Urteil des SozG Augsburg vom 07.11.2005

SozG Augsburg: einwirkung, unfallbegriff, kausalität, arbeitsunfall, abgrenzung, extensive auslegung, erhöhter beweiswert, ärztliche behandlung, schmerz, unfallversicherung

Sozialgericht Augsburg
Urteil vom 07.11.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 5 U 184/04
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 25. November 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 2004
wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Parteien ist streitig, ob ein Ereignis vom 15.11.2002 als Arbeitsunfall und der danach festgestellte
Achillessehnenriss als Unfallfolge anzuerkennen ist.
Der am 1957 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt als Lackierer beschäftigt. Am 05.11.2002 schob er einen
Servicewagen (Gewicht mindestens eine bzw. mindestens zwei Tonnen - je nach Angaben) an. Dabei spürte er
plötzlich einen Schmerz in der linken Wade.
Noch am Unfalltag begab sich der Kläger in ärztliche Behandlung ins Kreiskrankenhaus K ... Dort wurde eine
ursprungsnahe Achillessehnenteilruptur links festgestellt. Zum Unfallhergang ist im dortigen Durchgangsarztbericht
vom 18.11.2002 festgehalten: "Der Verletzte hat einen schwer beladenen Wagen geschoben, musste sich dabei sehr
anstrengen, plötzlich hat er einen Schlag in der li. Wade und ein knallendes Geräusch bemerkt. Anschließend sofort
starke Schmerzen im Bereich der Wade und der Achillessehne."
Auf Nachfrage der Beklagten teilte der behandelnde Chefarzt im Kreiskrankenhaus K. mit Schreiben vom 19.02.2003
mit, dass er grundsätzlich der Meinung sei, dass der Unfallmechanismus nicht geeignet sei, eine gesunde
Achillessehne zur Zerreißung zu bringen. Er weise jedoch darauf hin, dass aufgrund des histologischen Befunds ein
frisches Trauma nachvollzogen werden könne und Hinweise auf vorbestehende degenerative Veränderungen nicht
bestünden.
Der dazu gehörte Beratungsarzt der Beklagten stellte am 26.02.2003 diesbezüglich fest, dass ein adäquates Trauma
für die Annahme eines frischen traumatischen Sehnenrisses fehle.
Näher zum Unfallhergang befragt, teilte die Arbeitgeberin des Klägers mit Schreiben vom 22.04.2003 mit, dass der
Kläger ein fahrbares Servicegerät (auch "Servicewagen" genannt) geschoben habe. Das Gerät habe sich an der
Torschwelle verkantet und gestoppt. Bei der Kraftaufwendung zum Wiederanschieben habe der Kläger plötzlich einen
Schlag oder Riss (= Schmerz) in der linken Wade verspürt.
Im Auftrag der Beklagten erstellte der Orthopäde Dr. G. am 24.06.2003 ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage. Bei
der Begutachtung ergänzte der Kläger seine bisherige Unfallschilderung nach den gutachtlichen Feststellungen wie
folgt: "Er habe, wie üblich, das ca. 1130 kg schwere Service-Gerät auf ebenem Boden geschoben. Der Boden sei
etwas schräg angestiegen. Beim Anschieben habe er einen Ruck verspürt. Er meint, dass etwas unter dem
Servicegerät gelegen sei, das er überwinden musste. Er verspürte dann einen Schlag in der Ferse."
Der Gutachter ging von der Annahme aus, dass die Belastung als unphysiologisch anzusehen sei, da sie durch
äußere Umstände aufgezwungen worden sei. Der Kläger habe eine zusätzliche Kraftanwendung zum
Wiederanschieben aufgewendet, da das Gerät an der Türschwelle gestoppt habe. Der histologische Befund spreche
für eine unfallbedingte Zusammenhangstrennung der Achillessehne. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) infolge
des unfallbedingten Achillessehnenrisses betrage 10 v.H.
Am 20.09.2003 fertigte Dr. G. im Auftrag der Beklagten eine unfallchirurgische Stellungnahme nach Aktenlage. Es
könne - so Dr. G. - nur von einer kontrollierten, also aktiven, willentlich gesteuerten Kraftanstrengung ausgegangen
werden. Ein Unfallgeschehen könne daraus nicht abgeleitet werden. Ein von außen auf die Sehne einwirkendes
unkontrolliertes Ereignis habe nicht vorgelegen. Der Riss sei nicht bei einem plötzlichen Abblocken, sondern beim
Wiederanziehen (richtig: Wiederanschieben - Anmerkung des Gerichts) der Last erfolgt. Es habe auch kein
Ausrutschen vorgelegen. Ein zur Verursachung einer traumatischen Achillessehnenruptur geeignetes Unfallereignis
sei nicht gegeben, wobei von Dr. G. geeignete Mechanismen aufgezeigt wurden. Im Übrigen seien die Feststellungen
des Dr. G. auch unter weiteren (in der Stellungnahme näher ausgeführten) Gesichtspunkten nicht überzeugend.
Zusammenfassend sei festzustellen, dass ein adäquates Unfallereignis für eine traumatische Ruptur nicht
anzunehmen sei.
Darauf gestützt lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 25.11.2003 ab, einen Entschädigungsanspruch als Anlass
des Ereignisses vom 15.11.2002 zu gewähren. Rechtlich wesentliche Ursache für den Achillessehnenriss sei die
vorbestehende Minderbelastbarkeit der Sehne gewesen. Ein von außen auf die Sehne einwirkendes unkontrolliertes
Ereignis habe nicht vorgelegen.
Der dagegen mit Schreiben vom 04.12.2003 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2004
als unbegründet zurückgewiesen.
Am 26.05.2004 erhoben die Bevollmächtigten des Klägers Klage. Mit Schreiben vom 24.08.2004 wurde die Klage
begründet. Zum Unfallhergang wurde Folgendes vorgetragen: "Der Kläger hat ein fahrbares Servicegerät, das im
Hause der Firma allgemein als "Servicewagen" bezeichnet wird, geschoben. Das Gerät verkantete an der Torschwelle
und stoppte. Der Kläger wollte den Servicewagen anschieben, dies ist ihm beim ersten Anschieben nicht gelungen,
beim zweiten Versuch des Anschiebens ist dem Kläger der Fuß weggerutscht, es kam zu blitzartigen Schmerzen."
Im Auftrag des Gerichts erstellte der Orthopäde Dr. P. am 17.03.2005 ein Gutachten. Als genaue Schilderung des
Unfallherganges ist im Gutachten Folgendes enthalten: "Nach getaner Arbeit habe er das Gerät vom Lackierraum in
die Schweißerei schieben müssen. Er brachte das Gerät zwar zum Rollen, dieses blieb aber plötzlich stehen. Mit
äußerster Kraftanstrengung habe er es erneut anschieben wollen, rutschte dabei mit dem Fuß weg (er könne nicht
sagen, ob es der rechte oder der linke Fuß gewesen sei) und habe dann ein lautes Krachen in der Wade verspürt."
Das Gewicht des Geräts wurde vom Kläger mit 2400 kg angegeben.
Zur Frage des Unfallzusammenhangs wies der Gutachter auf Folgendes hin: Wenn die bei der gutachtlichen
Untersuchung gemachten Angaben des Klägers, die von früheren Angaben abwichen, richtig seien, wenn es stimme,
dass ein plötzliches Ausrutschen stattgefunden habe, und wenn das Ausrutschen den rechten Fuß betroffen habe, so
sei es vorstellbar, dass das gleichzeitige kräftige Schieben des Wagens sowie die plötzliche passive Dehnung der
linken Sehne aufgrund des Ausrutschens mit dem rechten Fuß ein adäquater Verletzungsmechanismus seien. Für
den Unfallriss spreche auch die histologische Untersuchung, die keine degenerativen Veränderungen zeige. Ein
bloßes Schieben des Wagens mit großer Kraftanstrengung wäre als Unfallhergang nicht adäquat gewesen. Erst die
bei der gutachtlichen Untersuchung abgegebene Schilderung eines gleichzeitigen Ausrutschens (ähnlich erstmals
bereits in der Klagebegründung vom 24.08.2004 angegeben - Anmerkung des Gerichts) mache einen möglichen
Unfallriss wahrscheinlich.
Bei Zugrundelegung der Angaben des Klägers bei der gutachtlichen Untersuchung kam der Gutachter zu dem
Ergebnis, dass die Ruptur der linken Achillessehne Unfallfolge sei; die dadurch begründete MdE betrage 10 v.H.
