Urteil des SozG Aachen vom 08.12.2009
SozG Aachen (treu und glauben, krankenkasse, form und inhalt, unterlagen, auskunft, daten, leistung, abrechnung, ohg, abgabe von hilfsmitteln)
Sozialgericht Aachen, S 13 KR 136/07
Datum:
08.12.2009
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 KR 136/07
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 16 KR 266/09
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, Auskunft zu erteilen über sämtliche
Leistungs- und Abrechnungsvorgänge, in denen die Beklagte im
Abrechnungszeitraum 01.01.2001 bis 31.12.2003 Leistungen über
Berechtigungsscheine sowie aufgrund vertragsärztlicher Verordnungen
für Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK), der Barmer
Ersatzkasse (Barmer) und der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH)
abgerechnet hat, durch Vorlage der diesbezüglichen Kundenunterlagen
und -daten, insbesondere der betreffenden Auszüge aus der
Kundendatei, Lieferscheine, Lieferantenrechnungen und
Kundenrechnungen, in denen zu den nachstehend aufgelisteten - nach
Name und Geburtsdatum der Versicherten, Ausstellungsdatum der
Verordnung (VO) oder des Berechtigungsscheins (BS) und der
zuständigen Krankenkasse speziizierten - Sehhilfenversorgungen
folgende Angaben enthalten sind: - Befundwerte, (Fern- und
Nahbereich; rechts und links; sphärisch,Zylinder; Achse; Prisma)
inklusive Refraktionsprotokoll, - Grund der Abgabe der Sehhilfe, - Art
und Umfang der erbrachten Leistung inklusive Fassungs- und
Glashersteller, - die mit dem Versicherten abgerechnete Leistung, -
Datum der Bestellung der Sehhilfe beim Lieferanten, sowie (aus dem
jeweiligen Lieferschein des Lieferanten): - genaue Bezeichnung des
gelieferten Artikels nach Artikelnummer, Artikelbezeichnung und
Material, - technische Spezifizierungen und Werte des Artikels, wie z.B.
Radien-Brechwert-Zylinder, Achse oder Durchmesser, - Anzahl der
jeweils gelieferten Artikel. Die Kosten des Verfahrens tragen die
Klägerin zu zwei Dritteln, die Beklagte zu einem Drittel. Der Streitwert
wird auf 29.500,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
1
Die klagende Techniker Krankenkasse (TK) begehrt von der Beklagten im Wege der
Stufenklage Auskunft über Leistungs- und Abrechnungsvorgänge des
2
Versorgungszeitraums 2001 bis 2003 (1. Stufe) und die Erstattung gegebenenfalls
überzahlter Rechnungsbeträge (2. Stufe).
Die Inhaber der Beklagten sind Augenoptiker. Sie versorgten in den Jahren 2001 bis
2003 krankenversicherte Mitglieder der Klägerin und acht weiterer gesetzlicher
Krankenkassen (Ersatzkassen) - Barmer Ersatzkasse (Barmer), Deutsche Angestellten
Krankenkasse (DAK), Gmünder Ersatzkasse (GEK), Hamburgische
Zimmerkrankenkasse (HZK) die Profikrankenkasse, Hamburg Münchener
Krankenkasse (HMK), Handelskrankenkasse (HKK), Hanseatische Krankenkasse
(HEK), Kaufmännische Krankenkasse (KKH) - mit Sehhilfen. Die HZK die
Profikrankenkasse ist seit 01.07.2008 mit der GEK unter deren Namen vereinigt.
Grundlage der Versorgung war (u.a.) der gemäß § 127 Abs. 1 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V) vom 01.07.1994 bis 31.12.2003 geltende Vertrag zwischen
dem Zentralverband der Augenoptiker (ZVA), dessen Mitglied der Beklagte ist,
einerseits und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen
(VdAK)/Arbeiterersatzkassen-Verband (AEV) andererseits; VdAK und AEV sind seit
01.01.2009 im Verband der Ersatzkassen (VdEK), dessen Mitglied die Klägerin und die
weiteren Ersatzkassen sind, zusammengeschlossen. In § 1 Abs. 2 des Vertrages war
geregelt, dass die Vertragsleistungen entweder aufgrund vertragsärztlicher Verordnung
oder aufgrund von Berechtigungsscheinen nach Maßgabe der Anlagen 1 und 2
abgerechnet werden konnten. Berechtigungsscheine stellten die Ersatzkassen ihren
Versicherten auf Anforderung zur Verfügung; für die darauf bezogenen Leistungen war
eine vertragsärztliche Verordnung nicht erforderlich.
3
Nach ihren Angaben erstmals im Jahre 2005 erhielt die Klägerin einen Hinweis einer
Allgemeinen Ortskranken- kasse (AOK) auf Auffälligkeiten und Fehler bei der
Abrechnung von Sehhilfen durch Augenoptiker. Daraufhin begann die Klägerin mit der
Überprüfung der Abrechnungen von Augenoptikern aus den Jahren 2001 bis 2003. Am
25.08.2005 schlossen die Ersatzkassen gemäß § 197a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB V) eine "Kooperationsvereinbarung über die Wahrnehmung der Aufgaben bei der
Bekämpfung von Abrechnungsmanipu- lation". Auf der Grundlage dieser Vereinbarung
bildeten die Ersatzkassen einen Steuerungsausschuss "Abrechnungsmanipulation".
Dieser beschloss in der Sitzung vom 23.04.2007, in Nordrhein-Westfalen ein
Sonderprüfverfahren in Bezug auf Optiker zu installieren. In der Sondersitzung vom
26.07.2007 beschloss der Steuerungsausschuss, dass die Klägerin das Projekt
federführend übernimmt.
4
Am 03.11.2007 erstellte ein Augenoptikermeister für die Klägerin ein Gutachten über
von der Beklagten erbrachte und abgerechnete Leistungen in den Jahren 2001 bis
2003; darin listete der Gutachter 40 Fälle auf, in denen nach seiner Beurteilung
"Auffälligkeiten, welche eine Falschabrechnung vermuten lassen", bestehen.
5
Am 29.12.2007 hat die Klägerin Klage auf Erteilung von Auskunft über sämtliche
Leistungs- und Abrechnungsvorgänge der Jahre 2001 bis 2003 und Erstattung
überzahlter - nach Erfüllung des Auskunftsbegehrens zu beziffernder -
Rechnungsbeträge erhoben. Die Klage ist zunächst gegen H. C. u. G. S., beide
handelnd als "Augenoptik T. OHG" in K., mit Schriftsatz vom 23.11.2009 dann gegen die
Augenoptik T. OHG, Inhaber I. C. und H. S. in K. gerichtet worden.
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Am 20.05. bzw. 20.11.2008 hat die Klägerin Erklärungen von ihr und der Barmer vom
27.03.2008, der DAK vom 16.04.2008, der KKH vom 27.03.2008 bzw. der HEK vom
7
27.03.2008, der HMK vom 17.04.2008, der HKK vom 17.04.2008 und der GEK vom
16.04.2008 sowie 04.11.2008 (als Gesamtrechtsnachfolger der HZK die
Profikrankenkasse) vorgelegt. In diesen Erklärungen heißt es im Wesentlichen
gleichlautend:
"Die Techniker Krankenkasse wurde von uns am 26. Juli 2007 beauftragte die
Abrechnungen von Augenoptikern aufgrund von Berechtigungsscheinen sowie
vertragsärztlichen Verordnungen in dem Zeitraum 2001 bis 2003 zu überprüfen, soweit
Kunden unserer Krankenkassen betroffen sind.
8
Die Techniker Krankenkasse wurde in diesem Zusammenhang von uns am 26. Juli
2007 ermächtigt, alle aus ihrer Sicht notwendigen Schritte nach eigenem Ermessen
durchzuführen. Hierzu gehörte auch die Ermächtigung zum Einzug unserer
Forderungen und die gerichtliche Geltendmachung von Auskunfts- und
Zahlungsansprüchen, im eigenen Namen im Wege der Prozessstandschaft.
9
Nunmehr treten wir an die dies annehmende Techniker Krankenkasse zu
Einziehungszwecken alle eventuellen Ansprüche gegen Optiker im Bundesland
Nordrhein-Westfalen auf Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge ab."
