Urteil des SozG Augsburg vom 21.07.2008

SozG Augsburg: untätigkeitsklage, gebühr, verwaltungsverfahren, widerspruchsverfahren, behörde, aufwand, zugehörigkeit, persönlichkeit, einfluss, verzinsung

Sozialgericht Augsburg
Kostenbeschluss vom 21.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 3 SF 43/08 KO
In Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 14. Mai 2008 werden die zu erstattenden Kosten auf 202,30
EUR zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Antragstellung festgesetzt.
Gründe:
I. Streitig sind im Erinnerungsverfahren die Anwendung der Gebührentatbestände 3102 oder 3103 VV RVG sowie
1005/1006 VV RVG sowie die Höhe der jeweils konkret festzusetzenden Gebühr. Ausgangspunkt war eine
Untätigkeitsklage. Die Erinnerungsführerin (Ef) hatte nach Anhörung vom 04.06.2007 dem Erinnerungsgegner (Eg) die
Leistungen nach dem SGB II nur zu einem um 30 v.H. gekürzten Betrag ausbezahlt. Über den Widerspruch des
Bevollmächtigten des Eg vom 17.07.2007, welchen dieser am 20.07.2007 begründete, wurde zunächst nicht
entschieden. Am 22.10.2007 erhob der Bevollmächtigte des Eg daraufhin Untätigkeitsklage zum Sozialgericht
Augsburg. Am 04.12.2007 schloss die Ef das Widerspruchsverfahren mit Erlass eines (Abhilfe-)Bescheides ab. Die
Untätigkeitsklage wurde für erledigt erklärt. Die Ef sagte die Übernahme der außergerichtlichen Kosten zu.
Mit Kostennote vom 10.01.2008 bezifferte der Bevollmächtigte des Eg die außergerichtlichen Kosten wie folgt:
Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, Nr. 2400 VV RVG 240,00 EUR Einigungsgebühr, Nr. 1006,
1005 VV RVG 190,00 EUR Post und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 40,00 EUR Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV
RVG 89,30 EUR zu zahlender Betrag 559,30 EUR.
Die Festsetzung der Mittelgebühr sei gerechtfertigt, weil auch im Rahmen der Untätigkeitsklage diverse Telefonate
und Schriftverkehr erforderlich gewesen seien. Entsprechendes gelte für die Erledigungsgebühr. Letztlich hätten zwei
20-minütige Telefonate mit der zuständigen Sachbearbeiterin erst dazu geführt, dass die Ef eine positive
Entscheidung erlassen habe.
Die Ef hielt demgegenüber einen Kostenbetrag von 172,55 EUR (ausgehend von einer Verfahrensgebühr nach Nr.
3102 VV RVG über 125,00 EUR und der Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG von 20,00 EUR zuzüglich
Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG von 30,40 EUR) für angemessen. Im Rahmen einer Untätigkeitsklage könne
eine Erledigungsgebühr nicht zum Tragen kommen.
Nach weiterem Schriftwechsel erließ die Urkundsbeamtin den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.05.2008, in dem
sie die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 452,20 EUR festsetzte. Dabei hielt sie eine Verfahrensgebühr
nach Nr. 3103 VV RVG von 170,00 EUR, eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von 190,00 EUR
(zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer) für gerechtfertigt.
Hiergegen wendet sich die Ef mit ihrer Erinnerung vom 06.06.2008. Sie hält an ihrer bisherigen Einschätzung fest.
Danach könne sinngemäß in einem Untätigkeitsverfahren eine Einigungsgebühr bzw. Erledigungsgebühr nicht
anfallen. Im Übrigen sei entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin nicht die Verfahrensgebühr Nr. 3103, sondern
Nr. 3102 VV RVG anzuwenden. Gründe für eine höhere Gebühr als der Hälfte der Mittelgebühr seien nicht ersichtlich.
Der Bevollmächtigte des Eg sieht keine Gründe, den Kostenfestsetzungsbeschluss in seiner Höhe zu beanstanden.
II.
Das Gericht ist zur Entscheidung befugt (§ 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die rechtzeitig eingelegte
Erinnerung ist zulässig und teilweise begründet.
Für das Betreiben des Verfahrens der Untätigkeitsklage steht dem Bevollmächtigten des Eg eine Verfahrensgebühr
nach Nr. 3102 VV RVG zu. Damit kommt ein Gebührenrahmen von 40,00 EUR bis 460,00 EUR zum Tragen. Zwar war
der Bevollmächtigte des Eg für diesen auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom
29.06.2007 tätig. Dies begründet aber nicht die Anwendung des Gebührentatbestandes Nr. 3103 VV RVG. Deren
Anwendungsbereich – mit der Folge der Absenkung des Gebührenrahmens – setzt eine Tätigkeit des Rechtsanwalts
im Verwaltungsverfahren oder in einem weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden
Verwaltungsverfahren voraus. Die damit verbundene Absenkung des Gebührenrahmens rechtfertigt der Gesetzgeber
letztlich mit Synergieeffekten. Er geht also davon aus, dass ein Rechtsanwalt aufgrund der durch die
vorausgegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren erworbenen Sach- und Rechtskenntnisse im nachfolgenden
gerichtlichen Verfahren einen geringeren Aufwand hat (BT-Ds 15/1971, S. 212). Die Sonderregelung der Nr. 3103 VV
RVG soll also dann zum Tragen kommen, wenn Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ein Verwaltungsakt ist, der
zuvor Gegenstand eines behördlichen Verfahrens (Verwaltungsverfahren bzw. Widerspruchsverfahren) war (LSG
Nordrhein-Westfalen vom 05.05.2008, L 19b 24/08 AS).
