Urteil des SozG Augsburg vom 08.02.2006

SozG Augsburg: einwirkung, unfallbegriff, kausalität, arbeitsunfall, abgrenzung, unfallversicherung, berufskrankheit, verhebetrauma, extensive auslegung, unfreiwilligkeit

Sozialgericht Augsburg
Gerichtsbescheid vom 08.02.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 5 U 241/04
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 26. Februar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juni 2004
wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Parteien ist streitig, ob ein Ereignis vom 19.12.2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist und dem Kläger
daraus Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
Der am 1961 geborene Kläger ist Inhaber eines Kleintransportunternehmens.
Am 19.12.2003 transportierte er Möbel nach L. und baute sie dort im eigenen Betrieb auf. Dabei traten beim Kläger
Rückenschmerzen auf. Er selbst beschrieb das Ereignis wie folgt: "Ich habe probiert, einen Schrank auf die Seite zu
schieben. Als ich ihn wieder abgelassen habe, merkte ich einen kleinen Knacks im Kreuz."
Am 19.12.2003, 23.12.2003, 29.12.2003 und 27.01.2004 wurde der Kläger allgemeinärztlich behandelt. Nähere
Angaben, insbesondere zum streitgegenständlichen Ereignis konnten diese Ärzte nicht machen.
Am 21.12.2003 suchte der Kläger die Notaufnahmestation des Kreiskrankenhauses G. auf. Dabei gab er an, zwei
Tage vorher einen schweren Gegenstand angehoben zu haben, dabei habe er plötzlich Schmerzen in der
Lendenwirbelsäule (LWS) verspürt. Bei dieser Untersuchung wurde ein Verhebetrauma der LWS diagnostiziert. Es
blieb bei der einmaligen Behandlung.
Bei einer Untersuchung in einer chirurgischen Praxis in G. am 09.02.2004 wegen Rückenbeschwerden gab der Kläger
an, dass es ihm beim Versuch, einen Kleiderschrank (120 kg) abzustellen, in den Rücken gefahren sei. Seitdem leide
er an starken Schmerzen in der unteren LWS.
Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 26.02.2004 ab,
das Ereignis vom 19.12.2003 als versichertes Unfallereignis anzuerkennen. Vielmehr läge eine körpereigene
Bewegung vor, welche eine willentlich herbeigeführte Kraftanstrengung darstelle und daher nicht als Unfall eingeordnet
werden könne.
Dagegen erhoben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 12.03.2004 Widerspruch. Der Widerspruch
wurde damit begründet, dass auch körpereigene Bewegungen wie Heben und Schieben äußere Vorgänge im Sinne
eines von außen wirkenden Ereignisses seien.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens berichteten die Hausärzte Dres. K. mit Schreiben vom 15.04.2004, dass
beim Kläger ein Verhebetrauma vorliege.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2004 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Dagegen erhoben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 08.07.2004 Klage und beantragten, das
Ereignis vom 19.12.2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung zuzusprechen. Zur Begründung der Klage wurde auf die Widerspruchsbegründung verwiesen.
Zudem wurde vorgetragen, dass das Ereignis vom 19.12.2003 im Rahmen eines beruflichen Auftrags geschehen sei.
Nach der Einholung von Befundberichten, in denen wiederholt ein Verhebetrauma beschrieben worden war, wies das
Gericht mit Schreiben vom 06.07.2005 auf die zu einem ähnlich gelagerten Fall ergangene Entscheidung des Bayer.
Landessozialgerichts (BayLSG) vom 22.02.2005, Az: L 17 U 370/03, hin und bat um eine Stellungnahme unter
Berücksichtigung dieses Urteils.
Mit Schreiben vom 12.07.2005 führten die Bevollmächtigten des Klägers aus, dass diese Entscheidung aus ihrer
Sicht nicht auf den hier vorliegenden Fall zu übertragen sei, da der Entscheidung des BayLSG die Frage der
Anerkennung einer Berufskrankheit zugrunde gelegen habe. Gleichzeitig regten sie die Entscheidung durch
Gerichtsbescheid an.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten des Gerichts und der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die zu entscheidende Sache mit
keinen besonderen Schwierigkeiten verbunden ist und der Sachverhalt hinlänglich geklärt ist. Die Beteiligten haben ihr
Einverständnis zu einer Entscheidung mit Gerichtsbescheid erklärt.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 19.12.2003 als versicherten Arbeitsunfall anzuerkennen.
Ein Arbeitsunfall ist gemäß § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) ein Versicherungsfall. Dabei sind
nach § 8 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3
oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).
Unfälle sind nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper
einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, wobei der Unfall als schädigendes
Ereignis im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen ist. Mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des
Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (vgl.
BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 128). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen mit
absoluter Gewissheit festgestellt werden, d.h. es wird keine Überzeugung des Gerichts vorausgesetzt, die jede nur
denkbare andere Möglichkeit ausschließt (vgl. BSGE 45, 285, 287). Vielmehr ist ein der Gewissheit nahe kommender
Grad der Wahrscheinlichkeit genügend, aber auch notwendig (vgl. BSGE 7, 103, 106; 32, 203, 207). Im juristischen
Schrifttum wird auch formuliert, das Gericht müsse von den entscheidungserheblichen Tatsachen Gewissheit haben,
müsse sich aber mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen (vgl. Meyer-
Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl., § 128, RdNr. 3 b m.w.N.).
Nicht erforderlich ist, um das Kriterium des von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses zu bejahen, ein
besonderes oder ungewöhnliches Geschehnis. Auch alltägliche Vorgänge wie z.B. Stolpern sind ausreichend. Mit dem
Kriterium der Einwirkung von außen soll die Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen (z.B.
Herzinfarkt, Kreislaufkollaps) sichergestellt werden, wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu
vorsätzlichen Selbstschädigungen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R).
"Mit Augen" sichtbar muss die äußere Einwirkung nicht sein. Auch radioaktive Strahlen oder elektromagnetische
Wellen stellen eine äußere, wenngleich nicht sichtbare Einwirkung dar (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56).
Neben körperlich-gegenständlichen Einwirkungen können auch geistig-seelische Einwirkungen in einem eng
umgrenzten Zeitraum einen Unfall begründen (vgl. BSGE 18, 173, 175).
Problematisch wird die Frage, ob ein Unfall vorliegt, dann, wenn nicht klar abgrenzbar ist, ob die Einwirkung auf
Körper oder Psyche ihren Ausgangspunkt im Körperinnern hat oder der Anlass in außerhalb von Körper oder Psyche
des Versicherten liegenden Umständen zu suchen ist.
Aufbauend auf die vorgenannten, unstrittigen Grundsätze zum Unfallbegriff haben Rechtsprechung und Literatur
weitergehende Gesichtspunkte und Präzisierungen zur Beurteilung des Unfallbegriffs entwickelt, die nicht völlig
deckungsgleich sind, wobei exemplarisch die folgenden wesentlichen Ansatzpunkte dargestellt werden:
1. Kasseler Kommentar
Ricke (vgl. Ricke, in: Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII, RdNr. 24) bezeichnet in seinen Kommentierungen, die in
dieser Form bereits seit mehreren Jahren unverändert sind, körpereigene Bewegungen wie Heben, Schieben, Laufen
usw. als äußere Vorgänge im Sinne eines von außen auf den Körper einwirkenden Vorgangs, selbst wenn sie gewohnt
und üblich, besonders aber, wenn sie ungeplant und unkoordiniert seien. Unter Umständen ergäben sie jedoch keinen
Unfall, weil das äußere Ereignis nur rechtlich unwesentliche Ursache sei.
2. Sozialgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere des BSG:
2.1. Ältere Rechtsprechung
Die Entscheidungen sind vielfältig, wobei oft vorrangig auf die Frage der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit
und Gesundheitsschaden abgestellt wird, ohne sich näher damit auseinander zu setzen, ob der Unfallbegriff an sich
zu bejahen ist oder nicht. Aus Gründen der Praktikabilität ist dies insbesondere dann nahe liegend, wenn ein
Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Gesundheitsschaden nicht zu beweisen ist, z.B. weil innere Ursachen
auf der Hand liegen. Aber auch in Fällen, in denen vom Zusammenhang auszugehen war, stützen sich die Gerichte
wesentlich auf die Zusammenhangsfrage, ohne den Unfallbegriff näher zu hinterfragen. So nahm das BSG z.B. im
Urteil vom 18.03.1997, Az.: 2 RU 8/96, den bei einer Alarmübung eingetretenen Tod eines Feuerwehrmanns infolge
eines Herzinfarkts als Unfallfolge an. Begründet wurde dies damit, dass die Belastungsgrenze des Verstorbenen so
erheblich überschritten worden sei, dass den Einflüssen durch die versicherte Tätigkeit die Bedeutung einer
wesentlichen Mitursache für den Tod zukomme.
Dass eine als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertende Arbeit eine
äußere Einwirkung im Sinne des Unfallbegriffs darstellen könne, stellte das BSG ebenso im Urteil vom 27.10.1987,
Az.: 2 RU 35/87, fest (zugrunde liegender Sachverhalt: Die besondere Belastung bei einer Hausschlachtung führte zu
erheblicher Atemnot, zum Zusammenbrechen und Tod).
Auch das LSG Nordrhein-Westfalen ging davon aus, dass ein Unfall erst dann gegeben sein könne, wenn es sich um
eine außergewöhnliche (körperliche oder psychische) Überanstrengung handele (vgl. z.B. Urteile vom 18.11.1998, Az.:
L 17 U 142/97, und vom 15.09.1999, Az.: L 17 U 63/97).
Dass, sofern bei der Entscheidungsfindung wesentlich nur auf die Frage der Kausalität, nicht des Unfallbegriffs an
sich abgestellt wird, die Rechtsprechung teilweise eine Vermengung der Tatbestandsmerkmale Unfall und Kausalität
vornimmt, wird dabei versucht, auf anderem Wege zu korrigieren. So forderte das LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil
vom 18.11.1998, Az.: L 17 U 142/97, dass die körperliche Belastung als ungewöhnliche erscheinen, also für die Kraft
des Betroffenen eine besondere außergewöhnliche Belastung mit ggf. ungünstigen Rahmenbedingungen darstellen
müsse. Eine akute psychische Überforderung sei vor allem dann als wesentliche Mitursache anzusehen, wenn Angst,
Not, Entsetzen oder Sorge als existenzielle Bedrohung - individuell, akut und überraschend - bedeutsam und in ihrer
tatsächlichen Dramatik ein Ereignis "akzidentieller" Prägung darstellen würden, wobei dieses - so das LSG -
"unfallartig" und vom Vorschaden abgrenzbar sein müsse. Aus den gewählten Formulierungen lässt sich damit der
Rückschluss ziehen, dass das LSG auch über das gewöhnliche Maß hinausgehende Belastungen nicht in jeden Fall
als Unfallereignis betrachtete, sondern darüber hinaus noch mehr, nämlich das ebenso unpräzise wie auch vielsagend
als "Unfallartiges" Bezeichnete verlangte. Dabei ist aus dem Urteilskontext zu entnehmen, dass das LSG damit eine
ungewollte oder unbeabsichtigte Belastung verstand.
2.2. Urteil des BSG vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R:
In dieser aktuellen Entscheidung setzte sich das BSG eingehend mit der Frage des Unfallbegriffs auseinander und
entwickelte - so die Ansicht Giesens (vgl. Giesen, jurisPR- SozR 24/2005 vom 06.10.2005, Anm. 6) - die bisherige
Rechtsprechung weiter.
In diesem Urteil, dem der Versuch eines Versicherten zugrunde lag, einen etwa 70 kg schweren, festgefrorenen Stein
anzuheben, und bei dem der Kläger eine Subarachnoidalblutung erlitt, kam das BSG zu dem Ergebnis, dass von
einem versicherten Arbeitsunfall auszugehen sei. Die äußere Einwirkung habe in der (unsichtbaren) Kraft gelegen, die
der schwere und festgefrorene Stein dem Versicherten entgegengesetzt habe (vgl. Drittes Newton sches Gesetz über
die gleiche Größe der Gegenwirkung). Ein Versicherter, der im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit eine derartige
Kraftanstrengung unternehme, stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn der
Gesundheitsschaden sei durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden und ihr zuzurechnen. Dementsprechend
habe das beabsichtigte Anheben des Steines und die damit einhergehende Kraftanstrengung aufgrund der mit ihr
verbundenen Gegenkräfte zu einer zeitlich begrenzten, äußeren Einwirkung auf bestimmte Teile bzw. Organe des
Körpers des Klägers geführt.
Das BSG hob in dieser Entscheidung hervor, dass es für den Unfallbegriff genüge, wenn "durch eine der versicherten
Tätigkeit zuzurechnende außergewöhnliche Kraftanstrengung ein Vorgang im Körperinneren ausgelöst wird, der die
gesundheitliche Schädigung bewirkt" (so die plakative Aussage in der Presse-Mitteilung Nr. 18/05 vom 13.04.2005
zum Urteil vom 12.04.2005).
Weiter äußerte sich das BSG zum Gesichtspunkt der Freiwilligkeit differenzierend wie folgt, wobei hierin die von
Giesen (vgl. a.a.O.) genannte Fortentwicklung zu sehen ist: Von den Fällen einer gewollten Einwirkung, die keinen
Unfall darstellen würden, seien die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei denen von
einer äußeren Einwirkung auszugehen sei, zu unterscheiden. Ob eine und welche äußere Einwirkung, wie sie für einen
Arbeitsunfall erforderlich sei, vorgelegen habe, sei in solchen Fällen gegebenenfalls nicht ohne die eigentlich erst in
einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen.
3. Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG):
Das BayLSG geht regelmäßig davon aus, dass ein Unfallereignis nur dann gegeben sei, wenn es sich um "plötzliche
und unerwartete äußere Krafteinwirkungen, die unkoordiniert sind", handele, ein Unfallereignis dagegen
ausgeschlossen sei, wenn es sich zwar um "eine vermehrte Kraftanstrengung" handele, auf die der Versicherte aber
"eingestellt" gewesen sei (vgl. z.B. Urteil vom 22.02.2005, Az.: L 17 U 370/03). Diese Abgrenzung entspricht der
wiederholten Rechtsprechung zum sog. "Verhebetrauma". Beispielhaft sei nur auf die Urteile des BayLSG vom
24.10.2002, Az.: L 3 U 319/02, und vom 15.02.2001, Az.: L 17 U 344/99, verwiesen, in denen jeweils bereits das
Vorliegen eines Unfallereignisses abgelehnt und auch ausdrücklich (im erstgenannten Urteil) darauf hingewiesen
worden ist, dass bereits die Wortverbindung "Verhebetrauma" unfallmedizinisch ein Widerspruch in sich sei, da
schweres Heben allein kein Unfallereignis sein könne.
