Urteil des SozG Aachen vom 18.07.2006

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Sozialgericht Aachen, S 11 R 3/06
Datum:
18.07.2006
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 11 R 3/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 8 R 217/06
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt die Übertragung von Nachversicherungsbeiträgen für die Zeit vom
23.09.1999 bis zum 31.05.2003 auf ein berufsständisches Versorgungswerk.
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Der am 00.00.1957 geborene Kläger schied zum 31.05.2003 aus dem
Beamtenverhältnis zum Beigeladenen aus. Dieser schrieb ihn zunächst unter dem
20.06.2003 an und bat ihn, eine beiliegende Erklärung zurücksenden, sonst erfolge die
Nachversicherung zur Beklagten. Mit weiterem Schreiben vom 31.07.2003 bat der
Beigeladene nochmals um Antwort binnen 3 Wochen. Die Nachversicherung erfolgte
sodann im August 2003 bei der Beklagten. Diese wiederum übersandte dem Kläger mit
Schreiben vom 13.11.2003 ein Merkblatt zur Möglichkeit der Übertragung der
Nachversicherungsbeiträge auf ein berufsständisches Versorgungswerk und wies in
diesem Zusammenhang insbesondere auf die Antragsfrist hin.
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Am 30.12.2004 wandte sich der Kläger gegenüber dem Beigeladenen gegen die
Nachversicherung bei der Beklagten und begehrte die Nachversicherung beim
Versorgungswerk der Ärztekammer I. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom
21.03.2005 mit der Begründung ab, der entsprechende Antrag sei binnen eines Jahres
nach Eintritt der Nachversicherungsvoraussetzungen zu stellen; diese Frist sei jedoch
am 01.06.2004 abgelaufen. In seinem am 04.05.2005 erhobenen Widerspruch führte der
Kläger aus, ihm sei hinsichtlich der Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
zu gewähren, da ihm die Antragsfrist nicht bekannt gewesen sei. Insbesondere habe er
keine vorherigen Schreiben der Beklagten erhalten. Die Beklagte wies den Widerspruch
mit Bescheid vom 06.12.2005 zurück. Sie führte aus, eine Wiedereinsetzung scheide
schon deswegen aus, da sie den Kläger jedenfalls mit Schreiben 13.11.2003 von der
Antragsfrist unterrichtet habe.
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Hiergegen richtet sich die am 09.01.2006 erhobene Klage.
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Der Kläger führt aus, er habe keines der genannten Schreiben erhalten, was vermutlich
daran liege, dass die Deutsche Post AG die Post an seine Wohnanschrift nicht
ordnungsgemäß verteile. Briefsendungen seien bereits mehrfach verschwunden oder
mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zum Absender zurück gegangen. Hinzu komme
sein häufiger Nachname sowie die unübersichtliche Anlage der Siedlung, in der er
wohne. Da die Beklagte das Zugangsrisiko für die von ihr abgesandten Schreiben trage,
sei ihm Wiedereinsetzung zu gewähren. Hilfsweise beruft sich der Kläger auf einen
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, da er nicht ordnungsgemäß über die
Antragsfrist aufgeklärt worden sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.03.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 06.12.2005 zu verurteilen, die
Nachversicherungsbeiträge für die Zeit vom 23.09.1999 bis 31.05.2003 an das
Versorgungswerk der Ärztekammer I zu übertragen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladene hat im Termin zur mündlichen Verhandlung keinen Antrag mehr
gestellt.
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Beklagte und Beigeladene berufen sich auf ihre Schreiben an den Kläger im Laufe des
Jahres 2003; in keinem der drei Fälle sei ein Postrücklauf festzustellen gewesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten
sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Das Gericht konnte aufgrund einseitig streitiger mündlicher Verhandlung entscheiden,
da die Beklagte ordnungsgemäß vom Termin unterrichtet worden ist.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übertragung der Nachversicherungsbeiträge auf
das Versorgungswerk der Ärztekammer I, da er die entsprechende Antragsfrist nicht
eingehalten hat, § 186 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch -
gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Eine solche Übertragung (zu Ablauf und
Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers Gürtner, in: Kasseler Kommentar zum
Sozialversicherungsrecht, § 186 SGB VI, Rn. 10) muss nach § 186 Abs. 3 SGB VI
innerhalb eines Jahres nach dem Eintritt der Voraussetzungen für die Nachversicherung
(§ 8 SGB VI) gestellt werden. Diese Frist war - wie unstreitig ist - bei Antragstellung im
Dezember 2004 bereits verstrichen.
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Dem Kläger ist hinsichtlich der Antragsfrist aus § 186 Abs. 3 SGB VI auch nicht gemäß §
27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz - (SGB X) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Es
kann dahinstehen, ob die Frist aus § 186 Abs. 3 SGB VI der Wiedereinsetzung
überhaupt zugänglich ist (bejahend Gürtner, a.a.O., Rn. 9; ablehnend für die Frist aus §
186 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI Bayerisches LSG, Urteil vom 31.05.2005, L 6 R 306/99).
Jedenfalls ist nicht hinreichend erwiesen, dass der Kläger - wie § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB
X es voraussetzt - ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Antragsfrist
einzuhalten. Anders als in den Fällen, in denen Betroffene nicht mit wichtiger Post im
betreffenden Zeitraum rechnen mussten und daher nach vorübergehender Abwesenheit
etc. Wiedereinsetzung verlangen können, beruft sich der Kläger gerade darauf, dass ihn
"einfache" Post generell schlecht erreiche. Da auch heutzutage wichtige Schreiben
häufig mit einfacher Post versandt werden, hätte der Kläger dafür Rechnung tragen
müssen, dass auch der Erhalt einfacher Post nicht über das übliche Verkehrsrisiko
hinaus erschwert wird. So hätte er etwa den Beigeladenen um Post unter seiner
Dienstadresse bitten oder aber ein Postfach einrichten können.
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Der nach § 186 Abs. 3 SGB VI erforderliche Antrag kann auch nicht darin gesehen
werden, dass der Kläger seit dem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis wieder
beim Versorgungswerk der Ärztekammer I versichert ist, denn andernfalls liefe das
Antrags- und Fristerfordernis aus § 186 Abs. 3 SGB VI weitgehend leer. Die
Versicherung beim Versorgungswerk begründete lediglich eine Informationspflicht der
Beklagten hinsichtlich der Übertragungsmöglichkeit nach § 186 Abs. 3 SGB VI. Die
Beklagte ist dieser Informationspflicht durch ihr Schreiben vom 13.11.2003
nachgekommen und durfte - nachdem weder eine Antwort noch ein Postrücklauf zu
verzeichnen war - auch davon ausgehen, sie habe ihrer Pflicht nunmehr genügt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Ein Kostenerstattungsanspruch des
Beigeladenen scheidet aus, da dieser zuletzt keinen Antrag mehr gestellt hat; im
Übrigen sind erstattungsfähige Auslagen des Beigeladenen auch nicht ersichtlich.
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