Davon unterscheidet sich das vorliegend zu beurteilende Verfahren der Untätigkeitsklage. Gegenstand der
Untätigkeitsklage ist nicht die Überprüfung eines erlassenen Bescheides, sondern ein als prozessuales Druckelement
der Versicherten ausgestaltetes Recht überhaupt einen behördlichen Entscheidungsakt zu "erzwingen". Materiell-
rechtliche Fragen stehen dabei nicht im Fokus der gerichtlichen Betrachtung. Denn die Begründetheit der
Untätigkeitsklage setzt neben dem Ablauf der in § 88 SGG gesetzten Frist nur die Prüfung der Untätigkeit der
Behörde voraus. Synergieeffekte, die bei Anwendung der Gebühren-Nr. 3103 VV RVG nach dem gesetzgeberischen
Willen das Absenken des Gebührenrahmens bewirken, kommen folglich nicht zum Tragen.
Bei Ausfüllung des Gebührenrahmens von Nr. 3102 VV RVG sind die einzelnen Tatbestandsmerkmale und Kriterien,
wie sie in § 14 RVG niedergelegt sind, zu beachten. Danach bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall
unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu erstatten, ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Davon ist vorliegend auszugehen. Bezogen auf den Auftraggeber waren die Einkommens- und Vermögensverhältnisse
zweifelsfrei klar unterdurchschnittlich. Zur Bedeutung der Angelegenheit für den Eg hat das Gericht bereits mehrfach
in rechtskräftigen Beschlüssen klargestellt, dass allein aus der Zugehörigkeit des Auftraggebers und Mandanten zum
anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II eine überdurchschnittliche Bedeutung im Sinne von § 14
RVG nicht abgeleitet werden kann. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers steht dem Anwalt in Verfahren mit
durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten die
Mittelgebühr zu. Im Schnitt betrachtet, wird vor den Sozialgerichten in der überwiegenden Anzahl der Fälle um
existenzsichernde Leistungen gestritten. Daraus folgt, dass auch vorliegend mit der vorgetragenen Argumentation
eine Gebührenerhöhung nicht erreicht werden kann. Mit Blick auf den Bevollmächtigten des Eg ist festzustellen, dass
das Führen einer Untätigkeitsklage zweifelsfrei eine nach Umfang und Schwierigkeit äußerst einfache anwaltliche
Tätigkeit darstellt. Auch vorliegend dauerte das Verfahren lediglich sechs Wochen. Zweifelsfrei liegt nach Aktenlage
beim Eg eine problematische Persönlichkeit vor. Die Kammer hat keine konkreten Anhaltspunkte, dass sich dieser
Umstand im Rahmen der Untätigkeitsklage besonders ausgewirkt hätte. Der entsprechende Vortrag des Anwalts des
Eg erscheint jedoch insgesamt nachvollziehbar und schlüssig, denn erfahrungsgemäß zeigen Personen mit einer
Persönlichkeitsstruktur wie der Eg ihren schwierigen menschlichen Charakter in vergleichbaren Verfahren nicht nur
gegenüber dem Leistungsträger sondern auch gegenüber den ihnen beiseite stehenden Bevollmächtigten.
Im Regelfall geht das Gericht – in Übereinstimmung mit der Kostenrechtsprechung der gesamten bayerischen
Sozialgerichtsbarkeit davon aus, dass bei einer Untätigkeitsklage eine Gebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von
125,00 EUR angemessen ist. Der abweichenden Einschätzung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
(a.a.O.), die bei einer durchschnittlichen Untätigkeitsklage den Ansatz der doppelten Mindestgebühr, d.h. von 80,00
EUR, für gerechtfertigt hält, folgt das Gericht also nicht. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses
Einzelfalls hält die Kammer schließlich eine Gebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 150,00 EUR für zutreffend
und angemessen.
Ein Gebührentatbestand nach Nr. 1006 VV RVG ist nicht angefallen. Zur Begründung verweist die Kammer in diesem
Punkt auf ihre ständige Rechtsprechung (vgl. u.a. S 9 AS 286/06 KO) sowie auf die überzeugenden Erläuterungen des
LSG Nordrhein-Westfalen (a.a.O.) zum Nichtanfall dieses Gebührentatbestandes. Gemäß § 136 Abs. 3 SGG sieht
das Gericht daher von einer weiteren Darlegung der Entscheidungsgründe ab. Soweit der Bevollmächtigte des Eg
argumentiert, dass er mit seinen beiden Telefonaten bei der Ef das Widerspruchsverfahren beeinflusst habe, kann ihm
insoweit zugestimmt werden, als er durch dieses Zutun wohl Einfluss auf den Entscheidungsinhalt genommen hat.
Streitgegenständlich war im Rahmen des Hauptsacheverfahrens aber nicht die Rechtmäßigkeit der von der Ef
getroffenen Entscheidung, sondern eben nur ihre Verpflichtung über einen Widerspruch überhaupt zu entscheiden.
Dazu ist sie als Behörde gesetzlich verpflichtet.
Zusammenfassend sind daher folgende außergerichtlichen Kosten angefallen: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG
150,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 32,30 EUR
Summe 202,30 EUR
Der Anspruch auf Verzinsung folgt aus §§ 197 Abs. 1 SGG, 104 ZPO und war nachträglich noch auszusprechen.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).