Zu diesem Gutachten wies die Beklagte mit Schreiben vom 22.04.2005 darauf hin, dass Voraussetzung - auch nach
den gutachtlichen Feststellungen des Dr. P. - für die Anerkennung eines unfallbedingten Achillessehnenrisses sei,
dass nachgewiesen sei, dass der Kläger mit dem linken Fuß ausgerutscht sei. Nachdem der Kläger jedoch nicht mehr
sagen könne, ob er mit dem rechten oder mit dem linken Fuß weggerutscht sei, sei diese entscheidungsrelevante
Tatsache nicht bewiesen und der Kausalzusammenhang somit abzulehnen. Zudem sei zu bedenken, dass der Kläger
erstmals bei der Untersuchung durch Dr. P. ein Wegrutschen angegeben habe, in den Erstangaben hingegen immer
nur davon die Rede gewesen sei, dass der Kläger beim Verschieben eines Servicegerätes plötzlich einen Schmerz in
der linken Wade verspürt habe. Ein Wegrutschen sei vom Kläger somit erstmals 2 ½ Jahre nach dem Ereignis
angegeben worden, weshalb begründete Zweifel an dem Wahrheitsgehalt dieser Angabe bestünden.
Zu diesem Schreiben teilten die Bevollmächtigten des Klägers am 14.06.2005 mit, dass der Kläger die Angaben zum
Ausrutschen erst deshalb so spät gemacht habe, da ihn vorher niemand nach dem genauen Unfallhergang befragt
habe. Bei der durchgangsärztlichen Untersuchung am Unfalltag habe der Kläger sich primär nur an den Moment
erinnert, an dem er einen Schlag in der linken Wade und ein knallendes Geräusch bemerkt habe, nicht jedoch, wie es
dazu gekommen sei. Da ein Zwischenereignis zwischen dem streitgegenständlichen Unfall und der festgestellten
Erkrankung nicht auszumachen sei, spreche schon der erste Anschein für eine Verursachung der Verletzung durch
den Unfall. Das Ereignis sei daher als (versicherter) Unfall anzuerkennen.
In der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2005 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers,
den Bescheid vom 25.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbe scheides vom 05.05.2004 aufzuheben, das Ereignis
vom 15.11.2002 als Arbeitsunfall und den Achillessehnenriss links als Unfallfolge anzuerkennen.
Der Vertreter der Beklagten beantragte,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten des Gerichts und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 15.11.2002 als Arbeitsunfall sowie den Achillessehnenriss
als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen.
Ein Arbeitsunfall ist gemäß § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) ein Versicherungsfall. Dabei sind
nach § 8 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3
oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).
Unfälle sind nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper
einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, wobei der Unfall als schädigendes
Ereignis im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen ist. Mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des
Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (vgl.
BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 128). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen mit
absoluter Gewissheit festgestellt werden, d.h. es wird keine Überzeugung des Gerichts vorausgesetzt, die jede nur
denkbare andere Möglichkeit ausschließt (vgl. BSGE 45, 285, 287). Vielmehr ist ein der Gewissheit nahe kommender
Grad der Wahrscheinlichkeit genügend, aber auch notwendig (vgl. BSGE 7, 103, 106; 32, 203, 207). Im juristischen
Schrifttum wird auch formuliert, das Gericht müsse von den entscheidungserheblichen Tatsachen Gewissheit haben,
müsse sich aber mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen (vgl. Meyer-
Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl., § 128, RdNr. 3 b m.w.N.).
Nicht erforderlich ist, um das Kriterium des von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses zu bejahen, ein
besonderes oder ungewöhnliches Geschehnis. Auch alltägliche Vorgänge wie z.B. Stolpern sind ausreichend. Mit dem
Kriterium der Einwirkung von außen soll die Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen (z.B.
Herzinfarkt, Kreislaufkollaps) sichergestellt werden, wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu
vorsätzlichen Selbstschädigungen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R).
"Mit Augen" sichtbar muss die äußere Einwirkung nicht sein. Auch radioaktive Strahlen oder elektromagnetische
Wellen stellen eine äußere, wenngleich nicht sichtbare Einwirkung dar (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56).
Neben körperlich-gegenständlichen Einwirkungen können auch geistig-seelische Einwirkungen in einem eng
umgrenzten Zeitraum einen Unfall begründen (vgl. BSGE 18, 173, 175).
Problematisch wird die Frage, ob ein Unfall vorliegt, dann, wenn nicht klar abgrenzbar ist, ob die Einwirkung auf
Körper oder Psyche ihren Ausgangspunkt im Körperinnern hat oder der Anlass in außerhalb von Körper oder Psyche
des Versicherten liegenden Umständen zu suchen ist
Aufbauend auf die vorgenannten, unstrittigen Grundsätze zum Unfallbegriff haben Rechtsprechung und Literatur
weitergehende Gesichtspunkte und Präzisierungen zur Beurteilung des Unfallbegriffs entwickelt, die nicht völlig
deckungsgleich sind, wobei exemplarisch die folgenden wesentlichen Ansatzpunkte dargestellt werden:
1. Kasseler Kommentar
Ricke (vgl. Ricke, in: Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII, RdNr. 24) bezeichnet in seinen Kommentierungen, die in
dieser Form bereits seit mehreren Jahren unverändert sind, körpereigene Bewegungen wie Heben, Schieben, Laufen
usw. als äußere Vorgänge im Sinne eines von außen auf den Körper einwirkenden Vorgangs, selbst wenn sie gewohnt
und üblich, besonders aber, wenn sie ungeplant und unkoordiniert seien. Unter Umständen ergäben sie jedoch keinen
Unfall, weil das äußere Ereignis nur rechtlich unwesentliche Ursache sei.
2. Sozialgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere des BSG:
2.1. Ältere Rechtsprechung
Die Entscheidungen sind vielfältig, wobei oft vorrangig auf die Frage der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit
und Gesundheitsschaden abgestellt wird, ohne sich näher damit auseinander zu setzen, ob der Unfallbegriff an sich
zu bejahen ist oder nicht. Aus Gründen der Praktikabilität ist dies insbesondere dann nahe liegend, wenn ein
Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Gesundheitsschaden nicht zu beweisen ist, z.B. weil innere Ursachen
auf der Hand liegen. Aber auch in Fällen, in denen vom Zusammenhang auszugehen war, stützen sich die Gerichte
wesentlich auf die Zusammenhangsfrage, ohne den Unfallbegriff näher zu hinterfragen. So nahm das BSG z.B. im
Urteil vom 18.03.1997, Az.: 2 RU 8/96, den bei einer Alarmübung eingetretenen Tod eines Feuerwehrmanns infolge
eines Herzinfarkts als Unfallfolge an. Begründet wurde dies damit, dass die Belastungsgrenze des Verstorbenen so
erheblich überschritten worden sei, dass den Einflüssen durch die versicherte Tätigkeit die Bedeutung einer
wesentlichen Mitursache für den Tod zukomme.
Dass eine als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertende Arbeit eine
äußere Einwirkung im Sinne des Unfallbegriffs darstellen könne, stellte das BSG ebenso im Urteil vom 27.10.1987,
Az.: 2 RU 35/87, fest (zugrunde liegender Sachverhalt: Die besondere Belastung bei einer Hausschlachtung führte zu
erheblicher Atemnot, zum Zusammenbrechen und Tod).
Auch das LSG Nordrhein-Westfalen ging davon aus, dass ein Unfall dann gegeben sein könne, wenn es sich um eine
außergewöhnliche (körperliche oder psychische) Überanstrengung handele (vgl. z.B. Urteile vom 18.11.1998, Az.: L
17 U 142/97, und vom 15.09.1999, Az.: L 17 U 63/97).
Dass, sofern bei der Entscheidungsfindung wesentlich nur auf die Frage der Kausalität, nicht des Unfallbegriffs an
sich abgestellt wird, die Rechtsprechung teilweise eine Vermengung der Tatbestandsmerkmale Unfall und Kausalität
vornimmt, wird dabei versucht, auf anderem Wege zu korrigieren. So forderte das LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil
vom 18.11.1998, Az.: L 17 U 142/97, dass die körperliche Belastung als ungewöhnliche erscheinen, also für die Kraft
des Betroffenen eine besondere außergewöhnliche Belastung mit ggf. ungünstigen Rahmenbedingungen darstellen
müsse. Eine akute psychische Überforderung sei vor allem dann als wesentliche Mitursache anzusehen, wenn Angst,
Not, Entsetzen oder Sorge als existenzielle Bedrohung - individuell, akut und überraschend - bedeutsam würden und
in ihrer tatsächlichen Dramatik ein Ereignis "akzidentieller" Prägung darstellen würden, wobei dieses - so das LSG -
"unfallartig" und vom Vorschaden abgrenzbar sein müsse. Aus den gewählten Formulierungen lässt sich damit der
Rückschluss ziehen, dass das LSG auch über das gewöhnliche Maß hinausgehende Belastungen nicht in jeden Fall
als Unfallereignis betrachtete, sondern darüber hinaus noch mehr, nämlich das ebenso unpräzise wie auch vielsagend
als "Unfallartiges" Bezeichnete verlangte. Dabei ist aus dem Urteilskontext zu entnehmen, dass das LSG damit eine
ungewollte oder unbeabsichtigte Belastung verstand.
