Urteil des SozG Bayreuth vom 25.01.2005

SozG Bayreuth: eintritt des versicherungsfalls, unechte rückwirkung, beitragspflicht, kapitalleistung, wiederkehrende leistung, rente, krankenversicherung, gleichstellung, beitragsbemessung

Sozialgericht Bayreuth
Urteil vom 25.01.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 9 KR 330/04
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 27/05
Bundessozialgericht B 12 KR 25/05 R
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung der Beklagten von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung
auf die am 01.05.2004 erhaltene Kapitalleistung aus einer Betriebsrente.
Die 1944 geborene Klägerin war vom 01.01.2004 bis 30.09.2004 Leistungsbezieherin nach dem SGB III, seit
01.10.2004 ist sie als Arbeitnehmerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie ist Pflichtmitglied der Beklagten.
Der Arbeitgeber der Klägerin, das Autohaus M. H., hatte im Jahr 1974/77 eine Lebensversicherung in Form einer
Direktversicherung bei der N. Versicherungs AG abgeschlossen und fortan Beiträge für die Klägerin entrichtet.
Vereinbart war von Anfang an die Auszahlung als Kapitalleistung.
Mit Schreiben vom 21.07.2004 teilte die N. Versicherungs AG der Beklagten mit, dass am 01.05.2004 eine
Kapitalleistung einer betrieblichen Altersvorsorge in Höhe von 86.331,31 EUR zur Auszahlung gelange.
Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin durch Bescheide vom 23.07.2004 und 26.07.2004 mit, dass die
Kapitalleistung der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterliege und die Klägerin, verteilt auf 10
Jahre, monatlich, ausgehend von einem einhundertzwanzigstel der Kapitalleistung (86.331,31: 120 = 719,42 EUR), ab
01.05.2004 monatlich 119,42 EUR Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu entrichten habe (107,19 EUR zur
Krankenversicherung bei einem Beitragssatz von derzeit 14,9 %, 12,23 EUR zur Pflegeversicherung bei einem
Beitragssatz von derzeit 1,7 %). Für die Zeit vom 01.05.2004 bis 30.06.2004 ergebe sich ein Rückstand in Höhe von
238,84 EUR.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 27.07.2004 Widerspruch und führte aus, dass die bereits 1974
abgeschlossene betriebliche Altersversorgung, wie bei Vertragsschluss festgelegt, steuer- und abgabenfrei sei. Die
zum 01.01.2004 vorgenommene Änderung der Rechtslage sei willkürlich und missachte den Bestandsschutz. Es
könne nicht sein, dass Sozialkassen auf Kosten der Betriebsrenten saniert würden.
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12.10.2004 zurückgewiesen. Das seit 01.01.2004 geltende
Recht sei korrekt angewandt worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 28.10.2004 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben. Die Klägerin führt zur
Begründung aus, dass ihr Bestandsschutz zu gewähren sei. Zudem fordert sie eine Gleichstellung mit privat
Versicherten, die auf ihre Betriebsrente auch keine Beiträge zu erbringen hätten. Ferner beanstandet sie die Verteilung
der Beitragspflicht auf zehn Jahre. Hierdurch finde eine künstliche Erniedrigung der Beitragsbemessungsgrenze statt.
