Urteil des SozG Aurich vom 27.08.2003

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Sozialgericht Aurich
Urteil vom 27.08.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aurich S 5 AL 132/01
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2001 und der
Bescheid vom 28.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2001 werden aufgehoben. 2. Die
Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Säumniszeiten.
Der Kläger steht bei der Beklagten seit 1993 im Leistungsbezug und bezog zuletzt Arbeitslosenhilfe. Im Januar 2001
lud die Beklagte ihn zu einem Gespräch am 19.01.2001 ein. Das Einladungsschreiben liegt nicht vor, das Datum und
der Inhalt sind unklar (vgl. V 48 einerseits und V 49 andererseits). Der Kläger erschien zu diesem Gespräch nicht. Im
Zusammenhang mit anderen Meldeaufforderungen gelangten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Akte, wonach
der Kläger vom 15.01. bis 17.01 und ab dem 29.01.2001 arbeitsunfähig war. Da der Zeitpunkt der Meldung hiervon
nicht erfasst war, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23.05.2001 (V 485) den Eintritt einer Säumniszeit fest, hob
die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum 20.01. bis 02.02.2001 auf und forderte die Erstattung von
insgesamt 350,52 DM. Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein, der im weiteren Verlauf nicht begründet wurde. Die
Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2001 als unbegründet zurück.
Am 06.02.2001 stellte der Kläger einen Antrag auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe über den 28.02.2001 (Ende des
Bewilligungsabschnittes) hinaus (V 461).
Mit Schreiben vom 16.03.2001 (Bl. 81 Ergänzungsakte) wurde der Kläger erneut zu einem Gespräch für den
28.03.2001 eingeladen. Ausweislich des in der Akte enthaltenen Schreibens erfolgte keine Belehrung über die
Rechtsfolgen. Der Kläger gab das Schreiben unter Hinweis auf eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zurück, legte in der
Folgezeit Bescheinigungen aber nur für den Zeitraum bis 27.03.2001 vor. Mit Schreiben vom 28.03.2001, das in der
Akte nicht enthalten ist, wurde der Kläger zu einer erneuten Vorsprache auf den 02.04.2001 eingeladen. Dieser
Einladung kam der Kläger ohne Mitteilung der Gründe nicht nach, woraufhin die Beklagte mit Bescheid vom
28.05.2001 eine weitere Säumniszeit bis zur erneuten Meldung feststellte. Mit einem Bewilligungsbescheid vom
28.05.2001 bewilligte sie dem Kläger auf seinen Antrag hin Arbeitslosenhilfe vom 01.03. bis 28.03.2001 (G6 und G7).
Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und trug vor, er sei weiterhin arbeitsunfähig krank gewesen, habe aber nicht
vollständig die Zeiten belegen können, da er nicht mehr krankenversichert sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 07.09.2001 als unbegründet zurück und verwies u.a. darauf, dass der Kläger im fraglichen
Zeitraum noch krankenversichert gewesen sei.
Mit den dagegen gerichteten Klagen, die das Gericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander
verbunden hat, verfolgt der Kläger sein Begehren mit entsprechender Begründung wie im Widerspruchsverfahren sein
Begehren weiter.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Bescheid der Beklagten vom 23.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2001 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 28.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Stamm-Nr: H., Band II) sowie die Ergänzungsakte beigezogen
und den Akteninhalt bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes
wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, in der Sache ist sie auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig, da die Voraussetzungen für den Eintritt einer
Säumniszeit entweder nicht feststellbar sind oder aber nicht vorliegen.
Kommt der Arbeitslose einer Aufforderung des Arbeitsamtes, sich zu melden oder zu einem ärztlichen oder
psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen (allgemeine Meldepflicht) trotz Belehrung über die Rechtsfolgen
ohne wichtigen Grund nicht nach, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während einer Säumniszeit von zwei
Wochen, die mit dem Tag nach dem Meldeversäumnis beginnt (§ 145 Abs. 1 SGB III).
Das Ruhen nach § 145 setzt u.a. eine wirksame Meldeaufforderung nach § 309 Abs. 1 Satz 1 SGB III voraus. Nur
eine rechtmäßige Meldeaufforderung kann eine Säumniszeit auslösen. Voraussetzung einer rechtmäßigen
Meldeaufforderung ist, dass diese zu einem zulässigen Zweck ergeht (vgl. Niesel, Kommentar zum SGB III, Rn 4, 5
zu § 145; Winkler in Gagel, Rn 19 zu § 145).
Hinsichtlich der Einladung zu einem Gespräch am 19.01.2001 liegt ein Einladungsschreiben der Beklagten nicht vor.
Unklar ist nach Aktenlage bereits das Datum, erst recht lässt sich der Inhalt nicht rekonstruieren, so dass nicht
feststellbar ist, ob die Beklagte eine wirksame Meldeaufforderung an den Kläger geschickt hat.
Die mit Bescheid vom 28.05.2001 festgestellte zweite Säumniszeit ist rechtswidrig, da das Einladungsschreiben
keine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung enthält.
