangen. Die RfA ist aber nicht
nur für diejenigen Versicherten untergegangen, die in den ehemaligen Ostgebieten
lebten, sondern auch für diejenigen, die bei ihr versichert waren und im Gebiet der
heutigen Bundesrepublik Deutschland lebten. Der zuletzt genannte Personenkreis kann
aber in ein EU–Land verziehen, ohne dass seine Rente gekürzt wird.
Dass es sich bei Zahlungen aus Reichsgebiets-Beitragszeiten, wie sie die Klägerin
zurückgelegt hat, nicht um eine Leistung für Opfer des Krieges und seiner Folgen
handeln sollte und handelt zeigt auch die Tatsache, dass Zeiten, die nicht in einem von
Deutschland annektierten Gebiet, sondern in einem Gebiet zurückgelegt wurden, das
zum Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 gehörte (z.
B. Schlesien, Pommern), genauso behandelt werden wie die Zeiten, die in einem
annektierten Gebiet zurückgelegt wurden. Dächte man nämlich bezüglich solcher Zeiten
den Krieg hinweg, müssten aus ihnen selbstverständlich auch Leistungen aus der
Rentenversicherung gezahlt werden, d.h. ihre Anerkennung als Beitragszeiten beruht
nicht auf der Tatsache, dass der Krieg stattgefunden hat, sondern eben darauf, dass
Beiträge gezahlt wurden.
Der EuGH hat auch in seiner späteren Rechtsprechung (vgl. die zusammenfassende
Übersicht bei Fuchs in: Fuchs(Hg.) Europäisches Sozialrecht, Art. 4 EWGV 1408/71, Rz 40
folgende) stärker auf den Zweck der Bestimmung abgestellt. Tut man dies auch
bezogen auf den vorliegenden Fall, kommt man nach Auffassung der Kammer zu dem
Ergebnis, dass es sich bei Zahlung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht um
eine Leistung aus einem Leistungssystem für Opfer des Krieges handelt.
Das Gericht kann auch keine sonstige Rechtfertigung für die Einschränkung des
Leistungsexportgebotes durch Anhang VI. D. Deutschland Nr. 1 erkennen. Der EuGH hat
zwar schon solche Einschränkungen zugelassen (vgl. z.B Urteil vom 2. Mai 1990, Rs. C-
293/88 Winter-Lutzins, Slg. 1990 I-1623 = SozR 3-6050 Art 10 Nr 1). Die Kammer
versteht dieses Urteil so, dass eine einschränkende Wohnortklausel dann zulässig sein
kann, wenn ein Bezug der Leistung nur zum gewährenden Land besteht, der bei Wegzug
entfällt (dort das Wohnen in den Niederlanden als einzige Voraussetzung der Leistung).
Dies ist vorliegend nicht ersichtlich. Voraussetzung für die Leistung aus Reichsgebiets-
Beitragszeiten ist, wie oben bereits mehrfach angesprochen, die Zahlung von Beiträgen.
Dies hat nicht nur einen Bezug zu Deutschland, bzw. nicht stärker, als die jetzige
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Dies hat nicht nur einen Bezug zu Deutschland, bzw. nicht stärker, als die jetzige
Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der häufiger erwähnte
"Eingliederungsgedanke" (vgl. z.B die oben bereits erwähnte Stellungnahme der
Bundesregierung in der Rechtssache Tinelli, Az. 144/78, Slg. 1979, 757= SozR Allg EWG-
V 1408/71 Nr. 1) ist für die Kammer kein Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung des
Leistungsexportgebotes. Es ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum mit einer
Eingliederung in die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht immer auch gleichzeitig
eine Eingliederung in die EU-Gemeinschaft verbunden sein soll, da schließlich auch eine
Unionsstaatsbürgerschaft besteht (Art. 17 des Vertrages über die Europäische
Gemeinschaft vom 7. Februar 1992 in der Fassung vom 2. Oktober 1997) und der
Grundgedanke aller Regelungen der Europäischen Union und der Europäischen
Gemeinschaft die Vorantreibung der europäischen Integration und die Schaffung der
Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker ist
(vgl. die Präambeln zu dem Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft, beide in der Fassung vom 2. Oktober 1997).
Erst Recht erscheint eine solche Begründung unter Berücksichtigung der Tatsache, dass
das Gebiet, auf dem die in Rede stehenden Beschäftigungen von der Klägerin
zurückgelegt wurden, nämlich ein Teil des Staatsgebiets der Tschechischen Republik,
seit dem 1. Mai 2004 zur Europäischen Union und zur Europäischen Gemeinschaft
gehört, nicht schlüssig.
Der Klage ist auch nicht schon deshalb stattzugeben, weil vor Erlass des angefochtenen
Bescheides keine Anhörung, die nach § 24 SGB X vorgeschrieben ist, wenn in Rechte
eines Beteiligten eingegriffen werden soll, vorgenommen wurde. Nach Auffassung der
Kammer ist der Mangel der Anhörung geheilt, so dass er unbeachtlich ist (§ 41 Absatz 1
Nr. 3 in Verbindung mit § 42 Satz 2 SGB X). Die Beklagte hat der Klägerin in dem
angefochtenen Bescheid die entscheidungserheblichen Tatsachen benannt. Sie bzw. ihr
Bevollmächtigter hatten im Widerspruchsverfahren die Möglichkeit, sich zu diesen
Tatsachen zu äußern. Die Beklagte hat sich im Widerspruchsbescheid mit den
Einlassungen des Klägerbevollmächtigten auch erkennbar auseinandergesetzt. Unter
diesen Umständen liegt eine wirksame Nachholung der Anhörung vor (vergleiche zu den
Voraussetzungen einer wirksamen Nachholung das Urteil des Bundessozialgerichtes
vom 31. Oktober 2002, Az. B 4 RA 43/01 R, JURIS-Ausdruck Seite 3).
Nach alldem ist die im Tenor unter 2. formulierte Frage entscheidungserheblich.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.
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