Zudem liege eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen privaten Rentenversicherungen (anderen als
Betriebsrenten) vor. Die Kapitalleistung diene auch nicht der Altersversorgung, sondern der Entschuldung.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide vom 23.07.2004 und 26.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2004
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass Art. 14 Abs. 1 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
grundsätzlich nicht gegen den Zugriff auf das Vermögen oder Einkommen durch Auferlegung von
Geldleistungspflichten schütze. Das gelte auch für Zwangsbeiträge. Dass der Gesetzgeber von ihm selbst gewählte
Rechtspositionen ganz oder teilweise zurücknehmen könne, wenn sich die wirtschaftlichen Voraussetzungen
wesentlich änderten und es das öffentliche Interesse, insbesondere das Interesse der Allgemeinheit am Erhalt der
Funktions- und Leistungsfähigkeit eines Regelsystems erfordere, sei unumstritten. Das gleiche gelte für den Fall,
dass solche Gewährungen in anderer Weise eingeschränkt würden, insbesondere dadurch, dass die – bisher und auch
weiterhin – Begünstigten erstmals mit Beiträgen belastet würden oder dass ihre Beitragslast später wesentlich erhöht
werde. Nichts anderes vollziehe sich mit der Erhöhung der Beiträge aus Versorgungsbezügen unter Berücksichtigung
des vollen allgemeinen Beitragssatzes. Der Einwand der Klägerin, dass bei privat Versicherten eine Kapitalleistung
nicht der Beitragspflicht unterworfen sei, sei die Folge der unterschiedlichen Systeme zwischen gesetzlicher
Krankenversicherung (Solidarprinzip) und privater Krankenversicherung (Äquivalenzprinzip).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gesamtakten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin
daher nicht in ihren Rechten.
Die Beklagte hat das seit 01.01.2004 geltende Recht richtig angewandt.
Nach § 226 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches – SGB V – werden bei versicherungspflichtig
Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde gelegt (Nr. 1) das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung, (Nr. 2) der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, (Nr. 3) der Zahlbetrag der der
Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge), (Nr. 4) das Arbeitseinkommen, soweit es neben einer Rente
der gesetzlichen Rentenversicherung oder Versorgungsbezügen erzielt wird.
Nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V gelten als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit
sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden,
unter anderem auch Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen
Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung.
Nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V gilt, wenn an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig
wiederkehrende Leistung tritt oder eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt
worden ist, ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens
jedoch für einhundertzwanzig Monate.
Nach § 232a Abs. 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - SGB V - in Verbindung mit § 226 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 SGB V werden auch bei Leistungsempfängern nach dem SGB III der Beitragsbemessung unter anderem der
Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) zu Grunde gelegt.
Nach § 57 Abs. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches - SGB XI - gelten diese Vorschriften auch für die
Pflegeversicherung.
Nach diesen Vorschriften ist die Klägerin aus der am 01.05.2004 erhaltenen Kapitalleistung beitragspflichtig zur
Kranken- und Pflegeversicherung, sowohl in der Zeit des Bezugs von Leistungen nach dem SGB III, als auch für die
Zeit ab 01.10.2004, in der sie einer versicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung nachgeht, denn sie erhielt die
Kapitalleistung aus einer von ihrem Arbeitgeber für sie abgeschlossenen Direktversicherung im Sinne des § 229 Abs.
1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Dabei ergibt sich bereits aus der Art der abgeschlossenen Versicherung als betrieblicher
Altersversorgung und der Vereinbarung, dass der Versicherungsfall im Alter der Klägerin von 60 Jahren eintreten
sollte, dass die Leistung die Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers bezwecken
sollte. Für die Zeit ab 01.05.2004 unterliegt der Versorgungsbezug der Klägerin daher für die Dauer von 10 Jahren der
Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung, wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat.
Die Beklagte hat die seit 01.01.2004 geltenden Rechtsvorschriften daher richtig angewandt.
Das Gericht hat den Rechtsstreit auch nicht auszusetzen und einen Vorlagebeschluss an das
Bundesverfassungsgericht zu richten, denn die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - sind
nicht erfüllt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reichen Zweifel an der
Verfassungsmäßigkeit nicht aus (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 41, Rn. 25 mit weiteren Nachweisen).
Das Gericht ist jedoch nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der seit 01.01.2004
geltenden Fassung überzeugt (und auch nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 248 SGB V in der seit 01.01.2004
geltenden Fassung, vgl. hierzu im einzelnen die Urteile des SG Bayreuth vom 25.01.2005, S 9 KR 264/04 und S 9 KR
100/04).