2.2. Urteil des BSG vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R:
In dieser aktuellen Entscheidung setzte sich das BSG eingehend mit der Frage des Unfallbegriffs auseinander und
entwickelte - so die Ansicht Giesens (vgl. Giesen, jurisPR-SozR 24/2005 vom 06.10.2005, Anm. 6) - die bisherige
Rechtsprechung weiter.
In diesem Urteil, dem der Versuch eines Versicherten zugrunde lag, einen etwa 70 kg schweren, festgefrorenen Stein
anzuheben, und bei dem der Kläger eine Subarachnoidalblutung erlitt, kam das BSG zu dem Ergebnis, dass von
einem versicherten Arbeitsunfall auszugehen sei. Die äußere Einwirkung habe in der (unsichtbaren) Kraft gelegen, die
der schwere und festgefrorene Stein dem Versicherten entgegengesetzt habe (vgl. Drittes Newton sches Gesetz über
die gleiche Größe der Gegenwirkung). Ein Versicherter, der im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit eine derartige
Kraftanstrengung unternehme, stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn der
Gesundheitsschaden sei durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden und ihr zuzurechnen. Dementsprechend
habe das beabsichtigte Anheben des Steines und die damit einhergehende Kraftanstrengung aufgrund der mit ihr
verbundenen Gegenkräfte zu einer zeitlich begrenzten, äußeren Einwirkung auf bestimmte Teile bzw. Organe des
Körpers des Klägers geführt.
Das BSG hob in dieser Entscheidung hervor, dass es für den Unfallbegriff genüge, wenn "durch eine der versicherten
Tätigkeit zuzurechnende außergewöhnliche Kraftanstrengung ein Vorgang im Körperinneren ausgelöst wird, der die
gesundheitliche Schädigung bewirkt" (so die plakative Aussage in der Presse-Mitteilung Nr. 18/05 vom 13.04.2005
zum Urteil vom 12.04.2005).
Weiter äußerte sich das BSG zum Gesichtspunkt der Freiwilligkeit differenzierend wie folgt, wobei hierin die von
Giesen (vgl. a.a.O.) genannte Fortentwicklung zu sehen ist: Von den Fällen einer gewollten Einwirkung, die keinen
Unfall darstellen würden, seien die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei denen von
einer äußeren Einwirkung auszugehen sei, zu unterscheiden. Ob eine und welche äußere Einwirkung, wie sie für einen
Arbeitsunfall erforderlich sei, vorgelegen habe, sei in solchen Fällen gegebenenfalls nicht ohne die eigentlich erst in
einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen.
3. Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen Landessozialgerichts (Bay LSG):
Das Bay LSG geht regelmäßig davon aus, dass ein Unfallereignis nur dann gegeben sei, wenn es sich um "plötzliche
und unerwartete äußere Krafteinwirkungen, die unkoordiniert sind", handele, ein Unfallereignis dagegen
ausgeschlossen sei, wenn es sich zwar um eine "vermehrte Kraftanstrengung" handele, auf die der Versicherte aber
"eingestellt" gewesen sei (vgl. z.B. Urteil vom 22.02.2005, Az.: L 17 U 370/03). Diese Abgrenzung entspricht der
wiederholten Rechtsprechung zum sog. "Verhebetrauma". Beispielhaft sei nur auf die Urteile des Bay LSG vom
24.10.2002, Az.: L 3 U 319/02, und vom 15.02.2001, Az.: L 17 U 344/99, verwiesen, in denen jeweils bereits das
Vorliegen eines Unfallereignisses abgelehnt und auch ausdrücklich (im erstgenannten Urteil) darauf hingewiesen
worden ist, dass bereits die Wortverbindung "Verhebetrauma" unfallmedizinisch ein Widerspruch in sich sei, da
schweres Heben allein kein Unfallereignis sein könne.
Ein Unfallereignis kann demgemäß nur angenommen werden, wenn eine unerwartete, nicht jedoch wenn eine
willentliche Kraftanstrengung vorliegt, wobei diese Krafteinwirkung nach den allgemeinen Grundsätzen im Vollbeweis
nachgewiesen sein muss.
Dem entspricht auch die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 12.09.2000, Az.: L 3 U 282/99, m.w.N.). Im genannten Urteil wurde darauf hingewiesen, dass wesentliches
Tatbestandsmerkmal eines Unfalls die Unfreiwilligkeit des Ereignisses (also nicht des eingetretenen Schadens!) sei
und ein planmäßiges und willentliches Herbeiführen des Ereignisses nach herrschender Meinung grundsätzlich keinen
Arbeitsunfall darstellen könne. Dabei müsse als Ereignis das zum Schaden führende Geschehen betrachtet werden.
4. Begutachtungsliteratur:
Im maßgeblichen und in der täglichen Praxis von medizinischen Sachverständigen, Unfallversicherungsträgern und
Gerichten wohl am weitesten verbreiteten Werk der Begutachtungsliteratur von Schönberger, Mehrtens, Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, wird in der aktuellen 7. Auflage der Unfallbegriff weitestgehend identisch mit der
dargestellten Rechtsprechung des Bayer. Landessozialgerichts verwendet. So weist Schönberger (vgl. a.a.O., S. 66)
darauf hin, dass für einen Unfall die Unfreiwilligkeit des Ereignisses zu verlangen sei. Aufschlussreich sind die
weitergehenden Ausführungen Schönbergers zu der Frage, ob beim "Verheben im Kreuz" ein Unfall gesehen werden
könne (vgl. a.a.O., S. 532). Dabei kommt er überzeugend zu dem Ergebnis, dass ein willentlich eingeleiteter,
eigentätiger Hebeakt, unabhängig davon, ob der Hebeakt von besonderer Schwere sei, kein Unfallereignis darstelle. Er
begründet dies für den Fall des Verhebens damit, dass Muskulatur und Skelettsystem so aufeinander abgestimmt
seien, dass ihr Zusammenwirken keine Schädigung eines der Teile bewirken könne.
5. Rechtsprechung anderer Gerichtsbarkeiten:
5.1. Zivilgerichtliche Rechtsprechung:
Die zivilgerichtliche Rechtsprechung zum Unfallbegriff in der (privaten) Unfallversicherung, wie er in § 2 Nr. 1 der
Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) verwendet wird, kann vergleichend herangezogen werden. Weder
aus den jeweils verwendeten Formulierungen noch aus den zugrunde liegenden Rechtsgedanken der Rechtsbereiche
lassen sich Hinweis darauf entnehmen, dass unterschiedliche Auslegungen gerechtfertigt wären.
Der Bundesgerichtshof (BGH) äußerte sich diesbezüglich ausführlich in seinem grundlegenden und bis heute
maßgeblichen Urteil vom 23.11.1988, Az.: IVa ZR 38/88. Zugrunde lag der Sachverhalt, dass der (privat)
Unfallversicherte eine schwere Mörtelwanne angehoben und dabei einen starken Schmerz im Rücken verspürt hatte,
als dessen Ursache in der Folge ein Bandscheibenvorfall festgestellt wurde. Der BGH kam hier zu dem Ergebnis,
dass ein Unfall nicht gegeben sei. Er begründete dies wie folgt:
Zwar habe der BGH in der Vergangenheit (vgl. z.B. Urteil vom 12.12.1984, Az.: IVa ZR 88/83 = NJW 1985, 1398) wie
schon das Reichsgericht (vgl. RGZ 55, 408) einen vollkommen im äußeren Ablauf gesteuerten Bewegungsvorgang als
Unfall im Sinne der privaten Unfallversicherung gelten lassen. Ein solcher allgemeiner Grundsatz könne aber
jedenfalls nicht auf die Fälle angewendet werden, in welchen die im äußeren Ablauf kontrollierte Handlung lediglich
eine Kraftanstrengung im Sinne des § 2 Nr. 2 Buchst. a AUB darstelle, also nichts Unvorhergesehenes im Ablauf,
keine Störung von außen eintrete. Die mit § 2 Nr. 2 Buchst. a AUB anerkanntermaßen gegebene Ausdehnung des
Versicherungsschutzes (auf durch Kraftanstrengung des Versicherten hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und
Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule) setze logisch voraus, dass bloße kontrollierte Kraftanstrengungen und
ihre Folgen nicht bereits den Unfallbegriff des § 2 Nr. 1 AUB erfüllten.
