Urteil des SozG Aurich vom 11.02.2005

SozG Aurich: vorläufiger rechtsschutz, wohnfläche, eigentum, verwertung, angemessenheit, beschränkung, unterkunftskosten, einfamilienhaus, lebensmittelpunkt, sperrung

Sozialgericht Aurich
Beschluss vom 11.02.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aurich S 15 AS 3/05 ER
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den
Bewilligungszeitraum Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der tatsächlich aufgewandten Heizkosten zu
gewähren. Im übrigen wird der Antrag abgelehnt. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Höhe der berücksichtigungsfähigen Heizkosten sowie
die Berücksichtigung einer Pauschale für den Erhaltungsaufwand eines selbstbewohnten Hauses.
Der am E. geborene ledige Antragsteller bewohnt ein im Jahre 1939 errichtetes Wohnhaus, welches in seinem
Eigentum steht und eine Wohnfläche zwischen 70 und 80 qm aufweist. Bis einschließlich 31.12.2004 bezog er
Arbeitslosenhilfe und beantragte im Hinblick auf das Auslaufen dieser Leistung im November 2004 bei der
Antragsgegnerin ab Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 22.11.2004 bewilligte diese ihm
Arbeitslosengeld II für den Zeitraum 01.01. bis 30.06.2005 in Höhe von monatlich 464,76 Euro, wobei sie einen
Heizkostenanteil in Höhe von 67,60 Euro berücksichtigte. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und
begehrte die Berücksichtigung von Gaskosten in Höhe von 120 Euro, die tatsächlich monatlich an den
Versorgungsträger gezahlt würden. Die Antragsgegnerin sei lediglich von einer Wohnfläche von 50 m2 aus-gegangen,
tatsächlich seien es indes 80 m2. Ferner sei eine Pauschale für den Erhal-tungsaufwand des selbst bewohnten
Eigenheimes zu berücksichtigen.
Mittels am 18.01.2005 bei Gericht eingegangenen Schriftsatzes begehrt er die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes unter Hinweis auf die Ausführungen in der Wider-spruchsbegründung.
Er beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller angemessene Kosten
für Unterkunft und Heizung gemäß § 19 SGB II in gesetzlicher Höhe und Laufzeit zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, für die Berücksichtigung einer Aufwendungspauschale sei eine gesetzliche Grundlage nicht
ersichtlich. Höhere Heizkosten könnten nicht berücksichtigt werden, da man bereits einen Maximalverbrauch von 36
m3 je m2 angemessener Wohn-fläche jährlich bewilligt habe. Eine Einschränkung der beheizten Wohnfläche auf die
an-gemessene Wohnfläche sei zumutbar.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte (Nr. F.) des Antragsgegners beigezogen und bei der Entscheidungsfindung
berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug
genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, inhaltlich ist er zum Teil begründet.
Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitge-genstand treffen, wenn die Gefahr
besteht, das durch eine Veränderung des bestehen-den Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers
vereitelt oder wesent-lich erschwert werden könnte (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Anordnungsanspruch, also die
Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der Anordnungsgrund, die
Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 SGG iVm § 920 Abs. 3
ZPO). Für beide Voraus-setzungen reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. Krodel, Die Begründet-heit
des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, NZS 2002, Seite 234 ff; Grie-ger, Vorläufiger Rechtsschutz in
Angelegenheiten der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ZFSH/SGB 10/2004, S. 579 ff).
Unter Beachtung dieser Grundsätze scheitert ein Anspruch auf Berücksichtigung einer Erhaltungspauschale bereits
am Anordnungsanspruch.
Die Berücksichtigung einer derartigen Pauschale ist, einmal abgesehen von den nicht von der Hand zu weisenden
grundsätzlichen rechtssystematischen Bedenken der An-tragsgegnerin gegenüber einer derartigen Pauschale, auf die
im Rahmen des einstweili-gen Rechtsschutzes nicht weiter eingegangen werden muss, gesetzlich nicht vorgese-hen.
Die vom Antragsteller in Bezug genommenen Literaturhinweise beziehen sich nicht auf eine wie auch immer geartete
Pauschale, sondern auf einen konkret entstandenen Erhaltungsaufwand, der im Einzelfall und unter enger
Beschränkung auf das unbedingt erforderliche gegeben sein kann. Hierzu trägt der Antragsteller indes nichts vor.
Soweit der Antragsteller die Berücksichtigung der tatsächlichen Heizkosten im Bewilli-gungszeitraum begehrt, liegt ein
Anordnungsanspruch mit überwiegender Wahrschein-lichkeit vor.
Rechtsgrundlage ist § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese ange-messen sind.
Mit Antragstellung hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass Kosten für Erdgas in Höhe von monatlich 120 Euro
tatsächlich anfallen. Diese sind mit überwiegender Wahr-scheinlichkeit auch angemessen.