10
Am 30.09.2009 hat die Klägerin die Klage in Bezug auf die DAK, die HEK, die HMK, die
HKK und die GEK/HZK die Profikrankenkasse zurückgenommen. Sie hat von ihr und
der Barmer bzw. der KKH unterzeichnete Erklärungen vom 18.09.2009 bzw. 22.09.2009
vorgelegt mit (u.a.) folgendem Inhalt:
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"Höchstvorsorglich ermächtigen wir hiermit nochmals die Techniker Krankenkasse zur
Durchsetzung unserer Ansprüche auf Rückforderung zu Unrecht geleisteter Zahlungen
aufgrund von Berechtigungsscheinen und vertragsärztlichen Verordnungen im Zeitraum
von 2001 bis 2003 gegen den Optiker Augenoptik T.OHG vor dem Sozialgericht Aachen
in eigenem Namen und nach eigenem Ermessen. Die Ermächtigung umfasst
ausdrücklich das Vorgehen der Techniker Krankenkasse in dem
bezeichnetenRechtsstreit vor dem Sozialgericht Aachen. Sie umfasst insbesondere die
gerichtliche Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen im Wege der
Prozessstandschaft.
12
Die Techniker Krankenkasse nimmt diese Ermächtigungserklärung an."
13
Die Klägerin hat 1463 Abrechnungsfälle jeweils unter Nennung der entsprechenden
Versicherten, von deren Geburtsdaten, der Daten der jeweiligen Verordnung (VO) bzw.
des Berechtigungsscheins (BS) in den Jahren 2001 bis 2003 und der Krankenkasse -
TK, Barmer oder KKH -, der die Versicherten damals angehörten, aufgelistet, über die
sie Auskunft begehrt.
14
Die Klägerin ist der Auffassung, die Klageansprüche nicht nur für sich, sondern auch -
im Wege gewillkürter Prozessstandschaft und/oder aus abgetretenem Recht - auch für
die Barmer und KKH geltend machen zu können. Sie verweist hierzu auf die
Kooperationsvereinbarung vom 25.08.2005, das Protokoll der Sondersitzung des
Steuerungs- ausschuss "Abrechnungsmanipulation" vom 26.07.2007, die
Abtretungserklärungen der Barmer und der KKH vom 27.03.2008 und die
Ermächtigungserklärungen der Barmer bzw. KKH vom 18.09.2009 bzw. 22.09.2009. Die
Klägerin meint, das Auskunftsrecht sei integraler Bestandteil der Kontroll- und
15
Prüfungsrechte im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehungen der
Beteiligten. Es ergebe sich
aus der Vertragsbeziehung, insbesondere dem Vertrag vom 30.06.1994; wenn § 10 des
Vertrages zur Rechnungslegung verpflichte, stelle der Anspruch auf Auskunft auf
Verlangen im Falle berechtigter Zweifel an der Fehlerfreiheit der Abrechnung zu dieser
Pflicht eine denknotwendige Ergänzung dar; denn anders könne die Vertragsgemäßheit
der Leistungserbringung durch die Optiker nicht überprüft werden; hilfsweise aus einem
öffentlich-rechtlichen Beauftragungsverhältnis eigener Art entsprechend §§ 662 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); aus § 70 i.V.m. dem Rahmenvertragsrecht der §§ 126,
127 SGB V; aus dem Vertrauensgrundsatz des § 242 BGB und dem
Urkundeneinsichtsrecht nach § 810 BGB.
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Die Zweifel an der ordnungsgemäßen Abrechnung würden durch die Ergebnisse der
Vorermittlungen seit 2005 und des Gutachtens vom 03.11.2007 begründet. Dass die
Beklagte die gewünschten Auskünfte erteilen könne, ergebe sich daraus, dass er diese
Daten zu dokumentieren und die Unterlagen aufzubewahren habe, z.B. gemäß den
Bestimmungen des Medizinproduktegesetzes oder den "Arbeitsrichtlinien für das Augen
optikerhandwerk". Es sei bisher kein Betrieb bekannt geworden, der die mit der Klage
begehrten Daten nicht in irgendeiner Form systematisch erfasst habe. Die
Auskunftsansprüche seien nicht verjährt. Die Verjährungsfrist beginne mit dem Schluss
des Jahres, in dem die Ansprüche entstanden seien und sie bzw. die betroffene Kasse
von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt habe. Erstmals im
Jahre 2005 sei aufgrund eines externen Hinweises ein Verdacht auf Falschabrechnung
entstanden, der zu weiteren Ermittlungen geführt habe. Die vor Erstellung des
Gutachtens vom 03.11.2007 bekannten Umstände reichten nicht als
anspruchsbegründende Tatsachen aus. Tatsächlicher Zeitpunkt der Kenntnisnahme der
die Auskunftsansprüche begründende Umstände sei die Einsicht in das erstellte
Gutachten. Erst zu diesem Zeitpunkt habe man erste Falschabrechnungen erkennen
sowie individuelle Abrechnungsfehler indizierende Vorgänge identifizieren können. Das
Auskunftsbegehren sei berechtigt, weil sich die Krankenkassen die erforderlichen
Informationen zur Prüfung von Abrechnungsfehlern und ggf. zur Bezifferung eines
Erstattungsanspruchs nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen könnten.
Datenschutzbestimmungen würden durch die Erteilung der Auskünfte nicht verletzt.
17
Die Klägerin beantragt,
18
1. die Beklagte zu verpflichten, Auskunft zu erteilen über sämtliche Leistungs- und
Abrechnungsvorgänge, in denen die Beklagte im Abrechnungszeitraum 01.01.2001 bis
31.12.2003 Leistungen über Berechtigungsscheine sowie aufgrund vertragsärztlicher
Verordnungen für Versicherte der Techniker Krankenkasse, der Barmer Ersatzkasse
und der Kaufmännischen Krankenkasse abgerechnet hat, durch Vorlage der
diesbezüglichen Kundenunterlagen und -daten, insbesondere der betreffenden
Auszüge aus der Kundendatei, Lieferscheine, Lieferantenrechnungen und
Kundenrechnungen, in denen zu den in der Anlage A des Schriftsatzes vom 23.11.2009
aufgelisteten - nach Name und Geburtsdatum der Versicherten, Ausstellungsdatum der
Verordnung oder des Berechtigungsscheins und der zuständigen Krankenkasse
spezifizierten - Sehhilfenversorgungen folgende Angaben enthalten sind:
19
- Befundwerte, (Fern- und Nahbereich; rechts und links; sphärisch, Zylinder; Achse;
Prisma) inklusive Refraktionsprotokoll, - Grund der Abgabe der Sehhilfe, - Art und
20
Umfang der erbrachten Leistung inklusive Fassungs- und Glashersteller, - die mit dem
Versicherten abgerechnete Leistung, - Datum der Bestellung der Sehhilfe beim
Lieferanten,
sowie (aus dem jeweiligen Lieferschein des Lieferanten):
21
- genaue Bezeichnung des gelieferten Artikels nach Artikelnummer, Artikelbezeichnung
und Material, - technische Spezifizierungen und Werte des Artikels, wie z.B. Radien-
BrechwertZylinder, Achse oder Durchmesser, - Anzahl der jeweils gelieferten Artikel.
22
2. ihr die nach Erfüllung des Antrags zu 1. ggf. zu beziffernden und überzahlten
Rechnungsbeträge zu erstatten. Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
24
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig, weil der Klageantrag
zu Ziffer 1. zu unbestimmt sei. Desweiteren hält die Beklagte eine gewillkürte
Prozessstandschaft, durch die die Klägerin ermächtigt wäre, die der Barmer und der
KKH zustehenden Rechte im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, für
unzulässig, auch wenn eine entsprechende Beauftragung erfolgt sein sollte. Es fehle
hierfür an einem schutzwürdigen Interesse und an der Offenlegung zum Zeitpunkt der
Klageerhebung. Die Beklagte meint, es liege in der Einbeziehung der beiden
Krankenkassen auch keine zulässige Klageerweiterung; einer Klageänderung stimme
sie nicht zu. Die Beklagte hält keine der von der Klägerin herangezogenen oder sonst in
Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen für gegeben:
25
Der gemäß § 127 Abs. 1 SGB V geschlossene Versorgungsvertrag sei einer
erweiternden bzw. ergänzenden Auslegung nicht zugänglich. Er enthalte umfangreiche
und detaillierte Regelungen zu allen relevanten Punkten, auch und insbesondere dazu,
wie und wann abzurechnen und zu zahlen sei; einen Hinweis auf die Pflicht zur
Vorhaltung von Unterlagen, Aufzeichnungen etc. und auf Umstände, unter denen solche
Unterlagen an eine Krankenkasse herauszugeben wären, enthalte der Vertrag nicht.