Bei einem Unfall müsse es sich um ein äußeres Ereignis handeln, das - nicht willensgesteuert - auch im Ablauf einer
willentlich in Gang gesetzten Eigenbewegung des Versicherten auftreten könne und dann zumindest mitursächlich für
die Gesundheitsbeschädigung werde. Ein solches Ereignis könne im Anheben der Mörtelwanne nicht gesehen werden.
Die Kraftanstrengung, die der Kläger bei dem Anheben der Mörtelwanne unternommen habe, sei in ihrem ganzen
Verlauf eine willensgesteuerte Eigenbewegung gewesen. Die Wanne sei ausschließlich Einwirkungsobjekt des Klägers
geblieben, weil es allein von seinem Willen abgehangen habe, ob und wie stark er in Einwirkung auf sie seine Kräfte
entfalte. Solange der Einwirkungsgegenstand nicht in unerwartete Bewegung gerate und solange der Einwirkende nicht
in seiner gewollten Einwirkung und damit in seiner Eigenbewegung - etwa durch Straucheln oder Ausgleiten (vgl.
Oberlandesgericht (OLG) Schleswig, VersR 1970, 1048) - beeinträchtigt sei, wirke kein äußeres Ereignis auf seinen
Körper ein. Vielmehr wirke der Betroffene ausschließlich seinerseits auf den Gegenstand ein. Erleide er bei dieser
gezielten, von ihm in vollem Umfang gesteuerten Kraftanstrengung eine innere Verletzung, so liege kein Unfall im
Sinne des § 2 Nr. 1 AUB vor (vgl. auch OLG Hamm, VersR 1988, 242, wobei die Revision gegen dieses Urteil durch
Beschluss des BGH vom 07.10.1987, Az.: IVa ZR 20/87, nicht angenommen worden ist).
5.2. Verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung:
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Dienstunfallrecht kann vergleichend
herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R). Eine äußere Einwirkung schloss das
BVerwG nur dann aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer
Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache sei
(vgl. BVerwGE 35, 133, 134). Dabei lag der genannten Entscheidung der Fall zugrunde, dass ein Bahnpolizeibeamter
dienstlich in ein heftiges Streitgespräch verwickelt wurde und danach einen Herzinfarkt erlitt. Die äußere Einwirkung
sei bei derartigen Fällen in herabsetzenden Reden, Beleidigungen und Beschimpfungen zu sehen. Derartige
Geschehnisse könnten die seelische Verfassung des Betroffenen beeinflussen und die gestörte seelische Verfassung
könnte zu körperlichen Beeinträchtigungen führen.
Wie aus weiteren obergerichtlichen Entscheidungen (z.B. Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 06.05.1999, Az.: 12 A 2983/96) deutlich wird, sieht die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ein äußeres
Ereignis auch dann als gegeben an, wenn ein äußerer Vorgang zunächst etwa eine psychische Reaktion auslöst, die
dann körperliche Folgen zeitigt. Dabei dürfe der Unfallbegriff nicht überspannt werden, was sich aus dem Charakter
der Dienstunfallvorschriften sowie aus Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge ergebe (vgl. OVG
Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.11.1993, Az.: 3 L 99/93).
Im Rahmen des Dienstverhältnisses übliche Vorgänge seien nicht in der Lage, den Begriff eines Dienstunfalls zu
erfüllen. Etwas anderes könne nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, soweit diese den Rahmen der normalen
Ausgestaltung des Dienstverhältnisses überstiegen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof (Bay VGH) (vgl. Urteil vom 29.07.1987, Az.: 3 B 85 A. 2752) beispielsweise der Fall bei
verletzenden Äußerungen im Verlauf einer verbalen Auseinandersetzung mit Dienstvorgesetzten.
Zusammenfassend gilt daher Folgendes: Zwar sind die veröffentlichten Entscheidungen zum Begriff des Dienstunfalls
nicht so zahlreich wie die sozialgerichtlichen Entscheidungen. Aber aus den angeführten Urteilen ist durchwegs der
Grundsatz zu entnehmen, dass zur Bejahung des Unfallbegriffs eine Einwirkung von außen erforderlich ist, wobei
diese Einwirkung gegen den Willen des Betroffenen stattgefunden haben muss.
Die dargestellten Auslegungen zum Unfallbegriff können wie folgt zusammengefasst werden, wobei drei
grundsätzliche Argumentationlinien zum Unfallbegriff zu erkennen sind: - Auf der einen Seite (Kasseler Kommentar)
wird der Unfallbegriff weitestgehend dahingestellt gelassen und bei der Prüfung der Entschädigungspflicht des
Versicherungsträgers entscheidend auf die Kausalität zwischen Vorgang und Schaden abgestellt. - Auf der anderen
Seite (Bay LSG, BGH, Begutachtungsliteratur, auch, wenngleich etwas unpräziser die verwaltungsgerichtliche
Rechtsprechung) wird eine äußere unvorhergesehene Einwirkung verlangt, auf die der Verletzte nicht eingestellt ist. -
Einen - dieser Eindruck liegt jedenfalls nahe - Mittelweg geht das BSG mit seiner Entscheidung vom 12.04.2005,
wenn es einen Unfall bei einer "ungewollten Einwirkung" als gegeben erachtet.
Da die vorgenannten Auslegungslinien nicht unwesentlich voneinander abweichen, zudem in dem hier zu
entscheidenden Fall offenkundig ist, dass je nach Auslegung der Unfallbegriff zu bejahen oder zu verneinen ist, ist
zunächst zu klären, welcher Auslegung zu folgen ist:
Zum 1. Spiegelstrich - extensive Auslegung im Kasseler Kommentar:
Vorweg ist festzuhalten, dass die Rechtsprechung (wie auch Verwaltung) nicht selten die Frage des Unfallereignisses
dahin gestellt lassen, wenn die Frage der Kausalität zwischen Geschehen und Schaden zweifelsfrei zu verneinen ist.
Diese Praxis hat zweifellos ihre Berechtigung. Gleichwohl entbindet sie einerseits nicht von der Möglichkeit,
entsprechend der Systematik bereits zuvor die Frage des Unfallbegriffs zu prüfen, bzw. andererseits nicht von der
Verpflichtung zur Prüfung, wenn der Unfallbegriff fraglich sein könnte.
Beispielhaft für diese Praxis seien nur die Urteile des BSG vom 27.10.1987, Az.: 2 RU 35/87, und vom 18.03.1997,
Az.: 2 RU 8/96, erwähnt, in denen nur auf die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität abgestellt und die Frage des
Unfallbegriffs nur am Rande erörtert worden ist.
Diese Vorgehensweise, sei sie auch in vielen Fällen praxisgerecht, entbindet aber nicht in jedem Fall von der
Verpflichtung, zu prüfen, ob ein Unfall gegeben ist.
Zu den Kommentierungen im Kasseler Kommentar zum Unfallbegriff ist daher aus Sicht des Gerichts Folgendes
festzustellen:
Die Kommentierungen können nur so gelesen werden, dass umso eher von einem Unfall auszugehen ist, umso
weniger gewohnt oder üblich die Einwirkungen sind. Diese Auslegung ist so unpräzise, dass damit der Unfallbegriff
nicht fassbar wird; Abgrenzungskriterien für den Unfallbegriff werden nicht aufgezeigt. Der Unfallbegriff wird damit
letztlich völlig konturlos, zur Makulatur und - entgegen den Vorgaben des Gesetzgebers - entbehrlich, da der
Ausschluss innerer Ursachen im Rahmen der Kausalitätsprüfung erfolgen kann.
Auch findet die im Kasseler Kommentar vertretene Meinung, was die Breite des Unfallbegriffs betrifft, keine Stütze in
der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Denn dort wurde regelmäßig die Forderung aufgestellt, dass ein
Unfall erst dann gegeben sein könne, wenn es sich um eine zumindest außergewöhnliche (körperliche oder
psychische) (Über-)Anstrengung handele. Dieses einschränkende Kriterium sieht Ricke offenbar als nicht erforderlich
an.