Ein Unfallereignis kann demgemäß nur angenommen werden, wenn eine unerwartete, nicht jedoch wenn eine
willentliche Kraftanstrengung vorliegt, wobei diese Krafteinwirkung nach den allgemeinen Grundsätzen im Vollbeweis
nachgewiesen sein muss.
Dem entspricht auch die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 12.09.2000, Az.: L 3 U 282/99, m.w.N.). Im genannten Urteil wurde darauf hingewiesen, dass wesentliches
Tatbestandsmerkmal eines Unfalls die Unfreiwilligkeit des Ereignisses (also nicht des eingetretenen Schadens!) sei
und ein planmäßiges und willentliches Herbeiführen des Ereignisses nach herrschender Meinung grundsätzlich keinen
Arbeitsunfall darstellen könne. Dabei müsse als Ereignis das zum Schaden führende Geschehen betrachtet werden.
4. Begutachtungsliteratur:
Im maßgeblichen und in der täglichen Praxis von medizinischen Sachverständigen, Unfallversicherungsträgern und
Gerichten wohl am weitesten verbreiteten Werk der Begutachtungsliteratur von Schönberger, Mehrtens, Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, wird in der aktuellen 7. Auflage der Unfallbegriff weitestgehend identisch mit der
dargestellten Rechtsprechung des Bayer. Landessozialgerichts verwendet. So weist Schönberger (vgl. a.a.O., S. 66)
darauf hin, dass für einen Unfall die Unfreiwilligkeit des Ereignisses zu verlangen ist. Aufschlussreich sind die
weitergehenden Ausführungen Schönbergers zu der Frage, ob beim "Verheben im Kreuz" ein Unfall gesehen werden
kann (vgl. a.a.O., S. 532). Dabei kommt er überzeugend zu dem Ergebnis, dass ein willentlich eingeleiteter,
eigentätiger Hebeakt, unabhängig davon, ob der Hebeakt von besonderer Schwere ist, kein Unfallereignis darstellt. Er
begründet dies für den Fall des Verhebens damit, dass Muskulatur und Skelettsystem so aufeinander abgestimmt
sind, dass ihr Zusammenwirken keine Schädigung eines der Teile bewirken kann.
5. Rechtsprechung anderer Gerichtsbarkeiten:
5.1. Zivilgerichtliche Rechtsprechung:
Die zivilgerichtliche Rechtsprechung zum Unfallbegriff in der (privaten) Unfallversicherung, wie er in § 2 Nr. 1 der
Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) verwendet wird, kann vergleichend herangezogen werden. Weder
aus den jeweils verwendeten Formulierungen noch aus den zugrunde liegenden Rechtsgedanken der Rechtsbereiche
lassen sich Hinweise darauf entnehmen, dass unterschiedliche Auslegungen gerechtfertigt wären.
Der Bundesgerichtshof (BGH) äußerte sich diesbezüglich ausführlich in seinem grundlegenden und bis heute
maßgeblichen Urteil vom 23.11.1988, Az.: IVa ZR 38/88. Zugrunde lag der Sachverhalt, dass der (privat)
Unfallversicherte eine schwere Mörtelwanne angehoben und dabei einen starken Schmerz im Rücken verspürt hatte,
als dessen Ursache in der Folge ein Bandscheibenvorfall festgestellt wurde. Der BGH kam hier zu dem Ergebnis,
dass ein Unfall nicht gegeben sei. Er begründete dies wie folgt:
Zwar habe der BGH in der Vergangenheit (vgl. z.B. Urteil vom 12.12.1984, Az.: IVa ZR 88/83 = NJW 1985, 1398) wie
schon das Reichsgericht (vgl. RGZ 55, 408) einen vollkommen im äußeren Ablauf gesteuerten Bewegungsvorgang als
Unfall im Sinne der privaten Unfallversicherung gelten lassen. Ein solcher allgemeiner Grundsatz könne aber
jedenfalls nicht auf die Fälle angewendet werden, in welchen die im äußeren Ablauf kontrollierte Handlung lediglich
eine Kraftanstrengung im Sinne des § 2 Nr. 2 Buchst. a AUB darstelle, also nichts Unvorhergesehenes im Ablauf,
keine Störung von außen eintrete. Die mit § 2 Nr. 2 Buchst. a AUB anerkanntermaßen gegebene Ausdehnung des
Versicherungsschutzes (auf durch Kraftanstrengung des Versicherten hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und
Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule) setze logisch voraus, dass bloße kontrollierte Kraftanstrengungen und
ihre Folgen nicht bereits den Unfallbegriff des § 2 Nr. 1 AUB erfüllten.
Bei einem Unfall müsse es sich um ein äußeres Ereignis handeln, das - nicht willensgesteuert - auch im Ablauf einer
willentlich in Gang gesetzten Eigenbewegung des Versicherten auftreten könne und dann zumindest mitursächlich für
die Gesundheitsbeschädigung werde. Ein solches Ereignis könne im Anheben der Mörtelwanne nicht gesehen werden.
Die Kraftanstrengung, die der Kläger bei dem Anheben der Mörtelwanne unternommen habe, sei in ihrem ganzen
Verlauf eine willensgesteuerte Eigenbewegung gewesen. Die Wanne sei ausschließlich Einwirkungsobjekt des Klägers
geblieben, weil es allein von seinem Willen abgehangen habe, ob und wie stark er in Einwirkung auf sie seine Kräfte
entfalte. Solange der Einwirkungsgegenstand nicht in unerwartete Bewegung gerate und solange der Einwirkende nicht
in seiner gewollten Einwirkung und damit in seiner Eigenbewegung - etwa durch Straucheln oder Ausgleiten (vgl.
Oberlandesgericht - OLG - Schleswig, VersR 1970, 1048) - beeinträchtigt sei, wirke kein äußeres Ereignis auf seinen
Körper ein. Vielmehr wirke der Betroffene ausschließlich seinerseits auf den Gegenstand ein. Erleide er bei dieser
gezielten, von ihm in vollem Umfang gesteuerten Kraftanstrengung eine innere Verletzung, so liege kein Unfall im
Sinne des § 2 Nr. 1 AUB vor (vgl. auch OLG Hamm, VersR 1988, 242, wobei die Revision gegen dieses Urteil durch
Beschluss des BGH vom 07.10.1987, Az.: IVa ZR 20/87, nicht angenommen worden ist).
5.2. Verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung:
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Dienstunfallrecht kann vergleichend
herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R). Eine äußere Einwirkung schloss das
BVerwG nur dann aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer
Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache sei
(vgl. BVerwGE 35, 133, 134). Dabei lag der genannten Entscheidung der Fall zugrunde, dass ein Bahnpolizeibeamter
dienstlich in ein heftiges Streitgespräch verwickelt wurde und danach einen Herzinfarkt erlitt. Die äußere Einwirkung
sei bei derartigen Fällen in herabsetzenden Reden, Beleidigungen und Beschimpfungen zu sehen. Derartige
Geschehnisse könnten die seelische Verfassung des Betroffenen beeinflussen und die gestörte seelische Verfassung
könnte zu körperlichen Beeinträchtigungen führen.