§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der seit 01.01.2004 geltenden Fassung bezieht in die Beitragspflicht auch solche
Versorgungsbezüge mit ein, die nicht als laufende Rentenzahlungen vereinbart wurden, sondern als originäre
Kapitalleistung. Nach der bis 31.12.2003 geltenden Rechtslage unterfielen der Beitragspflicht hingegen nur laufende
Rentenzahlungen sowie ursprünglich vereinbarte Rentenzahlungen, die vor Eintritt des Versicherungsfalls in eine
Kapitalleistung umgewandelt worden waren (vgl. Kasseler Kommentar-Peters, § 229 SGB V, Rn. 15f).
Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt in dieser Erweiterung der Beitragspflicht auf
originäre Kapitalleistungen nicht, denn sie beseitigt Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für
Versorgungsbezüge (vgl. BT-Drucks 15/1525 S. 139 zu Nr. 143). Sie entspricht damit eher dem allgemeinen
Gleichheitssatz als die frühere Rechtslage (ebenso Kasseler Kommentar-Peters, § 229 SGB V, Rn. 16).
Ebenso wenig kann die Klägerin die Gleichstellung mit privat Versicherten fordern. Die Beklagte verweist zu Recht
darauf, dass unterschiedliche, nicht vergleichbare Systeme vorliegen, da die gesetzliche Krankenversicherung dem
Solidarprinzip, private Krankenversicherungen bei der Beitragsberechnung hingegen dem Äquivalenzprinzip folgen.
Eine Ungleichbehandlung kann auch nicht allein deshalb angenommen werden, weil private Rentenversicherungen
nicht der Beitragspflicht unterliegen, da es dem Gesetzgeber freisteht, unter Anknüpfung an das Erwerbsleben nur
diejenigen Renten einer Beitragspflicht zu unterwerfen, die im Zusammenhang mit dem Erwerbsleben erworben
wurden.
Auch die Verteilung einer Beitragspflicht auf zehn Jahre ist vor dem Hintergrund einer angestrebten Gleichbehandlung
von Kapitalleistungen mit laufenden Rentenbezügen nicht zu beanstanden.
Da die vorliegende Gesetzesänderung erfolgte, um Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für
Versorgungsbezüge zu beseitigen und die Neuregelung eher dem allgemeinen Gleichheitssatz als die frühere
Rechtslage entspricht, sind auch Art. 14 Abs. 1 GG und das Solidarprinzip als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips
nicht verletzt.
Die Klägerin kann auch keinen Bestandsschutz beanspruchen. Zur Schaffung einer Übergangsregelung war der
Gesetzgeber nicht verpflichtet. Auch in der Vergangenheit wurde bei diversen Rechtsänderungen keine
Übergangsregelung getroffen, obwohl auch diese teilweise mit erheblichen Mehrbelastungen verbunden waren, da
umgehend Abhilfe geschaffen werden musste (vgl. im einzelnen BSG, Urteil vom 26.06.1996, 12 RK 12/94). Der
Gesetzgeber hat aufgrund der weiten Gestaltungsfreiheit im Sozialrecht die Möglichkeit, eine Rechtsposition zum
Nachteil der Versicherten für die Zukunft zu ändern (sog. unechte Rückwirkung). Eine unechte Rückwirkung ist nur
ausnahmsweise unzulässig, wenn (erstens) das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu
rechnen braucht, wobei das Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Vorschriften regelmäßig nicht geschützt wird
und (zweitens) das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdiger ist als die mit dem Gesetz verfolgten Anliegen (vgl.
Bayer. LSG, Beschluss vom 04.01.2005, L 4 B 428/04 KR ER). Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mussten aufgrund der bisherigen Ungleichbehandlung von
originären und anderen Kapitalleistungen damit rechnen, dass auch originäre Kapitalleistungen beitragspflichtig
würden. Zudem hat der Gesetzgeber bei Änderung des § 229 SGB V das Vertrauen des Einzelnen auf den
Fortbestand der bestehenden Vergünstigung abgewogen mit dem Interesse der übrigen Versichertengemeinschaft an
einer Beitragsstabilität.
Nach alldem hat die Beklagte das Recht richtig angewandt. Es bestand auch keine Vorlagepflicht an das
Bundesverfassungsgericht.
Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.