Den Auslegungshinweisen im Kasseler Kommentar kann das Gericht daher nicht folgen.
Zum 3. Spiegelstrich - Mittelweg des BSG in seiner Entscheidung vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R:
In seiner Entscheidung vom 12.04.2005 hat es das BSG als maßgeblich für die Bejahung einer für den Unfallbegriff
erforderlichen äußeren Einwirkung gesehen, dass - bei Fällen eines gewollten Handelns - eine ungewollte Einwirkung
gegeben sein müsse, wobei das BSG den Begriff der Einwirkung mit dem Begriff des Schadens gleichzusetzen
scheint. Bei unklaren Fällen sei erst im Rahmen der Einwirkung, gegeben sei.
Dem kann sich das Gericht aus folgenden Gründen nicht anschließen:
Der vom BSG vertretenen Meinung, wonach die Frage des Vorliegens eines Unfallereignisses - zumindest in unklaren
Fällen - anhand der haftungsausfüllenden Kausalität zu beantworten sei, ist entgegenzuhalten, dass dies zu einer
Vermischung der strikt getrennt zu prüfenden Gesichtspunkte, nämlich einerseits, ob ein (schädigendes) Ereignis
vorliegt, andererseits ob eine Kausalität zwischen schädigendem Ereignis und Schaden gegeben ist, führen würde.
Diese nicht der Rechtsklarheit dienende Vermischung wird im Übrigen vom BSG im Urteil vom 12.04.2005 selbst
eingestanden, wenn das BSG auf Folgendes hinweist: "Ob eine und welche äußere Einwirkung vorlag, ist in solchen
Fällen ggf. nicht ohne die eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen."
Diese Vermengung würde bedeuten, dass die Beurteilung eines Tatbestandsmerkmals (Unfall) davon abhängig
gemacht würde, wie die Feststellung zu einem anderen Tatbestandsmerkmal (Kausalität) ausfällt. Dies ist
rechtsdogmatisch bedenklich und aus Sicht des Gerichts kaum vertretbar. Denn es würde damit bei der Prüfung der
Kausalität zunächst, d.h. vorläufig, ohne dass der erforderliche Beweis geführt wäre, angenommen, dass das
schädigende Ereignis gegeben ist. Erst nach dem Vorliegen des Ergebnisses der Kausalitätsprüfung würde dann
endgültig die Feststellung oder Ablehnung eines Unfallereignisses ausgesprochen. Eine derartige Vorgehensweise ist
bereits unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Logik schwerlich haltbar, da für die Zusammenhangsfrage
zunächst das ggf. ursächlich seiende Ereignis (im Vollbeweis!) nachgewiesen sein muss. I.Ü. - auch darauf sei
hingewiesen - hat das BSG selbst in diversen Entscheidungen klar und zweifelsfrei festgestellt, dass die rechtliche
Prüfung, ob ein Arbeitsunfall vorliege, das Durchlaufen klar getrennter Prüfungsschritte erfordere, wobei erst dann,
wenn ein Arbeitsunfall erwiesen sei, in einem weiteren Prüfungsschritt zu untersuchen sei, ob und welche Folgen der
Unfall wesentlich (mit)ursächlich hervorgerufen habe (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, Az.: B 2 U 1/04 R). Von dieser
vom BSG selbst vorgegebenen und rechtlich stringenten Prüfungsweise hat sich das BSG im Urteil vom 12.04.2005
entfernt, ohne dies schlüssig zu begründen.
Eine derartige Vermischung ist auch aus dem Grund abzulehnen, da sie der Rechtsklarheit kontraproduktiv ist und
zudem unter Gesichtspunkten der Beweisanforderungen zu unabwägbaren Unklarheiten führt. Denn es ist zu
berücksichtigen, dass das schädigende Ereignis im Sinne des Vollbeweises nachzuweisen ist, die
haftungsausfüllende Kausalität dagegen nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt sein muss und die geltenden
Beweisanforderungen sich nicht unerheblich unterscheiden.
Würde man dem BSG in der Argumentation seines Urteils vom 12.04.2005 uneingeschränkt folgen, würde dies
Folgendes bedeuten: Wäre ein Zusammenhang zwischen einem Schaden und einer zunächst nur fiktiv
angenommenen Einwirkung von außen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben, so müsste man die fiktiv
angenommene Einwirkung als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zugrunde legen. Mit anderen Worten
und überspitzt gesagt bedeutet die Entscheidung des BSG Folgendes: Ist man nicht sicher, ob eine äußere
Einwirkung vorliegt, so nimmt man diese zunächst einmal als gegeben an. Lässt sich unter dieser Annahme ein
hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang mit einem Schaden herstellen, so ist auch davon auszugehen, dass
das Ereignis, von dessen Existenz man zunächst nicht überzeugt war, als gegeben anzunehmen ist. Über einen
hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit einem nicht nachgewiesenen, aber fiktiv als gegeben
angenommenen Ereignis würde man damit zum Vollbeweis des zunächst nur fiktiv angenommenen, also gerade nicht
nachgewiesenen Ereignisses kommen. Abgesehen von der denklogischen Fraglichkeit dieser Argumentation würde
dies letztlich auch dazu führen, dass die Beweisanforderungen für das Unfallereignis herabgesetzt würden und damit
in derartigen Fällen die allgemein gültigen Beweisgrundsätze aufgeweicht würden. Aus Sicht des Gerichts sind daher
die sich aus den Beweisanforderungen ergebenden Beweisschwierigkeiten im Sinne der Rechtsklarheit, auch wenn
dies - wie in gleicher Weise in anderen Fällen - zu Lasten des Versicherten gehen wird, hinzunehmen.
Unter dem Gesichtspunkt der Nachweisbarkeit - dies ist dem Gericht bewusst - stehen die Beteiligten in den Fällen, in
denen die äußere Einwirkung nicht sichtbar ist, vereinzelt vor dem Problem, wie eine derartige Einwirkung
nachweisbar ist. Insofern wäre es denkbar, in derartigen Fällen über Beweiserleichterungen, beispielsweise den
Anscheinsbeweis, nachzudenken. Diesen Weg hat aber das BSG in der genannten Entscheidung - wohl aus guten
Gründen - gerade nicht gewählt, da es rechtsdogmatisch und rechtspolitisch fraglich erscheinen würde, das Prinzip
der Beweiserleichterungen extensiv anzuwenden. Denn die Forderung nach einer derartigen Ausweitung würde dann
auch in anderen Konstellationen erhoben werden, in denen dies nicht vertretbar wäre.
Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Argumentation des BSG im Urteil vom 12.04.2005, dass beim Heben
die äußere Einwirkung aufgrund des physikalischen Gesetzes von Kraft und Gegenkraft belegt sei, fraglich erscheint.
Denn auch wenn nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten jede Kraft eine Gegenkraft erzeugt, so bleibt doch der
angehobene Gegenstand ausschließlich Einwirkungsobjekt des Anhebenden und übt keine eigenständige, d.h. vom
Anhebenden nicht beeinflusste und gewollte Einwirkung auf diesen aus. Auf die schlüssigen Ausführungen des BGH
im Urteil vom 23.11.1988, Az.: IVa ZR 38/88, kann in diesem Zusammenhang verwiesen werden.
Das Gericht ist auch nicht mit Giesen (vgl. a.a.O.) einer Meinung, wenn dieser das Urteil des BSG vom 12.04.2005
als stringente und überzeugende Weiterentwicklung der Rechtsprechung zum Begriff des Arbeitsunfalls und zur
haftungsbegründenden Kausalität ansieht. Denn das Gericht vermag gerade nicht nachzuvollziehen, worin in der
genannten Entscheidung besonders deutlich gemacht werden sollte, dass zwischen dem Begriff des Arbeitsunfalls
einerseits und der Kausalität andererseits unterschieden werden müsse. Vielmehr ist aus den dargelegten und noch
weiter auszuführenden Gründen an der Entscheidung des BSG zu bemängeln, dass die gebotene Unterscheidung
zwischen Unfall und Kausalität gerade nicht erfolgt ist. Dessen ist sich offenbar auch Giesen bewusst, wenn er am
Ende seiner Anmerkungen die Befürchtung erkennen lässt, dass "diese großzügige Haltung des BSG ... in der Praxis
zu einer vermehrten, nicht gerechtfertigten Inanspruchnahme der Unfallversicherung führen" könne.