Das Auftragsrecht nach §§ 662 ff. BGB sei weder unmittelbar noch - über § 69 SGB V -
entsprechend auf den zwischen den Beteiligten bestehenden Vertrag anzuwenden;
dieser Vertrag regele zwar umfangreiche Rechte und Pflichten der Vertragsparteien,
beinhalte aber nicht die Elemente des Auftrags nach dem BGB. Bei § 70 SGB V
handele es sich nur um eine Art generelle Richtlinie, die auch in Verbindung mit
Rahmenvertragsvorschriften der §§ 126, 127 SGB V nicht als Anspruchsgrundlage für
Auskunfts- und Herausgabeansprüche herhalten könne. Sofern der Auskunftsanspruch
auf § 242 BGB gestützt werde, bedinge dies eine unverschuldete Unkenntnis über
bestimmte Umstände, einen nachvollziehbaren Verdacht gegen den Anspruchsgegner,
die Zumutbarkeit der Herausgabe der verlangen Unterlagen, sowie das Fehlen rechtlich
oder tatsächlich entgegenstehender Gründe; diese Voraussetzungen, die kumulativ
erfüllt sein müssten, seien nicht erfüllt. Gleiches gelte für die von der Klägerin in
Anspruch genommenen Urkundeneinsichtsnorm nach § 810 BGB. Selbst wenn es die
behaupteten Ansprüche gäbe, seien diese teilweise verjährt; die Verjährungsfrist
betrage 4 Jahre und beginne mit dem Schluss des Jahres der jeweiligen
Rechnungslegung; die Krankenkassen hätten ohne Weiteres anhand der ihnen
vorliegenden Unterlagen auch ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen feststellen
können, ob und ggf. welche Falschabrechnungen erfolgt seien; weitere Unkenntnis
habe deshalb auf grober Fahrlässigkeit beruht, was sich auf den Lauf der
26
Verjährungsfrist nicht zugunsten der Klägerin auswirken könne. Die Beklagte beruft sich
hinsichtlich etwaiger Auskunfts- und Rückforderungsansprüche aus den Jahren 2001
und 2002 auf Verjährung. Im übrigen hält sie die mit der Klage verfolgten Ansprüche
insgesamt für verwirkt. Denn es habe ab dem Moment des Erhalts der Abrechnungen
die naheliegende und einfach umzusetzende Möglichkeit bestanden, ggf. fehlende
Erklärungen nachzufordern oder die Leistung abzulehnen und die Abrechnung
zurückzusenden. Wenn trotzdem erst Ende 2007 plötzlich Klage erhoben werde, sei
diese Rechtsausübung missbräuchlich, die Ausübung eines derartigen Anspruchs, so er
denn überhaupt begründet werden könnte, jedenfalls verwirkt. Die Beklagte ist der
Auffassung, der begehrten Auskunft stünde auch der (Sozial-)Datenschutz der
Patienten/Kunden entgegen. In Bezug auf den Gegenstand des geltend gemachten
Auskunftsbegehrens bestreitet die Beklagte, überhaupt verpflichtet zu sein, eine
Kundenkartei zu führen sowie Leistungs- und Abrechnungsvorgänge aufzuzeichnen; sie
sei auch zu Erteilung der Auskünfte und Herausgabe der begehrten Unterlagen
zumutbar objektiv nicht in der Lage.
Entscheidungsgründe:
27
I. Die Klage ist zulässig.
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1. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren auf Auskunft durch Vorlage von Kunden- und
Abrechnungsunterlagen sowie auf Erstattung ggf. überzahlter Rechnungsbeträge, die
nach Vorlage der Unterlagen zu beziffern wären, zutreffend im Wege der Stufenklage.
Diese ist gem. § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 254 Zivilprozessordnung
(ZPO) auch im sozialgerichtlichen Verfahren statthaft (BSG, Urteil vom 05.05.1988 - 6
RKa 18/87 = SozR 5550 § 13 Nr. 1; Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R = SozR 4-
2500 § 276 Nr. 1). Erst nach Auskunftserteilung durch Vorlage der Unterlagen ist für die
Klägerin genau und sicher erkennbar, ob und ggf. in welcher Höhe
Rückforderungsansprüche gegenüber dem Beklagten geltend gemacht werden können.
Der als 2. Stufe der Klage bisher unbeziffert gestellte Antrag auf Erstattung eventuell
überzahlter Rechnungsbeträge setzt eine Entscheidung über das Auskunftsverlangen
voraus und steht daher mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang. Abweichend
von § 92 Satz 1 SGG, wonach die Klage einen bestimmten Antrag enthalten soll, darf in
diesem Fall der in seiner Höhe noch nicht feststehende Rückzahlungsanspruch bis zur
Entscheidung über den Auskunftsanspruch unbeziffert bleiben (BSG, Urteil vom
28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R = SozR 4-2500 § 276 Nr. 1).
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2. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht die Fassung des Klageantrages zu Ziffer 1.
entgegen. Die Klägerin hat mit ausreichender Bestimmtheit beantragt, welche Auskünfte
sie begehrt, nämlich - Befundwerte, (Fern- und Nahbereich; rechts und links; sphärisch,
Zylinder; Achse; Prisma) inklusive Refraktionsprotokoll, - Grund der Abgabe der
Sehhilfe, - Art und Umfang der erbrachten Leistung inklusive Fassungs- und
Glashersteller, - die mit dem Versicherten abgerechnete Leistung, - Datum der
Bestellung der Sehhilfe beim Lieferanten, - genaue Bezeichnung des gelieferten Artikels
nach Artikelnummer, Artikelbezeichnung und Material, - technische Spezifizierungen
und Werte des Artikels, wie z.B. Radien-Brechwert-Zylinder, Achse oder Durchmesser, -
Anzahl der jeweils gelieferten Artikel, und welche Unterlagen dazu vorzulegen sind,
nämlich - Anzeige aus der Kundendatei, - Lieferscheine, - Lieferantenrechnungen, -
Kundenrechnungen, in denen diese Angaben enthalten sind. Sie hat dieses
Auskunftsverlangen weiter konkretisiert und beschränkt durch Bezugnahme auf ganz
bestimmte namentlich benannte Versicherte der Klägerin sowie der beiden
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Krankenkassen, für die diese klagt, und ganz bestimmte Sehhilfeversorgungen, die sie
durch die Daten der ärztlichen Verordnungen bzw. der Berechtigungsscheine näher
bezeichnet hat. Dadurch ist der Streitgegenstand und das Klagebegehren hinreichend
bestimmt. Im Übrigen ist die Bestimmtheit des Klageantrags im sozialgerichtlichen
Verfahren keine Klagezulässigkeitsvoraussetzung. Anders als im Zivilprozess "soll"
(vgl. § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG), nicht "muss" (vgl. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) die Klage
einen bestimmten Antrag enthalten. Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass die
Beteiligten sachdienliche Anträge stellten (§§ 106 Abs. 1, 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies
hat er getan.
3. Die Klägerin ist auch klagebefugt. Die Klagebefugnis bezieht sich nicht nur auf die
geltend gemachten eigenen Ansprüche, sondern auch die der Barmer und der KKH. In
Bezug auf diese beiden Krankenkassen ergibt sich die Klagebefugnis der Klägerin
jedoch nicht aus den Abtretungserklärungen vom 27.03.2008, sondern aus den
Prozessstandschafts- ermächtigungserklärungen vom 18. bzw. 22.09.2009. Hätten die
Barmer und die KKH ihre Ansprüche wirksam an die Klägerin abgetreten, käme eine
gewillkürte Prozessstandschaft nicht in Betracht (Baumbach/Hartmann, ZPO, 67. Auflg.
2009, Grdz. § 50 Rn. 29 ff., 34).