Wie aus weiteren obergerichtlichen Entscheidungen (z.B. Oberverwaltungsgericht - OVG - Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 06.05.1999, Az.: 12 A 2983/96) deutlich wird, sieht die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ein äußeres
Ereignis auch dann als gegeben an, wenn ein äußerer Vorgang zunächst etwa eine psychische Reaktion auslöst, die
dann körperliche Folgen zeitigt. Dabei dürfe der Unfallbegriff nicht überspannt werden, was sich aus dem Charakter
der Dienstunfallvorschriften sowie aus Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge ergebe (vgl. OVG
Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.11.1993, Az.: 3 L 99/93).
Im Rahmen des Dienstverhältnisses übliche Vorgänge seien nicht in der Lage, den Begriff eines Dienstunfalls zu
erfüllen. Etwas anderes könne nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, soweit diese den Rahmen der normalen
Ausgestaltung des Dienstverhältnisses überstiegen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof - BayVGH - (Urteil vom 29.07.1987, Az.: 3 B 85 A. 2752) beispielsweise der Fall bei
verletzenden Äußerungen im Verlauf einer verbalen Auseinandersetzung mit Dienstvorgesetzten.
Zusammenfassend gilt daher Folgendes: Zwar sind die veröffentlichten Entscheidungen zum Begriff des Dienstunfalls
nicht so zahlreich wie die sozialgerichtlichen Entscheidungen. Aber aus den angeführten Urteilen ist durchwegs der
Grundsatz zu entnehmen, dass zur Bejahung des Unfallbegriffs eine Einwirkung von außen erforderlich ist, wobei
diese Einwirkung gegen den Willen des Betroffenen stattgefunden haben muss.
Die dargestellten Auslegungen zum Unfallbegriff können wie folgt zusammengefasst werden, wobei drei
grundsätzliche Argumentationslinien zum Unfallbegriff zu erkennen sind:
- Auf der einen Seite (Kasseler Kommentar) wird der Unfallbegriff weitestgehend dahingestellt gelassen und bei der
Prüfung der Entschädigungspflicht des Versicherungsträgers entscheidend auf die Kausalität zwischen Vorgang und
Schaden abgestellt. - Auf der anderen Seite (BayLSG, BGH, Begutachtungsliteratur, auch, wenngleich etwas
unpräziser, die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung) wird eine äußere unvorhergesehene Einwirkung verlangt, auf
die der Verletzte nicht eingestellt ist. - Einen - dieser Eindruck liegt jedenfalls nahe - Mittelweg geht das BSG mit
seiner Entscheidung vom 12.04.2005, wenn es einen Unfall bei einer "ungewollten Einwirkung" als gegeben erachtet.
Da die vorgenannten Auslegungslinien nicht unwesentlich voneinander abweichen, zudem in dem hier zu
entscheidenden Fall offenkundig ist, dass je nach Auslegung der Unfallbegriff zu bejahen oder zu verneinen ist, ist
zunächst zu klären, welcher Auslegung zu folgen ist:
Zum 1. Spiegelstrich - extensive Auslegung im Kasseler Kommentar:
Vorweg ist festzuhalten, dass Rechtsprechung (wie auch Verwaltung) nicht selten die Frage des Unfallereignisses
dahin- gestellt sein lassen, wenn die Frage der Kausalität zwischen Geschehen und Schaden zweifelsfrei zu
verneinen ist. Diese Praxis hat zweifellos ihre Berechtigung. Gleichwohl entbindet sie einerseits nicht von der
Möglichkeit, entsprechend der Systematik bereits zuvor die Frage des Unfallbegriffs zu prüfen, bzw. andererseits der
Verpflichtung, wenn der Unfallbegriff fraglich sein könnte.
Beispielhaft für diese Praxis seien nur die Urteile des BSG vom 27.10.1987, Az.: 2 RU 35/87, und vom 18.03.1997,
Az.: 2 RU 8/96, erwähnt, in denen nur auf die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität abgestellt und die Frage des
Unfallbegriffs nur am Rande erörtert worden ist.
Diese Vorgehensweise, sei sie auch in vielen Fällen praxisgerecht, entbindet aber nicht in jedem Fall von der
Verpflichtung, zu prüfen, ob ein Unfall gegeben ist.
Zu den Kommentierungen im Kasseler Kommentar zum Unfallbegriff ist daher aus Sicht des Gerichts Folgendes
festzustellen:
Die Kommentierungen können nur so gelesen werden, dass umso eher von einem Unfall auszugehen ist, umso
weniger gewohnt oder üblich die Einwirkungen sind. Diese Auslegung ist so unpräzise, dass damit der Unfallbegriff
nicht fassbar wird; Abgrenzungskriterien für den Unfallbegriff werden nicht aufgezeigt. Der Unfallbegriff wird damit
letztlich völlig konturlos, zur Makulatur und - entgegen den Vorgaben des Gesetzgebers - entbehrlich, da der
Ausschluss innerer Ursachen im Rahmen der Kausalitätsprüfung erfolgen kann.
Auch findet die im Kasseler Kommentar vertretene Meinung, was die Breite des Unfallbegriffs betrifft, keine Stütze in
der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Denn dort wurde regelmäßig die Forderung aufgestellt, dass ein
Unfall erst dann gegeben sein kann, wenn es sich um eine zumindest außergewöhnliche (körperliche oder psychische)
(Über-)Anstrengung handelt. Dieses einschränkende Kriterium sieht Ricke offenbar als nicht erforderlich an.
Den Auslegungshinweisen im Kasseler Kommentar kann das Gericht daher nicht folgen.
Zum 3. Spiegelstrich - Mittelweg des BSG in seiner Entscheidung vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R:
In seiner Entscheidung vom 12.04.2005 hat es das BSG als maßgeblich für die Bejahung einer für den Unfallbegriff
erforderlichen äußeren Einwirkung gesehen, dass - bei Fällen eines gewollten Handelns - eine ungewollte Einwirkung
gegeben sein müsse, wobei das BSG den Begriff der Einwirkung mit dem Begriff des Schadens gleichzusetzen
scheint. Bei unklaren Fällen sei erst im Rahmen der Ursachenbeurteilung festzustellen, ob eine äußere Einwirkung
gegeben sei.
Dem kann sich das Gericht aus folgenden Gründen nicht anschließen:
Der vom BSG vertretenen Meinung, wonach die Frage des Vorliegens eines Unfallereignisses - zumindest in unklaren
Fällen - anhand der haftungsausfüllenden Kausalität zu beantworten sei, ist entgegenzuhalten, dass dies zu einer
Vermischung der strikt getrennt zu prüfenden Gesichtspunkte, nämlich einerseits, ob ein (schädigendes) Ereignis
vorliegt, andererseits ob eine Kausalität zwischen schädigendem Ereignis und Schaden gegeben ist, führen würde.
Diese nicht der Rechtsklarheit dienende Vermischung wird im Übrigen vom BSG im Urteil vom 12.04.2005 selbst
eingestanden, wenn das BSG auf Folgendes hinweist: "Ob eine und welche äußere Einwirkung vorlag, ist in solchen
Fällen ggf. nicht ohne die eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen."
