Urteil des SozG Aachen vom 14.10.2008
SozG Aachen: aufnahme der erwerbstätigkeit, aufenthaltserlaubnis, ausländer, besitz, berechtigung, duldung, emrk, arbeitsmarkt, geburt, gerichtsakte
Sozialgericht Aachen, S 13 EG 1/08
Datum:
14.10.2008
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 EG 1/08
Sachgebiet:
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Erziehungsgeld in Höhe
des Regelbetrages auch für die Zeit vom 11.05. bis 30.06.2007 anlässlich der Geburt
der Zwillinge (Y) und (H) am 14.11.2005 und die Zahlung von 1.000,00 EUR.
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Der 0000 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger, ledig und der Vater der am
00.00.2005 geborenen Zwillinge Y und H. Vom 03.12.2002 bis zur bestandskräftigen
Ablehnung seines Asylantrags war er im Besitz einer "Aufenthaltsgestattung zur
Durchführung des Asylverfahrens"; anschließend bis 06.09.2006 war er im Besitz einer
"Duldung". Am 11.05.2007 erteilte ihm die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis
gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) mit dem Zusatz "Beschäftigung jeder
Art gestattet. Selbstständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet". Am 01.07.2007 nahm er
eine Tätigkeit als Reinigungskraft im Rahmen eines geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisses bis maximal 400,00 EUR pro Monat auf.
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Bereits am 05.01.2006 hatte die Mutter der Zwillinge Erziehungsgeld für das erste
Lebensjahr der Zwillinge beantragt. Dieser war durch zwei bestandskräftige Bescheide
vom 06.01.2006 abgelehnt worden.
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Am 16.07.2007 beantragte der Kläger Erziehungsgeld in Höhe des Regelbetrages für
das zweite Lebensjahr der Zwillinge.
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Durch zwei Bescheide vom 07.08.2007 lehnte das Versorgungsamt B. den Antrag ab.
Es vertrat die Auffassung, der erteilte Aufenthaltstitel begründe keinen
Erziehungsgeldanspruch, da der Kläger sich rechtmäßig erst seit 06.09.2006
(Ausstellungsdatum der Duldung) in Deutschland aufhalte.
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Dagegen legte der Kläger am 06.09.2007 Widerspruch ein. Er wies daraufhin, sich
bereits seit Dezember 2002 in Deutschland aufzuhalten; er sei seit 11.05.2007 im Besitz
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einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und gehe seit 01.07.2007 einer
geringfügigen Beschäftigung nach. Der Anspruch auf Erziehungsgeld bestehe aber
nicht erst ab Aufnahme der Erwerbstätigkeit, sondern seines Erachtens bereits seit
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch zwei Widerspruchsbescheide vom
26.11.2007 zurück. Er meinte, der Kläger erfülle zwar die Voraussetzungen nach § 1
Abs. 6 Nr. 2 c) in Verbindung mit Nr. 3 a) des Bundeserziehungsgeldgesetzes
(BErzGG), nicht aber die weiteren Voraussetzungen nach Nr. 3 b); er sei weder
erwerbstätig noch beziehe er Leistungen nach dem SGB III noch nehme er Elternzeit in
Anspruch.
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Dagegen hat der Kläger am 21.12.2007 Klage erhoben. Er hat erneut darauf
hingewiesen, seit 01.07.2007 eine Erwerbstätigkeit auszuüben, sodass zumindest ab
diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Erziehungsgeld bestehe.
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Daraufhin hat der Beklagte durch zwei Änderungsbescheide vom 06.05.2008
Erziehungsgeld für die Zwillinge für die Zeit vom 01.07.2007 bis zur Vollendung von
deren 24. Lebensmonat (= 13.11.2007) bewilligt, insgesamt 2.660,00 EUR.
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Der Kläger ist der Auffassung, auch für die vor dem 01.07.2007 liegende Zeit ab
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, also ab 11.05.2007 Anspruch auf Erziehungsgeld zu
haben. Aus der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 06.07.2004 (1 BvR
2515/95) ergangenen Entscheidung ergebe sich, dass es nicht sachgerecht sei, für den
Erziehungsgeldanspruch eines Ausländers allein an die formale Art eines
Aufenthaltstitels anzuknüpfen, wenn sich der Ausländer voraussichtlich auf Dauer im
Bundesgebiet aufhalten dürfe. Soweit der Gesetzgeber zwischenzeitlich die
Erziehungsgeldzugangsvoraussetzungen für Ausländer neu geregelt habe, sei der Kreis
der Anspruchsberechtigten wieder in diskriminierender Weise eingeschränkt worden. Es
gebe keinen sachlichen Grund, den Anspruch auf Erziehungsgeld für Inhaber eines
Aufenthaltstitels der in § 1 Abs. 6 Nr. 2 c) BErzGG aufgeführten Art von zusätzlichen
Voraussetzungen als dem Zugang zum Arbeitsmarkt abhängig zu machen. Dies
verstoße gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) und Artikel 14 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK).
