Urteil des SozG Augsburg vom 08.09.2010

SozG Augsburg: private krankenversicherung, zwingende zuständigkeit, versicherungspflicht, krankheitsfall, bayern, mitgliedschaft, gesundheit, krankenkasse, versicherungsschutz, alter

Sozialgericht Augsburg
Urteil vom 08.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 10 KR 119/09
I. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2009 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 3. April 2009
wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Kläger seit 15. August 2008 nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V
versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist. II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger seit 15.08.2008 bei der Beklagten nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB V) pflichtversichert in der Krankenversicherung ist.
Der seit dem Jahr 2004 verwitwete Kläger war vom 05.05. bis 01.10.1964 bei der BKK K., deren Rechtsnachfolgerin
die Beklagte ist, gesetzlich krankenversichert. Weitere danach liegende Zeiten der Mitgliedschaft in einer gesetzlichen
oder privaten Krankenversicherung sind nicht bekannt.
Bis zuletzt Mai 1993 erhielt der Kläger laufende Hilfe zum Lebensunterhalt durch die Beigeladene. Ab Juni 1993 erhielt
er bei Bedarf Hilfen für Gesundheit. Vom 01.01.2004 bis 14.08.2008 übernahm die AOK Bayern aufgrund einer
versehentlichen unbefristeten Anmeldung durch die Beigeladene nach § 264 SGB V die Krankenbehandlung des
Klägers. Am 14.08.2008 wurde der Kläger nach Entdeckung des Versehens mit sofortiger Wirkung von der
Beigeladenen abgemeldet und auf die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V hingewiesen. In der Folge
erhielt der Kläger Krankenhilfe nach § 48 SGB XII.
Am 10.12.2008 stellte der Kläger durch seine damaligen Bevollmächtigten bei der Beklagten als Rechtsnachfolgerin
der BKK K. einen Antrag auf Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Es wurde eine
Aufrechnungsbescheinigung vorgelegt, in der eine Krankenkassenmitgliedschaft des Klägers bei der BKK K. vom
05.05. bis 01.10.1964 angegeben ist.
Mit Bescheid vom 09.02.2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es könne keine Mitgliedschaft für den Kläger
festgestellt werden, obwohl die Unterlagen aus der fraglichen Zeit noch vorhanden seien.
Hiergegen erhoben die damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 10.02.2009 Widerspruch. Es könne aufgrund der
vorgelegten Aufrechnungsbescheinigung davon ausgegangen werden, dass der Kläger zuletzt im Jahre 1964 bei der
BKK K. pflichtversichert war. Im Versicherungsverlauf des Rentenversicherungsträgers seien
Pflichtversicherungszeiten des Klägers nur bis zum Jahre 1966 aufgeführt, wobei es sich bei den von Januar 1965 bis
Dezember 1966 entrichteten Pflichtbeiträgen um solche für Handwerker handle, was auf eine selbstständige Tätigkeit
schließen lasse.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2009 zurück. Da der Kläger im Jahr 1965
Beiträge nach dem Handwerkerversicherungsgesetz zur Rentenversicherung entrichtet habe, sei er zumindest im Jahr
1965 selbstständig tätig gewesen. Deshalb erscheine eine private Krankenversicherung als sehr wahrscheinlich.
Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass nach dem 01.10.1964 weitere
Versicherungszeiten in der privaten Krankenversicherung oder aber bei anderen gesetzlichen Krankenversicherungen
bestanden hätten. Im Übrigen schließe die Erbringung von Krankenversicherungsleistungen nach § 264 Abs. 2 SGB V
den Eintritt von Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aus.
Am 17.04.2009 ist hiergegen Klage erhoben worden. Nach 1964 sei der Kläger in keiner Krankenversicherung privat
versichert gewesen.
In der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2010 hat der Kläger seinen Antrag auf die Zeit ab 15.08.2008 beschränkt,
da bis 14.08.2008 die AOK Bayern infolge der Anmeldung durch die Beigeladene die Krankenbehandlung übernommen
hatte und die Beigeladene zugesichert hat, für die Zeit vom 01.04.2007 bis 14.08.2008 keine Erstattungsansprüche
gegen die Beklagte geltend zu machen.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 09.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom
03.04.2009 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger seit 15.08.2008 nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V
versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht zum zuständigen Sozialgericht Augsburg erhobene Anfechtungs- und Feststellungsklage ist
zulässig.