31
a) Die beiden Kassen haben mit den Erklärungen vom 27.03.2008 Ansprüche nicht
wirksam abgetreten. Wirksamkeitsvoraussetzung einer Abtretung ist, dass die
abzutretende Forderung bestimmt oder jedenfalls individuell bestimmbar ist
(Palandt/Grünberg, BGB, 68. Auflg. 2009, § 398 Rn.14; BSG, Urteil vom 19.03.1992 - 7
RAr 26/91 = SozR 3-1200 § 53 Nr. 4). Die Erklärungen der Barmer und der KKH vom
27.03.2008 gingen dahin, "alle eventuellen Ansprüche gegen Optiker im Bundesland
Nordrhein-Westfalen auf Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge" an die Klägerin
abzutreten. Damit waren bereits die (auf der 1. Stufe der Klage verfolgten)
Auskunftsansprüche nicht erfasst, sondern allein (auf der 2. Stufe der Klage verfolgte)
eventuelle Rückforderungsansprüche. Auch wenn die Erklärungen einleitend auf die
Überprüfung von Abrechnungen im Zeitraum 2001 - 2003 Bezug nehmen, erfüllt der in
Bezug auf eine Abtretung allein maßgebliche letzte Satz der Erklärungen vom
27.03.2008 nicht die Voraussetzungen der Bestimmtheit bzw. hinreichenden
Bestimmbarkeit des Gegenstands der Abtretung und der Person des Schuldners (hier:
der Beklagten). "Alle eventuellen Ansprüche auf Rückforderung zu Unrecht gezahlter
Beträge" können ihren Rechtsgrund nämlich in weit mehr Tatbeständen als den
Abrechnungen von Augenoptikern aufgrund von Berechtigungsscheinen sowie
vertragsärztlichen Verordnungen und auch in noch anderen Zeiträumen als den Jahren
2001 - 2003 haben. Eine derart unbestimmte bzw. nicht individuell bestimmbare
Abtretung ist unwirksam. Dies gilt umsomehr, als die Erklärungen von 27.03.2008 im
zweiten Absatz auf eine Prozessstandschaftsermächtigung abstellen und diese nicht
etwa widerrufen.
32
b) Die Befugnis der Klägerin, mit der Klage auch Ansprüche der Barmer und der KKH
geltend zu machen, ergibt sich aus dem Institut der gewillkürten Prozessstandschaft.
Diese setzt voraus, dass die Klägerin durch die Rechtsinhaber - die Barmer und KKH -
ermächtigt ist, die diesen zustehenden Rechte in eigenem Namen gerichtlich geltend zu
machen, und dass die Klägerin ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der
Rechtsverfolgung hat (BGH, Urteil vom 07.06.2001 - I ZR 49/99 - m.w.N.).
33
aa) Die Ermächtigung ist allerdings - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht
bereits aus dem Protokoll der Sondersitzung vom 26.07.2007 des
34
Steuerungsausschusses "Abrechnungsmanipulation", den die im VdEK
zusammengeschlossenen Ersatzkassen aufgrund der am 25.08.2005 geschlossenen
"Kooperationsvereinbarung über die Wahrnehmung der Aufgaben bei der Bekämpfung
von Abrechnungsmanipulation" gebildet hatten, ersichtlich. In diesem Protokoll ist zu
einer Erlaubnis der Klägerin, Ansprüche gerade auch der Barmer und der KKH in
eigenem Namen geltend zu machen, nichts vermerkt; im Gegenteil heißt es dort: "Allen
Mitgliedskassen soll die Möglichkeit gegeben werden, sich an diesem Projekt zu
beteiligen." Dies lässt nur den Schluss zu, dass ein individuelles konkretes Tätigwerden
(Projektbeteiligung) der einzelnen Ersatzkassen erst noch erfolgen musste. Die bloße
Bezugnahme auf die Sitzung vom 26.07.2007 in den Erklärungen vom 27.03.2008
ersetzt eine wirksame Prozessstandschaftsermächtigung nicht. Erst die von einem
Vorstandsmitglied der Barmer bzw. der KKH unterzeichneten Erklärungen vom 18.09.
bzw. 22.09.2009 enthalten die eindeutige und unmissverständliche Ermächtigung
gegenüber der Klägerin, Auskunfts- und Zahlungsansprüche der beiden Krankenkassen
gegen die Beklagte aus der Abrechnung aufgrund von Berechtigungsscheinen und
vertragsärztlichen Verordnungen im Zeitraum 2001 - 2003 in eigenem Namen im Wege
der Prozessstandschaft geltend zu machen.
bb) Das erforderliche schutzwürdige eigene Interesse der Klägerin an der
Prozessführung ergibt sich aus § 197a SGB V und der hiernach von den VdEK-
Mitgliedskassen geschlossenen Kooperationsvereinbarung vom 25.08.2005. § 197a
Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt, dass die Krankenkassen, wenn angezeigt ihre
Landesverbände, und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen organisatorische
Einheiten einrichten, die Fällen und Sachverhalten nachzugehen haben, die auf
Unregelmäßigkeiten oder auf rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von
Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen Krankenkasse oder
des jeweiligen Verbandes hindeuten. Es ist also der erklärte Wille des Gesetzgebers,
dass die Krankenkassen im Falle des Verdachts von Abrechnungsmißbrauch
konzentriert vorgehen und für die Verfolgung bestimmter gleichgelagerter Sachverhalte
organisatorische Einheiten bilden. Dem trägt die Kooperationsvereinbarung vom
25.08.2005 und die Ermächtigung der Klägerin, das Projekt "Abrechnungsmanipulation
von Optikern" in Nordrhein-Westfalen federführend zu übernehmen (vgl. Protokoll der
Sondersitzung des Steuerungsausschusses "Abrechnungsmanipulation" vom
26.07.2007) und - konkret im vorliegenden Fall - im Wege der Prozessstandschaft auch
für Barmer und die KKH deren Ansprüche im Klageweg zu verfolgen (vgl. Erklärungen
vom 18./22.09.2009).
35
3. Die Klage richtet sich zutreffend gegen die OHG, und zwar nicht erst seit der
Änderung der Beklagtenbezeichnung durch den Schriftsatz vom 23.11.2009, sondern
seit Rechtshängigkeit der Klage am 29.12.2007. Gem. § 124 Abs. 1 Handelsgesetzbuch
(HGB) kann die offene Handelsgesellschaft (OHG) unter ihrer Firma verklagt werden.
Sie ist aufgrund dieser Gleichstellung mit einer juristischen Person gem. § 70 Abs. 1
SGG fähig, als Beklagte (§ 69 Nr. 2 SGG) am Verfahren beteiligt zu sein (Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 70 Rn. 2 unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom
04.03.2004 - B 3 KR 12/03 R = SozR 4-5425 § 24 Nr. 5). Allerdings können auch die
Gesellschafter einer OHG verklagt werden. Insofern ist der Gesellschaftsprozess streng
vom Gesellschafterprozess zu unterscheiden (Baumbach/Hopt, HGB, 32. Auflage 2008,
§ 124 Rn. 41; Münchener Kommentar zum HGB, 2. Auflage 2006, § 124 Rn. 29). Ein
Übergang von einem zum anderen Prozess wäre ein Beteiligtenwechsel und damit eine
Klageänderung gem. § 99 Abs. 1 SGG (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 99 Rn. 6). Ein solcher
Beteiligtenwechsel liegt hier jedoch nicht vor. Soweit die Klägerin in der Klageschrift als
36
Beklagtenbezeichnung H. C. u. G. S., beide handelnd als "Augenoprtik T. OHG"
angegeben hat, ist die Änderung der Beklagtenbezeichnung durch den Schriftsatz vom
23.11.2009 in Augenoptik T. OHG, Inhaber I. C. und H. S. lediglich eine Berichtigung
des Passivrubrums im Sinne einer Klarstellung. Denn schon die in der Klageschrift
verwandte Beklagtenbezeichnung kann bei lebensnaher sprachlicher Auslegung nur so
verstanden werden, dass nicht die Gesellschafter, sondern die OHG verklagt werden
sollte. Die OHG war diejenige, die mit den Krankenkassen die Sehhilfeversorgungen
abgerechnet hatte. H. C. und G. S. sind Gesellschafter der OHG. Die Klägerin hat die
Klage nicht bloß gegen die Gesellschafter I. C. und H. S., sondern ausdrücklich gegen
H. C. und G. S., beide handelnd als "Augenoptik T. OHG" gerichtet. Auch die danach
angegebene Anschrift ist die der OHG. Durch Verwendung der Worte "handelnd als"
wird deutlich, dass die Gesellschaft - die OHG - verklagt werden sollte. Dies hat die
Klägerin im Verlauf des Verfahrens mit Schriftsatz vom 23.11.2009 klargestellt. Darin
liegt keine Klageänderung (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 99 Rn. 6a).
II. Die auf der 1. Stufe verfolgte Auskunftsklage ist auch begründet.
37
1. Der mit der Klage geltend gemachte Auskunftsanspruch leitet sich aus den
Vertragsbeziehungen der Beteiligten ab.