Diese Vermengung würde bedeuten, dass die Beurteilung eines Tatbestandsmerkmals (Unfall) davon abhängig
gemacht würde, wie die Feststellung zu einem anderen Tatbestandsmerkmal (Kausalität) ausfällt. Dies ist
rechtsdogmatisch bedenklich und aus Sicht des Gerichts kaum vertretbar. Denn es würde damit bei der Prüfung der
Kausalität zunächst, d.h. vorläufig, ohne dass der erforderliche Beweis geführt wäre, angenommen, dass das
schädigende Ereignis gegeben ist. Erst nach dem Ergebnis der Kausalitätsprüfung würde dann endgültig die
Feststellung oder Ablehnung eines Unfallereignisses ausgesprochen. Eine derartige Vorgehensweise ist bereits unter
Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Logik schwerlich haltbar, da für die Zusammenhangsfrage zunächst das
ggf. ursächlich seiende Ereignis (im Vollbeweis!) nachgewiesen sein muss. I.Ü. - auch darauf sei hingewiesen - hat
das BSG selbst in diversen Entscheidungen klar und zweifelsfrei festgestellt, dass die rechtliche Prüfung, ob ein
Arbeitsunfall vorliegt, das Durchlaufen klar getrennter Prüfungsschritte erfordert, wobei erst dann, wenn ein
Arbeitsunfall erwiesen ist, in einem weiteren Prüfungsschritt zu untersuchen ist, ob und welche Folgen der Unfall
wesentlich (mit)ursächlich hervorgerufen hat (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, Az.: B 2 U 1/04 R). Von dieser vom
BSG selbst vorgegebenen und rechtlich stringenten Prüfungsweise hat sich das BSG im Urteil vom 12.04.2005
entfernt, ohne dies schlüssig zu begründen.
Eine derartige Vermischung ist auch deshalb abzulehnen, weil sie der Rechtsklarheit kontraproduktiv ist und zudem
unter Gesichtspunkten der Beweisanforderungen zu unabwägbaren Unklarheiten führt. Denn es ist zu berücksichtigen,
dass das schädigende Ereignis im Sinne des Vollbeweises nachzuweisen ist, die haftungsausfüllende Kausalität
dagegen nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt sein muss und die geltenden Beweisanforderungen sich nicht
unerheblich unterscheiden.
Würde man dem BSG in der Argumentation seines Urteils vom 12.04.2005 uneingeschränkt folgen, würde dies
Folgendes bedeuten: Wäre ein Zusammenhang zwischen einem Schaden und einer zunächst nur fiktiv
angenommenen Einwirkung von außen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben, so müsste man die fiktiv
angenommene Einwirkung als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zugrunde legen. Mit anderen Worten
und überspitzt gesagt bedeutet die Entscheidung des BSG Folgendes: Ist man nicht sicher, ob eine äußere
Einwirkung vorliegt, so nimmt man diese zunächst einmal als gegeben an. Lässt sich unter dieser Annahme ein
hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang mit einem Schaden herstellen, so ist auch davon auszugehen, dass
das Ereignis, von dessen Existenz man zunächst nicht überzeugt war, als gegeben anzunehmen ist. Über einen
hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit einem nicht nachgewiesenen, aber fiktiv als gegeben
angenommenen Ereignis würde man damit zum Vollbeweis des zunächst nur fiktiv angenommenen, also gerade nicht
nachgewiesenen Ereignisses kommen. Abgesehen von der denklogischen Fraglichkeit dieser Argumentation würde
dies letztlich auch dazu führen, dass die Beweisanforderungen für das Unfallereignis herabgesetzt würden und damit
in derartigen Fällen die allgemein gültigen Beweisgrundsätze aufgeweicht würden. Aus Sicht des Gerichts sind daher
die sich aus den Beweisanforderungen ergebenden Beweisschwierigkeiten im Sinne der Rechtsklarheit, auch wenn
dies - wie in gleicher Weise in anderen Fällen - zu Lasten des Versicherten gehen wird, hinzunehmen.
Unter dem Gesichtspunkt der Nachweisbarkeit - dies ist dem denen die äußere Einwirkung nicht sichtbar ist,
vereinzelt vor dem Problem, wie eine derartige Einwirkung nachweisbar ist. Insofern wäre es denkbar, in derartigen
Fällen über Beweiserleichterungen, beispielsweise den Anscheinsbeweis, nachzudenken. Diesen Weg hat aber das
BSG in der genannten Entscheidung - wohl aus guten Gründen - gerade nicht gewählt, da es rechtsdogmatisch und
rechtspolitisch fraglich erscheinen würde, das Prinzip der Beweiserleichterungen extensiv anzuwenden. Denn die
Forderung nach einer derartigen Ausweitung würde dann auch in anderen Konstellationen erhoben werden, in denen
dies nicht vertretbar wäre.
Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Argumentation des BSG im Urteil vom 12.04.2005, dass beim Heben
die äußere Einwirkung aufgrund des physikalischen Gesetzes von Kraft und Gegenkraft belegt sei, fraglich erscheint.
Denn auch wenn nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten jede Kraft eine Gegenkraft erzeugt, so bleibt doch der
angehobene Gegenstand ausschließlich Einwirkungsobjekt des Anhebenden und übt keine eigenständige, d.h. vom
Anhebenden nicht beeinflusste und gewollte Einwirkung auf diesen aus. Auf die schlüssigen Ausführungen des BGH
im Urteil vom 23.11.1988, Az.: IVa ZR 38/88, kann in diesem Zusammenhang verwiesen werden.
Das Gericht ist auch nicht mit Giesen (vgl. a.a.O.) einer Meinung, wenn dieser das Urteil des BSG vom 12.04.2005
als stringente und überzeugende Weiterentwicklung der Rechtsprechung zum Begriff des Arbeitsunfalls und zur
haftungsbegründenden Kausalität ansieht. Denn das Gericht vermag gerade nicht nachzuvollziehen, worin in der
genannten Entscheidung besonders deutlich gemacht werden sollte, dass zwischen dem Begriff des Arbeitsunfalls
einerseits und der Kausalität andererseits unterschieden werden müsse. Vielmehr ist aus den dargelegten und noch
weiter auszuführenden Gründen an der Entscheidung des BSG zu bemängeln, dass die gebotene Unterscheidung
zwischen Unfall und Kausalität gerade nicht erfolgt ist. Dessen ist sich offenbar auch Giesen bewusst, wenn er am
Ende seiner Anmerkungen die Befürchtung erkennen lässt, dass "diese großzügige Haltung des BSG ... in der Praxis
zu einer vermehrten, nicht gerechtfertigten Inanspruchnahme der Unfallversicherung führen" kann.
Einen aus Sicht des BSG möglichen Ansatzpunkt zur Lösung der im Raum stehenden Fälle zeigt das BSG im Urteil
vom 12.04.2005 auf, wenn es den Gesichtspunkt der Unfreiwilligkeit der Einwirkung als wesensimmanentes Merkmal
des Unfallbegriffs nennt. Das BSG weist dabei darauf hin, dass die Unfreiwilligkeit einer Einwirkung bei dem, den das
Geschehen betrifft, dem Begriff des Unfalls immanent sei, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer
Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspreche (vgl. BSGE 61, 113, 115). Zwar lehnt sich das BSG bei dieser
Argumentation begrifflich an das insbesondere in der Literatur aufgezeigte Kriterium der Unfreiwilligkeit (vgl. z.B.
Schulin, a.a.O., § 28, RdNr. 7; Keller in: Hauck, SGB VII, § 8 RdNr. 14) an; ob jedoch noch von einer inhaltlichen
Übereinstimmung der Begrifflichkeiten ausgegangen werden darf, erscheint fraglich.
