Urteil des SozG Altenburg vom 02.03.2009

SozG Altenburg: vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, deckung, grundstück, wohnraum, eigentum, verpachtung, sozialhilfe, vermietung, glaubhaftmachung

Sozialgericht Altenburg
Beschluss vom 02.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Altenburg S 23 AS 130/09 ER
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bei den der Antragstellerin gewährten
Kosten der Unterkunft für zwölf Monate, längstens jedoch bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom
27.11.2008, zusätzlich die Stundungsraten nach dem Stundungsbescheid des Z. vom 11.02.2009 in Höhe von 30,-
EUR monatlich zu berücksichtigen.
2. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin bezieht von der Antragsgegnerin laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie ist Eigentümerin des Grundstücks S. in L. und wurde durch den
Zweckverband Wasserversorgung und Abwasserversorgung Altenburger Land (ZAL) mit Bescheid vom 20.10.2008
verpflichtet, einen Beitrag zur Deckung zur Deckung des Aufwandes für die Herstellung/Anschaffung der öffentlichen
Entwässerungseinrichtung in Höhe von 904,05 EUR zu zahlen. Die Antragstellerin beantragte bei dem Antragsgegner
die Übernahme dieser Aufwendungen als Kosten der Unterkunft, dies lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom
27.11.2008 ab. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch, über den bisher noch nicht entschieden ist. Mit
Bescheid vom 11.02.2009 stundete der ZAL die Beitragsforderung gegen eine Ratenzahlung von monatlich 30,- EUR.
Auf den Bescheid vom 11.02.2009 (Bl. 30/31 d. A.) wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin hat am 14.01.2009 den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Sie ist der Ansicht, der zu zahlende Beitrag gehöre zu den Kosten der Unterkunft. Der Beitrag führe nicht zum
Vermögenszuwachs, da durch die dem Beitrag zugrundeliegenden Aufwendungen der Verkehrswert des Grundstücks
nicht wesentlich erhöht werde. Auch habe die Antragstellerin wegen des bestehenden Anschluss- und
Benutzungszwanges keinerlei Einfluss auf die Entstehung des Beitrages.
Sie beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin Kosten der Unterkunft einschließlich der Teilzahlungsbeträge in
Höhe von monatlich 30,- EUR auf die Kosten für die Herstellung/Anschaffung der öffentlichen
Entwässerungseinrichtung des ZAL nach § 22 SGB II zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Ansicht, Beiträge für die Herstellung/Anschaffung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung gehörten, wie
sich auch aus der Unterkunftsrichtlinie des Antragsgegners ergebe, nicht zu den zu berücksichtigenden
Unterkunftskosten, da es sich nicht um Aufwendungen für den Wohnraum, sondern um Lasten aus dem Eigentum an
Grund und Boden handele. Des weiteren führe der Anschluss an das Entwässerungssystem zu einem, wenn auch
geringen, Vermögenszuwachs. Eine Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen mit wertsteigerndem Charakter
bestehe jedoch nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte
des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1
(vorläufiger Rechtsschutz in Anfechtungssachen) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf
den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige
Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zu Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den
Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (Notwendigkeit zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes) sowie eines Anordnungsanspruches (Recht des Antragstellers bzw. streitiges
Rechtsverhältnis) (vgl. Thüringer LSG vom 08.03.2005, Az. L 1 AS 112/05 ER).
Da in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage statthaft ist, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
statthaft.
Der Antrag ist auch begründet.
Es besteht ein Anordnungsanspruch auf Übernahme der zu zahlenden Raten für die Entwässerungseinrichtung.
Rechtsgrundlage ist § 22 Abs. 1 SGB II. Hiernach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Hierbei sind die Besonderheiten bei selbst
genutzten Eigenheimen zu berücksichtigen. Zu den angemessenen Kosten der Unterkunft bei Eigenheimen zählen
alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind
(ThürLSG, Beschl. v. 31.01.2006, Az. L 7 AS 770/05 ER, zit. nach juris). Dies entspricht auch der Handhabung im
Rahmen der Sozialhilfe vor Einführung des SGB II, wonach als Kosten der Unterkunft die Aufwendungen, die als mit
dem Eigentum unmittelbar verbundenen Lasten zu tragen sind, berücksichtigt wurden (BVerwG, Urt. v. 07.05.1987,
Az. 5 C 36/85 zit. nach juris).
Gemäß § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII ist bei der Frage, was bei Vermietung und Verpachtung als
Einkommen anzusetzen ist, der Überschuss der Einnahmen über die mit ihrer Erzielung verbundenen Ausgaben
anzusetzen. Nach Nr. 2 gehören zu den Ausgaben Steuern vom Grundbesitz, sonstige öffentliche Abgaben und
Versicherungsbeiträge. Diese Regelung ist auf das SGB II übertragbar, schon um die Gleichbehandlung von
Empfängern von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe zu gewährleisten.