Einen aus Sicht des BSG möglichen Ansatzpunkt zur Lösung der im Raum stehenden Fälle zeigt das BSG im Urteil
vom 12.04.2005 auf, wenn es den Gesichtspunkt der Unfreiwilligkeit der Einwirkung als wesensimmanentes Merkmal
des Unfallbegriffs nennt. Das BSG weist dabei darauf hin, dass die Unfreiwilligkeit einer Einwirkung bei dem, den das
Geschehen betrifft, dem Begriff des Unfalls immanent sei, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer
Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspreche (vgl. BSGE 61, 113, 115). Zwar lehnt sich das BSG bei dieser
Argumentation begrifflich an das insbesondere in der Literatur aufgezeigte Kriterium der Unfreiwilligkeit (vgl. z.B.
Schulin, a.a.O., § 28, RdNr. 7; Keller in: Hauck, Sozialgesetzbuch SGB VII, § 8 RdNr. 14) an; ob jedoch noch von
einer inhaltlichen Übereinstimmung der Begrifflichkeiten ausgegangen werden darf, erscheint fraglich.
Zur Erläuterung seines Ansatzes verweist das BSG auf das Beispiel eines Sägewerkers, der (willentlich) ein Stück
Holz absägt, dabei aber (unwillentlich) auch den Daumen abtrennt. Weitergehende und abstrahierende Erläuterungen
sind im genannten Urteil nicht enthalten.
Zwar sind die Überlegungen des BSG zum Fall des Sägewerkers auf den ersten Blick überzeugend. Das Gericht sieht
aber dennoch das Kriterium der "ungewollten Einwirkung" nur als bedingt hilfreich bei der Beantwortung der Frage, ob
ein Unfall vorliegt, und damit bei der Rechtsfindung an. Denn so klar es beim Fall des Sägewerkers ist, dass er die
äußere Einwirkung (Krafteinwirkung der Säge auf seinen Daumen) nicht wollte, so schwierig ist die Frage zu
beantworten, wenn es sich um Einwirkungen handelt, die nicht sichtbar sind und ggf. nur im Körperinneren ablaufen.
Nicht zweifelsfrei ersichtlich ist, was das BSG unter der ungewollten Einwirkung" versteht. Denn das BSG hat seinen
Ansatzpunkt nicht weiter entwickelt und nicht eingehend erläutert, was es unter den Begriff der "ungewollten
Einwirkung" subsumiert. Denkbar sind folgende drei Deutungen: a. Abgrenzung von absichtlichen Selbstschädigungen
b. Ungewollter Schadenseintritt c. Keine Einwirkung als Folge einer willensgesteuerten körperlichen Aktion
Zu a.:
Sollte mit dem Begriff der "ungewollten Einwirkung" - was anhand des Kontextes im genannten Urteil naheliegend
erscheint - allein die Abgrenzung von (absichtlichen) Selbstschädigungen gemeint sein, wäre die Einführung der neuen
Begrifflichkeit der "ungewollten Einwirkung" nicht erforderlich, da Selbstschädigungen ohne jeden Zweifel keinen
versicherten Unfall darstellen und die Abgrenzung bereits nach den bisher zugrunde gelegten Kriterien ausreichend
trennscharf ist. Es steht daher zu vermuten, dass das BSG mit dem Begriff der "ungewollten Einwirkung"
weitergehende Abgrenzungen beabsichtigt hat. Welche weitergehende Bedeutung das BSG dem genannten Begriff
zuweisen will, ist aber aus den Gründen des Urteils vom 12.04.2005 nicht zweifelsfrei ersichtlich.
Zu b.:
Sollte mit dem Begriff der "ungewollten Einwirkung" der ungewollte Eintritt eines Schadens gemeint sein, würde dies
würde bedeuten, dass damit der eingetretene Schaden als Voraussetzung des Unfallbegriffs gesehen würde. Dieser
Auslegung - wenngleich auch immer wieder vertreten (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56) - kann aber aus zwei
Erwägungen heraus nicht gefolgt werden: Zum einen ist der Unfall lediglich als potentiell "schädigendes Ereignis" zu
definieren, wie dies beispielsweise das BSG selbst im Urteil vom 28.07.1977, Az.: 2 RU 15/76, getan hat. Ein
eingetretener Schaden als Voraussetzung für die Bejahung des Unfallbegriffs ist nicht zu fordern, was wiederum
begriffslogisch ist, da nicht jeder Unfall zu einem Schaden führen muss (vgl. Schulin, in: Schulin, Handbuch des
Sozialversicherungsrechts, Bd. 2, Unfallversicherungsrecht, § 28 RdNr. 3). Die Literatur (vgl. Schulin, a.a.O., § 28
RdNr. 3 a.E.) fordert daher zu Recht, den (unfallversicherungsrechtlichen) Unfallbegriff "strikt auf das Unfallereignis
als solches zu beschränken"; bei der Frage des (Körper-)Schadens handelt es sich dagegen um eine weitere
selbständige Tatbestandsvoraussetzung bei der Geltendmachung von Leistungsansprüchen.
Zum anderen würde bei der hier kritisierten Auslegung bereits beim Unfallbegriff der Kausalzusammenhang zwischen
Unfallereignis und Körperschaden geprüft werden, was - wie bereits ausgeführt - unsystematisch wäre. Zudem würden
weitere Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, wenn auf die Frage abzustellen wäre, ob und wenn ja welche
Einwirkung gewünscht ist, wobei dem gleichzustellen wäre, wenn die Einwirkung willentlich in Kauf genommen wird.
Wäre entscheidend, welche Einwirkung, d.h. welcher Schaden im Konkreten gewünscht war? Oder reicht es aus, dass
abstrakt eine Schädigung ohne nähere Präzisierung gewollt war? Wie sind Schäden rechtlich zu behandeln, die in
dieser Form nicht beabsichtigt waren? Antworten auf diese Fragen gibt das BSG nicht, zumal erhebliche Zweifel daran
bestehen, dass überhaupt eine trennscharfe und rechtlich haltbare Abgrenzung möglich wäre.
Der vom BSG vorgenommenen weiten Auslegung des Unfallbegriffs kann auch deswegen nicht gefolgt werden, da
diese faktisch dazu führen würde, dass letztlich jede Gesundheitsstörung, die während oder anlässlich der Arbeit
aufgetreten ist, einen Arbeitsunfall begründen würde. Denn regelmäßig sind Schäden nicht erwünscht. Hätte der
Gesetzgeber eine so weite Ausdehnung des Schutzbereichs der gesetzlichen Unfallversicherung gewollt, hätte er dies
in entsprechenden Formulierungen zum Ausdruck bringen, auf die Verwendung des Begriffs des Unfalls verzichten
und stattdessen den Versicherungsfall als das Auftreten eines Gesundheitsschadens während der Arbeit beschreiben
müssen. Dies ist aber nicht der Fall.
Sollte das BSG im Urteil vom 12.04.2005 den Unfall durch den Eintritt eines ungewollten Schaden definieren wollen,
würde diese Auslegung nicht nur über den unmittelbaren Wortlaut des § 8 Abs. 1 SGB VII, sondern auch über den im
Rahmen der Gesetzesanwendung eröffneten Auslegungsspielraum hinaus gehen. Denn aus dem Zusammenhang der
gesetzlichen Regelungen ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine derart weite Auslegung des Unfallbegriffs
nicht ins Auge gefasst hat. Dies ergibt sich zum einen aus den Regelungen zur Berufskrankheit. Nach dem dort
geltenden Listenprinzip sind nur solche Erkrankungen als Versicherungsfall anzuerkennen, die der Verordnungsgeber
ausdrücklich als Berufskrankheit bezeichnet hat (§ 9 Abs. 1 SGB VII) oder für die aufgrund neuerer
medizinwissenschaftlicher Erkenntnisse sog. Listenreife gem. § 9 Abs. 2 SGB VII gegeben ist (vgl. Ricke, a.a.O., § 9
SGB VII, RdNr. 21). Liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor, sind eine Berufskrankheit und damit ein
Versicherungsfall nicht gegeben. Dies gilt auch und gerade dann, wenn bei einer Krankheit der ursächliche
Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. BSG
SozR 2200 § 551 Nr. 18). Die gesetzliche Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII stellt einen Kompromiss zwischen dem
in § 9 Abs. 1 SGB VII verankerten "Listensystem" und einer vereinzelt begehrten "Generalklausel" dar (vgl. zur
Vorgängerregelung des § 551 Abs. 2 RVO: BSG, Urteil vom 30.01.1986, Az.: 2 RU 80/84). Dies macht deutlich, dass
der Gesetzgeber eine zu weite Auslegung des Begriffs des Begriffs des Versicherungsfalls im Sinne der
Berufskrankheit nicht gewünscht hat, was auf den Begriff des Arbeitsunfalls entsprechend übertragen werden muss.