Zur Erläuterung seines Ansatzes verweist das BSG auf das Beispiel eines Sägewerkers, der (willentlich) ein Stück
Holz absägt, dabei aber (unwillentlich) auch den Daumen abtrennt. Weitergehende und abstrahierende Erläuterungen
sind im genannten Urteil nicht enthalten.
Zwar sind die Überlegungen des BSG zum Fall des Sägewerkers auf den ersten Blick überzeugend. Das Gericht sieht
aber dennoch das Kriterium der "ungewollten Einwirkung" nur als bedingt hilfreich bei der Beantwortung der Frage, ob
ein Unfall vorliegt, und damit bei der Rechtsfindung an. Denn so klar es beim Fall des Sägewerkers ist, dass er die
äußere Einwirkung (Krafteinwirkung der Säge auf seinen Daumen) nicht wollte, so schwierig ist die Frage zu
beantworten, wenn es sich um Einwirkungen handelt, die nicht sichtbar sind und ggf. nur im Körperinneren ablaufen.
Nicht zweifelsfrei ersichtlich ist, was das BSG unter der "ungewollten Einwirkung" versteht. Denn das BSG hat seinen
Ansatzpunkt nicht weiter entwickelt und nicht eingehend erläutert, was es unter den Begriff der "ungewollten
Einwirkung" subsumiert. Denkbar sind folgende drei Deutungen:
a. Abgrenzung von absichtlichen Selbstschädigungen b. Ungewollter Schadenseintritt c. Keine Einwirkung als Folge
einer willensgesteuerten körperlichen Aktion
Zu a.:
Sollte mit dem Begriff der "ungewollten Einwirkung" - was anhand des Kontextes im genannten Urteil naheliegend
erscheint - allein die Abgrenzung von (absichtlichen) Selbstschädigungen gemeint sein, wäre die Einführung der neuen
Begrifflichkeit der "ungewollten Einwirkung" nicht erforderlich, da Selbstschädigungen ohne jeden Zweifel keinen
versicherten Unfall darstellen und die Abgrenzung bereits nach den bisher zugrunde gelegten Kriterien ausreichend
trennscharf ist. Es steht daher zu vermuten, dass das BSG mit dem Begriff der "ungewollten Einwirkung"
weitergehende Abgrenzungen beabsichtigt hat. Welche weitergehende Bedeutung das BSG dem genannten Begriff
zuweisen will, ist aber aus den Gründen des Urteils vom 12.04.2005 nicht zweifelsfrei ersichtlich.
Zu b.:
Sollte mit dem Begriff der "ungewollten Einwirkung" der ungewollte Eintritt eines Schadens gemeint sein, würde dies
bedeuten, dass damit der eingetretene Schaden als Voraussetzung des Unfallbegriffs gesehen würde. Dieser
Auslegung - wenngleich auch immer wieder vertreten (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56) - kann aber aus zwei
Erwägungen heraus nicht gefolgt werden: Zum einen ist der Unfall lediglich als potentiell "schädigendes Ereignis" zu
definieren, wie dies beispielsweise das BSG selbst im Urteil vom 28.07.1977, Az.: 2 RU 15/76, getan hat. Ein
eingetretener Schaden als Voraussetzung für die Bejahung des Unfallbegriffs ist nicht zu fordern, was wiederum
begriffslogisch ist, da nicht jeder Unfall zu einem Schaden führen muss (vgl. Schulin, in: Schulin, Handbuch des
Sozialversicherungsrechts, Bd. 2, Unfallversicherungsrecht, § 28 RdNr. 3). Die Literatur (vgl. Schulin, a.a.O., § 28
RdNr. 3 a.E.) fordert daher zu Recht, den (unfallversicherungsrechtlichen) Unfallbegriff "strikt auf das Unfallereignis
als solches zu beschränken"; bei der Frage des (Körper-)Schadens handelt es sich dagegen um eine weitere
selbständige Tatbestandsvoraussetzung bei der Geltendmachung von Leistungsansprüchen.
Zum anderen würde bei der hier kritisierten Auslegung bereits beim Unfallbegriff der Kausalzusammenhang zwischen
Unfallereignis und Körperschaden geprüft werden, was - wie bereits ausgeführt - unsystematisch wäre. Zudem würden
weitere Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, wenn auf die Frage abzustellen wäre, ob und wenn ja welche
Einwirkung gewünscht ist, wobei dem gleichzustellen wäre, wenn die Einwirkung willentlich in Kauf genommen wird.
Wäre entscheidend, welche Einwirkung, d.h. welcher Schaden im Konkreten gewünscht war? Oder reicht es aus, dass
abstrakt eine Schädigung ohne nähere Präzisierung gewollt war? Wie sind Schäden rechtlich zu behandeln, die in
dieser Form nicht beabsichtigt waren? Antworten auf diese Fragen gibt das BSG nicht, zumal erhebliche Zweifel daran
bestehen, dass überhaupt eine trennscharfe und rechtlich haltbare Abgrenzung möglich wäre.
Der vom BSG vorgenommenen weiten Auslegung des Unfallbegriffs kann auch deswegen nicht gefolgt werden, da
diese faktisch dazu führen würde, dass letztlich jede Gesundheitsstörung, die während oder anlässlich der Arbeit
aufgetreten ist, einen Arbeitsunfall begründen würde. Denn regelmäßig sind Schäden nicht erwünscht. Hätte der
Gesetzgeber eine so weite Ausdehnung des Schutzbereichs der gesetzlichen Unfallversicherung gewollt, hätte er dies
in entsprechenden Formulierungen zum Ausdruck bringen, auf die Verwendung des Begriffs des Unfalls verzichten
und stattdessen den Versicherungsfall als das Auftreten eines Gesundheitsschadens während der Arbeit beschreiben
müssen. Dies ist aber nicht der Fall.
Sollte das BSG im Urteil vom 12.04.2005 den Unfall durch den Eintritt eines ungewollten Schadens definieren wollen,
würde diese Auslegung nicht nur über den unmittelbaren Wortlaut des § 8 Abs. 1 SGB VII, sondern auch über den im
Rahmen der Gesetzesanwendung eröffneten Auslegungsspielraum hinaus gehen. Denn aus dem Zusammenhang der
gesetzlichen Regelungen ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine derart weite Auslegung des Unfallbegriffs
nicht ins Auge gefasst hat. Dies ergibt sich zum einen aus den Regelungen zur Berufskrankheit. Nach dem dort
geltenden Listenprinzip sind nur solche Erkrankungen als Versicherungsfall anzuerkennen, die der Verordnungsgeber
ausdrücklich als Berufskrankheit bezeichnet hat (§ 9 Abs. 1 SGB VII) oder für die aufgrund neuerer
medizinwissenschaftlicher Erkenntnisse sog. Listenreife gem. § 9 Abs. 2 SGB VII gegeben ist (vgl. Ricke, a.a.O., § 9
SGB VII, RdNr. 21). Liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor, sind eine Berufskrankheit und damit ein
Versicherungsfall nicht gegeben. Dies gilt auch und gerade dann, wenn bei einer Krankheit der ursächliche
Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. BSG
SozR 2200 § 551 Nr. 18). Die gesetzliche Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII stellt einen Kompromiss zwischen dem
in § 9 Abs. 1 SGB VII verankerten "Listensystem" und einer vereinzelt begehrten "Generalklausel" dar (vgl. zur
Vorgängerregelung des § 551 Abs. 2 RVO: BSG, Urteil vom 30.01.1986, Az.: 2 RU 80/84). Dies macht deutlich, dass
der Gesetzgeber eine zu weite Auslegung des Begriffs des Versicherungsfalls im Sinne der Berufskrankheit nicht
gewünscht hat, was auf den Begriff des Arbeitsunfalls entsprechend übertragen werden muss.
