Urteil des SozG Augsburg vom 09.02.2009

SozG Augsburg: wartezeit, aufwand, fahrtkosten, vergleich, auflage, gebühr, post, verschulden, verzinsung, entstehung

Sozialgericht Augsburg
Kostenbeschluss vom 09.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 3 SF 122/08 KO
In Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 09.12.2008 werden die von der Erinnerungsgegnerin für das
Berufungsverfahren zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 967,29 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist im Erinnerungsverfahren die Höhe der von der Erinnerungsgegnerin (Eg) für das Berufungsverfahren zu
erstattenden außergerichtlichen Kosten.
Mit Urteil vom 24.04.2007 hatte die 1. Kammer des Sozialgerichts Augsburg die Eg verpflichtet den
Erinnerungsführerinnen (Ef) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.05.2005 bis
31.03.2007 zu zahlen. Mit der von der Eg zuvor angebotenen darlehensweisen Gewährung waren die Ef nicht
einverstanden gewesen. Die Eg legte gegen das Urteil vom 24.04.2007 Berufung zum Bayerischen
Landessozialgericht ein (L 16 AS 148/07). Dieses bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung auf Mittwoch,
30.07.2008, 12.15 Uhr. In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist als Beginn der Verhandlung 16:40 Uhr
und als Ende 17:40 Uhr vermerkt. Die Beteiligten schlossen in dem Termin einen Vergleich, in dem sich die Eg bereit
erklärte, 3/4 Kosten der Ef zu übernehmen.
In seiner Honorarnote vom 07.08.2008 bezifferte der Bevollmächtigte der Ef die außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens zweiter Instanz wie folgt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3204 VV RVG - Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG 500,00 EUR Terminsgebühr, Nr. 3205 VV
RVG 320,00 EUR Einigungsgebühr, Nr. 1007, 1005 VV RVG 240,00 EUR Fahrtkosten, Nr. 7003 VV RVG 42,00 EUR
Tagegeld, Nr. 7005 VV RVG 60,00 EUR Post und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme
netto 1.182,00 EUR Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG 224,58 EUR Gesamtbetrag 1.406,58 EUR
Die Eg hielt demgegenüber nur einen Betrag von 1.146,92 EUR für angemessen und ging abweichend von den
Vorstellungen der Ef von einer Verfahrensgebühr in Höhe von 403,00 EUR, einer Terminsgebühr in Höhe von 200,00
EUR sowie Fahrtkosten von 40,80 EUR aus.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.12.2008 setzte die Kostenbeamtin die zu erstattenden außergerichtlichen
Kosten auf 886,97 EUR fest. Sie legte diesem Betrag folgende Berechnung zu Grunde:
Verfahrensgebühr (erhöht nach Nr. 10008 VV RVG), Nr. 3204 VV RVG 403,00 EUR Terminsgebühr, Nr. 3205 VV RVG
230,00 EUR Einigungsgebühr, Nr. 1007 VV RVG 240,00 EUR Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Reisekosten, Nr. 7003 VV RVG 40,80 EUR Tagegeld, Nr. 7005 VV RVG 60,00 EUR Zwischensumme 993,80 EUR
Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG 188,82 EUR Insgesamt 1.182,62 EUR
hieraus 3/4 laut Vergleich vom 30.07.2008 886,97 EUR
Auch unter Berücksichtigung einer überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Ef sei eine
Verfahrensgebühr lediglich in Höhe der Mittelgebühr gerechtfertigt. Da der Termin 60 Minuten gedauert habe sei in
Bezug auf die Terminsgebühr eine Überschreitung der Mittelgebühr um 15 % gerechtfertigt.
Gegen die Höhe der festgesetzten Verfahrensgebühr und Terminsgebühr richtet sich die Erinnerung der Ef. Der
Angelegenheit sei für sie von überdurchschnittlicher Bedeutung und für den Bevollmächtigten von
überdurchschnittlicher Schwierigkeit gewesen. Bei der Bestimmung der Terminsgebühr sei auch die Wartezeit von
12.15 Uhr bis 17. 40 Uhr zu berücksichtigen. Die Eg hat hierzu vorgetragen, dass die Verfahrensgebühr mit dem
Ansatz der Mittelgebühr zutreffend bestimmt worden sei. Die Terminsgebühr richte sich nach der Dauer und dem
Umfang des Termins, nicht nach der vorausgegangenen Wartezeit. Es sei ihr nicht zumutbar Mehrkosten wegen einer
von ihr nicht zu vertretenden Verzögerung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu übernehmen. Das Gericht hat
die Streitakte L 16 AS 148/07 beigezogen und sich von der Berichterstatterin des zweitin-stanzlichen Verfahrens die
geltend gemachte Wartezeit am 30.07.2008 bestätigen lassen.