38
a) § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen (2001-2003 geltenden) Fassung
bestimmt, dass die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der
Ersatzkassen auf Landesebene mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen Verträge mit
Leistungser bringern oder den Verbänden der Leistungserbringer über die Einzelheiten
der Versorgung mit Hilfsmitteln, zu denen auch Sehhilfen gehören (vgl. § 33 SGB V),
schließen. Auf dieser Grundlage ist der vom 01.07.1994 bis 31.12.2003 geltende
Rahmen- vertrag über die Versorgung der Versicherten mit Sehhilfen geschlossen
worden.§ 5 (Leistungserbringung) dieses Vertrages schrieb vor, dass der Augenoptiker
sicherstellt, dass die Versicherten der Ersatzkassen mit funktionsgerechten und
technisch einwandfreien Sehhilfen versorgt werden (Abs. 1 Satz 2), dass sich die
Leistungserbringung an den Einzelbestimmungen des Abschnittes E der
Hilfsmittelrichtlinien in der jeweils geltenden Fassung orientiert (Abs. 1 Satz 4) und dass
die Versorgung mit Sehhilfen zweckmäßig und wirtschaftlich zur erfolgen hat, Qualität
und Wirksamkeit den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft
und fachlich technischen Erkenntnisse zu berücksichtigen hat und darauf zu achten ist,
dass die Sehhilfen nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden (Abs. 2
Satz 1, 2 und 3). Der Rahmenvertrag gem. § 127 Abs. 1 SGB V mit seinen
Bestimmungen, insbesondere § 5, ist Ausfluss des Sachleistungsprinzips und des
Wirtschaftlichkeitsgebotes. In der gesetzlichen Krankenversicherung werden die
Sozialleistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen erbracht und deren
Erbringung durch Verträge mit den Leistungserbringern sichergestellt (§ 2 Abs. 2 Satz 1
und 3 SGB V). Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu
achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im
notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden (§ 2 Abs. 4 SGB V). Die
Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das
Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen die nicht notwendig oder
unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die
Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen § 12 Abs. 1
SGB V).
39
b) Der aufgrund von § 127 Abs. 1 SGB V geschlossene Rahmenvertrag zwischen den
40
Krankenkassen(verbänden) und den Augenoptiker(verbände)n trägt Züge eines
öffentlich-rechtlichen Sachlieferungsvertrages nach § 69 SGB V i.V.m. § 651 BGB (vgl.
dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 06.12.2007 - B 3 KR 20/06 R = SozR 4-2500 § 33 Nr.
17), aber auch eines öffentlich-rechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages nach § 69
SGB V i.V.m. § 675 Abs. 1 BGB. Geschäftsbesorgung ist jede selbstständige Tätigkeit
wirtschaftlicher Art in fremdem Interesse (Palandt/Sprau, BGB, 68. Auflage 2009, § 675
Rn. 2). Der Leistungserbringer - Augenoptiker - besorgt im Interesse der Krankenkasse
ein Geschäft, für das eigentlich die Krankenkasse zur Erfüllung des
Sachleistungsanspruchs des Versicherten ihr gegenüber zu sorgen hätte, nämlich die
Versorgung mit Sehhilfen gem. §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 33 SGB V.
Auf einen solchen Geschäfts besorgungsvertrag findet gem. § 675 Abs. 1 BGB u.a. die
Vorschrift des § 666 BGB Anwendung. Danach ist der Beauftragte verpflichtet, dem
Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand
des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft
abzulegen. Diese Auskunfts- und Rechenschaftspflicht geht über die bloße
Rechnungslegung nach Maßgabe von § 10 des Rahmenvertrages hinaus und ist nicht
auf die gem. §§ 294, 302 SGB V aufzu zeichnenden und den Krankenkassen zu
übermittelnden Daten beschränkt. Sie erklärt sich daraus, dass der beauftragte
Augenoptiker seine Tätigkeit im Interesse der Krankenkasse ausübt und diese Herr des
Geschäfts, das ist die Versorgung der Versicherten mit Sehhilfen im Rahmen der
gesetzlichen Krankenversicherung, bleibt. Die Krankenkasse bewilligte seinerzeit den
Versicherten die Sehhilfen mittels ärztlicher Verordnung oder Berechtigungsschein. Mit
der Durchführung der Versorgung (Beratung, Fertigung und Anpassung sowie
Einweisung in den Gebrauch der Sehhilfe) war gem. § 5 Abs. 1 Satz 3 des
Rahmenvertrages der Augenoptiker beauftragt.
c) Mit der Übertragung der Sehhilfenversorgung auf die Optiker war das (nicht
unerhebliche) Vertrauen verbunden, die Versorgung im Rahmen der allgemeinen
Vorgaben zu erbringen. Eine Kontrolle, ob die Versorgung nicht nur gegenüber den
Versicherten ordnungsgemäß, sondern auch gegenüber der Krankenkasse
entsprechend dem Wirtschaftlichkeitsgebot erfolgte, fand - von Stichproben abgesehen -
nicht statt und war auch nicht vorgesehen. Die Beziehung der Krankenkassen zu den
Leistungserbringern - hier: den Augenoptikern - gem. §§ 126, 127 SGB V und dem
Rahmenvertrag hat eine Sonderverbindung geschaffen, die auch und insbesondere
dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB verpflichtet ist. Dabei kann
dahinstehen, ob § 242 BGB (lediglich) die Grenzen des Auskunftsanspruchs nach § 666
BGB aufzeigt (Palandt/ Sprau, BGB, 68. Auflage 2009, § 666 Rn. 1) oder ob der
Grundsatz von Treu und Glauben selbst die Anspruchsgrundlage für das mit der Klage
verfolgte Auskunftsbegehren bildet (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Auflage
2009, § 261 Rn. 8 ff., 18).
41
d) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gebieten es Treu
und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn
die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass
der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang
seines Rechts im Ungewissen ist, und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur
Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGH, Urteil vom
06.02.2007 - X ZR 117/07 = NJW 2007, 1806 unter Hinweis auf zahlreiche BGH-
Entscheidungen). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
42
aa) Das Recht, über dessen Bestehen und ggf. Umfang bei der Klägerin Ungewissheit
43
herrscht, ist ein Erstattungsanspruch wegen Falschabrechnung von Sehhilfen. Die
Klägerin hat für die Kammer glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt, dass eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie erst anhand der geforderten
Informationen aus den vorzulegenden Unterlagen sicher beurteilen kann, ob und ggf. in
welchem Umfang ein solcher Erstattungsanspruch besteht; und sie hat ebenso
nachvollziehbar dargelegt, dass dies nicht bereits aus den gem. §§ 294, 202 SGB V im
Rahmen der Rechnungslegung gem. § 10 des Rahmenvertrages übermittelten Daten
möglich war und ist. Die Klägerin war und ist in entschuldbarer Weise im Ungewissen,
weil sie sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise
beschaffen kann.
bb) Durch das von der Klägerin in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten
konnten in einer Vielzahl der untersuchten Fälle oder zumindest Auffälligkeiten
festgestellt werden. Dies begründet für die Kammer nachvollziehbar (und in
Übereinstimmung mit dem Gutachter) den Verdacht, dass in den Jahren 2001 bis 2003
Falschabrechnungen zu Lasten der Krankenkassen erfolgt sind. Ob und in welchem
Umfang Falschabrechnungen und ob diese ggf. vorsätzlich oder (leicht) fahrlässig
erfolgt sind, ist vom Gericht auf der Stufe der Auskunftsklage nicht zu prüfen.
