Urteil des SozG Aachen vom 24.02.2005
SozG Aachen: vergleichbare leistung, gas, notlage, wohnung, anteil, vorauszahlung, rechtskraft, heizung, wasser, beihilfe
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Aachen, S 9 AS 7/05 ER
24.02.2005
Sozialgericht Aachen
9. Kammer
Beschluss
S 9 AS 7/05 ER
Landessozialgericht NRW, L 12 B 7/05 AS ER
Grundsicherung für Arbeitssuchende
rechtskräftig
1.Es werden im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet: a)die
Antragsgegnerin zu 1), darlehnsweise die von den Antragstellern zu
erbringende Heiz-/Stromkostenvorauszahlung von 300,- EUR zu
übernehmen und an den Gläubiger unmittelbar auszuzahlen. b)der
Antragsgegner zu 2), darlehnsweise die Stromkostennachzahlung der
Antragsteller in Höhe von 927,13 EUR zu übernehmen und diesen
Betrag an den Gläubiger unmittelbar auszuzahlen. 2.Der weitergehende
Antrag wird abgelehnt. 3.Die Antragsgegner tragen die Kosten der
Antragsteller als Gesamtschuldner. Im Übrigen sind Kosten nicht zu
erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller stehen im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld II. Aufgrund von
Stromkostenrückständen in Höhe von 927,13 EUR hat der Energielieferant (T) am
21.02.2005 sowohl den Strom, als auch das Gas, das zum Heizen der Wohnung benötigt
wird, abgestellt. Die T teilte den Antraggegnern mit, dass erst dann wieder Energie geliefert
werde, wenn sowohl die rückständige Forderung beglichen, als auch Sicherheit in Höhe
von 300,- EUR geleistet worden sei.
Die Antragsteller, die derzeit mittellos sind, und bei denen wegen der Nachforderung
inzwischen vollstreckt wird, wandten sich zunächst an die Antragsgegnerin zu 1), die den
Antrag auf Übernahme des Stromrückstandes und der Sicherheitszahlung ablehnte
(Bescheid vom 23.02.2005), da derartige Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) nicht vorgesehen seien. Die Antragsteller sprachen daraufhin
bei dem Antragsgegner zu 2) vor, der angegeben habe, nicht sofort entscheiden zu können,
weil intern zunächst die Zuständigkeit zu klären sei. Die Antragsteller tragen vor, wegen der
Dringlichkeit der Situation seien sie nicht in der Lage, auf die Bescheidung des
Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin zu 1) zu warten. Die Wohnung sei
inzwischen total ausgekühlt, dort zu übernachten sei ohne Gesundheitsgefährdung
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insbesondere für die 2003 geborene Antragstellerin zu 3) nicht möglich.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin zu 1), für den Fall, dass diese nicht zuständig ist, hilfsweise, den
Antragsgegner zu 2) zu verpflichten, den Stromkostenrückstand in Höhe von 927,13 EUR
und die Sicherheitsleistung in Höhe von 300,- EUR (zumindest als Vorschuss) zu
übernehmen.
Die Antragsgegnerin zu 1) beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen,
da sie nicht zuständig sei. Offensichtlich bestehe wegen der Unterbindung der
Energiezufuhr eine Notlage, da der Lebensunterhalt nicht mehr vollständig gesichert sei.
Soweit es um Leistungen für die Vergangenheit gehe, seien diese jedoch nach § 5 Abs. 2
Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II), 34 SGB XII grundsätzlich vom
Antragsgegner zu 2) zu tragen.
Der Antragsgegner zu 2) beantragt telefonisch,
den Antrag abzulehnen,
da die rückständigen Stromkosten im Rahmen ihrer Leistungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB
II von der Antragsgegnerin zu 1) zu tragen seien.
II.
Der zulässige Hauptantrag ist wegen z. T. fehlender sachlicher Zuständigkeit der
Antragsgegnerin zu 1) nur teilweise begründet, insoweit dringt der Hilfsantrag durch.
Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S 2 des Sozialgerichtsgesetzes SGG-
). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gegeben.
Es besteht nach der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen kursorischen Prüfung
der Sach- und Rechtslage Anspruch auf die beantragten Leistungen, wobei auch die
angegangenen Leistungsträger dies dem Grunde nach nicht abstreiten, sondern nur auf die
Zuständigkeit des jeweils anderen verweisen.