Eine Säumniszeit tritt nur bei einer vorausgegangenen ordnungsgemäßen Belehrung über die Rechtsfolgen ein. Wie
bei der Sperrzeit muss sie konkret, verständlich, richtig und vollständig sein und den Adressaten nicht im Zweifel
darüber lassen, welche Folgen sein Nichterscheinen unter welchen Umständen nach sich zieht (vgl. Urteil des BSG
vom 20. März 1980, veröffentlicht in SozR 4100 § 132 Nr. 1; Niesel a.a.O. Rn. 7 zu § 145; Winkler a.a.O. Rn. 20 f).
Die Einladung zu einem Gespräch am 28.03.2001 ist zwar als Blatt 81 in der Ergänzungsakte enthalten. Dieses
Einladungsschreiben, bei dem es sich nach Aussage des Beklagten-Vertreters im Termin um das Originalschreiben
handelt, das der Kläger erhalten hat, enthält keine Rechtsfolgenbelehrung. Es belegt damit beispielhaft, dass – anders
als die Beklagte regelmäßig behauptet – keineswegs sichergestellt ist, dass Einladungen zwangsläufig mit einer
ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einladung zu einer erneuten Vorsprache auf den 02.04.2001 liegt das Einladungsschreiben,
das vom 28.03.2001 datieren soll, wiederum nicht vor. Auch hier ist die Kammer daher nicht in der Lage, den Inhalt
und die ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung nachzuprüfen.
Das Bundessozialgericht stellt zu Recht hohe Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung. Diese ist – nicht zuletzt
deshalb, weil eine Säumniszeit einen nicht unerheblichen Eingriff in den Leistungsanspruch des Arbeitslosen darstellt
– in jedem Einzelfall konkret zu überprüfen. Eine derartige Überprüfung kann nicht stattfinden, wenn weder das
Original noch eine Durchschrift des Schreibens vorliegt und dessen Wortlaut auch nicht auf andere Weise authentisch
bekannt ist.
Die Kammer hat mit Urteil vom 28.01.01 -S 5 AL 34/00- (veröffentlicht in Info AlSo 2002, 112 ff; rechtskräftig) und mit
Urteil vom 18.09.2002 (veröffentlicht in NZS 2003, 335 f; die Berufung ist unter L 8 AL 396/02 beim
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anhängig) ausgeführt, dass die Beklagte bei Einführung der
elektronischen Datenverarbeitung die uneingeschränkte rechtliche Überprüfbarkeit ihres Handelns sicherzustellen hat.
Es ist nicht angängig, den Rechtsanspruch des Bürgers auf gerichtliche Überprüfung der Verwaltungstätigkeit dadurch
einzuschränken oder gar zu vereiteln, dass mit Einführung von EDV die Nachvollziehbarkeit von konkreten
inhaltlichen Details des Verwaltungshandelns unmöglich gemacht wird. Der Kammer ist bekannt, dass auch im
Rahmen einer elektronischen Verarbeitung von Vorgängen eine konkrete Dokumentation des tatsächlich
Geschehenen möglich ist. Dies wird von der Bundesanstalt für Arbeit zum Teil auch praktiziert. So können etwa die
Eingaben der Mitarbeiter der Beklagten über erfolgte Vorsprachen, Auskünfte oder Beratungen in die sog. "B/ank"
bzw. "BewA" nach einmal durchgeführter Eingabe nicht mehr verändert werden und bleiben für eine bestimmte Zeit im
System gespeichert. Eine entsprechende Verfahrensweise ist auch für den Bereich des geführten Schriftverkehrs
möglich. Dabei reicht es – wie ausgeführt – für die erforderliche gerichtliche Überprüfung allerdings nicht aus mittels
elektronischer Notiz auf ein Formular zu verweisen, das in derartigen Fällen "immer" benutzt wird. Erforderlich und
technisch möglich ist es, das konkrete Schreiben an einen bestimmten Arbeitslosen mit allen individuellen
Eintragungen so abzuspeichern, wie es auch an den Betroffenen herausgegangen ist und eine spätere
Abänderungsmöglichkeit – ähnlich wie bei den o. a. Dateien – durch geeignete Software auszuschließen. Bei einer
derartigen Verfahrensweise, die die bislang übliche Durchschrift wirklich ersetzen würde, wäre eine uneingeschränkte
rechtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns im Einzelfall auch nach Einsatz moderner
Datenverarbeitungsmethoden möglich. Das konkrete seinerzeit erstellte Schreiben könnte in vollem Umfang
rekonstruiert und einer rechtlichen Prüfung unterzogen werden. Solange die Beklagte dies nicht sicherstellt muss sie
in Kauf nehmen, dass jeder Zweifel am tatsächlichen Ablauf zu ihren Lasten geht. Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in
denen die Beklagte – wie u. a. im Bereich der Sperr- und Säumniszeit – die objektive Beweislast trägt.
Die Rechtsfolgenbelehrung ist anlässlich jeder einzelnen Einladung zu wiederholen. Es reicht daher nicht aus, dass
der betroffene Arbeitslose irgendwann einmal eine Einladung mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung
erhalten hat. Dies ist auch bei einer Vielzahl von Einladungen bereits deshalb unabdingbar, da ausweislich § 145 SGB
III nicht alle Aufforderungen zur Vorsprache beim Arbeitsamt den Eintritt einer Säumniszeit auslösen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.