44
cc) Allein aufgrund der vom Augenoptiker nach den gesetzlichen Vorgaben der §§ 294,
302 SGB V und im Rahmen der Rechnungslegung gem. § 10 des Rahmenvertrages
vorgelegten Unterlagen ließ und lässt sich die Korrektheit der Abrechnung nicht in vol-
lem Umfang überprüfen. Den Rechnungen waren die ärztlichen Verordnungen und
Berechtigungsscheine für erbrachte Leistungen beizufügen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 des Rah
menvertrages); die Lieferungen waren nach Leistungen, Art, Menge und Preis zu
bezeichnen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 des Rahmenvertrages). § 294 SGB V enthält die
allgemeine Verpflichtung der Leistungserbringer, die für die Erfüllung der Aufgaben der
Krankenkassen notwendigen Angaben, die aus der Erbringung der Verordnung sowie
der Abgabe von Versicherungsleistungen entstehen, aufzuzeichnen und den
Krankenkasse mitzuteilen. Welche Daten dies sind, ergibt sich schon konkreter aus §
302 Abs. 1 SGB V. Danach sind die Leistungserbringer im Bereich der Heil- und
Hilfsmittel und die weiteren Leistungserbringer verpflichtet, den Krankenkassen im
Wege elektronischer Datenüber tragung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern
die von ihnen erbrachten Leistungen nach Art, Menge und Preis zu bezeichnen und den
Tag der Leistungserbringung sowie der Arztnummer des verordnenden Arztes, die
Verordnung des Arztes mit der Diagnose und den erforderlichen Angaben über den
Befund und die Angaben nach § 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 SGB V anzugeben; bei der
Abrechnung über die Abgabe von Hilfsmitteln sind dabei die Bezeichnungen des
Hilfsmittelsverzeichnisses nach § 139 zu verwenden. Das Nähere über Form und Inhalt
des Abrechnungsverfahrens ist in Richtlinien bestimmt, die in den Leistungs- und
Lieferverträgen zu beachten sind (§ 302 Abs. 2 SGB V). In den hiernach erlassenen
Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 302 Abs. 2 SGB V über
Form und Inhalt des Abrechnungsverfahrens mit "sonstigen Leistungserbringern" sowie
mit Hebammen und Entbindungspflegern (§ 301a SGB V) vom 09.05.1996 in der
geänderten Fassung vom 13.03.2003, die u.a. die Leistungserbringer von Hilfsmitteln
erfasst (§ 1 Nr. 1 Ziff. 1.2 der Richtlinien), wurden in § 2 und § 5 Bestandteile der
Abrechnung und die zu übermittelnden Abrechnungsdaten enumerativ aufgelistet.
Anhand dieser eher formalen Daten lassen sich jedoch nur bestimmte
Abrechnungsfehler feststellen. Die Klägerin hat die Berechtigungsscheine und die
Verordnungen mit externer sachverständiger Hilfe auswerten lassen. In dem erstellten
Gutachten wurde aufgezeigt, dass Abrechnungsfehler in erheblichem Umfang erst durch
45
Abgleich der bei der Abrechnung vorgelegten mit den mit der Auskunftsklage
geforderten Unterlagen, nämlich der Kundenkartei, den Lieferscheinen der Hersteller
und ggf. auch den Kundenrechnungen festgestellt werden können. Die Klägerin hat
hierzu für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass sich durch die
Einsicht in die im Tenor genannten Unterlagen im einzelnen die folgenden Arten von
Falschabrechnungen feststellen lassen:
(1) Die abgerechnete Leistung wurde tatsächlich nicht geliefert
46
Konkrete Fallkonstellationen:
47
- Es wurde gar keine der über den Berechtigungsschein abgerechneten Leistungen an
den Versicherten ausgegeben. - Es wurde einzelne über den Berechtigungsschein
abgerechnete Positionen nicht geliefert (beispielsweise eine Tönung). - Es wurden zwei
Gläser als Reparaturleistung abgerechnet, tatsächlich aber nur eines an den
Versicherten geliefert.
48
(2) Es wurde eine andere, kostengünstigere Leistung an den Versicherten abgegeben.
49
Konkrete Fallkonstellationen:
50
- Es wurden Dreistärkengläser abgerechnet, tatsächlich aber nur Zwei- oder
Einstärkengläser an den Versicherten geliefert. - Es wurden Zweistärkengläser
abgerechnet, tatsächlich aber nur Einstärkengläser an den Versicherten geliefert. - Es
wurden höherwertigere und teurere Kontaktlinksen abgerechnet als tatsächlich an den
Versicherten ausgegeben wurden. - Es wurde Kunststoffgläser abgerechnet, tatsächlich
aber kostengünstigere mineralische Gläser geliefert.
51
(3) Es wurde eine Leistung abgerechnet, die tatsächlich keine Kassenleistung ist.
52
Konkrete Fallkonstellationen:
53
- Eine PC-Arbeitsplatzbrille wurde über einen Berechtigungsschein unter Angabe einer
anderen Glasart abgerechnet. Diese Brillen sind grundsätzlich keine Leistung der
gesetzlichen Krankenkassen. - Es wurde eine zweite Brille abgerechnet. Die
Versicherten hatten keinen Anspruch auf Doppelversorgung, deshalb wurde häufig eine
Zerstörung der alten Gläser als Begründung für eine Neuversorgung angegeben,
obwohl die ursprüngliche Brille noch in Ordnung war. - Es wurde eine Sonnenbrille
geliefert, über den Berechtigungsschein aber Gläser ohne Tönung abgerechnet und die
Lieferung mit der Zerstörung der Gläser oder der Veränderung der Glasstärke um
mindestens 0,5 Dioptrien begründet. Auch hier handelt es sich vielfach um eine
Doppelversorgung , da der Versicherte bereits eine Sehhilfe erhalten hatte. Ferner war
es allein den Augenärzten vorbehalten, Lichtschutzgläser zu verordnen. - Es wurden
Gläser als Ersatzleistung für zerstörte Gläser abgerechnet, obwohl der Augenoptiker
selbst für die Zerstörung verantwortlich war (so genannter Werkstattbruch, häufig in der
Kundenkartei korrekt dokumentiert, aus versicherungsrechtlichen oder anderen
Gründen). - Es wurde eine Ersatzleistung abgerechnet, obwohl die neuen Gläser wegen
einer falschen Augenglasbestimmung des Augenoptikers erforderlich waren (so
genannten Fehlrefraktion). - Es wurden - anders als verordnet und abgerechnet - Gläser
mit Tönungen abgegeben, die weniger als 25 % des Lichts absorbierten und deshalb
keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse waren.
54
(4) Es wurde eine Leistung abgerechnet, deren Voraussetzungen auf dem
Berechtigungsschein fälschlich oder unvollständig angegeben waren.
55
Konkrete Fallkonstellationen:
56
- Die Leistungsvoraussetzungen liegen nicht vor. Die Angaben auf dem
Berechtigungsschein sind jedoch unvollständig, so dass daraus nicht nachvollzogen
werden kann, ob ein Anspruch auf Erstattung besteht. - Es wurden Angaben auf den
Berechtigungsscheinen gemacht, die nicht der Wirklichkeit entsprachen. Bei korrekter
Darstellung beispielsweise der Glaswerte, wäre die Krankenkasse nicht zu Leistung
verpflichtet gewesen.
57
dd) Die Klägerin kann und konnte sich den mit der begehrten Auskunft gewünschten
Erkenntnisgewinn auch nicht durch Befragen der versicherten Leistungsempfänger oder
gar durch deren ärztliche (Nach)Untersuchung beschaffen. Sie hat nach eigenen
Angaben versucht, Informationen von Versicherten unmittelbar zu erhalten; diese hätten
jedoch nur sehr vage und zum Teil objektiv unzutreffende Auskünfte geben können.
Angesichts des Zeitablaufs der Komplexität des Leistungsgeschehens und der
erforderlichen Daten ist dies für die Kammer nachvollziehbar. Eine zusätzliche ärztliche
Überprüfung durch die körperliche Untersuchung von Versicherten zur Kontrolle der
Abrechnungen auf Abrechnungsfehler ist nicht nur unzumutbar, sondern auch rein
tatsächlich nicht durchführbar (vgl. insoweit auch § 67a Abs. 2 Nr. 2 b) bb) SGB X,
wonach die Erhebung von Sozialdaten bei anderen Personen oder Stellen - hier: bei
Optikern - zulässig ist, wenn die Erhebung bei Betroffenen - hier: den versicherten
Kunden - einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde und dessen
schutzwürdige Belange ersichtlich nicht beeinträchtigt werden). Im Hinblick darauf ist
die Unkenntnis der Klägerin über die Erstattungsanspruch ggf. begründenden
Umstände unverschuldet.
58
ee) Dagegen ist der Beklagten die Erteilung/Vorlage der tenorierten Auskünfte/
Unterlagen ohne weiteres zumutbar. Wenn sie über die Daten und Unterlagen verfügt,
bedarf es keines großen Aufwandes, diese vorzulegen. Ob sie über die Daten und
Unterlagen verfügt, ist nicht Voraussetzung des Auskunftsanspruchs, sondern eine
Frage der Vollstreckbarkeit des Urteils.