II.
Das Gericht ist zur Entscheidung befugt (auf 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die zulässige Erinnerung ist
teilweise begründet. Im Übrigen war sie zurückzuweisen.
Rechtsgrundlage und Prüfungsmaßstab für die im Erinnerungsverfahren streitig gebliebene Höhe der zu erstattenden
Termins- und Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren sind die §§ 3 und 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
(RVG). Nach § 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände,
vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der
Einkommens - und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Zu beachten ist dabei auch
das dem RVG als Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG angefügte Vergütungsverzeichnis (VV). Dort ist geregelt, dass der
Anwalt in Verfahren vor den Landessozialgerichten, in denen - wie vorliegend - Betragsrahmengebühren entstehen,
eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3204 VV RVG von 50 EUR bis 570 EUR und für die Wahrnehmung des Termins zur
mündlichen Verhandlung eine Terminsgebühr nach Nummer 3205 VV RVG von 20 EUR bis 380 EUR erhält. Nach
dem Willen des Gesetzgebers steht ihm dabei in Verfahren mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem
Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den durchschnittlich begüterten Mandanten die Mittelgebühr (hier: 310
EUR bzw. 200 EUR) zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung: es müssen sämtliche den Gebührenanspruch
potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander im Einzelfall abgewogen werden.
Die Eg hat den Ef keine höhere Verfahrensgebühr als 403 EUR zu erstatten. Diesen Betrag hat die Kostenbeamtin in
ihrem Beschluss vom 09.12.2008 in Anwendung von Nr. 3204 und 1008 VV RVG mit der Mittelgebühr in zutreffender
Höhe festgesetzt. Bezogen auf das Berufungsverfahren kann für die Ef von einer durchschnittlichen Bedeutung der
Angelegenheit ausgegangen werden. Dies ergibt sich daraus, dass zum einen zu diesem Zeitpunkt im Juli 2008 nur
noch über einen in der Vergangenheit liegenden Bedarfsanspruch zu entscheiden war. Zum anderen ist den Ef zu
widersprechen, wenn sie vortragen, die Angelegenheit sei deshalb von besonderer Bedeutung für sie gewesen, weil
die Eg Leistungen für 22 Monate völlig abgelehnt habe. Denn dieser Vortrag trifft nicht zu. Die Eg hatte ihnen im
Vorfeld des Rechtsstreits eine darlehensweise Gewährung angeboten und die Leistungserbringung erst dann versagt,
als die Ef dieses Angebot nicht angenommen hatten.
Das zweitinstanzliche Verfahren dauerte lediglich sieben Monate. In Bezug auf den Streitgegenstand traten keine
Änderungen ein, so dass sich der Bevollmächtigte der Ef auf eine ca. eineinhalbseitige Berufungserwiderung und die
Beantwortung einer richterlichen Rückfrage beschränken konnte. Im Übrigen war er mit der Thematik des
Rechtsstreits aus dem erstinstanzlichen Verfahren bestens vertraut. In seiner Gebührennote hat er hierfür die
Mittelgebühr angesetzt. Es sind weder Gesichtspunkte erkennbar noch vorgetragen, die es rechtfertigen würden für
die zweite Instanz hiervon abzuweichen. Ein Überschreiten der Mittelgebühr ist daher insgesamt nicht gerechtfertigt
und die Gebührenbestimmung des Bevollmächtigten in diesem Punkt unbillig und damit nicht verbindlich (§ 14 Abs. 1
Satz 4 RVG).
Die von den Bevollmächtigten der Ef für die zweite Instanz festgesetzte Terminsgebühr von 320 EUR (Nr. 3205 VV
RVG) ist nicht unbillig (§ 14 Abs. 1 RVG). Insoweit war der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.12.2008
abzuändern.
Die Terminsgebühr ist mit Einführung des RVG an die Stelle der Verhandlungs -, Beratungs - und Beweisgebühr
getreten. Für ihre Entstehung genügt, dass der Anwalt einen Termin wahrnimmt. Verdient wird die Gebühr dafür, dass
der Rechtsanwalt an dem Termin teilnimmt und willens ist, im Interesse seines Mandanten die Verhandlung,
Erörterung oder Beweisaufnahme zu verfolgen, um gegebenenfalls - falls dies erforderlich wird - einzugreifen
(Gerold/Schmidt u.a., RVG, Kommentar, 17. Auflage, VV Vorbemerkung 3, Rn. 64).
Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30.07.2008 dauerte ausweislich der Sitzungsniederschrift 60 Minuten.
Bereits dieser Umstand rechtfertigt eine von der Mittelgebühr nach oben abweichende Gebührenbestimmung, weil
damit die mit ca. 30 Minuten anzunehmende durchschnittliche Verhandlungsdauer erheblich überschritten wurde. Zu
berücksichtigen ist darüber hinaus die Wartezeit des Bevollmächtigten der Ef bis zum Beginn der Verhandlung.
Terminiert war die Angelegenheit auf 12.15 Uhr und wurde abweichend davon erst um 16:40 Uhr aufgerufen. Dies hat
die Berichterstatterin des Verfahrens dem Gericht bei seiner telefonischen Rückfrage am 06.02.2009 bestätigt.
Grundsätzlich muss ein Bevollmächtigter vor Gericht in gewissem Umfang Wartezeiten hinnehmen. Gerade, wenn im
vorausgegangenen Verfahren Zeugeneinvernahmen durchzuführen waren können so Verzögerungen von 15 Minuten
und mehr entstehen. Dies ist hinzunehmen und wird von der Anwaltschaft so auch akzeptiert, insbesondere
gebührenrechtlich nicht geltend gemacht. Bei einer Wartezeit von nahezu viereinhalb Stunden kann dies jedoch nicht
mehr erwartet werden. Der nach den Maßstäben des § 14 RVG mit der Mittelgebühr zu vergütende "normale" zeitliche
Aufwand des Rechtsanwalts für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung in sozialgerichtlichen Verfahren wird in
so einem Fall erheblich überschritten und damit gebührenrechtlich relevant. Das Gericht hat daher unter
Berücksichtigung sowohl der Wartezeit wie auch der überdurchschnittlichen Verhandlungsdauer des Termins selbst
keine Bedenken die Terminsgebühr - wie vom Bevollmächtigten der Ef gefordert - mit 320 EUR festzusetzen.
Der hiergegen von der Eg erhobene Einwand, sie habe die Verzögerung des Termins nicht zu vertreten, geht ins
Leere. Denn die Höhe der konkretisierten Betragsrahmengebühren erfolgt allein in Anwendung der
Tatbestandsmerkmale des § 14 RVG. Auf ein Vertreten – müssen oder gar Verschulden ist dabei nicht abzustellen.
Gegen eine durch die besonders lange Wartezeit bedingte Erhöhung der Terminsgebühr spricht auch nicht, dass der
Bevollmächtigte ein Tagegeld nach Nr. 7005 VV RVG für eine mehr als achtstündige Abwesenheit von der Kanzlei
erhält. Mit diesem pauschalierten Betrag wird er für die Mehrkosten, die durch die Geschäftsreise verursacht werden
und dafür entschädigt, dass er wegen der Reise sonstige Geschäfte nicht ausüben konnte (Gerold/ Schmidt u.a.,
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 17. Auflage, 7005 -7007 VV, Anm. 1). Die wegen der Wartezeit
ausgesprochene Erhöhung der Terminsgebühr hat ihren Grund demgegenüber gerade nicht in der durch den
Auslagentatbestand Nr. 7005 VV RVG erfassten Abwesenheit von der Kanzlei, sondern in dem, von dem mit der
Mittelgebühr erfassten Normalfall, deutlich abweichenden zeitlichen Aufwand in der der Kostenfestsetzung zu Grunde
liegenden Streitsache. Insofern liegt dem Gebührentatbestand Nr. 7005 VV RVG ein völlig anderer
Regelungsgegenstand zu Grunde.
Insgesamt ergibt sich somit folgende Festsetzung:
Verfahrensgebühr, Nr. 3204, 1008 VV RVG 403,00 EUR Terminsgebühr, Nr. 3205 VV RVG 320,00 EUR
Vergleichsgebühr, Nr. 1007 VV RVG 240,00 EUR Fahrtkosten, Nr. 7003 VV RVG 40,80 EUR Tagegeld, Nr. 7005 VV
RVG 60,00 EUR Dokumentenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme 1.083,80 EUR
Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG 205,92 EUR Summe 1.289,72 EUR Hieraus 3/4 967,29 EUR
Bezüglich der Verzinsung hat der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.12.2008 weiter Bestand.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Er ist nach § 197 Abs. 2 SGG nicht anfechtbar.