Die Angemessenheit kann nicht unter Hinweis auf eine zu große Wohnfläche verneint werden. Zwar trifft es zu, dass
für den alleinstehenden Antragsteller grundsätzlich ein Wohnraum mit einer Größe von 50 m2 angemessen wäre (vgl.
etwa Berlit in LPK-SGB II, Rn 26 zu § 22). Die tatsächliche Größe des vom Antragsteller bewohnten Hauses ist un-
klar – im Antrag auf Arbeitslosengeld II werden 70 m2 angegeben, im Antrag auf einstwei-ligen Rechtsschutz 80 m2
–; dies kann im Ergebnis aber ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die Berechnung des Energiebedarfs pro m2
durch die Antragsgegnerin so zu übernehmen ist. Eine Beschränkung der tatsächlichen Fläche auf die als
angemessen angesehene Fläche von 50 m2 (die im Übrigen als Mindestfläche anzusehen ist) scheitert vorliegend
daran, dass es sich bei dem vom Antragsteller bewohnten Haus um ein in seinem Eigentum stehendes
Einfamilienhaus handelt, dass – da von angemessener Größe im Sinne der Vermögensanrechnungsvorschriften –
nach § 12 Abs. 3 Ziffer 4 nicht als Vermögen berücksichtigt und dessen Verwertung nach § 9 Abs. 1 Ziffer 2 SGB II
da-her nicht verlangt werden darf. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zwischen den
Vermögensanrechnungsvorschriften und den Bestimmungen über die Berechnung der Unterkunftskosten ist die
Angemessenheit der Heizkosten eines nach § 12 Abs. 3 Ziffer 4 geschützten Hauses daher grundsätzlich unter
Berücksichtigung der tatsächli-chen Wohnfläche zu prüfen. Die Nichtberücksichtigung eines entsprechenden Hauses
bei der Vermögensanrechnung erfolgt aufgrund einer bewußten Entscheidung des Ge-setzgebers, das im Eigentum
des Arbeitslosen stehende und von ihm und/oder seiner Familie selbst bewohnte Haus als Lebensmittelpunkt (nicht
als Vermögensgegenstand!) vor einer Verwertung zu schützen ( vgl. Ebsen in Gagel, Rn 172 ff zu § 193 SGB III;
Brühl in LPK-SGB II unter Hinweis auf die BSG-Rechtsprechung zum AFG/SGB III). Damit ist aber die zwingende
Konsequenz verbunden, das dieses Objekt auch angemessen be-wohnbar sein und damit u.a. beheizt werden muss.
Es ist nicht angängig den einge-räumten Schutz durch Beschränkungen bei der Übernahme der Heizkosten faktisch
wie-der einzuschränken. Ausnahmen von diesem Grundsatz einer Berücksichtigung der tat-sächlichen Wohnfläche
kann es nur in besonders gelagerten Einzelfällen geben, wenn - etwa aufgrund eines besonderen Zuschnittes der
Wohnung bzw. des Hauses – einzelne Räume aus der Beheizung herausgenommen werden können, ohne dass ein
Schaden für diese Räume, die Heizungsanlage oder gar das gesamte Objekt zu befürchten oder die Funktionalität des
Wohnraums nicht mehr gegeben ist. Hierfür gibt es indes keine Anhaltspunkte, eine Klärung wäre im übrigen auch
dem Hauptsacheverfahren vorbehal-ten.
Die tatsächlichen Heizkosten sind auch nicht aus anderen Gründen unangemessen.
Der Antragsgegner selbst veranschlagt die tatsächlichen Heizkosten mit 102 Euro (120 Euro minus 18 Euro
Warmwasserkosten). Auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragsgegnerin zum Wärmebedarf eines alten,
noch ungedämmten Hauses und unter Anwendung einer quadratmeterbezogenen Betrachtungsweise sind diese
tatsächlichen Heizkosten angemessen, setzt man sie zur tatsächlich vorhandenen Quadratmeterzahl ins Verhältnis.
Die Antragsgegnerin leitet die Bewertung der Heizkosten als unangemes-sen indes aus den tatsächlichen
Energiekosten im Verhältnis zu einer (fiktiven) reduzier-ten Quadratmeteranzahl her. Dies ist aus den oben
ausgeführten Gründen nicht der zu-treffende Vergleichsmaßstab. Auf die Frage, ob der quadratmeterbezogene
Maßstab grundsätzlich geeignet ist, braucht daher vorliegend nicht weiter eingegangen werden (vgl. Berlit, a.a.O. Rn
51).
Ein Anordnungsgrund ergibt sich bereits deshalb, da die Versorgungsunternehmen ge-richtsbekannterweise eine
unvollständige Zahlung der monatlichen Abschläge mit einer Sperrung der Energiezufuhr beantworten, so dass die
Eilbedürftigkeit evident ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.