Obwohl es sich demnach um einen sog. negativen Kompetenzkonflikt handelt (zwei
Leistungsträger verneinen ihre Zuständigkeit, obwohl unstreitig einer von ihnen leisten
muss), ist kein Fall des § 43 Abs. 1 SGB I (Zuständigkeit des zuerst angegangenen
Leistungsträgers) gegeben, da hier die Zuständigkeit auch im Eilverfahren eindeutig geklärt
werden kann und die Antragsteller hilfsweise für den Fall der Unzuständigkeit der
Antragsgegnerin zu 1) auch die Verpflichtung des Antragsgegners zu 2) begehren.
Hinsichtlich der Stromkostennachzahlung folgt der Anordnungsanspruch aus § 34 SGB XII
und richtet sich ausschließlich gegen den Antragsgegner zu 2). Bei Leistungen für
zurückliegende Zeiträume und bereits verbrauchten Strom handelt es sich um Ausgleich
von Schulden. Schulden können nur nach § 34 SGB XII übernommen werden, wenn dies
zur Sicherung der Unterkunft oder der Behebung einer vergleichbaren Notlage dient. Eine
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vergleichbare Notlage liegt vor, denn die Unterkunft der mittellosen Antragsteller ist ohne
Strom und ungeheizt nicht nutzbar.
Anders, als die Antragsgegnerin zu 2) meint, besteht kein Anspruch nach dem SGB II, den
dann die Antragsgegnerin zu 1) zu erfüllen hätte. Die Übernahme von Schulden ist dort
nicht vorgesehen. Insbesondere kommt auch § 23 Abs. 1 SGB II als Anspruchsgrundlage
nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen
umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf erbracht werden. Diese
Voraussetzungen sind aber hier nicht erfüllt, denn der geltend gemachte Bedarf ist nicht
von den Regelleistungen umfasst. Die Regelleistungen definiert § 20 Abs. 1 SGB II, nach
dessen Satz 2 die in § 5 Abs. 2 S 2 SGB II genannten Leistungen nicht Regelleistungen
sind, also gerade die nach § 34 SGB XII zu übernehmenden Schulden.
Da Anspruchsgrundlage § 34 SGB XII ist, richtet sich also der Anspruch nicht gegen die
Antragsgegnerin zu 1). Zwar schließt § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II grundsätzlich aus, dass neben
der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) Sozialhilfe (SGB XII) bezogen werden
kann. Jedoch gilt auch dies ausdrücklich nicht für Leistungen nach § 34 SGB XII, soweit sie
nicht, was hier nicht in Betracht kommt, nach § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen sind (§ 5
Abs. 2 S 2 SGB II).
Anders verhält es sich mit der von der T zur Lieferungsvorbedingung für Gas und Strom
gemachten Kaution von 300,- EUR. Insoweit wird der Widerspruch der Antragsteller
voraussichtlich Erfolg haben. Für diesen Betrag hat die T noch keine Leistungen erbracht,
es sind demnach keine Schulden. Es handelt sich auch nicht um eine einer Mietkaution
vergleichbare Leistung, denn sie dient nicht der Sicherung zB von
Schadenersatzansprüchen aus nicht vertragsgemäßer Nutzung, sondern lediglich der
Absicherung der Zahlungsforderung des Versorgungsunternehmens. Sie wird deshalb
auch bei Vertragsende auf die letzte Abschlusszahlung anzurechnen sein, so dass sie als
Vorauszahlung auf Strom (Regelleistung nach § 20 Abs. 1 S 1 SGB II) und/oder Gas
(Heizkosten nach § 22 SGB II) angesehen werden kann. Es ist nicht vorgetragen, welcher
Anteil auf Strom- und welcher auf Heizkosten entfällt. Dies kann aber zunächst auch offen
bleiben, denn in beiden Fällen wären von der Antragsgegnerin zu 1)
Grundsicherungsleistungen zu erbringen, entweder nach § 22 Abs. 1 SGB II in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen oder im Rahmen des § 23 Abs. 1 S 1 SGB II als grundsätzlich
von den Regelleistungen umfasster unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des
Lebensunterhalts.
Ein Anordnungsgrund ist hinreichend glaubhaft gemacht. Der Bedarfsgemeinschaft gehört
ein 2003 geborenes Kind an, dem ohne Heizung, Strom und warmes Wasser
gesundheitliche Schäden drohen. Ein Ausweichquartier steht nicht für längere Zeit zur
Verfügung. Das Ergebnis der Hauptsacheentscheidung im Widerspruchsverfahren kann
nicht abgewartet werden und wird nicht vorweggenommen, da die Bewilligung zunächst
nur darlehnsweise erfolgt und also rückabgewickelt werden kann. Die Entscheidung, ob
und inwieweit Leistungen als Beihilfe zu erbringen sind, bleibt dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten.
Die Kostenentscheidung folgt §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass die Antragsteller
materiell voll obsiegt haben.