Weiter muss der vom BSG im Urteil vom 12.04.2005 vorgenommenen weiten Auslegung des Unfallbegriffs entgegen
gehalten werden, dass bei einem so weit verstandenen Unfallbegriff die zeitliche Begrenzung auf eine Arbeitsschicht
als Merkmal des Unfallbegriffs (vgl. z.B. BSGE 24, 216, 219) kaum mehr haltbar wäre. Denn einerseits macht sich
der eingetretene Schaden regelmäßig innerhalb des überschaubaren Zeitraums einer Arbeitsschicht bemerkbar
(jedenfalls wird es, wenn sich die schädigende Einwirkung über mehrere Schichten hinweg entfaltet hat, kaum
widerlegbar sein, wenn ein Geschädigter geltend macht, der Schaden sei innerhalb einer einzigen Schicht
aufgetreten), was - wenn man der Argumentation des BSG im Urteil vom 12.04.2005 folgen würde - bereits ausreichen
würde, um einen versicherten Unfall zu bejahen. Andererseits wäre es auch schwer nachvollziehbar, warum bei einer
nicht sicher nachgewiesenen Einwirkung innerhalb einer Schicht vom Schaden auf das schädigende Ereignis zurück
geschlossen werden dürfte, andererseits bei einer nachgewiesenen (kausalen) Einwirkung von einer die Dauer einer
Schicht übersteigenden Zeit im Sinne eines Summationseffekts (vgl. z.B. Schwerdtfeger, in: Lauterbach,
Unfallversicherung SGB VII, § 8, RdNr. 29) ein Versicherungsfall im Sinne eines Arbeitsunfalls oder einer
Berufskrankheit ausgeschlossen sein sollte.
Insofern erscheint es dem Gericht auch unpräzise, wenn der Begriff des Unfalls lediglich auf die Funktion eines
Abgrenzungsmerkmals gegenüber Schäden infolge innerer Ursache reduziert wird (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 550 Nr.
35). Denn mit dieser Auslegung erfolgt wiederum - wie bereits oben dargestellt - eine Vermengung der
Tatbestandsmerkmale Unfall einerseits und Kausalität andererseits. Dabei ist dem Gericht sehr wohl bewusst, dass
die von ihm kritisierte Vermengung im Regelfall nicht von Einfluss auf die Entscheidung sein wird. Denn in den Fällen,
in denen nach Ansicht des Gerichts bereits ein Unfall nicht gegeben ist, wird bei der vermengenden Auslegung des
Unfallbegriffs regelmäßig die Kausalität zu verneinen sein. Eine Ablehnung von Ansprüchen mit Hinweis auf die
fehlende Kausalität ist selbstredend rechtlich nicht zu beanstanden, wobei aus Gründen der Rechtssystematik in
derartigen Fällen deutlich werden sollte, dass die Frage des Arbeitsunfalls ungeprüft geblieben ist. Von Bedeutung
wird die präzise Definition des Unfallbegriffs jedoch dann, wenn bei der Abwägung zur Kausalität ein Übergewicht zu
Gunsten eines Unfallzusammenhangs entstehen würde.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Definition des Unfallbegriffs allein über die Unfreiwilligkeit des
Schadens über den der Auslegung zugänglichen Interpretationsspielraum der anwendenden Gerichte hinausgehen
würde. Eine derartige Korrektur könnte nur der Gesetzgeber selbst, nicht die Rechtsprechung vornehmen.
Zu c.:
Sollte der Begriff der "ungewollten Einwirkung" dahingehend verstanden werden, dass damit all die Einwirkungen vom
Unfallbegriff ausgeschlossen werden sollen, die auf einer willensgesteuerten körperlichen Aktion mit (möglicherweise
auch schädigenden) Einwirkungen auf Körper oder Psyche beruhen oder die mit einer derartigen Aktion zwingend
verbunden sind, so würde damit der Rahmen des Unfallbegriffs im Sinne eines unerwarteten Ereignisses (wie es unten
noch näher erläutert werden wird) eingehalten. Jedoch stellt sich auch bei dieser Auslegung die Frage, inwiefern das
Kriterium einer "ungewollten Einwirkung" bei der Suche nach Rechtsklarheit hilfreich sein könnte. Denn die
Abgrenzung zwischen einer noch gewollten (einen Unfall ausschließenden) und einer ungewollten (einen Unfall
begründenden) Einwirkung wäre aus Sicht des Gerichts nicht präzise möglich. Dies sei anhand einer Fallkonstellation
ähnlich wie der beim Urteil des BSG von 12.04.2005 deutlich gemacht: Hebt ein Mensch einen schweren Stein an, ist
damit jedenfalls betreffend die Armmuskulatur eine gewollte Kraftanstrengung verbunden. Kommt es zum Riss der
Bizepssehne oder des Bizeps, müsste von einer gewollten Krafteinwirkung ausgegangen werden, da dieser Muskel-
Sehnen-Bereich gezielt zum Anheben des Steins eingesetzt worden ist. Fraglich wird die Bewertung aber dann, wenn
die gewollte Krafteinwirkung im Sinne einer Muskelanspannung nicht mehr so augenfällig ist. Wie wäre z.B. der Fall
zu bewerten, wenn es beim Anheben zum Bandscheibenschaden kommt? Eine einigermaßen klare Abgrenzung
könnte sich das Gericht allenfalls darin vorstellen, wenn sämtliche Einwirkungen, die typischerweise bei einer
gewillkürten Kraftanstrengung auf den Körper auftreten, als ungeeignet betrachtet werden, einen Unfall zu begründen.
Dass eine derartige, systemgerechte Auslegung praktikabel wäre, muss aber bezweifelt werden. Denn es wären dann
in Fällen wie dem vom BSG am 12.04.2005 entschiedenen regelmäßig höchst komplexe medizinische/physikalische
Fragestellungen zu beantworten, wobei zudem wiederum die Gefahr bestünde, dass eine trennscharfe Abgrenzung
von der eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfenden Kausalitätsfrage nicht eingehalten würde.
Zusammenfassend sieht das Gericht daher in dem Begriff der "ungewollten Einwirkung" kein Abgrenzungsmerkmal,
das über die bereits bekannten Kriterien hinaus eine weiter klare Entscheidungshilfe geben könnte. Der Auslegung des
BSG im Urteil vom 12.04.2005 kann das Gericht deshalb nicht folgen.