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter entsprechender Aufhebung bzw. Abänderung der Bescheide vom
07.08.2007 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 26.11.2007 und der
Änderungs- bescheide vom 06.05.2008 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 11.05.
bis 30.06.2007 Erziehungsgeld für die Zwillinge Y. und H. in Höhe des Regelbetrages,
ins- gesamt weitere 1.000,00 EUR zu zahlen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen
und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen ob § 1 Abs. 6 des
Bundeserziehungs- geldgesetzes in Fassung durch Artikel 3 Nr. 1 des Gesetz zur
Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Er- ziehungsgeld und
Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 (BGBl. I S. 2915) mit Artikel 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes vereinbar ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf seine in den angefochtenen Bescheiden vertretene Auffassung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger und seine Ehefrau betreffenden
Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündliche Verhandlung
gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat für die Zeit
vom 11.05. bis 30.06. 2007 keinen Anspruch auf Erziehungsgeld anlässlich der Geburt
der Zwillinge Y und H, da er die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 BErzGG nicht erfüllt.
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Der Anspruch des Klägers misst sich an § 1 Abs. 6 BErzGG in der Fassung durch Artikel
3 Nr. 1 des "Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländer wegen Kindergeld,
Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" vom 13.12.2006 (BGBl. I S. 2915). Die
Vorschrift ist in dieser Fassung am 01.01.2006 in Kraft getreten (Artikel 6 des Gesetzes
vom 13.12.2006). Sie ist nach Auffassung der Kammer nicht verfassungswidrig (und
verstößt auch nicht gegen die EMRK). Indem das Gesetz die
Erziehungsgeldberechtigung von Ausländern nun nicht mehr nur formal und allein an
die Art eines bestimmten Aufenthaltes knüpft, sondern entweder auf Dauer angelegten
Aufenthaltstitel genügen lässt oder bei einem weniger festen Aufenthaltsrecht einen
engen Bezug zum Erwerbsleben in Deutschland fordert, genügt es den Vorgaben des
BVerfG im Beschluss vom 06.07.2004 (1 BvR 2515/95).
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Das BVerfG hat es als legitimes Ziel des Gesetzgebers anerkannt, Erziehungsgeld nur
denjenigen Ausländern zukommen zu lassen, von denen erwartet werden konnte, dass
sie auf Dauer in Deutschland bleiben. Das Differenzierungskriterium des bestimmten
Aufenthaltstitels in Kombination mit einem Bezug zum Erwerbsleben in Deutschland ist
geeignet, diesen Personenkreis adäquat zu erfassen. Zwar wäre der Gesetzgeber nicht
gehindert gewesen, die Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung weiter zu
fassen und bereits die Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit genügen zu
lassen, wie sie der Kläger seit 11.05.2007 besitzt. Bei der Gestaltung sozialer
Leistungsansprüche steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Indem
er für Ausländer, die eine der in § 1 Abs. 6 Nr. 2 c) BErzGG aufgezählten
Aufenthaltserlaubnisse besitzen, nicht nur die bloße Berechtigung zu einer
Erwerbstätigkeit, sondern weitergehend die tatsächliche Ausübung oder - nachgehend -
den Bezug von SGB III-Leistungen oder die Inanspruch- nahme von Elternzeit verlangt,
hat er sich für eine engere Bindung an das Erwerbsleben als nur die
Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt entschieden, wie er sie bei Ausländern genügen
lässt, die eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, die nicht zu den in § 1 Abs. 6 Nr. 2 a) bis c)
genannten Aufenthaltstiteln gehört. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift des § 1 Abs. 6 Nr. 3 b) BErzGG ("erwerbstätig ist")
lässt auch eine erweiternde Auslegung, dass die Voraussetzungen dieser Norm bereits
erfüllt, wer zu einer Erwerbstätigkeit berechtigt ist, ohne eine solche tatsächlich
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auszuüben oder SGB III-Leistungen zu beziehen oder Elternzeit in Anspruch zu
nehmen, nicht zu (so aber SG Würzburg, Urteil vom 28.03.2008 - S 4 EG 49/06; SG
Münster, Urteil vom 31.03.2008 - S 2 EG 25/07).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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