Zum anderen muss der vom BSG im Urteil vom 12.04.2005 vorgenommenen weiten Auslegung des Unfallbegriffs
entgegen gehalten werden, dass bei einem so weit verstandenen Unfallbegriff die zeitliche Begrenzung auf eine
Arbeitsschicht als Merkmal des Unfallbegriffs (vgl. z.B. BSGE 24, 216, 219) kaum mehr haltbar wäre. Denn einerseits
macht sich der eingetretene Schaden regelmäßig innerhalb des überschaubaren Zeitraums einer Arbeitsschicht
bemerkbar (jedenfalls wird es, wenn sich die schädigende Einwirkung über mehrere Schichten hinweg entfaltet hat,
kaum widerlegbar sein, wenn ein Geschädigter geltend macht, der Schaden sei innerhalb einer einzigen Schicht
aufgetreten), was - wenn man der Argumentation des BSG im Urteil vom 12.04.2005 folgen würde - bereits ausreichen
würde, um einen versicherten Unfall zu bejahen. Andererseits wäre es auch schwer nachvollziehbar, warum bei einer
nicht sicher nachgewiesenen Einwirkung innerhalb einer Schicht vom Schaden auf das schädigende Ereignis zurück
geschlossen werden dürfte, andererseits bei einer nachgewiesenen (kausalen) Einwirkung von einer die Dauer einer
Schicht übersteigenden Zeit im Sinne eines Summationseffekts (vgl. z.B. Schwerdtfeger, in: Lauterbach,
Unfallversicherung Sozialgesetzbuch VII, § 8, RdNr. 29) ein Versicherungsfall im Sinne eines Arbeitsunfalls oder einer
Berufskrankheit ausgeschlossen sein sollte.
Insofern erscheint es dem Gericht auch unpräzise, wenn der Begriff des Unfalls lediglich auf die Funktion eines
Abgrenzungsmerkmals gegenüber Schäden infolge innerer Ursache reduziert wird (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 550 Nr.
35). Denn mit dieser Auslegung würde wiederum - wie bereits oben dargestellt - eine Vermengung der
Tatbestandsmerkmale Unfall einerseits und Kausalität andererseits erfolgen. Dabei ist dem Gericht sehr wohl
bewusst, dass die von ihm kritisierte Vermengung im Regelfall nicht von Einfluss auf die Entscheidung sein wird.
Denn in den Fällen, in denen nach Ansicht des Gerichts bereits ein Unfall nicht gegeben ist, wird bei der
vermengenden Auslegung des Unfallbegriffs regelmäßig die Kausalität zu verneinen sein. Eine Ablehnung von
Ansprüchen mit Hinweis auf die fehlende Kausalität ist selbstredend rechtlich nicht zu beanstanden, wobei aus
Gründen der Rechtssystematik in derartigen Fällen deutlich werden sollte, dass die Frage des Arbeitsunfalls ungeprüft
geblieben ist. Von Bedeutung wird die präzise Definition des Unfallbegriffs jedoch dann, wenn bei der Abwägung zur
Kausalität ein Übergewicht zu Gunsten eines Unfallzusammenhangs entstehen würde.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Definition des Unfallbegriffs allein über die Unfreiwilligkeit des
Schadens über den der Auslegung zugänglichen Interpretationsspielraum der anwendenden Gerichte hinausgehen
würde. Eine derartige Korrektur könnte nur der Gesetzgeber selbst, nicht die Rechtsprechung vornehmen.
Zu c.:
Sollte der Begriff der "ungewollten Einwirkung" dahingehend verstanden werden, dass damit all die Einwirkungen vom
Unfallbegriff ausgeschlossen werden sollen, die auf einer willensgesteuerten körperlichen Aktion mit (möglicherweise
auch schädigenden) Einwirkungen auf Körper oder Psyche beruhen oder die mit einer derartigen Aktion zwingend
verbunden sind, so würde damit der Rahmen des Unfallbegriffs im Sinne eines unerwarteten Ereignisses (wie es unten
noch näher erläutert werden wird) eingehalten. Jedoch stellt sich auch bei dieser Auslegung die Frage, inwiefern das
Kriterium einer "ungewollten Einwirkung" bei der Suche nach Rechtsklarheit hilfreich sein könnte. Denn die
Abgrenzung zwischen einer noch gewollten (einen Unfall ausschließenden) und einer ungewollten (einen Unfall
begründenden) Einwirkung wäre aus Sicht des Gerichts nicht präzise möglich. Dies sei anhand einer Fallkonstellation
ähnlich wie der beim Urteil des BSG von 12.04.2005 deutlich gemacht: Hebt ein Mensch einen schweren Stein an, ist
damit jedenfalls betreffend die Armmuskulatur eine gewollte Kraftanstrengung verbunden. Kommt es zum Riss der
Bizepssehne oder des Bizeps, müsste von einer gewollten Krafteinwirkung ausgegangen werden, da dieser Muskel-
Sehnen-Bereich gezielt zum Anheben des Steins eingesetzt worden ist. Fraglich wird die Bewertung aber dann, wenn
die gewollte Krafteinwirkung im Sinne einer Muskelanspannung nicht mehr so augenfällig ist. Wie wäre z.B. der Fall
zu bewerten, wenn es beim Anheben zum Bandscheibenschaden kommt? Eine einigermaßen klare Abgrenzung
könnte sich das Gericht allenfalls darin vorstellen, wenn sämtliche Einwirkungen, die typischerweise bei einer
gewillkürten Kraftanstrengung auf den Körper auftreten, als ungeeignet betrachtet würden, einen Unfall zu begründen.
Dass eine derartige, systemgerechte Auslegung praktikabel wäre, muss aber bezweifelt werden. Denn es wären dann
in Fällen wie dem vom BSG am 12.04.2005 entschiedenen regelmäßig höchst komplexe medizinische/physikalische
Fragestellungen zu beantworten, wobei zudem wiederum die Gefahr bestünde, dass eine trennscharfe Abgrenzung
von der eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfenden Kausalitätsfrage nicht eingehalten würde.
Zusammenfassend sieht das Gericht daher in dem Begriff der "ungewollten Einwirkung" kein Abgrenzungsmerkmal,
das über die bereits bekannten Kriterien hinaus eine weiter klare Entscheidungshilfe geben könnte. Der Auslegung des
BSG im Urteil vom 12.04.2005 kann das Gericht deshalb nicht folgen.
Zum 2. Spiegelstrich - übrige Rechtsprechung und Begutachtungsliteratur, die eine äußere unvorhergesehene
Einwirkung verlangt, auf die der Verletzte nicht eingestellt ist:
Aus den oben unter den Ausführungen zu den dargestellten denkbaren Auslegungsmöglichkeiten dargelegten Gründen
geht das Gericht mit der überzeugenden Rechtsprechung des Bay LSG (vgl. z.B. Urteil vom 22.02.2005, Az.: L 17 U
370/03) davon aus, dass ein Unfallereignis nur dann gegeben ist, wenn es sich um "plötzliche und unerwartete äußere
Krafteinwirkungen, die unkoordiniert sind", handelt, ein Unfallereignis dagegen ausgeschlossen ist, wenn es sich zwar
um "eine vermehrte Kraftanstrengung" handelt, auf die der Versicherte aber "eingestellt" war. Diese Abgrenzung
entspricht der wiederholten obergerichtlichen Rechtsprechung zum sog. "Verhebetrauma". Beispielhaft sei nur auf die
Urteile des Bay LSG vom 24.10.2002, Az.: L 3 U 319/02, und vom 15.02.2001, Az.: L 17 U 344/99, verwiesen, in
denen jeweils bereits das Vorliegen eines Unfallereignisses abgelehnt und auch ausdrücklich (im erstgenannten Urteil)
darauf hingewiesen worden ist, dass bereits die Wortverbindung "Verhebetrauma" unfallmedizinisch ein Widerspruch
in sich ist, da schweres Heben allein kein Unfallereignis ist. Ein Unfallereignis kann daher in Übereinstimmung mit der
aufgezeigten und stringenten Rechtsprechung des Bay LSG nur angenommen werden, wenn eine unerwartete, nicht
jedoch wenn eine willentliche Kraftanstrengung vorliegt, wobei diese Krafteinwirkung nach den allgemeinen
Grundsätzen im Vollbeweis nachgewiesen sein muss. Daran, dass die Rechtsprechung zum Verhebetrauma
generalisiert werden kann und auch auf Fälle zu übertragen ist, bei denen der Schaden in anderen Körperbereichen
eingetreten ist, bestehen für das Gericht keinerlei Zweifel.