Die Klage ist auch begründet, da der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 09.02.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 03.04.2009 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn der Kläger
ist seit 15.08.2008 nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten, da er
seither keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hat und zuletzt gesetzlich bei der BKK K.,
deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, krankenversichert war.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V sind Personen versicherungspflichtig, die keinen anderweitigen
Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren.
Der Kläger hat seit 15.08.2008 keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krank- heitsfall im Sinne von § 5
Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V. Zum einen sind bei ihm die Voraussetzungen einer Versicherungspflicht nach § 5
Abs. 1 Nr. 11 SGB V und § 10 SGB V nicht gegeben. Zum anderen beinhaltet der Bezug von Krankenhilfe nach § 48
SGB XII keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V.
Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V, der nur Empfänger laufender Leistungen nach dem 3., 4., 6. und 7.
Kapitel SGB XII von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausschließt. Personen, die
ausschließlich und fallweise Hilfen zur Gesundheit nach dem 5. Kapitel SGB XII erhalten, sind in der Vorschrift nicht
aufgeführt.
Der Kläger war nach Überzeugung des Gerichts zuletzt gesetzlich krankenversichert. "Zuletzt gesetzlich
krankenversichert" im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V bedeutet nicht, dass eine gesetzliche
Krankenversicherung zeitlich unmittelbar vorausgegangen sein muss. Vielmehr ist es unschädlich, wenn
zwischenzeitlich ein Zustand bestanden hat, in dem keine gesetzliche Krankenversicherung bestand. Das
Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" dient allein dazu, Personen, die ihrem Status nach nicht
der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind, vom Versicherungsschutz der gesetzlichen
Krankenversicherung auszunehmen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/3100, S. 94). Maßgeblich für eine
Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist demnach, dass die letzte Versicherung vor dem fehlenden
anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall eine gesetzliche und nicht eine private
Krankenversicherung war. Aus der vom Kläger vorgelegten Aufrechnungsbescheinigung ergibt sich, dass er zuletzt
vom 05.05. bis 01.10.1964 bei der BKK K. pflichtversichert war. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in der Zeit ab
02.10.1964 privat krankenversichert gewesen wäre, liegen nicht vor. Allein aus der Tatsache, dass der Kläger nach
1964 selbstständig tätig war, lässt sich nicht der Abschluss einer privaten Krankenversicherung folgern. Bezüglich der
Krankenversicherung des Klägers nach 1964 ist nichts Weiteres bekannt und kann auch unter Ausschöpfung
zumutbarer Ermittlungsmöglichkeiten nicht ermittelt werden. Nach Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung
vom 08.09.2010 war er nach 1964 nicht mehr krankenversichert und suchte keine Ärzte auf. Erst mit zunehmendem
Alter seien Behandlungen erforderlich geworden, die dann vom Sozialamt übernommen worden seien.
Nach § 174 Abs. 5 SGB V ist der Kläger Mitglied der Beklagten geworden, da diese Rechtsnachfolgerin der BKK K.
ist, bei der der Kläger zuletzt gesetzlich versichert war. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach dem 01.10.1964
bei einer anderen gesetzlichen Krankenkasse versichert war, liegen nicht vor. Insbesondere stellt die Übernahme der
Krankenbehandlung von Empfängern laufender Sozialhilfeleistungen nach § 264 Abs. 2 SGB V kein gesetzliches
Krankenversicherungsverhältnis dar. Unschädlich ist auch, dass der Kläger vor Stellung des Aufnahmeantrags bei der
Beklagten Aufnahmeanträge bei der AOK Bayern und der Südzucker BKK gestellt hatte. Denn aufgrund der
Sondervorschrift des § 174 Abs. 5 SGB V gilt das allgemeine Krankenkassenwahlrecht nicht und es wird eine
zwingende Zuständigkeit der letzten Kasse begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193,183 des Sozialgerichtsgesetzes.