59
ff) Der Erteilung der Auskünfte und Vorlage der Unterlagen stehen keine
datenschutzrechtlichen Gründe entgegen. § 8 des Rahmenvertrages verpflichtet den
Augenoptiker, den im Zweiten Kapitel (§§ 67 bis 85a) des SGB X normierten
Sozialdatenschutz zu beachten. Gem. § 67a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 a) SGB X dürfen
Sozialdaten ohne Mitwirkung des Betroffenen - hier: des versicherten Kunden - bei
anderen Personen oder Stellen - hier: dem Optiker als Leistungserbringer - erhoben
werden, wenn eine Rechtsvorschrift die Erhebung bei ihm zulässt. Eine solche die
Datenerhebung beim Leistungserbringer zulassende Vorschrift ist § 284 Abs. 1 Nr. 8
SGB V. Danach dürfen die Krankenkassen Sozialdaten für Zwecke der
Krankenversicherung erheben, soweit diese für die Abrechnung mit den
Leistungserbringern, einschließlich der Prüfung der Rechtmäßigkeit und der Plausibilität
der Abrechnung, erforderlich sind. Diese Voraussetzungen sind aus den zuvor
dargelegten Gründen erfüllt.
60
Das Recht zur Erhebung der aus dem Tenor ersichtlichen Daten ergibt sich auch aus §
61
67a Abs. 2 Nr. 2 b) SGB X. Die Krankenkassen benötigen die Daten - wie aufgezeigt -
zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch, nämlich zur Prüfung der
Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnung von Sehhilfeversorgungen (vgl. § 284
Abs. 1 Nr. 8 SGB V), aber auch zur Bekämpfung von Fehlverhalten im
Gesundheitswesen (vgl. § 197a SGB V). Die Erhebung der Daten würde zudem beim
betroffenen versicherten Kunden - soweit eine Erhebung bei ihm überhaupt möglich
wäre - einen unverhältnis mäßigen Aufwand erfordern; schutzwürdige Belange der
Betroffenen, die durch die Erteilung der Auskünfte und die Vorlage der Unterlagen
beeinträchtigt sein könnten, sind nicht ersichtlich.
2. Weder der Auskunftsanspruch noch der Erstattungsanspruch ist verjährt. Die
erhobene Einrede der Verjährung ist unbegründet.
62
a) Die mit der Klage verfolgten Ansprüche resultieren aus Rechtsbeziehungen zwischen
Krankenkassen (und ihren Verbänden) zu Leistungserbringern - hier: Augenoptikern -
nach dem SGB V. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V gelten für diese
Rechtsbeziehungen die Vorschriften des BGB entsprechend, soweit sie mit den
Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten vereinbar
sind. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mehrfach entschieden, dass
Vergütungsansprüche von Leistungs erbringern gegen die Krankenkassen für
Ansprüche von Versicherten einer vierjährigen Verjährungsfrist unterliegen (BSG, Urteil
vom 12.05.2005 - B 3 KR 32/04 R = SozR 4-2500 § 69 Nr. 1; Urteil vom 28.02.2007 - B 3
KR 12/06 R = SozR 4-2500 § 276 Nr. 1; Urteil vom 10.04.2008 - B 3 KR 7/07 R = SozR
4-1200 § 45 Nr. 4). Dieser Rechtssatz ist nach Sinn und Zweck der gesetzlichen
Regelungen über die Rechtsbeziehungen der Leistungs erbringer zu den
Krankenkassen grundsätzlich auf alle gegenseitigen Rechte und Pflichten zu
übertragen. Der Rückforderungsanspruch einer Krankenkasse gegen einen
Leistungserbringer wegen Überzahlung einer erbrachten Leistung - hier: einer Seh
hilfenversorgung - ist in seiner Rechtsnatur als öffentlich-rechtlicher
Erstattungsanspruch (analog § 812 BGB) nur die Kehrseite des Leistungsanspruchs.
Auch für den Erstattungs anspruch gilt daher - wie für den Vergütungsanspruch - eine
Verjährungsfrist von vier Jahren (BSG, Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R = SozR
4-2500 § 276 Nr. 1). Diese Frist gilt auch für den Anspruch auf Auskunft und Vorlage von
Unterlagen; dieser ist der Hilfsanspruch für den zu sichernden Hauptanspruch und kann
nicht eher verjähren als jener (BSG, a.a.O.).
63
b) Der Anspruch auf Auskunft durch Vorlage von Kunden- und Abrechnungsunterlagen
ist ebenso wie der mögliche Erstattungsanspruch mit Zugang der Rechnungen jeweils
in den Jahren 2001, 2002 oder 2003 entstanden. Gleichwohl begann der Lauf der
Verjährungs frist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht bereits mit dem
Schluss des Jahres der Rechnungslegung mit der Folge, dass mangels eines
Hemmungstatbestandes die Ansprüche aus 2001 mit Ablauf des Jahres 2005, die aus
2002 mit Ablauf des Jahres 2006 verjährt gewesen wären. Gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB
V i.V.m. § 199 Abs. 1 BGB in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung durch das
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138) beginnt die
Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und
der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die
Vorschriften des BGB über die Verjährung in der seit dem 01.01.2002 geltenden
Fassung finden gem. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 des Einführungs gesetzes zum
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) auf die an diesem Tag bestehenden und noch nicht
64
verjährten Ansprüche Anwendung.
aa) Da gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V die Vorschriften des BGB "entsprechend" gelten,
ist § 199 Abs. 1 BGB auf die allgemeine sozialrechtliche Verjährungsfrist von 4 Jahren
(vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2008 - B 3 KR 7/07 R = SozR 4-1200 § 45 Nr. 4) und nicht
unmittelbar auf § 195 BGB zu beziehen. "Regelmäßige Verjährungsfrist" im Sinne des §
199 Abs. 1 ist für Ansprüche aus Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und
Leistungserbringern die Frist von 4 Jahren.
65
bb) Die den Lauf der Verjährungsfrist auslösende Kenntnis der anspruchsbegründenden
Umstände hatte die Klägerin nicht vor 2005. In diesem Jahr erhielt sie durch eine AOK
erste Hinweise auf Auffälligkeiten und Fehlern bei der Abrechnung von Sehhilfen durch
Augenoptiker. Erst danach kam es zum Abschluss der Kooperationsvereinbarung vom
25.08.2005 und auf deren Grundlage zur Bildung eines Steuerungsausschusses
"Abrechnungsmanipulation". Eine frühere Unkenntnis der anspruchsbegründenden
Umstände (Verdacht auf Falschabrechnungen) ist von der Klägerin auch nicht
verschuldet. Grob fahrlässig handelt der Gläubiger, wenn seine Unkenntnis auf einer
besonderen schweren Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beruht.
Grob fahrlässige Unkenntnis ist zu bejahen, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch
begründenden Umstände förmlich aufdrängen und er leicht zugängliche
Informationsquellen nicht nutzt (Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Auflg. 2009, § 199 Rn. 36).
Dies war hier nicht der Fall. Sicherlich hätten die Krankenkassen nach jeweiliger
Rechnungslegung in jedem Einzelfall eine genaue Prüfung auf eventuelle
Abrechnungsfehler vornehmen können. Dies wäre aber weder der Masse der
Abrechnungsvorgänge noch der Vertrauensbasis, die in Rechtsbeziehungen zwischen
Krankenkassen und Leistungserbringern im System der gesetzlichen
Krankenversicherung grundsätzlich bestehen muss, gerecht geworden. Deshalb
erfolgten im Rahmen der Abrechnungen nur stichprobenhafte Kontrollen; wenn es
dadurch zu Beanstandungen und Rückfragen kam, wurde dies von den betreffenden
Optikern auf der Basis der bestehenden Vertragsbeziehungen akzeptiert. Von den
Krankenkassen konnte und kann jedoch - auch und gerade im Hinblick auf die
vertraglichen Vereinbarungen - weder gefordert noch erwartet werden, dass sie
akribisch jede einzelne Abrechnung einer Sehhilfe- verordnung auf ihre Richtigkeit
genauestens prüfen, ggf. durch Rückfrage beim Optiker und Einsicht in dafür
erforderliche Unterlagen. Grob fahrlässige Unkenntnis (vor 2005) hätte der Klägerin
allenfalls dann vorgeworfen können, wenn sie trotz konkreter Hin- weise (vor 2005)
nichts im Hinblick auf die Überprüfung möglicher Abrechnungsfehler unternommen
hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Die Verjährung begann daher frühestens mit
Ablauf des Jahres 2005, sodass die Ansprüche - ohne Hemmungstatbestand -
frühestens mit Ablauf des Jahres 2009 verjährt wären. Insofern kommt es für den - den
Beginn der Verjährung auslösenden - Zeitpunkt der Kenntnis nicht auf das Datum der
Sondersitzung des Steuerungsausschusses (26.07.2007), zu dem die Klägerin das
Projekt federführend übernahm, und auch nicht auf den Zeitpunkt des
Erkenntnisgewinns aus dem Gutachten vom 03.11.2007 über von der Beklagten er-
brachte und abgerechnete Leistungen in den Jahren 2001 - 2003 an.