Dass allein diese Auslegung des Unfallbegriffs zutreffend ist, ergibt sich für das Gericht auch aus dem Grundsatz der
Einheit der Rechtsordnung. Der Begriff der Einheit der Rechtsordnung versteht sich als Forderung eines in sich
widerspruchsfreien Systems wertender Rechtssätze, d.h. als Freiheit von Wertungswidersprüchen im Recht, wobei die
rechtliche Grundlage in dem in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verankerten Willkürverbot liegt. Wie ansatzweise aus der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Dienstunfallrecht erkennbar ist, ganz deutlich aber aus der
zivilgerichtlichen Rechtsprechung zum Recht der privaten Unfallversicherung wird, ist dort ein Unfall jeweils
ausgeschlossen, wenn es sich um eine willentliche Kraftanstrengung handelt, ohne dass damit etwas
Unvorhergesehenes im Ablauf, also eine Störung verbunden wäre. Unterschiede im Unfallbegriff der genannten
Rechtsbereiche sind nach Gesetzeswortlaut bzw. Wortlaut der von der Rechtsprechung gebilligten einschlägigen
Versicherungsbedingungen und Intention im Rahmen der Rechtsetzung nicht zu erkennen (ausdrücklich zum
Dienstunfallrecht: vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R). Es hat daher im Sinne der Einheit der
Rechtsordnung eine gleichartige Auslegung zu erfolgen. Ansatzpunkte dafür, dass diese Einheit nicht im Sinne der
Auslegung des vorgenannten 2. Spiegelstriches zu erfolgen hätte, sieht das Gericht nicht, da alle anderen
Auslegungsweisen aus den oben dargelegten Gründen nicht haltbar oder überzeugend sind.
Auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen bedeutet dies Folgendes:
Für die Anerkennung des Ereignisses vom 15.11.2002 als versicherten Arbeitsunfall sowie die Anerkennung des
Achillessehnenrisses als Folge eines derartigen Unfalls wäre es erforderlich, dass ein Unfallereignis im Rahmen des
Vollbeweises nachgewiesen ist. Dieser Beweis ist nicht gelungen.
Von einem Unfallereignis könnte nur dann ausgegangen werden, wenn eine plötzliche und unerwartete Krafteinwirkung
auf die Achillessehne erfolgt wäre.
Eine derartige Einwirkung wäre dann gegeben, wenn der Kläger beim (Wieder-)Anschieben ausgerutscht wäre oder er
beim Schieben überraschend gestoppt worden wäre. Beides ist nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen:
- Ausrutschen beim (Wieder-)Anschieben:
Ein Ausrutschen des Klägers beim (Wieder-)Anschieben wurde erstmals mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom
24.08.2004 vorgetragen, nachdem bis dahin von einem Wegrutschen nie die Rede war. Insofern hat das Gericht nicht
unerhebliche Zweifel daran, ob der Kläger tatsächlich ausgerutscht ist. Diese Zweifel begründen sich wie folgt: Sowohl
den behandelnden Ärzten als auch dem Gutachter im Verwaltungsverfahren gegenüber hat der Kläger immer
angegeben, dass er beim Anschieben des Servicewagens einen plötzlichen Schmerz verspürt habe. Erst mit der
Klagebegründung, also zu einem Zeitpunkt, zu dem dem Kläger bekannt war, dass ein Unfallereignis wegen des
fehlenden Ausrutschens abgelehnt werde, rund 1¾ Jahre nach dem Unfall, machte er erstmals Angaben, wonach er
ausgerutscht sei. Die von den Bevollmächtigten des Klägers dazu abgegebene Begründung, der Kläger sei nie
genauer gefragt worden, ist diesbezüglich nicht geeignet, die Zweifel des Gerichts an der Richtigkeit der später
erfolgten Angabe, er sei ausgerutscht, auszuräumen. Denn zumindest bei der gutachtlichen Untersuchung durch Dr.
G. wurde der Kläger eingehend zum Unfallhergang befragt. Angesichts der damals gemachten, vergleichsweise
detaillierten Angaben erscheint es dem Gericht kaum nachvollziehbar, dass ein Ausrutschen - sofern es denn
tatsächlich gegeben gewesen wäre - damals nicht erwähnt worden wäre. Weitere Zweifel an der Richtigkeit der später
gemachten Angaben begründen sich damit, dass diese erst zu einem Zeitpunkt gemacht worden sind, als auch dem
Kläger klar gewesen sein muss, dass erst mit den später vorgetragenen Angaben zum Unfall, also mit der Angabe
eines Ausrutschens, ein Unfallereignis begründet werden könnte. Schließlich ist zu beachten, dass den Erstangaben
eines Verletzten nach ständiger Rechtsprechung ein erhöhter Beweiswert zukommt (vgl. z.B. Bay LSG, Urteil vom
09.05.2001, Az.: L 17 U 68/96) und hier in den Erstangaben (und auch in den danach über einen Zeitraum von rund
1¾ Jahren folgenden Auskünften des Klägers) ein Ausrutschen keine Erwähnung gefunden hat. Insofern bestehen
weiterhin Zweifel daran, ob der Kläger tatsächlich ausgerutscht ist. Ein Ausrutschen und damit ein Unfallereignis sind
damit im Vollbeweis nicht nachgewiesen.
- Überraschendes Stoppen beim Schieben:
Ein derartiges Stoppen (mit daraus resultierenden Sehnenverletzung), das einen Unfall begründen würde, da es eine
plötzliche und unerwartete Krafteinwirkung darstellen würde, ist nach sämtlichen Angaben des Klägers zu allen
Zeitpunkten des Verfahrens auszuschließen. Der Kläger hat einheitlich angegeben, dass er den Riss in der Wade und
den Schmerz in der Wade beim (Wieder-)Anschieben verspürt hat. Das Abstoppen des Servicewagens durch die
Schwelle mit der daraus ggf. resultierenden überraschenden Krafteinwirkung führte nach den eigenen Angaben des
Klägers nicht zum Schmerz und Rissgefühl, sondern erst das Wiederanschieben. Ein Unfall im Sinne eines
überraschenden Stoppens beim Schieben ist damit auszuschließen.
Ein bloßes Anschieben des Servicewagens ohne Ausrutschen, von dem nach den obigen Ausführungen auszugehen
ist, stellt schließlich kein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dar. Unter Berücksichtigung der
obigen Ausführungen zum Begriff des Unfallereignisses ist das Anschieben als willentliche Kraftanstrengung zu
betrachten. Der Kläger verspürte nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt beim Wiederanschieben den Schlag
oder Riss in der Wade. Eine plötzliche und unerwartete Krafteinwirkung war damit nicht verbunden. Vielmehr lag eine,
wenn auch erhebliche, so doch beabsichtigte Kraftanstrengung vor.
Nachdem ein Unfallereignis nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist, ist die Klage abzuweisen.
Auf die Frage eines möglichen Zusammenhangs zwischen Geschehen und Gesundheitsschaden kommt es mangels
Unfall nicht mehr an. Es kann dahin gestellt bleiben, dass gegen einen unfallbedingten Riss der Achillessehne neben
dem Lebensalter des Klägers (vgl. z.B. Schönberger, a.a.O., S. 485) nur das Fehlen eines im Vollbeweis
nachgewiesenen geeigneten Unfallereignisses im Sinne der Begutachtungsliteratur spricht (vgl. Schönberger, a.a.O.,
S. 488, 495: Eine willentliche Kraftanstrengung genügt nicht für die Zerreißung der Achillessehne, da in der Kette
Knochen- Sehne-Muskulatur der Muskel und nicht die Sehne die schwächste Stelle darstellt. Bei einer willentlichen
Kraftanstrengung reißt daher nicht die Sehne, sondern der Muskel. Reißt dagegen die Sehne, ist dies der Beleg dafür,
dass die Sehen vorgeschädigt war und bei jeder anderen normalen Verrichtung des alltäglichen Lebens, die die
verbliebene Zugfestigkeit überschritten hätte, gerissen wäre. Wegen der Austauschbarkeit des Unfallereignisses ist
das Unfallereignis daher für den Sehnenriss rechtlich nicht wesentlich.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.