Über die oben dargelegten dogmatischen Erwägungen hinaus - darauf sei im Sinne der Vollständigkeit hingewiesen -
wird an der Entscheidung des BSG auch aus dem Blickwinkel der Praktiker Kritik dahingehend geübt, dass die vom
BSG faktisch aufgegebene Unterscheidungsrelevanz zwischen haftungsbegrün- dender Kausalität (zwischen
versicherter Tätigkeit und Un- fall) einerseits und haftungsausfüllender Kausalität (zwi- schen Unfallereignis und
Gesundheitsschaden) andererseits zu einem erhöhten Kosten- und Zeitaufwand im Verwaltungsverfah- ren führen
wird. Dieser Mehraufwand ergibt sich dadurch, dass - sollte man der Entscheidung des BSG vom 12.04.2005 folgen -
regelmäßig medizinische Gutachten einzuholen sein werden, oh- ne dass für den Sachbearbeiter beim Träger der
gesetzlichen Unfallversicherung die Möglichkeit besteht, aufgrund seiner eigenen unmittelbaren (aber nicht bis in den
detaillierten medizinischen Bereich hineingehenden) Erkenntnismöglichkei- ten, wie dies bei der Subsumtion des
(herkömmlich anerkann- ten) Tatbestandsmerkmals der haftungsbegründenden Kausalität der Fall war, zur
Entscheidung zu kommen, dass bereits die haftungsbegründende Kausalität nicht gegeben ist und damit die Kosten
für die Zusammenhangsbegutachtung von vornherein vermieden werden können (vgl. Köhler, SGb 2006, S. 9, 12).
Zum 2. Spiegelstrich - übrige Rechtsprechung und Begutachtungsliteratur, die eine äußere unvorhergesehene
Einwirkung verlangt, auf die der Verletzte nicht eingestellt ist:
Aus den oben unter den Ausführungen zu den dargestellten denkbaren Auslegungsmöglichkeiten dargelegten Gründen
geht das Gericht mit der überzeugenden Rechtsprechung des BayLSG (vgl. z.B. Urteil vom 22.02.2005, Az.: L 17 U
370/03) davon aus, dass ein Unfallereignis nur dann gegeben ist, wenn es sich um "plötzliche und unerwartete äußere
Krafteinwirkungen, die unkoordiniert sind", handelt, ein Unfallereignis dagegen ausgeschlossen ist, wenn es sich zwar
um "eine vermehrte Kraftanstrengung" handelt, auf die der Versicherte aber "eingestellt" war. Diese Abgrenzung
entspricht der wiederholten obergerichtlichen Rechtsprechung zum sog. "Verhebetrauma". Beispielhaft sei nur auf die
Urteile des BayLSG vom 24.10.2002, Az.: L 3 U 319/02, und vom 15.02.2001, Az.: L 17 U 344/99, verwiesen, in
denen jeweils bereits das Vorliegen eines Unfallereignisses abgelehnt und auch ausdrücklich (im erstgenannten Urteil)
darauf hingewiesen worden ist, dass bereits die Wortverbindung "Verhebetrauma" unfallmedizinisch ein Widerspruch
in sich ist, da schweres Heben allein kein Unfallereignis ist. Ein Unfallereignis kann daher in Übereinstimmung mit der
aufgezeigten und stringenten Rechtsprechung des BayLSG nur angenommen werden, wenn eine unerwartete, nicht
jedoch wenn eine willentliche Kraftanstrengung vorliegt, wobei diese Krafteinwirkung nach den allgemeinen
Grundsätzen im Vollbeweis nachgewiesen sein muss. Daran, dass die Rechtsprechung zum Verhebetrauma
generalisiert werden kann und auch auf Fälle zu übertragen ist, bei denen der Schaden in anderen Körperbereichen
eingetreten ist, bestehen für das Gericht keinerlei Zweifel.
Dass allein diese Auslegung des Unfallbegriffs zutreffend ist, ergibt sich für das Gericht auch aus dem Grundsatz der
Einheit der Rechtsordnung. Der Begriff der Einheit der Rechtsordnung versteht sich als Forderung eines in sich
widerspruchsfreien Systems wertender Rechtssätze, d.h. als Freiheit von Wertungswidersprüchen im Recht, wobei die
rechtliche Grundlage in dem in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verankerten Willkürverbot liegt. Wie ansatzweise aus der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Dienstunfallrecht erkennbar ist, ganz deutlich aber aus der
zivilgerichtlichen Rechtsprechung zum Recht der privaten Unfallversicherung wird, ist dort ein Unfall jeweils
ausgeschlossen, wenn es sich um eine willentliche Kraftanstrengung handelt, ohne dass damit etwas
Unvorhergesehenes im Ablauf, also eine Störung verbunden wäre. Unterschiede im Unfallbegriff der genannten
Rechtsbereiche sind nach Gesetzeswortlaut bzw. Wortlaut der von der Rechtsprechung gebilligten einschlägigen
Versicherungsbedingungen und Intention im Rahmen der Rechtsetzung nicht zu erkennen (ausdrücklich zum
Dienstunfallrecht: vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R). Es hat daher im Sinne der Einheit der
Rechtsordnung eine gleichartige Auslegung zu erfolgen. Ansatzpunkte dafür, dass diese Einheit nicht im Sinne der
Auslegung des vorgenannten 2. Spiegelstriches zu erfolgen hätte, sieht das Gericht nicht, da alle anderen
Auslegungsweisen aus den oben dargelegten Gründen nicht haltbar oder überzeugend sind.
Auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen bedeutet dies Folgendes:
Für die Anerkennung des Ereignisses vom 19.12.2003 als versicherten Arbeitsunfall sowie die Anerkennung von
Rückenbeschwerden als Folge eines derartigen Unfalls wäre es erforderlich, dass ein Unfallereignis im Rahmen des
Vollbeweises nachgewiesen ist. Dieser Beweis ist nicht gelungen.
Von einem Unfallereignis könnte nur dann ausgegangen werden, wenn eine plötzliche und unerwartete Krafteinwirkung
auf den Rücken erfolgt wäre. Dies ist aber nach den eigenen Angaben des Klägers nicht der Fall gewesen; der Kläger
hat angegeben, dass er beim Anheben oder Abstellen eines schweren Möbelstücks (einschießende) Schmerzen im
Rücken verspürt hätte. Vielmehr hat es sich um eine reine willentliche (wenngleich erhebliche) Kraftanstrengung ohne
irgendwelche plötzliche oder unerwartete Einwirkungen gehandelt. Ein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2
SGB VII liegt somit nicht vor.
Da ein Unfall im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gegeben ist, ist die Klage als
unbegründet abzuweisen.
Rein der Vollständigkeit wird auf folgende zwei Gesichtspunkte hingewiesen:
- Sofern die Bevollmächtigten des Klägers kund getan haben, dass ihrer Ansicht nach das oben angeführte Urteil des
BayLSG vom 22.02.2005 auf den hier zu entscheidenden Fall nicht übertragbar sei, da dort eine Berufskrankheit
zugrunde gelegen habe, unterliegen sie einem Irrtum. Gegenstand des dortigen Verfahrens war - wie hier - die Frage,
ob ein Ereignis (vom 22.06.1997) als Arbeitsunfall anzuerkennen sei. Auch dort lag - wie hier - ein sog.
"Verhebetrauma" zugrunde.
- Auch wenn - entgegen den obigen Ausführungen - der Unfallbegriff bejaht würde, könnte der Kläger daraus keinen
Anspruch auf Anerkennung von Unfallfolgen ableiten, da der geschilderte Ablauf nach der maßgeblichen
Begutachtungsliteratur (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 532)
keinen für die Entstehung dauerhafter Schäden, beispielsweise in Form von Bandscheibenschädigungen, die hier
ohnehin nicht belegt sind, geeigneten Unfallmechanismus darstellen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.