66
cc) Die Verjährung ist durch die Erhebung der Stufenklage am 29.12.2007 gehemmt
worden (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Dies gilt nicht nur für
die Ansprüche der Klägerin, sondern auch für die der Barmer und der KKH. Zwar ist die
Prozessstandschaft, zu der diese Kassen die Klägerin ermächtigt haben, erst am
30.09.2009 durch die Vorlage der Erklärungen vom 18./22.09.2009 offengelegt worden.
67
Zu diesem Zeitpunkt waren aber sämtliche Ansprüche noch nicht verjährt, da die
"normale" Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2009 eingetreten wäre. Deshalb
kann hier dahinstehen, ob die verjährungshemmende Wirkung im Falle einer
gewillkürten Prozessstandschaft erst in dem Augenblick eintritt, in dem diese prozessual
offengelegt wird (BGH, Urteil vom 07.03.2001 - I ZR 49/99), oder ob eine nach
Klageerhebung erfolgte Offenlegung einer gewillkürter Prozessstandschaft auf den
Zeitpunkt der Klageerhebung zurückwirkt (arg. e § 185 BGB).
3. Die Ansprüche sind auch nicht verwirkt. Dies käme in Betracht, wenn ihre
Geltendmachung rechtsmissbräuchlich wäre. Dies ist jedoch aus den zum
Verjährungsbeginn dargelegten Gründen nicht der Fall. Die beteiligten Krankenkassen
haben vor dem Jahre 2005 - vor den Hinweisen der AOK auf Auffälligkeiten und
Falschabrechnungen - keinen Anlass gehabt, die Beklagte systematisch zu kontrollieren
und ihre Abrechnungen in jedem Einzelfall in der Art und Weise, wie sie dies nun mit
der Auskunftsklage verfolgen, zu prüfen. Auf die Hinweise im Jahre 2005 sind dann aber
Ermittlungen aufgenommen worden, die - weil anders nicht zielführend - in die
Stufenklage mündeten.
68
III. Über den von der Klägerin im Rahmen der Stufenklage geltend gemachten
Erstattungsanspruch (2. Stufe) kann erst nach der von der Beklagten zu erteilenden
Auskunft und einer eventuell erforderlich werdenden weiteren Aufklärung des
Sachverhalts durch die Klägerin, wenn diese den Anspruch beziffert hat und die
Beklagte den Anspruch nicht anerkennt, entschieden werden.
69
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1,
162 Abs. 2, 155 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Da die Klage ursprünglich
für neun Krankenkassen erhoben und im Verlauf des Verfahrens für sechs
Krankenkassen zurückgenommen worden ist, erscheint es angemessen, der Klägerin
zwei Drittel, der Beklagten ein Drittel der Kosten aufzuerlegen.
70
V. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52
Abs. 1, 44 Gerichtskostengesetz (GKG). Bei einer Stufenklage ist für die
Wertberechnung nur einer der verbundenen Ansprüche maßgebend, und zwar der
höhere (§ 44 GKG). Dies gilt nach Auffassung des BSG aber nur, wenn in einer Instanz
über beide Ansprüche entschieden wird. Wird - wie hier - nur über die Auskunftsklage
entschieden, ist der Streitwert nur anhand des Auskunftsanspruchs zu bemessen (BSG,
Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R = SozR 4-2500 § 276 Nr. 1). Der Wert kann nur
ein Bruchteil (z.B. 10 %) des voraussichtlichen Leistungsanspruchs sein, wenn die
fraglichen Verhältnisse fast schon bekannt sind. Möglich ist aber auch ein höheres
Interesse, wenn ein Zahlungsanspruch ohne die Auskunft voraussichtlich nicht weiter
verfolgt werden kann; in einem solchen Fall kann der Wert der Auskunft fast den Wert
des Zahlungsanspruchs erreichen (Hartmann, Kostengesetze, 38. Auflage 2008, Anh. I
zu § 48 GKG, Rn. 24 "Auskunft"). So liegt es hier. Ohne Auswertung der mit der
Auskunftsklage begehrten Unterlagen ist die Klägerin nicht in der Lage, einen
Erstattungsanspruch genau zu beziffern. Die Klägerin hat für 1463 Fälle von
Sehhilfenversorgungen in den Jahren 2001 - 2003 Auskunft begehrt. Die Kammer geht
davon aus, dass nicht in allen Fällen Falschabrechnungen vorliegen und ein
Erstattungsanspruch begründet ist. Die Klägerin hat in der Klageschrift erklärt, sie habe
bei der Überprüfung der Abrechnungen, welche in den Jahren 2001 - 2003 erfolgt seien,
"in zahlreichen Fällen", darunter auch bei der Beklagten, erhebliche Auffälligkeiten
festgestellt. Ausgehend von der Annahme, dass in geschätzt ca. 30 % der aufgelisteten
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Abrechnungsfälle, d.h. in ca. 440 Fällen Falschabrechnungen erfolgt sind, ergibt sich
bei einem vorsichtig geschätzten Betrag von 50,00 EUR pro falsch abgerechnetem Fall
ein Wert von 22.000,00 EUR. Dies ist der anteilige Wert der Klage der TK, der Barmer
und der KKH.
Mit der Stufenklage sind jedoch ursprünglich Ansprüche für neun Krankenkassen
verfolgt worden. Soweit die Klage für sechs Krankenkassen zurückgenommen worden
ist, fehlt es an einer vergleichbaren Wertbemessungsgrundlage. Insofern kann auch
nicht von den im Gutachten vom 03.11.2007 aufgelisteten Fällen hochgerechnet
werden, wie es das LSG NRW im Beschluss vom 07.09.2009 (L 5 B 104/08 KR) für
gerechtfertigt gehalten hat; denn dies waren ausschließlich Abrechnungsfälle einer
Krankenkasse, nämlich der TK. Andererseits hält die Kammer aber auch die vom LSG
Niedersachsen-Bremen in den Beschlüssen vom 09.12.2008 (L 4 B 85/08 KR) und vom
25.06.2009 (L 4 KR 168/09 B) vorgenommene Wertfestsetzung nicht für sachgerecht; 25
% des Auffangsstreitwertes von 5.000,00 EUR, also 1.250 EUR erscheint als Wert für
eine Auskunftsklage von neun Krankenkassen nicht angemessen. Dieser Wertansatz
lässt die Zahl der beteiligten Krankenkassen gänzlich unberücksichtigt. Wäre die Klage
für zwei oder zwanzig Kassen erhoben worden, käme das LSG Niedersachsen-Bremen
zu demselben Ergebnis: 1.250,00 EUR. Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass
ein Wertansatz für jede Krankenkasse und deren jeweilige Ansprüche zu erfolgen hat.
Die Klägerin hat die Klagerücknahme für sechs Krankenkassen mit dem Ergebnis einer
Abwägung des erforderlichen Aufwands der Rechtsverfolgung gegen die bei diesen
Kassen im konkreten Fall der Beklagten gegebenen geringen Fallzahlen bzw. die
geringe zu erwartende Zahl von Falschabrechnungen begründet. Im Hinblick auf die
angesprochenen "geringen Fallzahlen" ist ein Wertansatz von 1.250,00 EUR für jede
Krankenkasse, für die die Klage zurückgenommen wurde, angemessen; das entspricht
bei einem Ansatz von 50,00 EUR pro Falschabrechnung einer als gering anzusehenden
Zahl von 25 Fällen je Krankenkasse; daraus folgt für die sechs Krankenkassen, für die
die Klagen zurückgenommen wurden, ein Wertansatz von insgesamt 7.500,00 EUR.
Zusammen mit dem Wertansatz für die aufrechterhaltene Auskunftsklage ergibt sich ein
Streitwert von 29.500,00 EUR.
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