Bei den Beiträgen für die Entwässerungseinrichtung handelt es sich um "sonstige öffentliche Abgaben" in diesem
Sinne. Öffentliche Abgaben sind hoheitlich geltend gemachte öffentlich-rechtliche Geldforderungen, die von allen
erhoben werden, die einen normativen Tatbestand erfüllen, und zur Deckung des Finanzbedarfs des Hoheitsträgers für
die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienen. Zu den öffentlichen Abgaben gehören neben den Steuern auch
Beiträge und Gebühren. Beiträge sind Geldleistungen, die zur vollen oder teilweisen Deckung des Aufwandes einer
öffentlichen Einrichtung von denjenigen erhoben werden, denen die Herstellung oder der Bestand der Einrichtung
besondere Vorteile gewährt. Dabei genügt es, dass der Pflichtige die Möglichkeit hat, diese Vorteile in Anspruch zu
nehmen (SG Dresden, Urt. v. 10.07.2006, Az. S 34 AS 293/05). Durch die Herstellung/Anschaffung der
Entwässerungseinrichtung wird auch dem Grundstück der Antragstellerin die Möglichkeit eines besonderen Vorteils
gewährt; bei dem unter Berufung auf das Thüringer Kommunalabgabengesetz (ThürKAG) und die Beitrags- und
Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des ZAL erhobenen Beitrag handelt es sich somit um einen Beitrag in
diesem Sinne und damit um eine öffentliche Abgabe.
Da dieser Beitrag von den Einkünften abzusetzen wäre, hätte die Antragstellerin das Grundstück vermietet, handelt
es sich um Aufwendungen für die Unterkunft. Dass hierbei ein gewisser Vermögenszuwachs entsteht, steht einer
Einordnung der Beiträge als Kosten der Unterkunft nicht entgegen. Auch Reparatur- und Instandhaltungskosten
gehören grundsätzlich zu den Kosten der Unterkunft, obwohl hierdurch eine Wertsteigerung erreicht wird. Ein
Vermögenszuwachs wird vom Gesetz nicht ausdrücklich ausgeschlossen, vielmehr ist er, soweit er für Erhaltung der
Unterkunft erforderlich ist, zu tolerieren. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin sich weder der
Zahlung der Beiträge noch dem -wohl äußerst geringen- Vermögenszuwachs entziehen kann.
Unerheblich ist, dass es sich nicht um eine in direktem Zusammenhang mit dem Wohnraum stehenden Aufwendung,
sondern um eine mit dem Eigentum an Grund und Boden verbundene Last handelt. Ein Gebäude gehört zu den
wesentlichen Bestandteilen des Grundstücks (§ 94 BGB) und kann daher grundsätzlich nicht Gegenstand besonderer
Rechte sei, so dass eine Unterscheidung zwischen auf dem Wohnraum und auf dem Grundstück liegenden Lasten
nicht möglich ist.
Ob die Unterkunftsrichtlinie des Antragsgegners eine Übernahme derartiger Beiträge ausschließt, ist unerheblich. Es
handelt sich hierbei lediglich um eine Verwaltungsvorschrift, welche die gesetzliche Regelung nicht außerkraftsetzen
kann. Vielmehr ist die Unterkunftsrichtlinie insoweit rechtswidrig.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Die Leistungen nach dem SGB II dienen der Gewährleistung des
soziokulturellen Existenzminimums, so dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes
nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Es ist zu berücksichtigen, dass die Zahlungen von 30,- EUR monatlich fast
ein Zehntel der Regelleistung nach § 20 SGB II ausmachen, so dass ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der
Hauptsache nicht zumutbar ist.
In Anlehnung an § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II wird der Antragsgegner zu einer Berücksichtigung der Beiträge für vorerst
zwölf Monate -vorbehaltlich des Eintritts der Bestandskraft des Bescheides vom 27.11.2008 bzw. einer anderen
Entscheidung in der Hauptsache- verpflichtet, da eine Veränderung der Verhältnisse in diesem Zeitraum nicht zu
erwarten ist. Für eine längere Verpflichtung ist angesichts der Regelung des § 41 Abs. 1 SGB II, wonach Leistungen
immer nur auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt bewilligt werden sollen und zwölf Monate die Höchstgrenze sind,
kein Raum.
Dieser Beschluss ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG unanfechtbar, da in der Hauptsache wegen des Nichterreichens
der Wertes des Beschwerdegegenstandes von 750,- EUR nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG die Berufung nicht
zulässig wäre.